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Das militärische Herzstück des neuen Strategischen Kompasses

Mit Hochdruck arbeitet die Europäische Union an der Aufstellung einer neuen Eingreiftruppe - der Rapid Deployment Capacity. Das Konzept dafür haben die Staats- und Regierungschefs am 25. März 2022 ins Leben gerufen. Es bildet das militärische Herzstück des neuen Strategischen Kompasses. Ein Gastbeitrag des Mitglieds des Europäischen Parlaments, David McAllister, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten.

David McAllister MdEP, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten.

Foto: European Union 2023 - Source : EP

eurapid deployment capacity

Mit bis zu 5.000 Soldatinnen und Soldaten, die neben Bodentruppen auch zu Luft- und Seestreitkräften gehören können, wird die Eingreiftruppe individuell zugeschnitten, je nach Einsatzerfordernis: So muss beispielsweise eine Evakuierungsoperation anders aufgestellt sein, als ein Stabilisierungseinsatz, der frühzeitig einen Konflikt verhindern soll.

Zwei mögliche Einsatzszenarien hat der Europäische Auswärtige Dienst gemeinsam mit dem EU-Militärstab bereits erstellt. Diese haben die 27 Verteidigungsminister am 15. November 2022 für realistisch befunden. Das allein ist als Erfolg zu verbuchen, zeugt diese Entscheidung doch von Ansätzen einer europäischen strategischen Kultur. Die praktische Bedeutung dieses Begriffs im EU-Kontext ist bisher eher vage geblieben. Denn während Nationalstaaten ihre strategische Kultur aus historischen Erfahrungen schöpfen, muss die Europäische Union ihre eigene in der Praxis formen. Wichtig war deshalb, dass sich alle Mitgliedstaaten mit ihren jeweiligen Wahrnehmungen in den Szenarien wiederfinden. Es galt, jene Ziele zu benennen, für die sich alle Europäer gemeinsam einsetzen.

Retten, evakuieren, stabilisieren

Das erste Szenario umfasst Rettungs- und Evakuierungsoperationen. Hier geht es vor allem darum, europäische Bürger im Ernstfall aus Krisenregionen zu retten. Dieser Fall ist zuletzt im Sudan eingetreten. Ein Einsatz wäre aber auch in Somalia oder Libyen denkbar. Einen überstürzten Abzug wie den im Sommer 2021 aus Afghanistan soll es nicht noch einmal geben. Die Szenen in Kabul dürfen sich nicht wiederholen. So müssen wir Europäer künftig in der Lage sein, eine Evakuierungsmission – im Notfall auch ohne die Amerikaner – eigenständig durchzuführen.

Als zweites Szenario gilt ein Stabilisierungseinsatz. Hier würden Truppen kurzfristig entsandt, um den Frieden zu sichern. Ein solches Mandat ist grundsätzlich nicht neu, sondern war schon für die EU-Battlegroups vorgesehen. Mit jeweils 1.500 Soldaten gelten diese multinationalen Militäreinheiten als Vorläufer der neuen Eingreiftruppe, wurden aber seit 2007 aufgrund des mangelnden politischen Willens nie eingesetzt.

Damit die schnelle Eingreiftruppe nicht das gleiche Schicksal erfährt, wie ihr Vorgängermodell, müssen die noch verbliebenen Fragen ausgeräumt und ein länderübergreifender Konsens gebildet werden. Dieser ist in Sachen Kostenteilung, Befehlsstrukturen als auch der Anforderungen zur Einsatzbereitschaft dringend erforderlich. Viel Zeit bleibt dafür allerdings nicht. Noch in diesem Jahr findet die erste Übung in Spanien statt, bevor die Rapid Deployment Capacity bis spätestens 2025 voll einsatzbereit sein soll.

Unterschiede zu den EU-Battlegroups

Die Eingreiftruppe unterscheidet sich quantitativ als auch qualitativ von den EU-Battlegroups. Neu ist beispielsweise, dass die beteiligten Staaten die Kosten für Ausbildung und Einsatz nicht mehr selbst tragen sollen. Für die Battlegroups galt bisher der Grundsatz „die Kosten liegen dort, wo sie anfallen“, was im Endeffekt bedeutete, dass die truppen-stellenden Nationen erfolgreich Gründe dafür gesucht haben, ein Veto gegen den Einsatz der Battlegroups einzulegen. Um die Kostenteilung künftig zielführender zu gestalten, sieht der Europäische Auswärtige Dienst eine “gemeinsame Finanzierung“ vor.

Das Europäische Parlament hat daher angeregt, dass die einschlägigen Verwaltungsausgaben aus dem Haushalt der EU finanziert werden, während Truppensteller für die operativen Ausgaben durch die Europäische Friedensfazilität auf der Grundlage einer gemeinsamen Kostenberechnung entschädigt werden. Darunter fallen die Kosten für Übungen und Munition als auch das Leasing von Militärausrüstung. Das Budget der Europäischen Friedensfazilität, einem Sonderetat für EU-Kriseneinsätze, ist allerdings durch für die Ukraine beschaffte Munition derzeit ausgereizt und müsste gemeinsam durch die Mitgliedstaaten aufgestockt werden.

Rechtliche Fragen noch offen

Rechtlich anspruchsvoll bleibt die Frage nach den Entscheidungsprozessen. Denn ein Einsatz der Rapid Deployment Capacity erfordert nach wie vor einen einstimmigen Ratsbeschluss. Das ist die Norm, müsste aber nicht zwingend so bleiben. Das Stichwort an dieser Stelle ist Artikel 44 (1) des Vertrags der Europäischen Union. Dieser sieht vor, dass der Rat „im Rahmen der nach Artikel 43 erlassenen Beschlüsse die Durchführung einer Mission einer Gruppe von Mitgliedstaaten übertragen kann, die dies wünschen und die über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen.“ Das bedeutet also, dass eine Gruppe williger Mitgliedstaaten die Durchführung von Operationen und Missionen übernehmen könnte.

Die Mitgliedstaaten sind angehalten, alle im vorhandenen Rechtsrahmen erdenklichen Modalitäten auszuloten, idealerweise noch vor der ersten Übung in diesem Jahr. So könnte ich mir eine „Koalition der Willigen“ vorstellen, die, wenn nötig, zwar ohne Ratsbeschluss, aber mit „EU-Segen“ operiert. Auf dieser Grundlage funktioniert auch die koordinierte maritime Präsenz (Coordinated Maritime Presence), die seit 2021 einen geeigneten Rahmen dafür bietet, die bereits vorhandenen Marine- und Luftkapazitäten der Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis und dennoch effektiv zu bündeln. Der EU-Militärstab koordiniert den Informationsaustausch, die teilnehmenden Mitgliedstaaten behalten aber die nationale Befehlsgewalt über ihre Kontingente und stimmen den Einsatz ihrer Ressourcen in den jeweiligen Regionen untereinander ab.

Der politische Wille entscheidet

Letztendlich steht oder fällt das Konzept mit dem echten politischen Willen der Mitgliedstaaten. Dazu gehört auch, dass sie die nötigen finanziellen Mittel für den Ausbau eines vollwertigen militärischen Hauptquartiers bereitstellen, das in der Lage ist, das strategische Kommando der Eingreiftruppe ab 2025 von Brüssel aus zu leiten – und dass an der Seite der Akteure, die für das zivile Krisenmanagement in der Europäischen Kommission verantwortlich sind. Derzeit ist die Military Planning and Conduct Capability (MPCC) noch erheblich unterbesetzt und verfügt nicht über die notwendige sichere Kommunikationsinfrastruktur.

Die neue Eingreiftruppe wird entscheidend dafür sein, dass die EU ihre Sicherheitsinteressen besser durchzusetzen kann. Für eine solche Aufgabe mag eine Truppe von 5.000 Soldaten einen vermeintlich kleinen Schritt darstellen. Gemessen aber an den Hürden, die die europäische Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den letzten Jahren nehmen musste, ist die Eingreiftruppe aber ein Meilenstein. Darauf kann und sollte aufgebaut werden.

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