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Die Reserve

Gastkommentar: Neue Kategorien für die Reserve

Wie es um die Reserve der Bundeswehr bestellt ist, was sie kann, was sie können soll und was für das Ziel einer einsatzbereiten Reserve zu tun ist, sind wichtige Fragen. Sie betreffen aber nicht allein die Streitkräfte oder die Bundeswehr-Community. Reserve ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, über das noch viel mehr öffentlich diskutiert werden könnte. Den Anfang macht Oberstabsgefreiter d.R. Johannes Mühle, Beauftragter Sicherheitspolitik der Landesgruppe Brandenburg des Reservistenverbandes und wissenschaftlicher Lektor am GIDS, der Denkfabrik der Bundeswehr. 

Johannes Mühle ist wissenschaftlicher Lektor am GIDS, der Denkfabrik der Bundeswehr, und Schriftführer der Landesgruppe Brandenburg des Reservistenverbandes.

Grafik: Julia Spieß/Quelle: Bundeswehr/Gelhausen

GIDSReservistenarbeit

Johannes Mühle hat am GIDS einen wissenschaftlichen Artikel unter dem Titel „Ohne Reserve ist alles nichts“ veröffentlicht. Dieser Debattenbeitrag stützt sich auf diesen Artikel.

Ein angenommenes Szenario: In einem beliebigen Zeitraum X dreht der nicht weiter definierte Staat A durch Mittel hybrider Kriegsführung sukzessive an der Eskalationsschraube, bis an die Grenze zum offenen Konflikt. Die Armee des bedrohten Landes B muss deshalb ihre Personalstärke lageangepasst steigern, um Entschlossenheit zu demonstrieren, die Einsatzbereitschaft von Kampfbrigaden zu erhöhen, Kasernenanlagen und Truppentransporte zu schützen. Sie ist dabei aber, weil sie nicht auf eine verpflichtende Einberufung zum Reservedienst oder gar eine Wehrpflicht zurückgreifen kann, auf die persönliche Bereitschaft nicht nur der Reservistinnen und Reservisten selbst, sondern auch auf deren Arbeitgeber angewiesen.

Eine durchhaltefähige Reserve ist eine Herausforderung

Dass es sich bei dieser Armee um die Bundeswehr handelt, ist offensichtlich. Die daraus erwachsenden Problemstellungen jedoch weniger. Nicht der eleganteste, aber zumindest der nachhaltigste Weg aus diesem Dilemma wäre die Wiederbelebung einer Wehrpflicht, mit der Personalreserven verbindlich ausgebildet werden können und auch dann einrücken müssen, wenn sie gebraucht werden; diesen Weg einer Wehrpflicht will aber weder das politische Berlin noch die Bundeswehr einschlagen (die Meinung der Arbeitgeberseite noch nicht betrachtet). Somit müssen sich die Streitkräfte, wollen sie eine einsatzbereite und durchhaltefähige Reserve schaffen, mit den bestehenden Herausforderungen eingehend und zielführend auseinandersetzen.

Um nur drei zu nennen: Es müssen erstens trotz Grundbeorderung ausreichend Reservistinnen und Reservisten rekrutiert werden, um sie auf freiwilliger Basis einplanen und ausbilden zu können. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen zweitens davon überzeugt werden, dass die Freistellung ihrer Angestellten sinnvoll und wichtig ist – und das nicht erst für Krise und Krieg, sondern bereits für Übungen. Vor allem gilt es drittens, die unterschiedlichen Gruppen von Reservistinnen und Reservisten zu organisieren.

Die Aussetzung der Wehrpflicht wiegt schwer

Dabei ist die 2003 erdachte und noch heute gültige Einteilung von Reservekräften in „Allgemeine Reserve“, „Personalreserve“ und „Verstärkungsreserve“ allein nicht ausreichend. Es gehört mittlerweile mehr dazu als eine Kontingentierung für Verbände und die Vergabe von markigen Kennwörtern zur öffentlichen Alarmierung wie im Kalten Krieg, denn: Das Kriegsbild, mit dem man heute konfrontiert ist, lässt weit länger schwelende Krisenphasen und zugleich komplexe Eskalationsmöglichkeiten vermuten. Vor diesem Hintergrund wiegt die Aussetzung der Wehrpflicht – als Mittel zur frühzeitigen, kurzfristigen und verbindlichen Einberufung von turnusmäßig ausgebildeten Reservistinnen und Reservisten – weit schwerer.

Neue Kategorien für Reservekräfte

Der grundlegenden Herausforderung bei der Organisation eines qualifizierten Aufwuchses für die Bundeswehr ist nur durch die Staffelung des Aufwuchses selbst und die Kategorisierung der vorhandenen Reservekräfte beizukommen. Die Staffelung des Aufwuchses sollte sich dabei nicht allein nach den Alarmplänen richten, sondern auch erlauben, das Personal auch unabhängig von diesen heranzuziehen, um möglichst großen Handlungsspielraum bei der Reaktion auf komplexe Krisenszenare zu erhalten. Eine mögliche Staffelung des Personalaufwuchses könnte sich so in der Verstärkungsreserve in Vorauskräfte, Hauptkräfte und Nachfolgekräfte unterteilen.

Grundlegende Frage: Wer ist verfügbar?

Weitaus entscheidender ist aber die qualifizierte Zuteilung von Personal zu diesen Stufen und den hiernach auszurichtenden Dienstposten. Aus den benannten Vorbindungen für Krise und Krieg sind für die Organisiertheit personeller Ressourcen verschiedene Fragestellungen anzustellen, um abschließend eine Einteilung für bestimmte Kontingente vornehmen zu können. Diese darf aber eben nicht danach gehen, wer qua Amtes auf Anweisung zu aktivieren ist, sondern wer zum Zeitpunkt X sowohl geeignet als auch überhaupt verfügbar ist. Zu fragen ist also: Welche Reservistinnen und Reservisten sind in einer Krise aufgrund freiwilliger Meldung sofort verfügbar, welche können kurz- bis mittelfristig unterstützen, und welche können gar nicht unterstützen?

Die Kategorisierung von Reservistinnen und Reservisten, deren Aufgebot im Alarmierungsfall nicht auf verpflichtende Einberufungen zurückgreifen kann, muss deshalb ein Konvolut personeller Ressourcen mit verschiedensten Parametern organisieren. Dieses hat – stark vereinfacht – eine Bandbreite von Reservekräften zu berücksichtigen, von zwar sofort verfügbaren, aber möglicherweise unzureichend ausgebildeten Reservistinnen und Reservisten, bis hin zu jenen, die einst in die Verstärkungsreserve eingeplant wurden, einen hohen Ausbildungsstand besitzen, aber wegen zivilberuflicher Verwendung, beispielsweise bei der Polizei oder aufgrund eines Ehrenamtes im Katastrophenschutz, für die Bundeswehr nicht abkömmlich sind. Das macht also eine vertiefende Analyse des Personalkörpers dringend erforderlich.

Die Rolle der beorderungsunabhängigen Reservistenarbeit

Ausschlaggebendes Kriterium bei einer Ein- und Zuteilung sollte dabei die Verfügbarkeit sein (die individuelle Wehrbereitschaft in Krise und Krieg idealerweise vorausgesetzt), gefolgt von der Einsatzbefähigung. Daraus ist auch zu folgern, dass für jede Stufe des Aufwuchses zusätzliche Ausbildungskapazitäten einzuplanen sind. So müssten beispielsweise Vorauskräfte als sofort verfügbar kategorisiertes Personal nach Ausbildungsstand unterschieden werden. Eine Wachbefähigung sollte hierbei die Mindestqualifikation sein, damit Sicherungsaufgaben parallel zu einer notwendig werdenden Ausbildung, die freilich weiteres Personal bindet, wahrgenommen werden können. Für die nachfolgenden Stufen ist dieses Modell weiter fortzudenken.

Da die Zahl der eingeplanten Reservistinnen und Reservisten seit langem unter dem Soll liegt, sollte die Erfassung (noch) nicht beorderter Reservistinnen und Reservisten in Betracht gezogen werden. Diese könnten – sofern regelmäßig an Dienstlichen Veranstaltungen der beorderungsunabhängigen Reservistenarbeit teilnehmend und dort ihre militärischen Grundfertigkeiten aufrechterhaltend – als weiterer Personalersatz vorbedacht werden. Dem Verband der Reservisten sollte dabei auch eine deutlich höhere Verantwortung und Mitwirkungspflicht übertragen werden, indem dieser seine Mitglieder hinsichtlich der genannten Punkte analysiert, um so das vorhandene Potenzial überhaupt zu validieren – die Einhaltung des Datenschutzes natürlich mitgedacht.

Was die aufgeworfene Problemlage bei der Heranziehung von Reservistinnen und Reservisten in einem wie auch immer gearteten Fall vor Augen führt: Bei allen Vorkehrungen, Berücksichtigungen von Einzelfaktoren und Rücksichtnahmen auf politische Verwicklungen muss dennoch die Möglichkeit einer verpflichtenden Einberufung als Ultima Ratio in Betracht gezogen und entsprechend vorbereitet werden.


Interview mit Johannes Mühle: Vier Fragen, vier Antworten

Johannes Mühle ist wissenschaftlicher Lektor am GIDS, der Denkfabrik der Bundeswehr, und Schriftführer der Landesgruppe Brandenburg des Reservistenverbandes (Foto: Bundeswehr/Gelhausen)

Sie haben zum Thema Mobilmachung in der DDR promoviert. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?

 Ehrlich gesagt, eher zufällig. Während meines Masterstudiums habe ich am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr ein Praktikum absolviert. Meine damalige Aufgabe: für meinen späteren Doktorvater die Akten des Nationalen Verteidigungsrates der DDR nach bestimmten Themenfeldern zu analysieren, unter anderem zur Mobilmachung. Seinen Nebensatz, das sei auch ein Thema für eine Dissertation, habe ich direkt aufgenommen. Und gefragt, ob ich dazu bei ihm promovieren darf.

 Gibt es Aspekte Ihrer Promotionsarbeit, die Relevanz für die Bundeswehr heute haben?

 Jein! Einerseits habe ich mich auf die DDR und ihre Streitkräfte fokussiert. Ein Unrechtsregime wie dieses kann natürlich nicht Vorbild sein, zumal die Kriegs- und Mobilmachungsvorbereitung massiv zur Militarisierung der DDR und zum Machterhalt der Staatspartei SED beigetragen haben. Andererseits zeigen die Vergleiche mit anderen Mobilmachungssystemen, etwa mit dem der Bundeswehr, dass die Abläufe und Planungen oftmals ähnlich sind. Zum Beispiel mit Blick auf die Anforderungen von Personal und Material oder hinsichtlich der Fragen, wen man einplant, wer im zivilen Bereich „unabkömmlich“ ist, welche Puffer notwendig sind.

Natürlich habe ich mir die Frage gestellt: Wie wäre es denn heute? Im Ergebnis bleibe ich beim „Jein“. Unter den heutigen militärischen, technologischen und auch gesellschaftlichen Bedingungen sind die Komplexe des Ost-West-Konfliktes nicht einfach kopierbar. Wir tun aber gut daran, uns bestimmter Aspekte, die als funktionsfähig erachtet wurden, zu bedienen und diese fortzudenken.

Welchen Bezug haben Sie zur Bundeswehr und zur Reserve?

Nachdem ich 2006/2007 Grundwehrdienst geleistet habe, war erst einmal Pause, auch wenn mich das Thema Militär immer begleitet hat. 2018 ging es dann über den Reservistenverband in die Verstärkungsreserve. Zudem ist die Bundeswehr jetzt auch noch mein Arbeitgeber: Ich bin Zivilbeschäftigter und seit 2022 Wissenschaftlicher Lektor beim German Institute for Defence and Strategic Studies.

Warum ist die Reserve der Bundeswehr ein Thema, das für die Politik so wichtig sein sollte wie zum Beispiel Bildung oder Maßnahmen gegen den Klimawandel?

Die Reserve ist ein Garant unserer strategischen Sicherheitsvorsorge. Dies gilt umso mehr, als die Landes- und Bündnisverteidigung wieder den Kernauftrag der Bundeswehr bildet. So trägt die Reserve ebenso zur gesellschaftlichen Resilienz bei wie Bildung und der Kampf gegen den Klimawandel. Daher sollte für die Politik das Thema Reserve auch ebenso wichtig sein.

 

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