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Er will den Reservistenverband in das 21. Jahrhundert führen. Das macht Roderich Kiesewetter allerdings von einigen Entwicklungen abhängig. Auf der Bundesdelegiertenversammlung Ende November in Hannover strebt er die weitere Modernisierung der Reserve an.

Interview: Marco Seliger

Herr Kiesewetter, eingangs eine blasphemische Frage: Sollten wir angesichts der vielen Krisen in der Welt und des ungebrochenen Flüchtlingszustroms überhaupt über die Zukunft des Reservistenverbandes sprechen? Gibt es da im Moment nichts Wichtigeres?
Es wird immer offensichtlicher, dass wir nicht darauf vorbereitet waren, so viele Krisen gleichzeitig zu managen und immer mehr Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Die sich weiter verschärfende Lage und die begrenzte Durchhaltefähigkeit der zivilen Hilfsorganisationen werden in naher Zukunft zu erhöhten Anforderungen an Bundeswehr und Reservisten führen. Gerade in dieser Situation ist die Reserve hilfreich: Sie kann sich in dieser außergewöhnlichen Lage engagieren und bei Bedarf kameradschaftliche Unterstützung für die seit Wochen im Dauereinsatz stehenden Kräfte leisten. Genau dazu habe ich auf Bitten des Generalinspekteurs in unserem Verband aufgerufen. Hunderte Reservisten sind trotz Freiwilligkeit bisher dem Aufruf gefolgt! Unser Land kann auf seine Reserve bauen.

Wegen des Zustroms an Flüchtlingen sind die Reservistenmeisterschaften Ende September in Roth abgesagt worden. Einige Reservisten sind deshalb aus dem Verband ausgetreten. Können Sie das verstehen?
Die Zahl der Austritte bewegt sich im einstelligen Bereich, die Reserve trägt mehrheitlich die seinerzeit wohlbegründete Absage mit. Die Stadt Roth hatte geplant, in der Kaserne kurzfristig Flüchtlinge unterzubringen. Es wäre nicht vertretbar gewesen, Kräfte aus der Flüchtlingshilfe abzuziehen oder Teile der Kaserne für den Wettbewerb freizuräumen, nur damit die Meisterschaften stattfinden können. Hier lag schlicht eine Notlage vor. Zwischenzeitlich haben wir allerdings erfahren, dass sich nach dem Wettkampfwochenende die Flüchtlingszahlen nicht auf das damals angekündigte Maß von 1.500 erhöht haben. Das war aber die aktuelle Lage zum Zeitpunkt der Entscheidung. Dass es am Ende nicht so kam, steht auf einem anderen Blatt.

Die Absage hat viele Reservisten tief getroffen.
Natürlich hat das viele enttäuscht. Insbesondere Reservisten mit unbezahltem Urlaub haben durch die Absage bis zu 1.000 Euro finanziellen Verlust hinnehmen müssen, da ihre Firmen für die Dauer der Reservedienstleistung für Ersatz gesorgt haben. Diese davon betroffenen Reservisten werden sich nie mehr bei den Reservistenmeisterschaften engagieren. Dennoch gab es ja auch nicht nur Kritik, sondern viel Zustimmung für unsere Entscheidung. Ich gebe zu, dass wir noch besser erklären müssen, warum die Veranstaltung abgesagt wurde. Ich kann verstehen, dass etliche Reservisten enttäuscht sind, denn sie haben sich zwei Jahre lang auf die Meisterschaften vorbereitet, haben sich frei genommen, mit ihren Chefs gesprochen und sich um Ersatz am Arbeitsplatz gekümmert. Es ist nach wie vor nicht einfach für Reservisten, ihre Arbeitgeber vom Sinn einer freiwilligen Reservistendienstleistung zu überzeugen. Hier liegt ein echtes politisches Versagen aus der Vergangenheit vor: Unser Land kann nicht mehr verpflichtend die Reserve einberufen, reine Freiwilligkeit in Notlagen hilft nicht weiter.

Was wollen Sie da jetzt tun?
Mir liegt eine Kompensation der betroffenen Reservisten und die verlässliche Durchführung der Reservistenmeisterschaften 2017 sehr am Herzen. Inwiefern eine Kompensation erfolgen kann und wo die nächste Meisterschaft stattfinden wird, prüfen wir derzeit. Die Meisterschaften müssen künftig für alle Beteiligten und das Verteidigungsministerium so sicher organisiert sein, dass sie ?nicht mehr abgesagt werden können!

Welche Rolle wird das Werben bei Arbeitgebern um die Freistellung von Reservisten bei der Neuausrichtung des Verbands spielen?
Das ist zwar eine wichtige Aufgabe, aber bei 3,6 Millionen Betrieben in Deutschland und knapp 30.000 Beorderten spielt die Reserve in der Wirtschaft nur eine sehr kleine Rolle. Die Bundeswehr hat sich deshalb entschieden, wieder verstärkt Reserveoffiziere und Reserveunteroffiziere auszubilden. Das begrüßen wir, eine sehr gute Entscheidung! Sie sind schließlich wesentliche Multiplikatoren der Bundeswehr in der Wirtschaft.

Sie wollen also verstärkt auf Arbeitgeber zugehen?
Ja, der Reservistenverband hat zum Beispiel den Preis „Unterstützer der Reserve“ ausgelobt, mit dem wir jährlich verdiente Firmen auszeichnen möchten, die sich für die Arbeit der Reserve einsetzen. Wir werden uns aber auch mit anderen Multiplikatoren, wie beispielsweise Beiratsverbänden oder kleineren Gruppen wie „Mars und Merkur“ beraten, denn die Reserve ist deutlich größer als der Reservistenverband, aber nur gemeinsam und orchestriert sind wir stark und vernehmbar. Um also eine schlagkräftige Reserve als Personalpool zu haben, werden wir auch verstärkt mit Industrie und Wirtschaft zusammenarbeiten. Dabei gilt auch, dass sich Unternehmen nicht als diejenigen verstehen dürfen, die die Konsequenzen der Entscheidungen im Ministerium für die Bundeswehr auszutragen haben.

Die Bundesdelegiertenversammlung soll einige Satzungsänderungen verabschieden. Die sind notwendig, weil sich der Reservistenverband zum Dienstleister der Bundeswehr und zur Plattform für andere Verbände in der Reservistenarbeit wandeln will. Weiß der Reservistenverband, was Ministerium und Bundeswehr künftig genau von ihm erwarten?
Die Bundeswehr muss sich darüber klar werden, was für eine Reserve sie eigentlich haben will. Meiner Meinung nach fokussiert sie sich viel zu stark auf die Beorderten in der Truppen- bzw. Territorialreserve. Sie wird künftig aber deutlich mehr darauf bauen müssen, dass die Allgemeine Reserve mit gut ausgebildeten Leuten zur Verfügung steht. Sie braucht sehr viel top-ausgebildetes und freiwillig engagiertes Personal, das wie in der Flüchtlingskrise schlicht „Manpower“ darstellt. Außerdem sind diese Leute unverzichtbar für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr – Stichwort Mittlertätigkeit! Sie in Übung und Ausbildung zu halten, dafür stehen wir als Verband. Das ist unsere Aufgabe, dafür bekommen wir Geld vom Staat. Natürlich hat auch der Verband dabei die Verpflichtung, sich professioneller zu präsentieren. Ich denke da zum Beispiel an eine Fähigkeitsdatenbank mit expliziten Qualifikationen unserer Mitglieder, um sie lage- und situationsgerecht ansprechen zu können. Hier ist noch eine Menge zu leisten, nicht nur technisch. Sondern auch im ‚mindset‘, der Bereitschaft der Mitglieder, ihre Nachweise und Qualifikationen zur Verfügung zu stellen.

Was meinen Sie, welches Bild die aktive Truppe derzeit vom Verband hat?
Das kann ich so einfach nicht beantworten, aber ich bin überzeugt, dass es in den vergangenen Jahren deutlich positiver geworden ist. Das liegt an einigen Neuerungen. So werden Soldaten im Unterricht bei der Einstellung und bei der Entlassung über die Arbeit des Reservistenverbands und über die Möglichkeiten informiert, sich bei uns zu engagieren. Wir sind auf diese Weise bekannter geworden. Zweitens wandelt sich der Verband allmählich, und das wird wahrgenommen. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen, eine Organisation wie den Reservistenverband in das 21. Jahrhundert zu transferieren. Und es mag sein, dass es einigen zu radikal, anderen nicht schnell genug geht. Tatsache aber ist: Der Verband bekommt öffentliche Mittel, weil er die zentrale Organisation der Reserve in Deutschland ist. Es gibt andere Vereine, in denen sich Reservisten organisieren. Wir werden künftig für sie der Partner sein, an den sie sich anlehnen können.

Was heißt das konkret?
Diese Organisationen werden künftig etwa unser Messe- und Ausstellungsmanagement nutzen können, außerdem unsere Hotline, unter der wir Einplanungs- und Ausbildungsfragen für Reservisten beantworten. Zudem bauen wir die Familienbetreuung und die psychosoziale Kameradenhilfe für Veteranen aus, etwa bei Posttraumatischen Belastungsstörungen – nicht alleine und nicht in Konkurrenz zu anderen, sondern in Kooperationen. Außerdem bieten wir verstärkt Programme zur Verbesserung der körperlichen Belastbarkeit und Fitness an. Auch das trägt zum positiven Image des Verbands in der Truppe, aber auch unter Reservisten und in der Öffentlichkeit bei.

Wie hoch ist denn die Bereitschaft anderer Reservistenverbände, sich unter das Dach des Verbands zu begeben?
Wir müssen vermeiden, dass die Politik im Bereich "Reserve" einer fragmentierten Verbändelandschaft ähnlich wie in der Landwirtschaft gegenübersteht. Wir wollen deshalb für alle Reservisten eine gemeinsame Plattform schaffen. Da arbeiten wir zum Beispiel schon eng mit dem Deutschen Bundeswehrverband und dem Bund Deutscher Veteranen zusammen, in dem ja auch Reservisten organisiert sind. Auch sind wir Anlehnungspartner für die über 20 im Beirat Reservistenarbeit organisierten Vereine und Verbände. Es geht hier nicht um ein gemeinsames Dach, sondern um eine gemeinsame Plattform, für die unser Verband Mittel und Expertise bereitstellt.

Es gibt noch immer kein Veteranenkonzept. Werden Sie das auf der Bundesdelegiertenversammlung thematisieren?
Ich weiß nicht, was sich bis zur Bundesdelegiertenversammlung noch tut, aber die Leitung des Verteidigungsministeriums ist sehr interessiert daran, noch in diesem Jahr ein Veteranenkonzept zu verabschieden. Wir, wie andere Verbände auch, sind an der Erarbeitung beteiligt. Hauptsache, es kommt zu einem guten und anwendbaren Konzept in der Betreuung und Anerkennung von Veteranen und nicht zu einer spaltenden Definition. Das ist das Letzte, was wir zurzeit brauchen. Mir liegt die baldige Entwicklung eines auf Zusammenhalt und Kameradschaft orientierten Veteranenkonzepts sehr am Herzen. Das haben unsere Veteranen verdient!

Immer wieder wird der Verband als Plattform für sicherheitspolitische Debatten und Diskussionen genannt. Ist er das tatsächlich?
Na klar. Sicherheitspolitik kann man nicht am Feierabend lernen und am anderen Morgen vermitteln. Dazu braucht es ein Grundverständnis. Wir haben Konzepte entwickelt, wie auf lokaler Ebene Veranstaltungen dieser Art erfolgversprechend organisiert werden können. Ein herausragendes Beispiel sind die Königsbronner Gespräche. Sie finden im nächsten Jahr zum fünften Mal statt. Daran nehmen hunderte Menschen teil, unter anderem viele Schüler, um mit hochkarätigen Politikern und Militärs sicherheitspolitische Fragen zu diskutieren. Jede Landesgruppe hat inzwischen eigene Veranstaltungsformen entwickelt. München führt sehr erfolgreich das Dialogforum Sicherheitspolitik durch – an prominenter Stelle am Standort der Münchener Sicherheitskonferenz. In Kiel haben sich die Kamingespräche etabliert. Düsseldorf wird nächstes Jahr mit einem eigenen Forum folgen.

Macht der Verband das alles allein?
Uns ist es gelungen, die Bundesakademie für Sicherheitspolitik, den Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen und die Gesellschaft für Sicherheitspolitik in diese Veranstaltungen einzubinden. Die verschiedenen Aktionen und Veranstaltungen koordinieren wir gemeinsam. Auch in den Schulen müssen wir wieder verstärkt aktiv werden. Dort wird das Thema Sicherheitspolitik zunehmend ausgegrenzt. Jugendoffiziere haben oft gar nicht mehr die Chance, die deutsche Sicherheitspolitik darzulegen. Hier sind viele Bundesländer alles andere als hilfreich, ein Verständnis für Sicherheitspolitik breit in der Schülerschaft zu verankern.

Wo sehen Sie den Verband in vier Jahren?
Von 2018 an wird unser Hauptsitz Berlin sein. Zudem binden wir zunehmend auch aktive Soldaten ein, damit sie Aufgaben im Verband übernehmen können. Wir wollen ja auch wissen, wo in der Truppe der Schuh drückt. Schon jetzt können Firmen und Institutionen dem Verband beitreten, hier müssen wir die Unternehmen mehr ermutigen. Unsere Patenschaften mit afghanischen Ortskräften sollen ausgebaut werden. Wir wollen uns mehr um Fragen der Inte-gration kümmern und dazu ein "Jahr des Zusammenhalts" als eine Form freiwilligen Gesellschaftsdienstes in Deutschland ausrufen. Das heißt: Junge Menschen engagieren sich mindestens ein Jahr lang in der Pflege, in den Streitkräften oder verpflichten sich für mehrere Jahre, eine Blaulichtorganisation wie das Deutsche Rote Kreuz oder das Technische Hilfswerk zu unterstützen. Freiwillig natürlich. Hier bietet der Staat nur 120.000 Stellen an, bei 620.000 Menschen eines Geburtsjahrgangs ist das viel zu wenig! Wie soll denn Integration Zugewanderter und ihrer Nachkommen gelingen? Doch nicht durch Hand auflegen oder Beschwörung des Gutmenschentums, sondern nur durch tätige Arbeit!

Auf der Bundesdelegiertenversammlung in Hannover steht auch die Neuwahl des Präsidiums an. Mit welcher Mannschaft treten Sie an?
Ich bin sehr froh darüber, dass fast alle jetzigen Präsidiumsmitglieder für eine weitere Amtszeit zur Verfügung stehen. Die Bundesdelegiertenversammlung ist das höchste Gremium unseres Verbandes. Einzelheiten möchte ich deshalb durch unsere Delegierten entscheiden lassen. Für viele Posten im Präsidium gibt es mehrere Bewerber bzw. Bewerberinnen, es wird also richtig spannend. Sollten wir die modernisierte Satzung und unser neues Leitbild mit Mehrheit verabschieden, trete ich wieder an. Wenn nicht, gibt es gute Leute, die sich, im Alten führend, wohl fühlen.

Die Ministerin hat eine personelle Aufstockung der Bundeswehr ins Gespräch gebracht. Wie sehen Sie das?
Sie möchte vor allem die Zahl der Berufssoldaten erhöhen. Das finde ich gut, weil das die Fluktuation verringert. Wir müssen aber auch der Unterfinanzierung der Bundeswehr entgegen wirken. Mittelfristig wäre es gut, wenn wir einen Verteidigungshaushalt von dauerhaft 40 Milliarden Euro hätten, der mehr Investitionen zulässt. Ich hätte gerne einen Investitionsanteil konsistent von 20 Prozent. Derzeit liegt er bei 16 Prozent. Das gefährdet dauerhaft unsere Sicherheit. Es wird jedoch auch darum gehen zu lernen, das zur Verfügung stehende Geld richtig einzusetzen. Dazu gehört dann auch der zeitgemäße und sachgerechte Umgang mit der Reserve.

Herr Kiesewetter, vielen Dank für das Gespräch.

Fotos: H.C. Plambeck
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