Gezielte Desinformation: Woran Fake News erkennen?
„Der digitale Krieg: Europa im Visier“, hieß das Thema eines Vortrages der Gesellschaft für Sicherheitspolitik. Zu diesem Thema hatte die GSP den Journalisten, Media Consultant und ehemaligen Pressesprecher im Europäischen Parlament, Michael G. Möhnle, nach Bad Kissingen eingeladen. Die Veranstaltung passt zur Kampagne des Reservistenverbandes unter dem Motto „Reserve und Demokratie – Wir gegen Extremismus“.
Die GSP hat die Veranstaltung in Kooperation mit der Hanns-Seidel-Stiftung, dem Reservistenverband und der Europa-Union im Großen Saal der Seniorenresidenz Parkwohnstift organisiert. Dazu wurde ein gutes Infektionsschutzkonzept erarbeitet. 50 Gäste kamen zu der Veranstaltung (noch vor dem Lockdown) und hörten einen spannenden Vortrag. Unter ihnen begrüßte Ulrich Feldmann, Beauftragter für Sicherheitspolitik der Bezirksgruppe Unterfranken, den Kommandeur des Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrums der Bundeswehr, Oberst Werner Klaffus, und die stellvertretende Bezirkstagspräsidentin, Adelheid Zimmermann.
Noch nie habe es in der Europäischen Union eine größere Lügenkampagne und Wahlmanipulation gegeben als beim Brexit-Referendum im Juni 2016, eröffnete Möhnle seinen Vortrag. „Dieses Referendum hätte für ungültig erklärt und die Verantwortlichen der Vote-Leave-Kampagne zur Rechenschaft gezogen werden müssen“, stellte er klar. Anhand eines mehr als 100-seitigen Untersuchungsberichts des britischen Unterhauses (House of Commons) zeigte der Referent dutzende Fake-Beispiele aus der Vote Leave-Kampagne von Boris Johnson. Tausende dieser Ads (Werbeposts in Social Media) wurden eingesetzt, um die Bevölkerung gegen die EU aufzubringen. Aber: kein einziger dieser Ads entsprach der Wahrheit. Beispiel: Großbritannien könne die EU verlassen und gleichzeitig im Binnenmarkt bleiben. Dies war nur eine Argumentation, die frei erfunden gewesen ist. Sie habe nur das Ziel gehabt, in der Bevölkerung ein Feindbild gegen die EU aufzubauen. Die besagten Fakes zum Brexit-Referendum wurden von den Briten 169 Millionen Mal angeklickt – und das war wahlentscheidend, betonte Möhnle.
Die Hintermänner und ihre Ziele
Die gigantische Lügenkampagne und die damit verbundene Manipulation der Wähler dürfe nicht ohne Konsequenzen bleiben, sagte der Referent. Er zeigte die Hintergründe der Fake-Wahl und die Verbindungen zwischen Cambridge Analytica, Aggregate IQ, Nigel Farage, Steven Bannon, Donald Trump und dem US-Milliardär Robert Mercer auf. Gleichzeitig sei das Brexit-Referendum ein Test gewesen, um später dieselben Methoden im US-Wahlkampf für Donald Trump und gegen Hillary Clinton anzuwenden. Möhnle zeigte beeindruckende Beispiele der russischen Wahlmanipulation in den USA aus dem Jahr 2016 und wies darauf hin, dass ähnliche Methoden vom Chef des FBI, Christopher Wray, erst kürzlich im Ausschuss für Heimatschutz für 2020 festgestellt wurden.
Auch auf die Brexit-Entscheidung der Briten versuchten russische Medien Einfluss zu nehmen, so der Bericht des Britischen Geheimdienstausschusses vom Oktober 2019, der jedoch vom Premierminister bis nach den Wahlen zurückgehalten wurde. Offensichtlich gehöre es bereits zum digitalen Standard, dass Wähler in diesem Ausmaß manipuliert werden, betonte der Referent. Auf Kanälen wie Sputnik, Russia Today, Redfish und Ruptly nähmen Russlands Propaganda-Fabriken mit falschen oder tendenziösen Beiträgen massiv Einfluss auf die Meinungsbildung in Europa. Im Visier stünden dabei vor allem Angela Merkel und Emmanuel Macron.
Ziel: Schwächung der EU
Aber auch aus den USA werde massiv gegen die Europäische Union und für Nationalisten wie Victor Orban in Ungarn, Marie Le Pen in Frankreich und Boris Johnson in Großbritannien Stimmung gemacht. Als Beispiel nannte Möhnle breitbart.com, eine der Top News Sites auf Instagram und Nummer zehn auf Facebook mit mehr als 25 Millionen Aufrufen pro Monat. Steve Bannon gründete im Auftrag von Präsident Trump in Europa sogar eine Stiftung mit dem Namen Movement mit dem Ziel, den Anteil der Nationalisten und Rechtspopulisten bei den Wahlen zum Europäischen Parlament um ein Drittel zu erhöhen, was allerdings nicht gelang.
Trump: 13.400 nachweisliche falsche Behauptungen
Als Paradebeispiel für das Verbreiten von Fake News nannte der Referent den US-amerikanischen Präsidenten. Laut Washington Post habe der in den ersten 1993 Tagen seiner Amtszeit auf Twitter 13.435 nachweislich falsche oder irreführende Behauptungen aufgestellt. Laut Statistik habe Trump in den ersten sieben Monaten dieses Jahres pro Tag im Durchschnitt 20 Tweets versandt, viele davon beleidigend und nationalistisch, vor allem aber eines: gelogen. Die permanente Berieselung der mehr als 85 Millionen Follower auf seinem Twitter-Account würden sicher erheblichen Einfluss auf das Ergebnis der Präsidentenwahl haben, mutmaßte der Referent bei der Veranstaltung im Oktober.
Wie soziale Netzwerke auch in Deutschland eine Gefahr für die Demokratie werden können, zeigte Möhnle am Beispiel der Strategie der rechtsradikalen und rechtspopulistischen Szene. So wurde Sven Liebichs Auftritt Halle-Leaks.de, der seit Januar 2019 auf YouTube circa 800.000 Mal aufgerufen wurde, inzwischen gelöscht. Michael Stürzenberger, Pegida-Aktivist und vorbestraft wegen Volksverhetzung, brachte es auf YouTube auf 25.000 Abos und mehr als drei Millionen Aufrufe. Mit seiner so genannten Bürgerbewegung – Pax-Europa – organisierte er nahezu 40 Veranstaltungen. Diese wurden in Bayern inzwischen als islamfeindlich eingestuft. Eine Schlüsselrolle in der Verbreitung von rechter Hetze im Netz spiele die Wochenzeitung Junge Freiheit, die auf YouTube sowie auf Facebook und Twitter inzwischen circa 300.000 Nutzer erreiche, erläuterte der Referent weiter. Als aktuelles und besonders gefährliches Beispiel für die Beeinflussung der Bevölkerung führte Möhnle die zahlreichen Verschwörungstheorien im Netz über Covid-19 an. Sie verunsicherten die Menschen und animierten sie zum Widerstand gegen die staatlichen Infektionsschutzbestimmungen.
Beiträge mit antidemokratischen Zielen identifizieren
Nach Aussagen des Referenten sind dies erstens: Die Ablehnung demokratischer Spielregeln und das Anzweifeln der Rechtmäßigkeit von Wahlen und Verfassungen. Zweitens: Leugnung der Legitimität politischer Gegner und Verunglimpfung als Kriminelle und Feinde. Drittens: Tolerierung und oder Ermutigung zur Gewalt. Viertens: Bereitschaft, Freiheiten zu beschneiden, so zum Beispiel durch Angriffe auf Medien und die Zivilgesellschaft. Donald Trump erfülle alle vier Merkmale, betonte der Referent.
China – die digitale Weltmacht
Im Reich der Mitte sind 880 Millionen Menschen in sozialen Netzwerken unterwegs. George Orwells Vision von der totalen elektronischen Überwachung des Individuums sei hier bereits verwirklicht, sagte Möhnle. Ohne das Know How des Riesenkonzerns Huawei sei der 5G-Netzausbau nicht machbar. Da seine Unabhängigkeit von Chinas staatlichen Organen allerdings nicht garantiert sei, versuche die EU, die Sicherheitsvorschriften für kritische Komponenten zu verschärfen. Hier räche sich jetzt, dass die EU versäumt habe, einen globalen Internet-Konzern aufzubauen, sagte der Referent.
Zusammenfassend hob Michael G. Möhnle hervor, es sei für die Demokratien in Europa und den USA lebenswichtig, globalen Plattformen wie Facebook, YouTube, Instagram, Twitter und Co. technisch und inhaltlich nicht völlig freie Hand zu lassen. „Diese Social-Media-Plattformen und ihre Algorithmen müssen endlich wie Medien behandelt werden. Damit gelten für sie dieselben gesetzlichen Grundlagen wie sie für Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen gültig sind“, hob der Referent hervor. Die Europäische Union habe dazu bereits eine Richtlinie vorgelegt, die im Augenblick in allen EU-Mitgliedstaaten umgesetzt wird. Die Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Big Data müssten eine Korrektur erfahren. Sie stünden im Konflikt mit den Menschenrechten und unseren Grundrechten. Unternehmen und Plattformen entscheiden darüber, ob, wann und wo eine Information erscheint. Bei gezieltem Missbrauch- wie im Vortrag dargestellt – führe dies zu Konflikten, Destabilisierung und dem Ende von Freiheit und Demokratie, betonte Michael G. Möhnle.