Goldener Igel 2020: Die Gewinner stehen fest
Der Goldene Igel ist der sicherheitspolitische Medienpreis des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. Im Jahr 2020 wurde der Preis bereits zum elften Mal verliehen – leider aufgrund der Pandemielage ohne das verdiente Rampenlicht. Mit dem Goldenen Igel zeichnet der Reservistenverband seit 1993 herausragende journalistische Beiträge zu Themen rund um Sicherheitspolitik, die Bundeswehr und ihrer Reserve aus.
Ende des vergangenen Jahres traf sich eine Jury, zusammengesetzt aus Journalisten, Vertretern der Bundeswehr und des Reservistenverbandes und kürte die drei Gewinner-Beiträge in den Kategorien Print, Online, Rundfunk und einer Sonderkategorie. Die Jury hatte dabei keine leichte Aufgabe, da sie aus insgesamt 28 eingereichten und hochwertigen Beiträgen eine Auswahl treffen musste. Da eine Präsenzveranstaltung für die Preisverleihung auch weiterhin in weiter Ferne liegt, stellen wir im Folgenden alle Beiträge kurz vor und veröffentlichen diese.
Auszeichnung in der Kategorie Print
Sebastian Drescher/JS-Magazin – Die evangelische Zeitschrift für junge Soldaten: „Ich habe getötet“
Der Artikel von Sebastian Drescher behandelt ein Thema, das in der öffentlichen Debatte um die Bundeswehr häufig ausgeklammert wird: das Töten im Kampf. Die Vorstellung von einer Bundeswehr, die Kampfeinsätze mit vielleicht blutigen Folgen in den eigenen Reihen und beim Gegner führt, das entspricht nicht dem Bild einer zivilisierten Armee in einer friedliebenden, in Teilen nahezu pazifistisch orientierten Gesellschaft. Das Bild vom Bundeswehrsoldaten und Krieger wirkt da eher irritierend. Sebastian Drescher hat in seinem Artikel Bundeswehrsoldaten portraitiert, die im Kampf Menschen getötet haben. Was diese Erlebnisse bei den Menschen in Uniform ausgelöst haben, zeichnet er mit schnörkellosen Worten plakativ nach. Was ein Mensch fühlt, wenn er auf einen anderen Menschen seine Waffe abfeuert, das wird in Dreschers, auf Augenzeugen beruhenden Schilderungen vorstellbar, auch für den Laien. Das gilt gleichermaßen auch für die Frage, wie ein Mensch mit diesen Erfahrungen umgeht. Der eine schafft es, vordergründig professionell damit umzugehen, der andere schafft es nicht. Sein Leben scheint unter der Last der Bilder im Kopf aus den Fugen zu geraten. Das Phänomen der Posttraumatischen Stresserkrankung wird hier in seinen Symptomen nur allzu deutlich.
„Es war und ist in meinen Augen mutig, dass gerade das JS-Magazin der evangelischen Kirche das von Sebastian Drescher scharf gezeichnete Bild von Staatsbürgern in Uniform veröffentlicht hat, die im Einsatz für ihr Land getötet haben. Die Jury ist sich einig, dass dies eine Würdigung mit dem Goldenen Igel in der Kategorie Print verdient“, sagt Oberst Dr. Stefan Gruhl, Kommandeur für Operative Kommunikation der Bundeswehr und Jurymitglied des Goldenen Igel 2020.
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Auszeichnung in der Kategorie Rundfunk
Daniel Moj, Jörg Stolpe/ZDF 37 Grad: „Einsatz im Wüstensand – Ein Soldat auf Friedensmission“
Was bewegt Menschen zur Bundeswehr zu gehen und als Soldat dann in Auslandseinsätze? Die Antwort darauf mag für die meisten Soldaten klar auf der Hand liegen, doch ein Großteil der Gesellschaft hat sich entweder damit noch nicht auseinandergesetzt oder kann eine solche Entscheidung nicht oder nur schwer nachvollziehen. In der 37 Grad-Reportage „Einsatz im Wüstensand – Ein Soldat auf Friedensmission“ setzen sich die beiden Fernseh-Autoren Daniel Mai und Jörg Stolpe genau mit diesen Fragen auseinander. Sie begleiten einen Oberleutnant ein Jahr lang – bei der UN-Mission MINUSMA, angefangen beim Training in Deutschland über den Einsatz in Mali bis hin zu seiner Rückkehr. Herausgekommen ist nicht nur das Portrait eines Soldaten, sondern ein tiefer Einblick in die Welt eines jungen Mannes, der bereit ist, in einen Auslandseinsatz zu gehen – mit allen privaten und beruflichen Herausforderungen, Erwartungen, Verpflichtungen und Risiken. Dabei haben die beiden Autoren ein gutes Gespür bewiesen: Nicht nur bei der Auswahl ihres Protagonisten, sondern auch beim Einsatz der Kamera, bei der Begleitung, bei ihrer gesamten Arbeit. Denn Oberleutnant Matthias Lehna und seine Frau lassen die beiden Autoren – und damit auch die Fernsehzuschauer – teilhaben an ihrem Leben.
„Fast 12 Monate lang haben wir Matthias Lehna immer wieder besucht: Auf den Truppenübungsplätzen, in der Kaserne, im Feldlager in Mali und zu Hause bei seiner Familie hat er uns Einblicke gestattet, die ungeschminkt und ehrlich waren“, sagt Daniel Moj über die Dreharbeiten. Und so wie der Zuschauer immer mehr in die Welt des Protagonisten tauchen kann, so tauchen die beiden Autoren offenbar immer tiefer in die Welt der Bundeswehr: „Immer wieder trafen wir bei den Dreharbeiten Soldaten, die sagten: Gut, dass ihr diesen Film macht. Es gab also ein Bedürfnis nach Berichterstattung“, so Jörg Stolpe im Rückblick. „Ich glaube, dass nicht genug darüber berichtet werden kann, was Soldatinnen und Soldaten bereit sind für Deutschland zu leisten – völlig unabhängig davon, wie einzelne Menschen dazu stehen, ist es doch unser aller Staat, der die Bundeswehr in die Krisengebiete der Welt schickt. Und dazu müssen mehr solche Geschichten wie diese erzählt werden. Die beiden Filmautoren liefern sachliche und emotionale Einblicke gleichermaßen – nie voyeuristisch, sondern immer mit genug journalistischer Distanz“, sagt Juliane Möcklinghoff, ARD/NDR Journalistin und Jurymitglied des Goldenen Igel 2020, „Die Antwort auf die Frage „Warum geht man zur Bundeswehr oder als Soldat ins Ausland?“ muss UND kann jeder nach dem Film selbst finden – und das ist auch gut so.“
Zur Dokumentation in der ZDF-Mediathek geht es hier.
Auszeichnung in der Kategorie Online
Christoph Heinzle, Kai Küstner/NDR Info Radio- und Podcastserie: „Killed in Action – Deutschland im Krieg“
Erinnern wir uns an den 2. April des Jahres 2010 zurück: An das heute als „Karfreitagsgefecht“ bezeichnete Gefecht in Afghanistan. Der Wunsch der deutschen Regierung und Gesellschaft nach einem möglichst friedlichen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist damit endgültig Geschichte. Mehr als acht Stunden lang stehen Fallschirmjäger aus Seedorf in einem Gefecht mit Taliban-Kämpfern. Drei deutsche Soldaten fallen, acht weitere werden verletzt. Bis heute gilt das Karfreitagsgefecht als „schwarzer Karfreitag“, das schwerste Gefecht mit Beteiligung von Soldaten der Bundeswehr. Ab diesem Zeitpunkt spricht die deutsche Bundesregierung erstmalig von Krieg. Was das konkret für die vor Ort kämpfenden Soldaten bedeutet hat und wie dieser Paradigmenwechsel die künftigen Auslandseinsätze der Bundeswehr prägen wird, haben die langjährigen ARD-Afghanistan-Korrespondenten Christoph Heinzle und Kai Küstner in ihrer NDR-Radio- und Podcastserie „Killed in Action – Deutschland im Krieg“ eindrucksvoll in sechs Folgen nachgezeichnet.
„Es ist für uns, eine Gesellschaft, die es inzwischen gewöhnt ist, in Frieden zu leben, nicht leicht über Krieg, Verwundung und Tod nachzudenken und zu sprechen. Über Menschen, die einsatzgeschädigt, an Leib und Seele verletzt in die Heimat zurückkehren. Der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan war für viele Soldatinnen und Soldaten untrennbar mit ihrer eigenen Historie verbunden und gehört damit selbstverständlich zur Zeitgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. So erscheint es mir wichtig, dass wir als verantwortungsvolle Gemeinschaft Ereignisse, Entscheidungen und Grundzüge unserer Sicherheitspolitik aufarbeiten, diskutieren und kritisch hinterfragen“, sagt Wolfgang Wehrend, Vizepräsident für Kommunikation und Jurymitglied des Goldenen Igel 2020.
Kai Küstner, Afghanistan-Korrespondent 2008-2013 und heute im ARD-Hauptstadtstudio tätig, sagt: „Diese Auszeichnung freut uns sehr. Unser Dank gilt besonders den drei Soldaten, die uns für diesen Podcast seltene, sehr tiefe Einblicke in ihre Gefühlswelt erlaubt haben. Nur deren Offenheit hat es uns ermöglicht, den Wandel des Afghanistan-Einsatzes und der Bundeswehr im Allgemeinen so anschaulich und persönlich schildern zu können.“
Christoph Heinzle, Afghanistan-Korrespondent 2003-2008: „Warum riskieren deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen wie dem in Afghanistan ihr Leben, was tun sie da und ist das wirklich notwendig? Noch immer ist es aus unserer Sicht schwierig, über all diese Fragen eine offene und ehrliche Diskussion zu führen. Unser Podcast ist der Versuch, diese Debatte anzustoßen. Dass wir dafür mit dem ‚Goldenen Igel‘ belohnt werden, ist eine große Ehre.“
Hier geht es zu allen Folgen der Radio- und Podcastserie.
Auszeichnung in der Sonderkategorie
Lorenz Hemicker, Andreas Krobok/FAZ: „Hunderttausend Tonnen gegen den Terror – Reportage über den Flugzeugträger USS Theodore Roosevelt“
Wer sich für das Militär interessiert, insbesondere für die Marine, für den dürfte der Besuch eines amerikanischen Flugzeugträgers so etwas wie ein Traum sein. Die hunderte Meter langen Schiffe mit ihrem unglaublichen Fassungsvermögen lassen sich mit nichts, das schwimmt, vergleichen. Das Problem dabei ist so offenkundig wie einleuchtend: Auf die schlagkräftigen Giganten lassen die amerikanischen Streitkräfte nur selten jemanden drauf. Den beiden F.A.Z.-Journalisten Lorenz Hemicker und Andreas Krobok ist nicht nur das Seltene geglückt. Sie erlebten einen amerikanischen Flugzeugträger sogar im Kriegseinsatz. 25 Stunden verbrachten sie im Persischen Golf auf der USS Theodore Roosevelt, während ihre Kampfflugzeuge zu Einsätzen gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Irak und in Afghanistan aufstiegen. “Schon die Landung auf der Roosevelt hat uns den Atem verschlagen. Danach folgten 25 Stunden Druckbetankung auf dieser schwimmenden Stadt, während ihres Einsatzes gegen den sogenannten IS im Persischen Golf“ sagt Lorenz Hemicker. Der Weg an Bord verlief, wenig überraschend, nicht geradlinig. Ein knappes Dreivierteljahr, berichtete Lorenz Hemicker der Jury des Goldenen Igel, habe es gedauert, bis sein Kollege und er zur Roosevelt aufbrechen konnten. Davor lagen zahlreiche E-Mails mit amerikanischen Stellen, Sicherheitschecks und Formulare. Sicher, dass sie wirklich auf den Träger fliegen können, seien sie erst im Transporter gewesen, der sie von Bahrain aus an Bord geflogen habe. Am Ende sei man bei laufenden Rotoren eingestiegen. „Unser Ziel war es, unsere Eindrücke auf eine Weise erfahrbar zu machen, wie es sie noch nicht gegeben hat. Herausgekommen ist dabei das Storytelling, mit dem die Leserinnen und Leser mit uns in ihrem eigenen Tempo quasi durch das Schiff gehen können“, fasst Andreas Krobok zusammen.
„Der Lernvorgang erinnert an einen Besuch im Louvre, bei dem der Besucher selbst entscheiden kann, wieviel Zeit er einem Bild widmet. Es kann also bei diesem neuen Medienprodukt niemals geschehen, dass jemand von der Menge der Zuschauer weitergetrieben wird, obwohl ihn etwas besonders interessiert. Und wenn eine Passage weniger Interesse weckt, muss keiner warten, bis das Publikum den nächsten Saal geräumt hat, sondern man gleitet mühelos und ohne Zeitverzug dorthin“ sagt Michael Sauer, Jurymitglied des Goldenen Igel 2020.