Panzerabwehr aller Truppen: Die hybride Ausbildung hat Potenzial
Erst theoretische Online-Ausbildung, dann Praxis-Training auf dem Übungsplatz: Gefechtsschießen mit Gewehr G36, Granatpistole und Panzerfaust. Die hybride Ausbildung "Panzerabwehr aller Truppen für Reservisten" hatte eine Menge zu bieten. Die Veranstaltung unter der Schirmherrschaft des Heimatschutzregiments 3 in Niedersachsen zeigt, welches Potenzial in einem ganzheitlichen Bildungskonzept steckt.
Aus dem Funkgerät knistert der Gefechtsbefehl, der VW-Widder rumpelt über einen schmalen Schotterweg. Der Fahrer des Transportfahrzeuges gibt Gas. Schlaglöcher und kleine Hügel auf dem Weg halten ihn nicht auf. Der Widder steuert in den Wald, die Türen öffnen sich und die Soldaten springen heraus. „360“, ruft der Gruppenführer. Die Soldaten gehen vom Fahrzeug weg in Rundumsicherung. Der Gruppenführer nimmt einen Nahsicherer und robbt an den Waldrand. Vor ihnen eröffnet sich die Heidelandschaft des Truppenübungsplatzes Senne.
23 Reservisten üben den Einsatz als Panzervernichtungstrupp (PzVerTrp). Sie sind ein Teil des Pilotprojekts der Digitalen Ausbildung Reserve (DARes). „Die Ausbildung hier ist sehr hochwertig“, sagt ein Teilnehmer. Er gehört zu den Reservisten, die bereits an der Digitalen Ausbildung Reserve (DARes) des Reservistenverbandes teilgenommen haben. Insgesamt 1.335 Reservistinnen und Reservisten haben sich in Microsoft Teams für die sieben Ausbildungsveranstaltungen zu den Themen Panzerfaust und Panzerabwehr angemeldet, viele von ihnen haben an allen sieben Modulen teilgenommen. Durchschnittlich nahmen 220 Teilnehmerinnen und Teilnehmer online teil. Bei einer digitalen Ausbildung zählte das Veranstaltungsteam um Oberstleutnant d.R. Randolf Marc Richter, Vorsitzender der Landesgruppe Brandenburg, sogar 312 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Alle Übungsteilnehmer mussten auch das Online-Modul über die E-Learning-Plattform Moodle absolvieren, so dass ein gemeinsamer Abholpunkt geschaffen wurde.
Das hybride Ausbildungskonzept verfolgt ein langfristiges und ganzheitliches Ziel in der Aus- und Weiterbildung. Dieses wird in verschiedenen Modulen umgesetzt und beginnt beim Reservistenverband mit der Teilnehmergewinnung über die Vermittlung von theoretischen Grundlagen und Hintergrundwissen bis hin zur praktischen Umsetzung durch die Bundeswehr. „Auf diese Weise werden die Fähigkeiten und Möglichkeiten beider Institutionen – Reservistenverband und Bundeswehr – optimal verknüpft, um eine ganzheitliche und nachhaltige Ausbildung zu gewährleisten, die schließlich in einem abschließenden Übungsplatzaufenthalt mündet.
Skalierbares Konzept
Dieses Konzept ist skalierbar. Dadurch können in Zukunft eine sehr hohe Anzahl an Soldatinnen und Soldaten ausgebildet werden“, sagen Oberstleutnant d.R. Richter und Hauptmann d.R. Markus Flaam, Beauftragter für militärischen Wettkampf in der Landesgruppe Berlin. Sie beide gehören zu den Antreibern der digitalen Ausbildung im Reservistenverband. Die DARes ist als begleitende Unterstützung für die militärische Ausbildung in Präsenz gedacht. Das Pilotprojekt der hybriden Ausbildung Panzerabwehr aller Truppen zeigt, wie gut sich die Vermittlung der Inhalte über Online-Module und Praxis auf dem Truppenübungsplatz ergänzen. Für die in Zukunft immer wichtiger werdende Ausbildung einer großen Zahl an Soldatinnen und Soldaten gilt dieses Modell als Lösung.
Grau ist im Leben alle Theorie, aber entscheidend ist (es) auf dem (Truppenübungs)platz. Deshalb wird eine Wiederholungsausbildung an den Handwaffen, sowie das Ausbildungsgerät Schießsimulator Handwaffen/Panzerabwehrhandwaffen (AGSHP) vorgeschaltet, sowie die drei Phasen des Panzenvernichtungstrupps (Annäherung, Feuerkampf und Ausweichen) intensiv geübt. Auf der Schießbahn nutzen die Reservisten jede Gelegenheit, ihre Tarnung zu verbessern. Sie rupfen Gras und Blätter, um ihre Helme zu tarnen, und tragen Tarnschminke auf. „Denkt daran, gemischten Bewuchs zu nehmen. Die Konturen des Helmes sollen gebrochen werden. Das muss so aussehen, als ob da etwas wächst“, erinnert Hauptmann d.R. Stefan Schuler seine Mitstreiter. Ein Soldat stellt sich an den Seitenspiegel eines Fahrzeugs und schmiert sich olivgrüne Schminke ins Gesicht. „Hervorstehende Gesichtspartien wie Wangenknochen heller, tiefer liegende wie die Augen dunkler“, sagt Stabsunteroffizier d.R. Dirk Siedlaczek-Gerber. Der erfahrene Reservist gehört zum Funktionspersonal der Ausbildung.
Augenmerk auf Unbeorderten
Nach einiger Zeit beginnt der erste Durchgang. Jeder Teilnehmer trägt eine Schutzweste. Auch der Verfasser dieses Artikels muss einen Gefechtshelm, Schießbrille und eine Schutzweste anziehen. Während die eine Gruppe mit zwei VW-Widder-Fahrzeugen und einem Transporter für Leitungs- und Sicherheitspersonal zur Stellung herausfährt, bleiben die Reservisten der zweiten Gruppe nicht untätig. Es gilt, einen Torposten, einen Luftraumbeobachter zu stellen und am Funkgerät aufnahmebereit zu sein. Der Schreiber bleibt ebenfalls vor Ort und hat ein wachsames Auge auf die Munition.
Die blauen Gefechtsköpfe der Übungspanzerfaust liegen in schweren Holzkisten. „Wann hat man die Möglichkeit, einmal mit so einer Waffe zu schießen“, freut sich ein Teilnehmer über die seltene Gelegenheit. „Panzerfaustschießen und das Gefecht in der Gruppe zu üben, das ist es Wert gewesen, dafür extra aus Nürnberg herzukommen“, sagt er. Der Oberstabsgefreite d.R. zählt zu denjenigen Teilnehmern, die in einer Dienststelle beordert sind. Sein Beorderungstruppenteil ist das Heimatschutzregiment 1.
Durch die digitale Ausbildung erreicht der Reservistenverband Mitglieder und Reservisten, die noch im wehrfähigen Alter sind und auch motiviert genug wären für eine aktivere Rolle als Reservist der Bundeswehr. Ein besonderes Augenmerk wird auf die nicht beorderten Reservistinnen und Reservisten gelegt, da im Durchschnitt 60 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der DARes nicht beordert sind. „Sie brauchen meist nur einen Schubser, um sie im Heimatschutz oder in anderen Dienststellen beordern zu können“, sagt Richter. Mit der DARes sorgt der Reservistenverband also dafür, dass das Potenzial an wehrfähigen Reservisten aus der Allgemeinen Reserve besser ausgeschöpft werden kann.
Kraftakt für das Heimatschutzregiment 3
Der Stellvertreter des Kommandeurs des Heimatschutzregiments 3, Oberstleutnant Schmidt lobt die Initiative des Reservistenverbandes. „Ich bin sehr beeindruckt, wie sich die Gruppe gefunden und das Schießen durchgeführt hat“, sagt er. Aus seiner Sicht müsse man nun sauber überlegen, inwieweit das Pilotprojekt weitergeführt werde. Obwohl die hybride Ausbildung des Reservistenverbandes beispielgebend sei, „ist sie ein enormer Kraftaufwand“, betont Oberstleutnant Schmidt. Für das Heimatschutzregiment 3, das die Schirmherrschaft über die Veranstaltung übernommen hat, bedeutete es eine Menge Arbeit, die 23 Reservisten – darunter sind einige, die noch nicht beordert sind – für die Ausbildung zu einer Reservistendienstleistung oder zu einer Dienstlichen Veranstaltung heranzuziehen.
Der Oberstleutnant lobte das Engagement und die Motivation der Reservisten. „Das Personal macht einen professionellen Eindruck“, sagt er. Der stellvertretende Kommandeur des Heimatschutzregiments 3 ist sich aber sicher, dass die Bundeswehr für den Heimatschutz nun klare Strukturen schaffen müsse. Ausbildungen und Initiativen des Reservistenverbandes wie diese seien lobenswert. Das Heimatschutzregiment müsse künftig die Ausbildung aus eigener Hand in festen Strukturen haben. Wie diese konkret aussehen sollen, ist noch offen. Fest steht nur, dass die Heimatschutzregimenter truppendienstlich nicht mehr von den Landeskommandos geführt werden sollen, sondern ab 2025 unter das Dach des Heeres ziehen.
Kriegstüchtigkeit der Allgemeinen Reserve erhöhen
Beim Aufbau des Heimatschutzregiments 3 nimmt die Ausbildung Ungedienter eine entscheidende Rolle ein. Zuletzt hat das Landeskommando 144 Interessenten zu Reservisten ausgebildet. Im kommenden Jahr werden es 160 sein. „Wenn Ungediente nicht dabei wären, wären wir 30 Prozent weniger Leute“, sagt Oberstleutnant Schmidt. Der Reservistenverband unterstützt bei dem Projekt zur Ausbildung von Soldaten der Reserve. Die hybride Ausbildung beweist, wie wertvoll die Reservistenarbeit für die Bundeswehr ist. „Wir hatten 76 Interessenten für die Ausbildung auf dem Truppenübungsplatz. 60 Prozent davon sind nicht beordert“, sagt Oberstleutnant Richter. Er ist überzeugt, dass die Kombination aus digitalen Veranstaltungen und Praxis in Präsenz dazu beiträgt, die Kriegstüchtigkeit der Allgemeinen Reserve zu erhöhen. „Wir brauchen den Reservistenverband, der die aktive Truppe unterstützt“, ist sich Richter sicher. Die digitale Ausbildung vermittelt Inhalte wie der Umgang mit Panzerfaust und Granatpistole. Das Informationsmaterial haben sich die Reservisten direkt bei den Herstellern aus öffentlich zugänglichen Quellen besorgt.
Hinzu kommen Inhalte, die erfahrene Ausbilder aus den Reihen der beorderten Reservisten mitbringen. Die digitalen Theorie-Module ergänzen die praktische Ausbildung. Sie führen nicht nur interessierte Reservisten heran und motivieren diese zu einem aktiveren Engagement, sie entlasten die Beorderungstruppenteile. Diese können sich die wertvolle Zeit für theoretische Auffrischungen sparen und direkt in die Praxis einsteigen. Je mehr Zeit für Übungen im Feld bleibt, desto besser. Wie ist der Umgang mit dem Gewehr G36, wo wird die Munition für die Granatpistole schnell griffbereit verstaut, wie sind die Abläufe vor der Schussabgabe mit der Panzerfaust? Es sind diese Kleinigkeiten, die sitzen müssen. Kommt auch noch Hektik dazu, wird es zusätzlich schwierig. Das kann man nur üben und üben.
Folgeprojekt steht bereits
Der vierte Durchgang an diesem Tag läuft dementsprechend besser. Die Reservisten halten sich an die mahnenden Worte ihrer Ausbilder: „In Deckung bleiben! Augenkontakt halten und miteinander mit Handzeichen kommunizieren!“ Zwei Reservisten rennen mit jeweils zwei Panzerfäusten durchs Unterholz. Kurz vor einer freien Fläche heißt es: Fertig machen zum Sprung!“ Unter der Sicherung der Kameraden springen sie über den kleinen Einschnitt und verziehen sich ins Gebüsch. Sie arbeiten sich zur letzten Stellung vor. Dort nehmen sie den feindlichen Schützenpanzer ins Visier. „Visierrahmen 200, Zielmitte, Achtung, Panzerfaust schießt!“, ruft einer der Schützen. Das Geschoss jagt los, ein dumpfer Knall.
„Treffer!“, brüllt Oberstleutnant d.R. Randolf Richter. Er hat als Leitender die Ausbildung mit viel Herzblut organisiert. „Ich möchte mich bei Oberst d.R. Manfred Schreiber, Kommandeur des Heimatschutzregiments 3 bedanken, der dies überhaupt möglich gemacht hat. Es steckt viel, sehr viel Freizeit hier drin“, sagt er. Aber der Aufwand hat sich gelohnt! Auch wenn das Heimatschutzregiment 3 nicht mehr als Schirmherr zur Verfügung stehen wird. Das Folgeprojekt steht, dabei orientiert sich die DARes insbesondere an den aktuellen Erkenntnissen aus dem Ukraine-Konflikt. Die neue Ausbildungsreihe wird bereits im Dezember vorgestellt, natürlich im gewohnten Online-Format, sagt Hauptmann Flaam.
Weitere Veranstaltungen der Digitalen Ausbildung sind hier einsehbar.