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Interview: „Ich habe großen Respekt“




Tobias Gralke ist Autor und Performer. Sein jüngstes Theaterprojekt "Soldaten – Ein Gesellschaftsspiel" wurde am 11. Februar 2017 am Theater Freiburg uraufgeführt. Im Gespräch mit reservistenverband.de spricht er über die Entstehung des Stücks und das Bild der Bundeswehr und ihrer Soldaten in der Gesellschaft.
 

reservistenverband.de: Sie hatten im Mai 2016 beim Verband angefragt, ob er Sie bei der Recherche zu Ihrem Theaterprojekt „Soldaten- Ein Gesellschaftsspiel“ unterstützen kann. Wie viele Reservisten haben sich gemeldet, nachdem der Aufruf auf reservistenverband.de erschienen ist?

Tobias Gralke: Ja, das war noch eine frühere Phase im Projekt, da haben wir noch mit Fragebögen gearbeitet. 15 bis 20 sind da etwa zurückgekommen, aber davon sind nicht so viele in der Inszenierung, weil sich diese Textform als nicht so ergiebig herausgestellt hat. Deswegen sind wir dann von den Fragebögen zu persönlichen Gesprächen übergegangen. Aber es war trotzdem super als Einstieg, weil es viele Fragen für mich aufgeworfen hat. Ich wusste am Anfang zum Beispiel nicht, was Reservisten sind. Der Unterschied war mir nicht bekannt.

reservistenverband.de: Wie lange hat die Recherche gedauert?

Gralke: Letztes Jahr an Ostern habe ich die ersten E-Mails rausgeschickt, auch an den Reservistenverband und jetzt im Februar war die Premiere, also ein knappes Jahr.

reservistenverband.de: Wie kam die Idee zu dem Thema?

Gralke: Ich war in Istanbul, im Sommer 2015, Krieg gegen die Kurden. Und das Jahr davor war ich in Israel gewesen, da war der Gaza-Krieg. Dort habe ich einen Amerikaner getroffen, der drei Jahre im Irak war. Ich wurde also auf verschiedene Art mit dem Thema Militär im internationalen Kontext konfrontiert. Und in der Türkei war diese aufgekratzte gesellschaftliche Stimmung, es wurde viel von Märtyrern gesprochen und es gab sehr heroische Bilder und Inszenierungen von diesem Krieg. Militär und Zivilbevölkerung war ein Riesenthema, aber auf eine ganz andere Weise, als ich das in Deutschland kenne. Ich habe mich dann gefragt, wie es um dieses Verhältnis weiter bestellt ist, und dabei ist mir aufgefallen, dass mir total der Bezug dazu fehlt. Dass ich fast niemand benennen könnte in meinem Umkreis, der oder die beim Militär war oder ist. Dass, wenn jemand da hingegangen ist, er oder sie auch total aus meinem Leben verschwunden ist. Also Leute aus meiner Abistufe oder so. Wenn ich wusste, die streben eine Offizierslaufbahn an, waren sie dann einfach weg. Und das waren genug Irritationen, um anzufangen aus persönlichem Interesse zu fragen. Außerdem betrachte ich mich als einen politischen Menschen und so kristallisierte sich das heraus und wurde plötzlich durch bestimmte Ereignisse immer aktueller – der Anschlag in Paris und dann die ganzen Bundeswehr-Skandale hier. Irgendwie kam das Thema plötzlich von allen Seiten.
 
reservistenverband.de: Ist es ein typisches Thema fürs Theater?
 
Gralke: Im Fernsehen und im Film ist es total das Thema, es gab ja auch schon diverse Tatorte und öffentlich-rechtliche Produktionen. Meistens geht es dabei sehr spezifisch um traumatisierte Einsatzrückkehrer. Und das ist zum Beispiel eine Dimension, die hier erst sehr spät aufgetaucht ist. Ich habe am Anfang sehr breit gefragt und dann gesehen, dass das auch nochmal ein Aspekt ist. Aber das war nicht von Anfang an die Stoßrichtung. Das alleine fand ich auch nicht genug. Wenn, dann muss man schon das Ganze sehen, die Organisation und ihre Geschichte befragen und thematisieren. Da hat Theater aber sicher auch andere Mittel als Film.
 
reservistenverband.de: Interaktiv zum Beispiel – wie kam es denn zu der Form des Projekts als interaktives Spiel?
 
Gralke: Es war klar, dass ich dazu was machen will, war auch klar, dass ich Interviews führen will. Ich habe dann eine Form gesucht und es hat sich im Lauf der Recherche ergeben, dass man ein Spiel daraus macht. Es war klar, dass ich es gerne zurückgeben würde, dass ich es nicht von Schauspielern verkörpern lassen wollte, dass ich dieses Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Soldatinnen und Soldaten thematisieren wollte und dass es dazu diese Form braucht, dass die Menschen in diese Rollen schlüpfen. Und das Brettspiel hat sich dann durch Kasernenbesuche ergeben, wo ich diese Sandkastenmodelle gesehen habe, und durch Bezüge zu bestimmten Kriegsstrategiespielen, Risiko oder so. Und dass ich immer gedacht habe, dass das vielleicht der Einzige Kontakt ist, den wir, also unsere Generation, zum Krieg haben tatsächlich – Spiele. Und das fügte sich dann zu diesem Ganzen zusammen.
 
reservistenverband.de: Würden Sie sagen, dass das Stück ein bestimmtes Bild von der Bundeswehr und von Bundeswehr-Soldaten vermittelt?
 
Gralke: Nein, ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass es Bewusstsein dafür schafft, dass es komplexer ist als: Soldaten sind alles Nazis oder Soldaten sind alles Idioten. Ich hoffe, dass es eine ideologiefreie Auseinandersetzung schafft.
 
reservistenverband.de: Hat sich Ihr eigenes Bild verändert?
 
Gralke: Ich hatte kein Bild vorher, glaube ich. Ja, natürlich hatte ich eins, aber das war super unreflektiert. Was einfach daran liegt, dass mir der Bezug zu Personen gefehlt hat. Ich kann immer sagen, ich finde den Krieg scheiße oder ich könnte mich selbst keinem Hierarchiesystem unterordnen, aber in dem Moment, in dem ich mit einem Menschen spreche, der mir erzählt: Ja weißt du, ich bin auch nur zwei Jahre hier, ich mach halt irgendwie so und danach werde ich Filialleiter oder ich mach was ganz anderes. Dann differenziert sich das natürlich aus. Und das ist irgendwie die Hoffnung, dass man über das Verhältnis, das man vielleicht zu diesen Menschen aufbaut, die ja Persönlichkeiten sind,  auch einen anderen Zugang zu der Organisation bekommt. Einen, der weder besonders kritisch gemeint ist, noch besonders positiv, sondern einfach sozusagen ein Gefühl für die Komplexität zu bekommen und dann andere Fragen zu stellen oder überhaupt Fragen zu stellen.
 
reservistenverband.de: Normalerweise findet im Anschluss an das Stück ein Gespräch mit den Teilnehmern statt. Haben Sie den Eindruck, dass dieses Bild rüberkommt?
 
Gralke: Ja, schon. Es geht dann immer noch viel um das Spiel und um die persönlichen Erfahrungen der Leute dabei. Es ist wichtig, die Zuschauer zu fragen: Wie hast du das Stück erlebt? Und darüber kommt man dann auf den gemeinsamen Rahmen und die Inhalte. Ich frage dann: Glauben Sie, dass sich das Verhältnis zur Bundeswehr dadurch ändern kann und gehen Sie mit anderen Fragen und Gedanken raus? Und das ist meistens dann so. Es bestätigt trotzdem auch viele Erwartungen. Aber das finde ich auch total wichtig.
 
reservistenverband.de: Halten Sie die Bundeswehr für notwendig?
 
Gralke: Ich glaube, dass es richtig ist, dass es sowas wie eine Organisation gibt, die im äußersten Fall dazu bereit und dazu befähigt ist, ein bestehendes, demokratisches Staatsgebilde zu schützen. Aber natürlich muss man immer erstmal diese Organisation definieren: Ich würde nie pauschal sagen, es braucht eine Armee oder es braucht die Bundeswehr. Sondern ich glaube, es geht darum – das versucht das Stück ja zu hinterfragen – welchen Werten, welchen Zielen dient sie und an was ist das gekoppelt. Es gibt Einsätze oder Tätigkeitsfelder, wo ich mich frage und wo sich sicher auch einzelne Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten fragen, was machen wir hier überhaupt, und wo ich auch von außen nicht beurteilen kann, ob es das braucht oder nicht. Es gibt in diesen sinnlos scheinenden Einsätzen sicher auch Momente, in denen man merkt, da schafft sich jemand seine individuelle Sinngebung. Auch in der Bundeswehr selbst, so nehme ich das wahr, ist diese Debatte ja im Gange: Wofür sind wir überhaupt da und in welcher Form? Aber das ist eben eine Diskussion, an der alle Gesellschaftsteile partizipieren müssten. Und damit diese gelingen kann, braucht es ein aktives Verhältnis zueinander. Man kann natürlich auch sagen, wir schaffen die Armee ab und schmelzen alle Waffen ein, aber ich weiß nicht, wohin mich das führen soll.

Dass es mir so schwer fällt, auf die Frage einfach mit ja zu antworten, ist natürlich symptomatisch. Aber ich bin sehr froh darüber, dass diese Debatte in Deutschland noch wesentlich komplexer und ernster geführt wird, als in anderen Ländern – wie in den USA zum Beispiel. Ich habe jedenfalls großen Respekt entwickelt und mitgenommen von ganz ganz vielen Leuten in der Organisation. Was ich nie gedacht hätte, aber sich dann schnell ergeben hat, weil ich mit klugen Leuten gesprochen habe, die andere Lebenskonzepte haben als ich und reflektiert und verantwortungsbewusst mit ihrer Rolle umgehen. Das fand ich spannend und das hat mir sehr viel Respekt abgenötigt. Und den habe ich auch immer noch.

Die nächsten Vorstellungen von "Soldaten – Ein Gesellschaftsspiel" finden vom 15. bis 18. Juni in Hildesheim statt.

 

Das Gespräch führte Livianne Smukalla.
 
Bild oben: Tobias Gralke bei einem Poetry Slam
im Juni 2016. (Foto: Matthias Stehr)
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