Kapitän zur See Alexander Willutzki ist der neue Leiter des Kompetenzzentrums für Reservistenangelegenheiten der Bundeswehr. Im Interview mit Benjamin Vorhölter stellt er sich vor und sagt, was er von der neuen Strategie der Reserve hält.
Wann hatten Sie in Ihrer Karriere die ersten Berührungspunkte mit der Reserve?
Nachhaltig habe ich das erste Mal als Kommandant und danach als Geschwaderkommandeur den Kontakt zu Reservisten und zur Reservistenarbeit gehabt. In diesen Funktionen war es zu meiner Zeit so, dass ich einen Bedarf und die Chancen, die sich mit den Reservisten ergeben, erkannt habe. In der Marine war es damals jedoch schwerpunktmäßig Vakanzenmanagement. Richtig in Fahrt gekommen zum Thema Reserve bin ich allerdings erst vor knapp zehn Jahren, als ich mich der Personalführung der Reserve – besser gesagt, dem Team Reserve – anschloss. Seitdem bin ich ein Teil der Community.
Vakanzenmanagement, heißt das, dass Sie gezielt Reservisten gesucht haben, die für mehrere Monate zur See fahren konnten. Das war sicher eine Herausforderung, oder?
Das waren die Herausforderungen. Die Suche hat sich in der Regel aber auf den Kreis, den man kannte, begrenzt. Die Marine ist ein kleiner Verein. Das heißt, man wusste, wer die Bundeswehr als Zeit- und Berufssoldat verlassen hat. Man wusste, wo man anrufen muss und gezielt nachhaken konnte. Es gab keine große Suche wie heute. Wir haben damals eine verbandsinterne Datenbank genutzt.
Ein Vorbild für heutige Prozesse?
Im Sinne der Idee, ja. Es ist nach wie vor ganz entscheidend, dass die Verbände ihre Leute kennen, ihre Leute motivieren und bei der Stange halten. Das anonyme Amt oder Zentrum kann das nicht leisten. Die Bindung an den Truppenteil ist ganz wesentlich. Auch wenn der frisch ausgeschiedene Zeit- oder Berufssoldat als Reservist beziehungsweise die frisch ausgeschiedene Zeit- und Berufssoldatin als Reservistin ggf. nicht sofort üben will, so ist es wichtig, ihm oder ihr die berühmte militärische Heimat zu bieten. Diese Heimat ist zum Beispiel das Bataillon.
Was sind ihre wichtigsten Stationen in Ihrer Laufbahn gewesen?
Alle Verwendungen in meiner Laufbahn waren beziehungsweise sind spannend, herausfordernd und erfüllend, das ist überhaupt keine Frage. Es gibt aber vier Bausteine, bei denen ich sage: Das ist für mich der Kern meiner Laufbahn in der Bundeswehr. Das waren zum einen die Verwendungen als Kommandant auf dem Schnellen Minensuchboot Pegnitz sowie als Geschwaderkommandeur des 5. Minensuchgeschwaders in Olpenitz und Kiel. Zum anderen sind die beiden Einsätze „Operation Südflanke“ im zweiten Golfkrieg und bei „European Naval Force Mediterranean (EUNAV MED), Operation Sophia“ zu nennen. (Anm. d. Red.: Das ist die multinationale militärische Krisenbewältigungsoperation der EU gegen Menschenhandel und Menschenschmuggel vor der nordafrikanischen Mittelmeerküste).
Haben Sie von den Einsätzen und Kommandeurstätigkeiten etwas mitgenommen, was Sie in gewisser Weise geprägt hat?
Natürlich: Der Erfolg hängt am Team. Wenn Sie das passende Team nicht haben, nicht gestalten, nicht motivieren können, macht die Funktion und die Aufgabe keinen Spaß, vom ausbleibenden Erfolg einmal ganz abgesehen. Es gehören immer zwei Seiten dazu: der Chef und das Team. Ich habe immer Glück gehabt, dass ich Mitglied in einem Team war, das in dieselbe Richtung an einem Strang gezogen hat.
Haben Sie ein Arbeitsmotto?
Diese Frage ist mir schon öfter gestellt worden und ich habe schon vor längerem überlegt, wie ich es formulieren kann. Gefunden habe ich ein Zitat von John F. Kennedy, das es aus meiner Sicht auf den Punkt bringt: Er hat gesagt: ‚Einen Vorsprung hat, wer da anpackt, wo die anderen erst einmal reden.‘ Ich sehe das im Moment wieder einmal als besonders passend bei der Umsetzung der „Strategie der Reserve 2019 – Vision Reserve 2032+“ werden wir viele Dinge ansprechen und besprechen müssen, wir müssen aber auch Willens sein, binnen Kurzem Entscheidungen zu treffen und dort, wo möglich, in eine zeitnahe Umsetzung zu gehen. Wir dürfen den Schwung, den wir mit der Strategie der Reserve derzeit haben, nicht zerreden. Das ist ganz wichtig.
Was sind oder waren Ihre ersten Amtshandlungen als Leiter des Kompetenzzentrums für Reservistenangelegenheiten der Bundeswehr?
Von außen erkennt man nicht so leicht, wie vielfältig und komplex das Kompetenzzentrum ist – insofern kann es da keine einzelne „erste“ Amtshandlung geben. Ich war durch meine Vorverwendungen in der glücklichen Lage, schon vor meinem Dienstantritt einen relativ guten Einblick zu haben. Dennoch hat mich eine ganze Menge von dem, was mich erwartet hat, überrascht. Von daher war es unheimlich wichtig für mich festzustellen, wer ist im Team Kompetenzzentrum für welche Fachaufgabe zuständig. Gleichzeitig musste ich im Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, im Bundesministerium der Verteidigung, im Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr und in den Organisationsbereichen die jeweiligen Fachleute kennenlernen. Ohne die Erfahrung, die Empfehlungen und Beratung dieser Leute kann ich die inhaltliche Arbeit ad hoc nicht erfolgreich fortsetzen. Meine tatsächliche erste Amtshandlung, wenn Sie ein Bild vor Augen haben möchten, war, den erfolgreichen Kurs von meinem Vorgänger fortzusetzen und nicht durch unüberlegte und unkontrollierte Ruderlagen den Dampfer aufzuschaukeln. Die Lernkurve ist derzeit steil und wir sind aktuell auf einem guten Kurs. Die Strategie der Reserve ist aber jetzt neu auf dem Markt und somit zeichnen sich die ersten Kursänderungen ab, aber die werden dann kontrolliert und wohl dosiert ausgeführt.
>> Hintergrundwissen: Strategie der Reserve
Ein Kernstück der Strategie der Reserve ist die Grundbeorderung. Was halten Sie von dem Konzept?
Es ist der absolut richtige Kurs. Wir wollen und wir müssen ausscheidende Soldatinnen und Soldaten angemessen und vor allem in einer gesellschaftlich akzeptablen Form an die Bundeswehr binden. Wir dürfen Menschen, die sehr gut ausgebildet sind, die hohe militärische Qualifikationen haben, nicht einfach vergessen. Wir müssen deutlich machen, dass jeder und jede, der oder die die Bundeswehr verlässt, auch in der Zukunft bei uns gebraucht wird. Durch die Bewahrung des Freiwilligkeitsprinzips machen wir aber gleichzeitig deutlich, dass die zukünftigen Reservistinnen und Reservisten die Freiheit haben, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten und ihrer Interessen weiterhin in der Bundeswehr zu engagieren.
Wir dürfen in der ganzen Diskussion aber auch nicht vergessen, dass wir in der Lage sein wollen, schnell und qualifiziert, wenn sicherheitspolitisch erforderlich, die Bundeswehr aufwachsen zu lassen. Dafür müssen wir die Grundbeorderung jetzt ausformulieren und mit Leben füllen.
„Über den Reservistenverband
kommen Menschen zur Bundeswehr“
Welche Rolle nimmt der Reservistenverband bei der Gewinnung von Personal ein?
Der Reservistenverband ist bundesweit präsent und regional verwurzelt. Er kann dort, wo die Bundeswehr durch Stationierungsentscheidungen nicht mehr vor Ort ist, wirken. Das ist von unschätzbarem Wert. Und der Verband holt genau die Bürgerinnen und Bürger ab, die wir aufgrund von fehlender Präsenz in der Fläche nicht mehr erreichen. Ich stelle immer wieder fest, dass einige Menschen auch manchmal nur angestoßen werden wollen. Von daher ist der Verband, wie auch andere Teile der Öffentlichkeitsarbeit oder der Personalgewinnung der Truppenverbände, ganz entscheidend. Sie halten und reetablieren den Kontakt zu Ehemaligen, sprechen aber auch Menschen an, die noch gar nicht bei der Bundeswehr waren. Über den Verband kommen diese Menschen dann zur Bundeswehr und wir können sie einplanen. Die Zusammenarbeit ist aus meiner Sicht hervorragend. Der Reservistenverband macht dort eine super Arbeit.
Welche Aufgaben kommen durch die Strategie der Reserve auf das Kompetenzzentrum zu?
Das Kompetenzzentrum ist, um es plakativ darzustellen, die Werkbank des Referates Führung Streitkräfte III 4 im Bundesministerium der Verteidigung. Damit sind wir mitten drin in der Umsetzung. Zurzeit werden die Handlungsfelder, die aus der Strategie der Reserve abzuleiten sind, definiert. Die Federführung für die einzelnen Handlungsfelder bekommt jeweils ein ministerielles Referat. Wir werden als Kompetenzzentrum in diesem Kontext zuarbeiten, unterstützen, ergänzen und mitprüfen. Darüber hinaus werden wir konkret zukünftig ein „Bürgertelefon“ als Kommunikationselement einrichten. Und wir sollen uns dem Thema Ausbildung Reserve widmen. Wir werden dazu ein Dezernat „Ausbildung Reserve“ und einen Inspizienten Ausbildung Reserve etablieren. Die ersten Schritte dafür sind schon gemacht.
Haben Sie noch eine Botschaft an die Reservistinnen und Reservisten?
Die Reservistinnen und Reservisten, ob beordert oder unbeordert, leisten für die Sicherheit Deutschlands und unserer Bündnispartner einen sichtbaren und nachhaltigen Beitrag. Die Bundeswehr und damit auch Reserve sind unverzichtbarer Garant dafür, dass die Bevölkerung hoffentlich niemals wieder die Erfahrung machen muss, was es bedeutet, die Freiheit zu verlieren. Das ist die Reserve, das tun wir.
Vielen Dank für das Gespräch!