Schlachtfeld Erinnerung: Kampf um die Geschichte im Hürtgenwald
Hürtgenwald – mit dem Ort in der Nordeifel verbinden viele geschichtsinteressierte Menschen eine der größten Schlachten zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Heute wird in der Region um eine angemessene Erinnerungskultur gekämpft.
Ein Rechtsanwalt, der gegen die Friedhofsordnung von Kriegsgräberstätten im Hürtgenwald klagt, der Umgang mit Geschichtstafeln, die Rolle einer Reservistenkameradschaft und der lange Schatten der Wehrmacht – all dies sind die Zutaten für diese Geschichte über einen Wandlungsprozess im Umgang mit der Vergangenheit.
Dies ist ein ausführlicher und vielschichtiger Beitrag. Eine Zusammenfassung mit den wichtigsten Aspekten sind hier im Video zu sehen:
Die Klage gegen die Friedhofsordnung
Der Rechtsanwalt, der gegen die Friedhofsordnung des Kreises Düren klagt, heißt Ingve Björn Stjerna. Er wendet sich in einer E-Mail im Februar 2023 an die Redaktion von loyal. Darin stellt er sich als ehemaliger Angehöriger der Fallschirmjägertruppe vor. Er gibt an, sich mit der eigenen Familiengeschichte zu befassen. Seit 2016 forsche er nach dem Verbleib seiner Großväter. Einer sei an der Ostfront in Russland, der andere bei den Kämpfen um den Westwall gefallen. Dieser Angehörige liege auf einem Soldatenfriedhof bei Bitburg begraben. Als er sich mit den Kämpfen im Hürtgenwald beschäftige, stieß Rechtsanwalt Stjerna auf die Geschichte des Totengräbers Julius Erasmus. Er fing an, mehr über diesen ehemaligen Angestellten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge herauszufinden. Es heißt, Julius Erasmus soll mehr als 1.500 Gefallene aus der Schlacht im Hürtgenwald geborgen, identifiziert und begraben haben. Mehr dazu später.
Viele der Gefallenen liegen auf den Kriegsgräberstätten Hürtgen und Vossenack. Ingve Björn Stjerna besucht die dortigen Gräber regelmäßig. Auf dem Friedhof in Vossenack befindet sich eine Gedenktafel, die über das Wirken von Julius Erasmus berichtet. Dort und an Gräbern der Soldaten möchte Stjerna Blumen zum Gedenken niederlegen oder eine Kerze anzünden. Doch der Rechtsanwalt behauptet: Der zuständige Kreis Düren untersage dies. Die im September 2022 erlassene Friedhofsordnung verbiete es, Kränze oder Blumen, Vasen oder andere Zeichen der Trauerbekundung niederzulegen. Dennoch abgelegte Blumen oder Kränze seien wiederholt entfernt und vernichtet worden, zum Beispiel zuletzt am Volkstrauertag des vergangenen Jahres. Rechtsanwalt Stjerna meint, die Friedhofsordnung verstoße gegen das Gräbergesetz, der Opfer des Zweiten Weltkrieges „in besonderer Weise zu gedenken“. Dies scheine für den Kreis Düren unter Landrat Wolfgang Spelthahn offenbar nicht mehr zeitgemäß zu sein. Er halte dies für eine vielsagende und erschreckende Entwicklung, teilt Ingve Björn Stjerna auf seiner eigenen Homepage mit. Er reicht eine Klage gegen die Friedhofsordnung des Kreises Düren beim zuständigen Verwaltungsgericht ein.
Die Entstehung der Kriegsgräberstätten und das Grab von Walter Model
Im Hürtgenwald fanden im Spätherbst 1944 schwere Kämpfe zwischen alliierten Soldaten und der Wehrmacht statt. Die Schlacht im Hürtgenwald zählt zu den längsten und verlustreichsten Gefechten des Zweiten Weltkrieges an der Westfront. Zahlreiche Orte, unter anderem Hürtgen und Vossenack, wurden während der Kämpfe zerstört. Das Kriegsgeschehen blieb nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch präsent für die Bewohnerinnen und Bewohner, zum Beispiel in Form von lebensgefährlichen Blindgängern oder Minen. Auch heute zeugen Kriegsrelikte wie die Westwall-Bunker von den Ereignissen der Ardennenoffensive. Ein Teil der Erinnerungslandschaft sind die Soldatenfriedhöfe in Hürtgen und Vossenack, die im Jahr 1952 eröffnet worden sind. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hatte diese Soldatenfriedhöfe errichten lassen. Dass beide Anlagen nun in unmittelbarer Nähe zueinander existieren, ist auf einen Gräberstreit zurückzuführen. Der Volksbund präsentierte 1948 Pläne für eine Kriegsgräberstätte in Vossenack, das damals noch zum Kreis Monschau gehörte. Der Kreis Düren wollte ebenfalls einen eigenen Soldatenfriedhof haben. Bei diesen Vorgängen spielte auch ein gewisser Julius Erasmus eine Rolle. Ein Kompromiss wurde gefunden. Auch in Hürtgen sollte eine Kriegsgräberstätte entstehen. Seit einer Kreisreform in den 1970er Jahren liegen beide Anlagen in der Obhut des Kreises Düren.
In Hürtgen ruhen 3.001 Tote, darunter 2925 deutsche Soldaten, 35 zivile Opfer, 27 russische, 13 polnische Tote und ein Belgier. Vermutlich handelt es sich bei den ausländischen Toten um Zwangsarbeiter. In Vossenack liegen nach Angaben der Kreisverwaltung 2.367 Tote. Hartnäckig hält sich die Erzählung, dass in einem der Soldatengräber Generalfeldmarschall Walter Model begraben liegen soll. Dessen sterbliche Überreste sollen auf die Kriegsgräberstätte Vossenack umgebettet worden sein. Die Grabplatte des Generalfeldmarschalls liegt in der Mitte des Gräberfelds. Walter Model habe inmitten seiner Soldaten ruhen wollen, wird die Aussage seines Sohnes überliefert. „Späte Recherchen haben aber deutlich gemacht, dass in der Frage der Umbettung erhebliche Zweifel angebracht sind“, schreibt Historiker Frank Möller im Portal Kultur.Landschaft.Digital (KuLaDig) des Landschaftsverbandes Rheinland. Und weiter: „Walter Model selbst wollte nicht, dass seine Überreste umgebettet werden. Seine Familie war, abgesehen vom Sohn, ebenfalls dagegen.“ Frank Möller und auch der Geschäftsführer des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen vom Volksbund Deutschen Kriegsgräberfürsorge, Stefan Schmidt, halten es für fragwürdig, dass der Generalfeldmarschall tatsächlich auf dem Soldatenfriedhof in Vossenack begraben liegt. Das umgebettete Grab wurde bislang nicht überprüft. Model war einer der ranghöchsten Generale der Wehrmacht. Dass sein Name auf einem Grabstein in Vossenack steht, hat vor allem einen symbolischen Wert. Der Friedhof Vossenack ist in den zurückliegenden Jahren immer wieder zu einem beliebten Anlaufpunkt von Rechtsextremisten geworden.
Die Windhund-Division
Ein weiterer Anziehungspunkt, der auch von der rechtsextremistischen Szene genutzt wurde, war die Gedenkstätte der so genannten Windhund-Division in Vossenack. Die Soldaten der 116. Panzerdivision nannten sich Windhunde. Sie waren an den Kämpfen im Hürtgenwald beteiligt. Als Gefreiter des Grenadierregiments 60 der Windhund-Division erlebte Baptist Palm die Schlacht im Hürtgenwald mit. Nach dem Krieg wurde der CDU-Lokalpolitiker Bürgermeister von Vossenack und führte bis 1989 die CDU-Fraktion im Kreis Düren. Palm galt als eine der maßgeblichen Figuren, die dafür sorgten, dass die Angehörigen der 116. Division Vossenack zum Zentrum ihrer Treffen und Gedenkfeiern machen konnten. Die Gedenkanlage der Windhunde ist 1966 errichtet worden.
Die Wehrmachts-Veteranen organisierten sich unter dem Dach eines Windhund-Familienverbands. Nach dessen Auflösung trat ein Förderverein mit dem Namen „Windhunde mahnen zum Frieden“ das Erbe des Familienverbands an. Das bestand aus der Sicht von Kritikern und Historikern vor allem in einer eindimensionalen und beschönigenden Darstellung der Kämpfe der Wehrmacht, die die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes ausblendete. „Es ist so, dass über viele Jahre eine Grunderzählung in der Region herrschte, die letzten Endes auf einen Text des Oberkommandos der Wehrmacht zurückgeht“, erläutert Historiker Frank Möller, der in mehreren Publikationen die Erinnerungsgeschichte im Hürtgenwald aufgearbeitet hat. In dem Text des Oberkommandos der Wehrmacht heißt es: „Die deutsche Wehrmacht ist am Ende einer Übermacht ehrenvoll unterlegen. Der deutsche Soldat hat getreu seines Eides im höchsten Einsatz für sein Volk für immer Unvergessliches geleistet. Die Heimat hat ihn unter schwersten Bedingungen stets unterstützt. Die damalige Leistung von Front und Heimat wird in einem späteren Urteil der Geschichte Würdigung finden.“ Dass die Soldaten ausschließlich Opfer waren, die ehrenvoll gekämpft hatten – Täter gab es keine – sei das bestimmende Narrativ gewesen. Diese Erzählung der Geschichte, vorangetrieben von den Angehörigen der Windhund-Division, von Militaria-Literatur und weiteren Akteuren aus der Region, habe jahrelang den Blick auf die Geschichte geprägt. „Man beschäftigte sich mit dem Krieg, mit den Soldaten im Hürtgenwald, tatsächliche Forschung hat kaum stattgefunden. Es handelt sich um eine Legendenbildung“, stellt Frank Möller fest.
Unrühmliche Rolle einzelner Reservisten
Der Historiker sieht es kritisch, dass es bei diesen aus seiner Sicht geschichtsrevisionistischen Tendenzen oft wenig Abgrenzung zur rechtsextremen Szene gab. Ein negatives Beispiel in dieser Hinsicht lieferte 2016 die damalige Reservistenkameradschaft Hürtgenwald. Die RK warb auf einem ihrer Banner mit dem Logo eines T-Shirt-Versands, der in der rechtsextremen Szene als beliebt gilt. (Der Name dieses Versandhandels ist der Redaktion bekannt, soll aber hier ausdrücklich nicht genannt werden). Zudem nahm an einer Veranstaltung des Windhund-Fördervereins ein Reservist teil, der inzwischen aufgrund rechtsextremer Umtriebe aus dem Reservistenverband ausgeschlossen worden ist. (Der Name dieses Reservisten ist der Redaktion bekannt). Ihre unrühmliche Rolle haben die verantwortlichen Reservisten der Kreisgruppe Düren mittlerweile aufgearbeitet. Sie haben mit ihrem Engagement zu einer Neuausrichtung des Hürtgenwaldmarsches beigetragen. Dazu später mehr.
Der Totengräber Julius Erasmus
Fakt ist: Die Deutung der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges im Hürtgenwald bleibt umkämpft. Das zeigt sich auch an der Geschichte des Totengräbers Erasmus. Über ihn hielt sich hartnäckig eine Erzählung, die in ähnlicher Form eine Legendenbildung darstellt wie die verbreiteten Mythen über die Wehrmacht. Dieser Legende nach soll Julius Erasmus ein Textilfabrikant aus Aachen gewesen sein. Als Pionierhauptmann der Wehrmacht sei er nach dem Krieg nach Vossenack zurückgekehrt. „Ich hatte meine gesamte Habe verloren, der Krieg hatte mir alles genommen. Und da fand ich sie in den Chausseegräben, am Waldrand, unter zerschossenen Bäumen. Ich konnte sie einfach nicht da liegen sehen, unbestattet und vergessen. Es ließ mir keine Ruhe“, soll Erasmus gesagt haben und sich als Totengräber betätigt haben. Man sagt, er habe die Toten zunächst am Waldrand begraben, danach etwa 120 Gefallene auf dem Gemeindefriedhof. 1569 deutsche Gefallene soll Julius Erasmus unter Einsatz seines Lebens geborgen haben. Der Wald war stellenweise vermint oder durch die Munition brachen ständig Feuer aus. Als auf der im Krieg umkämpften Höhe 470 in Vossenack der Soldatenfriedhof entstand, fand Erasmus eine Anstellung beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Der Totengräber wird als „eigenwilliger Kauz“ beschrieben, der in einer Hütte im Wald gelebt haben soll.
Wer war Julius Erasmus wirklich?
Rechtsanwalt Ingve Björn Stjerna beschäftigt sich auf einem eigens dafür eingerichteten Blog mit der Geschichte des Totengräbers Julius Erasmus. Seinen Nachforschungen zufolge lassen sich viele Details der Erzählung über Julius Erasmus nicht aufrechterhalten. So sei er wahrscheinlich kein Pionierhauptmann gewesen. Ferner sei er vor dem Krieg Landwirt gewesen. Er sei in Aachen geboren, habe aber vor dem Krieg länger im Raum Vossenack gelebt. Dass Julius Erasmus 1.569 Gefallene geborgen haben soll, hält Rechtsanwalt Stjerna für unwahrscheinlich. Gesichert ist, dass er als Mitarbeiter des Volksbundes die sterblichen Überreste von Gefallenen um- beziehungsweise auf die neue Anlage des Soldatenfriedhofs zubettete. Zu seiner Zeit als Mitarbeiter des Volksbundes stritten sich die Kreise Monschau und Düren um die Errichtung von Kriegsgräberstätten. Beide Kreise wollten eine eigene Anlage, weil sie sich mögliche touristische Einnahmen durch die Besucherströme erhofften. „Es entbrannte sogar ein regelrechter Kampf um einzelne Tote, der in Vorwürfen unbefugten Exhumierens, unerlaubter Prämienzahlungen für sterbliche Überreste und sogar des Leichendiebstahls gipfelte“, schreibt Historiker Frank Möller im KuLaDig-Portal des Landschaftsverbandes Rheinland. Rechtsanwalt Stjerna fasst in seinem Blog die Bedeutung von Erasmus zusammen: „Julius Erasmus hat den Toten ihre Namen gegeben. Er hat versucht, den Angehörigen die quälende Ungewissheit über den Verbleib des vermissten Familienmitglieds zu nehmen. Das scheint wesentlich bedeutender als die Frage, wie viele Gefallene er letzendlich wo geborgen hat und ob er dies allein tat oder gemeinsam mit anderen.“
Widersprüche um Julius Erasmus
Historiker Frank Möller bestätigt, dass die Geschichte von Julius Erasmus kaum aufgearbeitet ist. „Er soll in mit Minen bestückte Gebiete reingegangen sein, allein 700 Tote geborgen haben, die er an der Kirche in St. Josef in Vossenack begraben worden sind und umgebettet wurden. Ich will nicht bestreiten, dass er wirklich viele Tote geborgen hat. Aber es gibt Widersprüche von Leuten, die mit ihm gearbeitet haben“, erläutert Möller. Wenn es Tote in einem Minenfeld gegeben habe, habe er andere dorthin geschickt. Es habe heftige Konflikte zwischen Erasmus und seinem Nachfolger als Friedhofswärter gegeben, weil Erasmus sich von dieser Anlage sich nicht entfernen wollte. Er habe seinen Platz nicht geräumt als er auf der Kriegsgräberstätte nicht mehr zuständig war. „Wenn man mit Leuten darüber spricht, in Vossenack ist der Mythos von Julius Erasmus noch vorhanden. Im Nachbarort Hürtgen sprechen die Leute anders: ‚Ach Julius Erasmus, der hat bei uns Tote geklaut, die bei uns hingehörten.‘ Die Ansichten sind sehr unterschiedlich. Es ist so, dass der Mythos aufrechterhalten wird“, schildert Historiker Möller.
Der Tafelstreit
Den Angehörigen Gewissheit verschaffen, sei Julius Erasmus‘ Motivation gewesen. Immer wieder hinauszugehen und die Schicksale aufzuklären, das mache die Bedeutung seines Wirkens aus, ist sich Rechtsanwalt Stjerna sicher. Ihn stört es, dass der Kreis Düren im Jahr 2021 eine Informationstafel mit Details über Julius Erasmus auf dem Friedhof Vossenack entfernen ließ. Stjerna kritisiert das Vorgehen des Volksbundes und des Kreises in dieser Hinsicht scharf. Er empört sich darüber, dass seine Recherchen zum Totengräber mit Skepsis betrachtet würden. Es sei die Aussage gefallen, er betreibe Heldengedenken, von dem man nicht viel halte, schreibt er auf seiner Julius-Erasmus-Homepage. „Man kann sich des unguten Gefühls nicht erwehren, dass der Kreis Düren und der Volksbund NRW im Hinblick auf das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg und seine Opfer nichts Gutes im Schilde führen“, meint Ingve Björn Stjerna auf seinem Blog.
Aus seiner Sicht sei der Blog des Rechtsanwalts Stjerna sachlich geschrieben. Er habe die kritischen Momente weitgehend aufgearbeitet. Allerdings seien die Erkenntnisse von Ingve Björn Stjerna weitgehend bekannt gewesen, ordnet Historiker Frank Möller die Arbeit des Rechtsanwalts ein. Möller hält es dennoch für nötig, die Geschichte noch einmal neu zu recherchieren. Der Geschäftsführer des Landesverbands Nordrhein-Westfalen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Stefan Schmidt, sagt: „Eine Person wie Julius Erasmus so herauszuheben, ist nicht so ganz nachvollziehbar. Es geht darum, keine neuen Mythen zu produzieren und Mythen entgegenzuwirken. Er war ein Angestellter des Volksbundes. Er war sicher nicht der einzige Umbetter. Damals war Julius Erasmus wahrscheinlich kein Einzelfall im Volksbund.“ Dem stimmt Frank Möller zu. Die 2005 aufgestellte Tafel mit Informationen zu Julius Erasmus war eine Informationstafel über die Kriegsgräberstätte Vossenack. Sie wurde überarbeitet und neu aufgestellt. Diese neue Tafel enthielt weitgehend dieselben Informationen, auch über Julius Erasmus. Damit habe keine Notwendigkeit mehr bestanden, die alte Tafel stehen zu lassen.
Noch emotionaler als der Streit um die Tafel mit den Erasmus-Informationen lief der Konflikt um die Schautafeln auf dem Gelände der Windhund-Anlage, der 2009 hochkochte. Damals wurden die Schaukästen der bestehenden Informationstafeln erneuert.
Schautafeln über 116. Panzerdivision in der Kritik
Im Zuge dessen kam Kritik an der Darstellung der 116. Panzerdivision auf. Diese bezeichneten Kritiker als heroisierend und verherrlichend. So stilisierten diese Informationstafeln beispielsweise die Windhund-Division als Opfer des menschenverachtenden Nazi-Regimes. Historiker hielten solche Darstellungen für verkürzt und sahen darin eine Täter-Opfer-Umkehr, die den Mythos einer „unbescholtenen Wehrmacht“ bedient. Ein solcher unkritischer Umgang, der beispielsweise die Verbrechen der Wehrmacht an der Ostfront ausblendet, sei nicht mehr zeitgemäß. „Die Tatsache, dass sich führende politische Repräsentanten im Jahr 2009 noch mit einer solchen Darstellung identifizieren mochten, sorgte bei unabhängigen Beobachtern für ratloses Kopfschütteln und Fassungslosigkeit“, schreibt Frank Möller.
Vandalismus und rechtsextreme Vorkommnisse
Im Jahr 2015 ließ der Kreis Düren die Tafeln auf der Windhund-Anlage entfernen. Dieser Vorgang sorgte beim Windhund-Förderverein für Empörung. Bemühungen, die Tafeln mit wissenschaftlicher Unterstützung zu bearbeiten und zu kommentieren, gestalteten sich schwierig. Gleichzeitig hatten Schülerinnen und Schüler des Franziskus-Gymnasiums sich mit der Geschichte ihrer Großväter beschäftigt. Zusammen mit den Historikern Karola Fings, Frank Möller, Peter Bülter vom Volksbund und der Grafikerin Eva Müller-Hallmanns entstanden sechs Informationstafeln, die seitdem auf der Kriegsgräberstätte Vossenack aufgestellt wurden. Die Tafeln liefern Informationen zur Entstehung der Kriegsgräberstätte, zu architektonischen Besonderheiten und zu einzelnen dort Bestatteten. Eine der Tafeln setzt sich auch mit dem Mythos der Umbettung des Generalfeldmarschalls Walter Model auseinander. Das Projekt mit der Schule sollte die jahrelang gängigen Narrative durchbrechen. Dagegen habe man sich von rechts(extremer) Seite gewehrt, schildert Historiker Möller. Er berichtet von einschlägigen Übergriffen, auf Holz eingeritzte Hakenkreuze, Vandalismus und eindeutig rechtsextreme Botschaften wie der Aufschrift „Unserem Helden“ am Grabstein vom Walter Model. Darüber hinaus sei es in der Vergangenheit öfter zu Aufmärschen rechtsextremer Gruppen gekommen. Fotos von Soldaten in Wehrmachtsuniform wurden abgelegt oder Kranzgebinde mit verherrlichenden Botschaften. All dies hat Historiker Möller auf seinem Blog dokumentiert.
Warum die Friedhofssatzung präzisiert und angepasst wurde
Um solchen Umtrieben aus der rechten Szene auf dem Soldatenfriedhof Vossenack einen Riegel vorzuschieben, hat der Kreis Düren im Oktober vergangenen Jahres die Friedhofsordnung geändert. Der Kreis Düren ist zuständig, weil er der Träger der Kriegsgräberstätten Hürtgen und Vossenack ist. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge bei einer Änderung der Friedhofssatzung angehört werden muss. So ist es auch geschehen. Zur Klage des Rechtsanwaltes Stjerna sagt der Geschäftsführer des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen des Volksbundes, Stefan Schmidt: „Das angebliche Blumenverbot stimmt so nicht.“ Er räumt ein, dass die neue Friedhofssatzung etwas unscharf formiert gewesen sei. Das habe bereits zu Beschwerden geführt. „Es ist aber keinesfalls so, dass auf Grabzeichen von Bestatteten keine Kränze oder Blumen mehr niedergelegt werden dürfen“, sagt Schmidt. Das bestätigt der Kreis Düren auf Anfrage. Zwar sei nach der beschlossenen Friedhofsordnung nicht gestattet, auf den Kriegsgräberstätten Kränze oder Blumen, Vasen oder andere Zeichen der Trauerbekundung an den Hochkreuzen, den Gedenksteinen oder am Sarkophag in Vossenack niederzulegen. Ausnahmen können durch die Friedhofsverwaltung zugelassen werden, teilt der Kreis Düren mit und präzisiert, dass diese Praxis noch einmal überdacht worden sei. „Seit Dezember 2022 werden Zeichen der Trauerbekundung durch Angehörige oder aus dem Bekanntenkreis der auf den Kriegsgräberstätten bestatteten Personen nicht mehr entfernt, sofern keine rechtsgerichteten Botschaften damit verbunden sind“, heißt es aus der Kreisverwaltung. Damit setzt der Kreis um, was der Volksbund empfohlen hat. Es habe Nachbesserungen in Form einer Dienstanweisung für den zuständigen Friedhofswärter gegeben, erläutert Volksbund-Geschäftsführer Stefan Schmidt. Es sei nun genau festgelegt, was gestattet sei und was entfernt werden soll. Nicht gestattet seien Trauerbekundungen mit rechtsgerichteten Botschaften sowie Fotos mit Wehrmachts- oder SS-Uniform. „Es ist bedauerlich, dass das das präzisiert werden muss“, sagt Stefan Schmidt. Er könne sich nicht vorstellen, dass die Klage gegen die Friedhofsordnung erfolgreich sei. Denn die Bedrohung durch Rechtsextreme und Vandalen sei gegeben, sagt Frank Möller über die Klage des Rechtsanwaltes Stjerna.
Die gescheiterte Klage
Das Oberverwaltungsgericht hat schließlich eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Aachen zurückgewiesen. Dieses hatte zuvor die von Stjerna beantragte einstweilige Anordnung gegen die Friedhofssatzung des Kreises Düren abgelehnt. Zur jüngsten Entscheidung in der Sache schreibt Ingve Björn Stjerna auf seinem Blog von einem „traurigen wie typischen Stück juristischer Zeitgeschichte“ und von „weltfremden Justizhandelns“. Der Rechtsanwalt meint, das von ihm so bezeichnete Blumenverbot schränke Grundrechte wie die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (hier das Ablegen von Zeichen der Trauerbekundung), die Meinungsfreiheit und die allgemeine Handlungsfreiheit ein. Dieser Ansicht folgt das Gericht nicht. In der Urteilsbegründung heißt es, Rechtsanwalt Stjerna habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihm ohne den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen würden. „Der Beschluss fügt sich nahtlos in zahlreiche Judikate gerade aus der jüngeren Zeit ein, in der insbesondere die Verwaltungsgerichtsbarkeit es regelmäßig – vielfach unter fadenscheinigen Gründen und mit unverhohlenem ideologischen Unterton – abgelehnt hat, ihre Aufgabe zu erfüllen, nämlich den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger in effektiver Form zur Durchsetzung zu verhelfen“, schreibt Stjerna in einer Bewertung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts. Und weiter: „Gerichtlich gewährleistet wird offenbar mitunter nur noch ein Gebrauch grundrechtlich geschützter Rechte, den das erkennende Gericht selbst als politisch-ideologisch opportun und legitim ansieht, was mit grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen unvereinbar ist. Eine ebenso schmerzhafte wie wichtige Erkenntnis. Das bereits während der Zeit der staatlichen „Corona-Schutz“-Maßnahmen stark strapazierte Vertrauen der Bevölkerung in die Zuverlässigkeit des Rechtsstaates wird weiter unterminiert, womit Teile der Judikative an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen.“
Was bleibt übrig von der Klage gegen die Friedhofsordnung?
Ist es Zufall, dass Medien aus dem (neu) rechten Spektrum – wie zum Beispiel am 27. März 2023 mit der Überschrift „Hürtgenwald: Totengedenken unerwünscht“ die als rechtsextrem vom Verfassungsschutz eingestufte Partei Dritter Weg – das angebliche Blumenverbot aufgreifen? Steckt hinter der zurückgewiesenen Klage samt der Berichterstattung in diversen (Medien)blogs politisches Kalkül, von wem auch immer? Loyal hat das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena um eine Einschätzung gebeten. „Es liegt auf der Hand, dass mit der ganzen Klage und der Medienarbeit dazu eine weiterreichende politische Aussage beziehungsweise Wirkung bezweckt wird“, stellt Dr. Axel Salheiser, Wissenschaftlicher Leiter am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft, fest. Unter anderem die Feststellung, dass „Teile der Judikative an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen“ könne – aus Perspektive sozialwissenschaftlicher Forschung, die vergleichend das Standardrepertoire extrem rechter Rhetorik heranziehe – durchaus als schlecht verhohlene Drohung interpretiert werden, mit der offenbar vor allem in geschichtsrevisionistischen, extrem rechten und ihr nahen Kreisen reüssiert werden soll, die den Widerstand gegen das angeblich diktatoriale „System“ und „Feinde des Volkes“ beschwören, analysiert er. Das angebliche Bedürfnis zu Trauern, Gedenken, Kranzniederlegen ausgerechnet an ebenjener Stätte werde zum Grund- und Menschenrecht hochgejazzt, gegen das angeblich aufs Gröbste verstoßen würde – und dann komme der Ideologievorwurf gegen die Richter. „Dieses „Aufbauschen“ beziehungsweise der betriebene juristische Aufwand zeigt das dahinterliegende strategische Interesse auf“, sagt Dr. Salheiser.
Der Blick auf die Geschichte im Wandel: Die Neuausrichtung des Hürtgenwaldmarsches
Aus der Sicht von Volksbund-Geschäftsführer Stefan Schmidt fügen sich die Bemühungen von Rechtsanwalt Stjerna, Licht ins Dunkle der Geschichte des Julius Erasmus zu bringen ein in die Schlacht um die Erinnerung im Hürtgenwald. „Er ist eine von vielen Stimmen, die da mitmischen“, sagt Schmidt. Wie viele das sind, wurde in den Jahren 2015 und 2016 während des Pilotprojekts Moratorium Hürtgenwald deutlich. Dabei ging es darum, einen Überblick über Gedenk- und Erinnerungsobjekte zu bekommen und mit den verschiedenen Akteuren, die erinnerungspolitisch aktiv sind, ins Gespräch zu kommen. Bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte wurden Handlungsempfehlungen erarbeitet, wie man das Thema Zweiter Weltkrieg und Hürtgenwaldschlacht breiter aufstellen kann. Ein Beispiel dafür liefert heute der Hürtgenwaldmarsch. Historiker Möller brachte das Landeskommando Nordrhein-Westfalen erstmals mit Vertreterinnen und Vertretern des Landschaftsverbands Rheinland, der Geschichtswerkstatt Nordeifel (Benedikt und Konrad Schöller), der Universität Osnabrück, des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge und von Vogelsang IP zusammen. Auch der Reservistenverband beteiligte sich und sorgte zusammen mit diesen Akteuren für eine Neuausrichtung des Hürtgenwaldmarsches mit zeithistorischen Vorträgen, zahlreichen Ausstellungen und einer Theateraufführung. Somit hält die Veranstaltung nicht nur die Erinnerung an die Schlacht im Hürtgenwald wach, sondern trägt mit einem begleitenden Bildungsprogramm dazu bei, überkommene Geschichtsbilder in der Region zu hinterfragen. Der Blick auf die Geschichte ändert sich. Es ist ein spannender und lebendiger Prozess, aber auch ein emotionaler.
Quellen:
Interviews mit Ingve Björn Stjerna, Frank Möller und Stefan Schmidt
Presseanfragen an den Kreis Düren, das Institut für Demokratie und Zeitgeschichte
Frank Möller (2022): Einer gewaltigen Übermacht ehrenvoll unterlegen…? Militaria-Literatur über den Zweiten Weltkrieg am Beispiel des Kriegsschauplatzes Nordeifel/Hürtgenwald