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Pistorius: „Wichtig, dass wir jetzt den ersten Pflock einschlagen“

Das neue Wehrdienstmodell und eine mögliche Wehr- oder Dienstpflicht waren gestern Abend Thema in der Reihe „Köln und Köpfe“ der Konrad-Adenauer-Stiftung. Verteidigungsminister Boris Pistorius erklärte dabei noch einmal detailliert den neuen Wehrdienst und skizzierte den rechtlichen und den zeitlichen Rahmen. Der entsprechende Gesetzentwurf soll in der kommenden Woche in die Ressortabstimmung eingebracht werden, kündigte der Minister an.

Moderator Michael Krons sprach mit Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, Verteidigungsminister Boris Pistorius und der Schirmherrin der Veranstaltungsreihe, Serap Güler MdB, über den neuen Wehrdienst (v.l.n.r.).

Foto: Sören Peters

Das neue Wehrdienstmodell sieht vor, dass alle 18-Jährigen digital angeschrieben und befragt werden, ob sie sich vorstellen können, freiwillig Wehrdienst zu leisten. Junge Männer müssen, junge Frauen können den Fragebogen beantworten. „Das ist aber auch der einzige Pflichtteil“, betonte Pistorius noch einmal. Aus denjenigen, die bereit sind, in den Streitkräften zu dienen, werden dann die Motiviertesten und Fähigsten ausgewählt – wir berichteten. „Der Blick nach Skandinavien zeigt, dass das gut funktioniert.“

Bis der gesamte Gesetzgebungsprozess abgeschlossen ist, sind wir im Frühjahr 2025. Bis zu 5.000 junge Frauen und Männer könnten im ersten Jahr ihren Dienst in der Bundeswehr antreten. Die größte Hürde ist, die jungen Menschen überhaupt anschreiben zu können. Denn: Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht wurden auch die Wehrerfassung und die Wehrüberwachung de facto abgeschafft. „Es ist wichtig, dass wir diesen ersten Pflock einschlagen“, sagte Pistorius. „Ich brauche das Gesetz für die Wehrerfassung und das brauche ich jetzt!“ Mehr geht in dieser Legislaturperiode nicht. „Wir stehen ein Jahr vor der Bundestagswahl. Jetzt könnte man sich fragen, warum wir nicht mehr riskieren“, fuhr der Minister fort. Aber für einen wie auch immer gearteten Pflichtdienst bräuchte es eine Grundgesetzänderung, die notwendige Zweidrittelmehrheit dafür ist mehr als fraglich.

Fokus auf das Jahr 2029

Und mehr geben die Kapazitäten ohnehin nicht her. Für eine breit angelegte Wehrpflicht bräuchte es Musterungsärzte, Unterkünfte und Ausbilder. „Der Aufbau dieser Kapazitäten braucht Jahre“, ordnete Pistorius ein. Zudem gibt der Zwei-plus-Vier-Vertrag vor, dass die gesamtdeutschen Streitkräfte eine Mannstärke von 370.000 nicht überschreiten dürfen. Die 500.000 Mann starke Bundeswehr aus Zeiten des Kalten Krieges ist damit sowieso vom Tisch. Aber: Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen die Strukturen dann so weit gewachsen sein, dass bis zu 15.000 junge Menschen pro Jahr ihren Wehrdienst leisten können. Rund 200.000 Reservisten will die Bundeswehr bis 2029/2030 in ihren Reihen wissen – ausgebildet, ausgestattet, verteidigungsbereit.

Dieser Reserve sollen die jungen Frauen und Männer angehören, die ihren Wehrdienst nach dem neuen Modell geleistet haben, aber auch jene Reservistinnen und Reservisten, die schon jetzt dabei sind. Der Wehrdienst soll nicht als vertane Zeit wahrgenommen werden, sondern als sinnvoller Dienst an der Gesellschaft – im besten Fall sogar noch mit einer Qualifikation, die sich dann auch im zivilen Berufsleben nutzen lässt. Pistorius: „Unser Ziel ist es, jetzt die Grundlagen zu schaffen für eine robuste, einsatzfähige Reserve.“ Fixpunkt ist das Jahr 2029.

Verteidigungsminister Boris Pistorius skizzierte, was in dieser Legislatur noch möglich ist und nannte die limitieren Faktoren. (Foto: Sören Peters)

Doch warum sind die nächsten fünf Jahre so wichtig? Analysten und Generalinspekteur Carsten Breuer gehen davon aus, dass Russland bis 2030 zumindest in der Lage sein wird, NATO-Territorium anzugreifen – hier nachlesen. Diese sicherheitspolitische Gesamtlage sorgt nun auch wieder dafür, dass sich Menschen überhaupt mit der Bundeswehr auseinandersetzen – zum ersten Mal seit 35 Jahren. „Wir haben eine ganze Generation, die aufgewachsen ist in dem Bewusstsein, dass in Europa Frieden herrscht. Das hat dazu geführt, dass wir zu lange an Sicherheit geglaubt haben, statt in sie zu investieren“, sagte Pistorius. Auch das ist ein Aspekt des Fragebogens, der alle 18-Jährigen demnächst erreichen soll: Die jungen Menschen setzen sich grundsätzlich erst einmal mit der Bundeswehr auseinander. „Nun steht die Frage wieder im Raum, wer bereit ist, dieses Land zu verteidigen, wenn es denn ernst wird. Und das ist nicht ‚der Staat‘, in erster Linie braucht es Menschen.“

Debatte in die Gesellschaft tragen

Deshalb sei es auch so wichtig, die Debatte nicht nur politisch zu führen, sondern vor allem gesellschaftlich – mit den jungen Menschen statt über sie. „Mir geht es darum, die Tür weit aufzustoßen für eine breite, ehrliche Debatte“, sagte der Minister. Genau das macht der Reservistenverband am 3. Dezember in Berlin. Bei einem Parlamentarischen Abend bringen wir Verteidigungspolitiker mit Schülerinnen und Schülern zusammen, um über Chancen des neuen Wehrdienstmodells zu diskutieren.

„Die breite Bevölkerung ist bereit dafür“, sagte der Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen BundeswehrVerbandes, Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, bei der Podiumsdiskussion in Köln. „In den Zeiten der Auslandseinsätze konnte sich die Zivilgesellschaft für die Bundeswehr interessieren oder eben nicht. Aber jetzt geht es wieder alle etwas an!“ Die 700.000 bis 800.000 E-Mails, die künftig einen ganzen Jahrgang erreichen, sorgen seiner Einschätzung nach zumindest wieder für ein Bewusstsein. „In Zeiten des Kalten Krieges war Westdeutschland die Ostflanke der NATO. Die Verlässlichkeit, die wir Deutschen von den Briten, Franzosen und US-Amerikanern erfahren haben, wünschen sich nun unsere Verbündeten im Baltikum.“ Der russische Angriff habe bereits begonnen – durch Spionage, Sabotage, Hackerattacken oder Desinformation.

Bei allen Krisenherden der Welt sieht auch der Minister Putins Russland als die größte Bedrohung der nächsten Jahre. „Wenn man eine Gefahr ignoriert, wird sie nicht kleiner“, sagte er. Putin produziere nicht nur für den Krieg gegen die Ukraine, sondern auch für die Depots. Gerade deshalb sei eine kriegstüchtige, verteidigungsfähige Bundeswehr bis 2029 so wichtig. „Wir wünschen uns alle, dass es schneller gehen würde, aber wir freuen uns, dass ein Anfang gemacht ist.“

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