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„Kein Beruf wie jeder andere“




Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit und Oberst der Reserve, über die abzusehenden Rekrutierungsprobleme der Bundeswehr, die Krux mit der Freiwilligkeit von Wehrübungen und sein Verhältnis zu Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

Sein Büro befindet sich in der ersten Etage eines 16-stöckigen Betonklotzes in Nürnberg. Das Gebäude stammt aus den 70er Jahren, als Verwaltungszentren in Deutschland funktional sein mussten, sich aber niemand um ihre Wirkung auf diejenigen kümmerte, für die Verwaltungen eigentlich da sind. Auf die Bürger, im Fall der Bundesagentur für Arbeit: Arbeitslose, heute Kunden genannt, wirkt die BA-Zentrale überdimensioniert und abschreckend. Frank-Jürgen Weise aber, Chef einer der größten Bundesbehörden (knapp 110.000 Bedienstete), gibt sich entspannt und nahbar, als er an seinem Besprechungstisch zum Interview bittet.

Herr Weise, mit wie vielen Arbeitslosen müssen wir in zehn Jahren noch rechnen?
Die Zahl der Arbeitslosen wird sinken. Das ist der Demographie geschuldet und der Einstellung von Menschen heutzutage, viel zu tun, um in Arbeit zu kommen. Außerdem erwarte ich, dass sich die Wirtschaft gut entwickelt. Wie weit die Arbeitslosigkeit zurückgeht, können wir nicht genau sagen.

Es gibt Studien, die von 1,5 Millionen Arbeitslosen in zehn Jahren ausgehen. Das wäre quasi Vollbeschäftigung.
Wir sprechen schon bei zwei Millionen Arbeitslosen von Vollbeschäftigung. Und bei der Fluktuationsarbeitslosigkeit, also der relativ kurzfristigen Arbeitssuche zwischen zwei Anstellungen, liegen wir heute schon bei weniger als einer Million. Probleme machen die Menschen, die dauerhaft von Grundsicherung leben. Viele haben jahrelang nicht gearbeitet.

Vollbeschäftigung in zehn Jahren – was bedeutet das für die Personalrekrutierung der Bundeswehr?
Sie wird auf einem Markt rekrutieren müssen, auf dem junge Leute unter vielen Möglichkeiten wählen können. Für die Bundeswehr bedeutet dies, dass sie ihr Profil so klar und so überzeugend machen muss, dass sie die relativ kleine Zahl an Menschen, die sie pro Jahr rekrutieren muss, auch gewinnen kann.

Was ist denn das Profil der Bundeswehr?
Ich würde mehrere Aspekte sehen. Es ist ein Dienst, der dazu beiträgt, dass in unserem Land Rechtsstaatlichkeit und eine florierende Wirtschaft gedeihen können. Er ist damit ein ethisch hochwertiger Dienst, der gleichzeitig aber auch verlangt – anders als andere Berufe – seine körperliche Unversehrtheit, sein Leben einzusetzen. Das sind extreme Ausprägungen. Es ist zudem ein Dienst, der viel Flexibilität und Mobilität verlangt, wie es auch in anderen Branchen üblich ist. Interessanterweise gibt es dennoch viele Menschen, die diese Herausforderung suchen, die werteorientiert sind und etwas tun wollen, was sie für sinnvoll erachten.

Was halten Sie von den Aussagen führender Militärs, die Bundeswehr habe kein Nachwuchsproblem und sie werde künftig auch keines bekommen?
Im Moment hat die Bundeswehr tatsächlich kein Nachwuchsproblem. Sie wird aber eines bekommen, schon deshalb, weil zum einen die Zahl der Jugendlichen in Deutschland zurückgeht, und zum anderen die Zahl derjenigen unter diesen Jugendlichen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, wächst. Unter den künftig noch weniger jungen Menschen müssen alle, die Wirtschaft, der öffentliche Dienst und die Bundeswehr, ihr Personal rekrutieren. Ja, die Bundeswehr wird ein Problem bekommen. Aber Probleme muss man erkennen, anerkennen und lösen.

Seit jeher haben Soldaten mit Tod und Verwundung, mit Not und Elend zu tun. Seit den Einsätzen gilt das auch wieder für die Bundeswehr. Das ist nicht gerade attraktiv. Wer will schon gern sterben in seinem Job?
In der Tat wird die Frage lauten, wie es der Bundeswehr künftig gelingt, junge Menschen zu finden, die in unserem Land ein friedliches, unbekümmertes Leben führen können, und die dennoch bereit sind, dafür ihr Leben zu riskieren. Aber ich bin optimistisch. Noch gibt es jedenfalls die jungen Menschen, die bereit sind, sich für das Land und die Gesellschaft einzusetzen.

Welche Beschäftigungsmodelle muss die Bundeswehr künftig anbieten, um für junge Leute attraktiv zu bleiben?
Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. In keinem anderen Beruf riskieren Menschen auf politische Entscheidung hin außerhalb Deutschlands ihr Leben. Das muss klar gesagt werden. Umso attraktiver müssen die Rahmenbedingungen des Dienstes sein. Dazu zählt die Familienfreundlichkeit, die Möglichkeit, wenn dienstlich möglich, in Teilzeit zu arbeiten oder die Flexibilisierung der Dienstzeiten und der Laufbahnen.

Soldaten sollen in der Bundeswehr künftig einen Beruf erlernen können, den sie später auf dem zivilen Arbeitsmarkt ausüben können. Was halten Sie davon?
Das ist konsequent, da es künftig nur noch eine kleine Zahl von Soldaten geben wird, die ihr gesamtes Berufsleben im Militär verbringt. Den anderen, den Freiwilligen, muss man eine Perspektive für die Zeit nach ihrem Dienst bieten. Und die kann nur darin bestehen, sie neben den militärischen Aufgaben auch auf den zivilen Arbeitsmarkt vorzubereiten. Die Leute sollten qualifizierter rausgehen als sie hineingekommen sind.

Das dürfte bei manchen Verwendungen in der Bundeswehr nicht so einfach sein. Ich kann mir keinen KSK-Soldaten vorstellen, der zwischen Einsätzen und Übungen noch Zeit für eine Berufsausbildung hätte. Welche beruflichen Chancen haben solche Leute?
Da sehe ich keine Schwierigkeiten. Diese Leute verfügen über eine sehr spezielle Qualifikation, die ihnen auch außerhalb der Bundeswehr nützen kann. Nicht nur in Nischenberufen, etwa in der Sicherheitsbranche. Besonders ehemalige KSK-Soldaten haben gelernt, sich in kürzester Zeit in einer ihnen fremden Umgebung zurechtzufinden. Sie sind geistig extrem flexibel. Solche Leute braucht jeder Arbeitgeber.

Welche Eigenschaften eines Soldaten können für Unternehmen noch nützlich sein?
Soldaten, besonders Offiziere und Unteroffiziere, haben gelernt, Situationen nach einem klaren Schema zu beurteilen und unter hoher zeitlicher, mitunter auch körperlicher und psychischer Belastung Entscheidungen zu treffen. Ich kenne kaum ein Unternehmen, das auf Leute verzichten kann, die in der Lage sind, Führungsverantwortung zu übernehmen. Ich schicke meine Führungskräfte in der Bundesagentur für Arbeit regelmäßig auf Informationswehrübungen, um sie mit dem militärischen Führungsprozess bekannt zu machen.

Es gibt eine Menge ehemaliger Soldaten, die heute in Führungspositionen in Unternehmen tätig sind, aber als Reservist nicht mehr für Wehrübungen freigestellt werden, obwohl sie es gern wollten. Wie lässt sich das Problem lösen?
Schwierig. Die Wirtschaft hat sich seit dem Ende des Kalten Kriegs, als Wehrübungen noch Pflicht waren, erheblich verändert. Die Rationalisierung hat dazu geführt, dass es heute selbst in Führungsetagen kaum noch Stellvertreter gibt und sich sogar Führungskräfte vielfach selbst organisieren müssen. Wenn man also wochenlang abwesend ist, bleibt die Arbeit liegen. Es gibt niemanden, der sie übernimmt. Und wenn man dann zurückkommt, hat man 300 E-Mails zu beantworten. Kaum ein Unternehmen kann sich das so ohne Weiteres leisten, aber auch immer weniger Arbeitnehmer wollen sich das antun.

Also resignieren wir?
Nein, aber wir müssen um Kompromisse ringen. Einerseits muss man dem Arbeitgeber plausibel machen, was er von einer Freistellung für eine Wehrübung hätte, andererseits sollte er dafür sorgen, dass man nach der Rückkehr an den Arbeitsplatz nicht in Arbeit ertrinkt.

Sie haben im Jahr 2010 die Bundeswehr-Reformkommission geleitet. Viele ihrer Empfehlungen wurden damals ignoriert. Haben Sie schon mit Ministerin Ursula von der Leyen darüber gesprochen?
Kommission und Umsetzung sind zwei unterschiedliche Dinge. Es war von Anfang an klar, dass das Bild, das wir entwerfen, von denjenigen, die die Reform umsetzen müssen, modifiziert werden würde. Und ich sehe in dem Reformkonzept durchaus einige unserer Empfehlungen wieder, etwa die Neugestaltung des Ministeriums, das auf seine eigentliche politische Führungsaufgabe reduziert ist, oder den Aufbau des Amts für Personalmanagement.

Sucht die Ministerin Ihren Rat?
Sie ist an fundierten Meinungen interessiert und wird aufmerksam, wenn man wirklich unabhängig und überzeugend auftritt. Das hat sie schon als Arbeitsministerin getan, als sie meine Vorgesetzte war. Sie hört sich von vielen Personen, die etwas Bedeutendes zu sagen haben, den Rat an, ist dann aber unabhängig genug, um ihren eigenen Weg zu wählen.

In Berlin heißt es, Sie hätten das Angebot der Ministerin ausgeschlagen, Staatssekretär im Verteidigungsministerium zu werden.
Solche Gerüchte werden in Berlin gern gestreut und möglichst in Gang gehalten. Man kann sie mit einigen Aussagen sogar noch befeuern.

Also hat sie gefragt?
Ich will nicht das schöne Spiel in Berlin kaputt machen.

Eine Ihrer Empfehlungen damals lautete, das Beschaffungssystem grundsätzlich neu zu gestalten. Fühlen Sie sich nach den Erfahrungen mit dem Eurohawk bestätigt?
Ja. Diese Art der Beschaffung funktioniert nicht. Weder für die Bundeswehr noch für die Wirtschaft. Ich bin sprachlos, wie lange erkannte Mängel nicht behoben wurden, nicht nur beim Eurohawk. Das führt jetzt zu der Schwierigkeit, dass bei vielen Beschaffungsvorhaben ganz viele Probleme auf einmal zusammenkommen. Das ist für die Ministerin eine sehr herausfordernde Situation. Das hätte man vermeiden können.

Die Ministerin hat personellen Konsequenzen gezogen, doch das ändert nichts daran, dass mit dem Beschaffungsamt (BAAINBw) nicht etwa eine, wie Sie es vorgeschlagen haben, effizientere und schlankere Beschaffungsagentur, sondern eine träge Mammutbehörde geschaffen wurde. Muss das nicht rückgängig gemacht werden?
Die Rüstungsbeschaffung braucht ein professionelles Management, und genau das fehlt. Es gibt permanent politische Eingriffe verschiedenster Art, um etwa Standorte der Rüstungsindustrie zu erhalten. Bestimmte militärische Ausrüstungsgüter werden nur beschafft, um Rüstungsstrukturen zu bewahren. Das führt zwangsläufig dazu, dass sich niemand mehr für das Endergebnis im Beschaffungsprozess verantwortlich fühlt. Ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass eine Beschaffungsagentur die richtige Lösung für diese Probleme wäre. Es gäbe einen Vorstandsvorsitzenden oder einen Geschäftsführer, der die komplette Verantwortung trägt. Er sorgt dafür, dass Beschaffung effizient und effektiv läuft. Und wenn er das nicht kann, fliegt er raus.

Bundeswehr, Beschaffungsbehörden und Rüstungsindustrie schieben sich immer gegenseitig die Schuld am teils desaströsen Verlauf von Rüstungsprojekten zu. Wie können die drei endlich vernünftig kooperieren?
Schon allein, dass sie sich so streiten, zeigt, dass sich die Rüstungsbeschaffung in einem hoffnungslosen Zustand befindet. Natürlich will die Industrie möglichst viel verkaufen, und natürlich will die Bundeswehr nur das abnehmen, was sie auch gebrauchen und bezahlen kann. Ich glaube, es ist das Verständnis verloren gegangen, dass man als Partner voneinander abhängig ist.  Mich hat geradezu schockiert, als ich gehört habe, dass bei der Beschaffung der Hubschrauber Tiger und NH90 auf Seiten der Bundeswehr permanent die Projektoffiziere und damit die Ansprechpartner für die Industrie wechselten. So kann das nichts werden.

Haben Sie der Ministerin empfohlen, das Agenturmodell für die Rüstungsbeschaffung doch noch einmal zu betrachten?
Es muss keine Agentur im Sinne der Bundesagentur für Arbeit sein. Aber die verkrusteten Strukturen müssen aufgebrochen werden. Es geht um Professionalisierung, um Zeit, Kosten, Qualität, Stückzahl. Wer das kann, der hat Erfolg. Schauen wir auf die deutsche Automobilindustrie. Da gibt es durchaus mal eine Rückrufaktion oder eine Verzögerung. Aber ansonsten geht das Autobauen heute wie das Brötchenbacken, und das in höchster Qualität.

Läuft es nicht ohnehin darauf hinaus, dass die europäischen Staaten ihre Rüstungsbeschaffung harmonisieren und entsprechend bei einzelnen Projekten zusammenarbeiten?
Absolut. Die Zukunft liegt in den sogenannten Kooperationsinseln, wie es sie etwa von Niederländern und Deutschen bei der Flugabwehr gibt. Wenn sie jetzt auch die Folgesysteme gemeinsam entwickeln und beschaffen, ist das ein weiterer richtiger Schritt. Wir müssen aus ökonomischen Zwängen, aber auch aus politischer Weitsicht den militärischen Bereich der europäischen Staaten zusammenführen.

Auch auf die Gefahr hin, dass dadurch in Deutschland Arbeitsplätze wegfallen?
Ja, denn das wären unwirtschaftliche Arbeitsplätze, die subventioniert sind. Man kann solche Arbeitsplätze eine gewisse Zeit lang staatlich finanzieren. Aber auf Dauer ist es besser, den Beschäftigten in diesen Branchen beim Übergang in eine neue Tätigkeit zu helfen. Es ist wirtschaftlicher Unsinn, Dinge, die sich nicht tragen, dauerhaft zu subventionieren.

Herr Weise, vielen Dank für das Gespräch.

 
Das Interview führte Marco Seliger

Bild oben:
Frank-Jürgen Weise, Vorsitzender des
Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit.
(Foto: PR/Bundesagentur für Arbeit)

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