Wie man sich gegen bewaffnete und unbewaffnete Angriffe verteidigt, haben rund 30 Reservistinnen und Reservisten am vergangenen Samstag beim Krav-Maga-Seminar in Hamburg gelernt. An vier Stationen erfuhren die Männer und Frauen, wie sie sich Zeit zur Flucht verschaffen und wehren können – oder wie es im besten Fall gar nicht erst zur physischen Auseinandersetzung kommt. Die Reservistenarbeitsgemeinschaft (RAG) Frau-dRBw nutzte das Seminar, um in diesem Rahmen auch gezielt Frauen anzusprechen. Mit Erfolg.
Rund ein Drittel der Teilnehmer war weiblich. Sogar ohne Bundeswehr- oder Reserve-Hintergrund kamen die Teilnehmerinnen zum Krav-Maga-Kurs in der Sporthalle der Reichspräsident-Ebert-Kaserne. „Ich habe über meinen Mann davon erfahren. Und da gezielt auch Frauen angesprochen wurden, hat mir das ein bisschen die Hemmungen genommen“, sagte eine Teilnehmerin während der Mittagspause. Eine andere Teilnehmerin pflichtete ihr bei. Als Frau nehme sie „Angsträume“, also beispielsweise einen U-Bahnhof am späten Abend, ganz anders wahr. „Da finde ich die Inhalte des Seminars ganz hilfreich.“
Antennen ausfahren, Kopf einschalten
Auch wenn Krav Maga aus dem Hebräischen mit Kontaktkampf übersetzt werden kann, gibt es doch eine große psychologische Komponente, die schon beim bewussten Wahrnehmen seines Umfeldes beginnt. „Viele Jugendliche sitzen mit Ohrstöpseln in der Bahn und haben nur ihr Smartphone im Blick, so kann man gar nicht mitkriegen, was um einen herum passiert“, hat Ausbilderin Johanna Dominick beobachtet. Doch wer sich nur für das Handy interessiert, hat kein Gefühl für sein Umfeld. Schaukelt sich eine angespannte Situation auf? Welche Menschen sind da um uns herum? „Zwar wird uns beigebracht, Menschen nicht nach Äußerlichkeiten zu bewerten, doch dieser Instinkt ist ein guter Ratgeber. Wenn uns jemand nicht ganz geheuer ist, dann hat das schon so seinen Grund“, sagt Dominick.
An ihrer Station lernten die Teilnehmer, wie sie nach einem Schubser schnell wieder aufstehen, wie sie sich am Boden liegend gegen weitere Angriffe wie etwa Tritte, verteidigen oder sich aus der Fixierung lösen können, wenn es dem Angreifen gelingt, sich auf den Torso seines Opfers zu hocken. „Da gibt es ein Erdbeben“, sagt die Ausbilderin und bringt durch die Bewegung von Armen und Beinen so viel Schwung in den Beckenbereich, dass der fiktive Angreifer sich nicht länger auf ihr halten kann. „Der soll keinen Bock mehr haben, euch etwas anzutun“, sagt die Dominick. Und bringt hier auch wieder die psychologische Komponente ins Spiel: „Wenn Männer Frauen angreifen, dann hat das eine andere Intention, als wenn sie einen anderen Mann angreifen.“
Wie suchen Täter ihre Opfer aus?
Einen kleinen Exkurs in die Psychologie gab es auch an der Station von Krav-Maga-Trainer Jörg Siegwarth. Er berichtete von einer Langzeit-Studie in den USA, bei der Schwerstkriminelle anhand von Aufnahmen aus dem öffentlichen Raum erklären, warum sie welche Opfer auswählen. Die Forscher suchen dann nach Überschneidungen oder besonderen Merkmalen, warum wer zum Opfer wird. Das war mal die Schrittlänge im Verhältnis zum Körper, weil es jemand besonders eilig hatte, mal ein besonders stolzierender Gang oder mal der typische „Hans-Guck-in-die-Luft“, der sein Umfeld nicht wahrnimmt. Gemeinsam haben sie, dass sie aus der „grauen Masse“ hinausstechen. Der Täter sucht sich dann – wenig überraschend – das vermeintlich schwächste Opfer aus. „Wenn wir bei der Arbeit sind, wollen wir uns das Leben ja nicht unnötig schwer machen. So sieht es auch der Täter. Wenn der auf der Suche ist, um jemanden auszurauben, geht der auch den Weg des geringsten Widerstandes.“
Der beste Schutz, um nicht zum Opfer zu werden, ist neben dem „Untergehen“ in der breiten Masse auch hier wieder das wache Auge für seine Umgebung. „Ich muss mitkriegen, wenn mich ein potenzieller Angreifer mit seinem Blick fixiert“, sagt Siegwarth. An seiner Station lernten die Teilnehmer Abwehrhaltungen, etwa um den Kopf gegen Schläge zu schützen. „Die meisten Angriffe beginnen mit einem Schwinger“, weiß er. Dagegen könne man sich schützen, indem man die Handflächen übereinander auf den Kopf legt und dem Aggressor die Unterarme „anbietet“. Das ist zwar nicht frisurfreundlich, verhindert jedoch den schnellen K.o. Zudem zeigte Siegwarth den Teilnehmern Techniken, wie sie sich mit dem Rücken zur Wand oder in die Ecke gedrängt gegen Angriffe verteidigen können – oder zumindest den eigenen körperlichen Schaden minimieren.
Wahrscheinlichkeiten trainieren
„Machen wir uns nichts vor, Ihr werdet etwas abkriegen“, sagte Thorsten „Toto“ Steubesand. „Aber es geht darum, zu überleben!“ An seiner Station ging es darum, Angriffe mit einem Messer oder einer abgebrochenen Flasche abzuwehren. Einen perfekten Plan, um eine solche Attacke unbeschadet zu überstehen, gibt es zwar nicht, allerdings kann man die Wahrscheinlichkeit einer schweren Verletzung reduzieren. „Wir konzentrieren uns heute auf Angriffe von rechts, denn 89 Prozent aller Menschen sind Rechtshänder, wir trainieren also die höhere Wahrscheinlichkeit. Wenn diese beherrscht wird, dann fällt uns für die restlichen elf Prozent auch etwas ein.“ Zudem geht der Ausbilder von einem Angreifer aus, der nicht professionell ausgebildet ist, sondern den größtmöglichen Schaden mit Kraft anrichten möchte und deshalb von oben mit einer weit ausholenden Schwungbewegung zustechen möchte.
Unter seiner Anleitung lernten die Teilnehmer, einen ersten Angriff abzuwehren und entweder den Arm des Angreifers zu fixieren oder so viel Distanz zwischen sich und die Waffe zu bringen, dass man flüchten kann. Dem Ausbilder ging es darum, den Teilnehmern Bewegungsabläufe zu zeigen („aus langsam wird sicher, aus sicher wird schnell“), um diese dann unter Stress abrufen zu können.
Schnell raus aus der Schusslinie
Wie schnell eine Schusswaffe den Besitzer wechseln kann, lernten die Teilnehmer an der Station von Obergefreiter d.R. Beate Brandt. Im Außenbereich simulierte sie eine Situation spät abends im Parkhaus. Von hinten nähert sich jemand mit einer Schusswaffe, der unter Androhung von Gewalt versucht, das Auto und die Wertsachen zu rauben. Sein Fehler: Er steht zu nah am vermeintlichen Opfer. Eine schnelle Drehung aus der Schusslinie heraus und zwei Handgriffe später hat Brandt die Waffe in der Hand, der Angreifer schaut in die Mündung und hat einen richtig miesen Tag…
Einen richtig guten Tag dagegen hatten die 30 Frauen und Männer, die am Tagesseminar unter der Gesamtleitung von Oberfeldwebel d.R. Michael Kruse teilnahmen. Zwar konnte das Seminar in der Kürze der Zeit nur einen ersten Eindruck davon vermitteln, was Krav Maga ausmacht, doch sowohl absolute Neulinge als auch Teilnehmer mit Vorkenntnissen konnten hier viele neue Impulse mit nach Hause nehmen. Gelegenheit, diese Kenntnisse zu vertiefen – oder auch mal reinzuschnuppern – haben Interessierte aus Hamburg und Umgebung jeweils Donnerstag zwischen 19 und 20.30 Uhr in der Sporthalle an der Marineanlage am Reiherdamm 10 im Hamburger Hafen. Auch in anderen Landesgruppen gibt es Reservistenarbeitsgemeinschaften, die militärische Selbstverteidigung anbieten. Auch für die RAG Frau-dRBw unter der Leitung von Stabsgefreiter d.R. Sandra Leisring war das Krav-Maga-Seminar eine gute Gelegenheit, die Frauen in der beorderungsunabhängigen Reservistenarbeit wieder ein Stück sichtbarer zu machen.
Gedenkminute am ersten Veteranentag
Einen emotionalen Moment gab es gleich zu Beginn der Veranstaltung, die auf den ersten Veteranentag in Deutschland fiel. Mit einer Schweigeminute würdigten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Leistungen und Opfer der Veteranen und gedachten der Gefallenen.