In unseren Geschäftsstellen melden sich in den vergangenen Tagen immer wieder Reservisten und fragen, wie sie sich nun verhalten sollen. Auch zahlreiche Anfragen in der Pressestelle unseres Verbandes gehen in diese Richtung: Werden nun Reservisten zum Dienst an der Waffe herangezogen? Welche Aufgaben könnte die Reserve übernehmen? Was der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine für die Reserve der Bundeswehr bedeutet, haben wir hier schon einmal zusammengefasst – nämlich erst einmal nichts, zumindest nicht auf militärischer Ebene. Erst wenn der Bundestag mit Zwei-Drittel-Mehrheit den Spannungs- und Verteidigungsfall beschließt, werden damit Rechtsmechanismen in Gang gesetzt, die die rechtlichen Rahmenbedingungen für Wehrpflichtige verändern und mehr Kompetenzen für die Regierung festlegen.
Der Reservistenverband hat mit einem Experten über häufig gestellte Fragen gesprochen. Hier sind die Antworten:
Was bedeutet Spannungs- und Verteidigungsfall?
Ganz grob gesagt: Spannungsfall und Verteidigungsfall bewirken eine Aktivierung des Wehrpflichtgesetzes. Den Verteidigungsfall und Spannungsfall definiert das Grundgesetz (GG). Im Verteidigungsfall gelten zusätzlich die Art. 115a ff GG. Eine Folge wäre zum Beispiel, dass die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler übergeht.
Wann tritt ein Spannungsfall ein?
Der Spannungsfall tritt nur ein, wenn der Bundestag dies mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschließt (Art. 80a GG). Der Verteidigungsfall kann auch dadurch eintreten, dass die Bundesrepublik mit Waffengewalt angegriffen wird (Art. 115a Abs.4 GG). Wörtlich heißt es darin: „Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen und sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, sofort die Feststellung […] zu treffen, so gilt diese Feststellung als getroffen und als zu dem Zeitpunkt verkündet, in dem der Angriff begonnen hat. Der Bundespräsident gibt diesen Zeitpunkt bekannt, sobald die Umstände es zulassen.“
Was gilt für Reservistinnen und Reservisten, wenn dieser Fall eintreten sollte?
Mit Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls gelten die entsprechend geregelten Pflichten nach dem Wehrpflichtgesetz.
Gilt das auch, wenn ein NATO- oder EU-Partner angegriffen wird?
Einen Automatismus durch einen Angriff auf Verbündete gibt es nicht. Aber: Auch ohne Spannungsfall oder Verteidigungsfall können Land und Verbündete verteidigt werden. Das Selbstverteidigungsrecht und das Recht der kollektiven Selbstverteidigung nach Völkerrecht gilt unabhängig von diesen Regelungen im Grundgesetz.
Wenn wir gebraucht werden, sind wir da
Auf emotionaler Ebene bewegt die russische Invasion sehr wohl die Reservistinnen und Reservisten im Land. In privater Initiative sammeln sie Spenden oder bieten Unterstützung an. „Die unfassbaren Bilder aus der Ukraine wecken das Verantwortungsgefühl vieler Reservistinnen und Reservisten“, sagt Verbandspräsident Oberst d.R. Patrick Sensburg. „Wir können der Bundeswehr und der Bevölkerung signalisieren: Wir sind da, wenn wir gebraucht werden. Und das wird sicherlich der Fall sein, nicht zuletzt im Rahmen einer zu erwartenden Flüchtlingswelle oder für Sicherungsaufgaben.“