loyal-Titelthema des Monats Februar 2016
Die Vernichtung einer Waffe
Am Anfang war ein schlecht ausgebildeter Soldat. Er lag auf dem Waldboden hinter einer Deckung, vielleicht kniete er auch, genau lässt sich das nicht mehr rekonstruieren. Sicher ist, dass er Logistiker aus Delmenhorst war und Teilnehmer der Übung "Blauer Merkur 2009". Seine Kameraden bauten eine Behelfsbrücke über die Havel, er sollte Deckungsfeuer geben. Davon hatte er offensichtlich aber überhaupt keine Ahnung. Denn innerhalb von 15 bis 20 Minuten verschoss er 300 Patronen Manövermunition, die noch höhere Temperaturen als Gefechtsmunition erzeugt. In der Dienstvorschrift steht, dass eine auf diese Weise benutzte Waffe kaputt geht. So geschah es: Der Handschutz schmolz, das flüssige Plastik entzündete sich an dem glühenden Rohr und brannte. "Waffe ausgefallen", meldete der Soldat seinem Vorgesetzten und stellte das Feuer ein. Das Gewehr war nicht mehr zu gebrauchen.
Das war vor gut sechs Jahren. An diesem Tag kam etwas ins Rollen, das am Ende, einer Lawine gleich, durch das Land, die Bundeswehr und die Medien tobte und gewaltigen Schaden hinterließ. Es war der Beginn einer Rufmordkampagne, die für Verwirrung in der Bevölkerung und Verwunderung in der Truppe sorgte. An deren Ende stand bei vielen die Frage, die eine Rentnerin den Autor dieses Artikels fragte: "G36 – ist das nicht das Gewehr, das um die Ecke schießt?"
Diese Rufmordkampagne richtete sich nicht gegen eine bestimmte Person, auch nicht gegen ein Unternehmen. Ihr Ziel war vielmehr ein international geschätztes und im Kampfeinsatz bewährtes Spitzenprodukt deutscher Waffentechnik, leicht und präzise wie kein Sturmgewehr vor und neben ihm. Sie richtete sich gegen das G36. Das Ungewöhnliche an dem Rufmord ist, dass keinem der Beteiligten pure Absicht zu unterstellen ist. Es war sogar so, dass jeder, ausgenommen vielleicht die maßgeblich daran beteiligten Medien, versucht hatte, den Todgeweihten auf seine Weise zu retten. Nur so ist es zu erklären, dass alle mitgemacht haben, nicht nur die Gegner deutscher Waffenfabriken, sondern das Bundesverteidigungsministerium samt untergeordneter Bereiche, die Beschaffungsbehörden und Versuchsstellen der Bundeswehr sowie der Hersteller selbst. Sie alle haben etwas geschafft, das wohl beispiellos in der Geschichte der Bundeswehr ist: Sie haben aus einem von den Soldaten wegen seiner Zuverlässigkeit hoch geschätzten Gewehr ein in der Öffentlichkeit verschrienes Pannen-, schlimmer noch: ein "Schrottgewehr" gemacht.
Wie es zu dem Rufmord kommen konnte, erzählt diese Geschichte. Sie steht einerseits für die beklagenswerte Verfassung der Bundeswehr. Auf der Basis Tausender Seiten als vertraulich eingestufter Berichte, Dokumente und Bundeswehr-internen Schriftverkehrs ergibt sich das Bild eines Apparats, der bis auf höchste Ebenen versagte, vertuschte und schönredete, unfähig, eigene Fehler anzuerkennen, und sich, statt aufzuklären, in Grabenkämpfe und Kompetenzgerangel verstrickte. Und andererseits war da auch noch der Hersteller. Heckler & Koch betrieb alles, nur eines nicht: professionelles Krisenmanagement.