Mannschaftssoldaten: Was wir uns vom Bund wünschen
Die Bundeswehr soll kleiner werden, effizienter, attraktiver. Das Ministerium will mit mehr Unterkünften, flexiblen Verpflichtungszeiten, umfassenden Berufsförderungsansprüchen und Prämien locken. Doch was sagen die Mannschafter, die derzeit ihren Dienst tun? Welche Wünsche haben sie und wo drückt der Schuh? Im Gefechtsübungszentrum Heer, nördlich von Magdeburg, wo die Soldaten für die Einsätze in Afghanistan und auf dem Balkan den letzten Schliff erhalten, hat Pascal Ziehm, Autor beim JS-Magazin, fünf von ihnen getroffen.
Böse Zungen behaupten: Nur schlecht ausgebildete Arbeitslose werden heute Mannschaftssoldaten. Arbeitslos war keiner von ihnen: Steffi Garbe ist Hauptgefreite, 24, und hat eine Konditorlehre abgeschlossen. Hauptgefreiter Sven Siedow, 21, ist gelernter Kaufmann im Einzelhandel. Stabsgefreiter Erik Schikora, 24, ist ausgebildeter Fahrzeuglackierer und Hauptgefreiter René Müller, 22, war Altenpfleger. Alle vier sind Zeitsoldaten, haben sich zwischen vier und acht Jahren verpflichtet. Hauptgefreiter Denny Werder, 20, hat das noch vor, will die Feldwebellaufbahn einschlagen. Davor hat er Abitur gemacht.
68 Prozent aller Mannschafter sind gerne Soldat
Steffi ist die einzige Frau in ihrer Kompanie. Sie steht auf Sport und Action, kriecht lieber durch den Schlamm, als in ihrem gelernten Beruf morgens um vier Uhr aufzustehen. Eigentlich wollte sie Feldwebel werden. Der Wehrdienstberater habe sie ermutigt, ihr vieles versprochen, ihr "Märchen erzählt", wie sie heute sagt. Zustimmendes Nicken in der Runde. Doch dann traut ihr der Psychologe eine Karriere als Unteroffizier nicht zu. Abgelehnt! Steffi hat die Wahl: Mannschaftslaufbahn oder gar nichts. Ähnlich ging es dem Hauptgefreiten Sven Siedow, bevor er sich als Zeitsoldat für vier Jahre verpflichtete: "Ich sei zu jung, solle erst einmal als Mannschafter Erfahrung sammeln." Sicherlich kein schlechter Gedanke. Das Problem ist nur, dass später oft die Planstellen fehlen, wenn Mannschaftsdienstgrade die Laufbahn wechseln wollen. Dann heißt es wieder: Abgelehnt! Oder der Wechsel führt in eine andere Truppengattung – das wiederum wollen viele nicht. Und so kehren motivierte junge Leute der Bundeswehr den Rücken. Das bestätigt auch eine interne Bundeswehrstudie: In der "Streitkräftebefragung 2009" des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr (SOWI) gibt gerade einmal jeder dritte Mannschaftssoldat an, in der Bundeswehr seine berufliche Heimat gefunden zu haben. Obwohl 68 Prozent der Mannschafter gern Soldat sind, würden 35 Prozent lieber einen anderen Beruf ergreifen. Nur jeder zweite kann sich mit den Zielen der Bundeswehr identifizieren.
"Wer denkt schon daran, was in vier Jahren ist?"
Auch der Stabsgefreite Erik Schikora denkt schon an seine Zeit nach dem Bund. Dann ist er 28. Das reicht gerade noch, um sich bei der Bundespolizei zu bewerben. Als Zeitsoldat hat Erik Anspruch auf den Berufsförderungsdienst (BFD). Knapp 3.000 Euro stehen ihm für die Vorbereitung seiner beruflichen Zukunft zur Verfügung, dazu 15 Monate für BFD-Maßnahmen während der Dienstzeit. Erik kennt viele Kameraden, die sich keine Gedanken machen wie es nach dem Bund weitergehen soll. Viele junge Soldaten wissen nicht, was ihnen an Übergangsgeldern und -hilfen zusteht. Ja, irgendwann, ganz am Anfang der Dienstzeit, gab es mal eine BFD-Broschüre. Doch wer denkt schon daran, was in vier Jahren ist?
"Es nerven die Kameraden, denen nichts recht ist, die ewigen Nörgler"
Worauf sie stolz sind? Schweigen. "Einen guten Job zu machen", sagt René schließlich. Und die Motivation? Dieses Mal kommt die Antwort prompt: "Ohne Eigenmotivation geht gar nichts!" Aber mit der Motivation sei es wirklich so eine Sache, sagt Steffi. "Wenn du zwei Wochen am Stück im Dienst warst, bist du froh, endlich wieder heimzukommen." Es nerven die Kameraden, denen nichts recht ist, die ewigen Nörgler. Oder die, die auf ihre Dienstzeit pochen, meinen, mit einem Pommes mehr auf der Schulter anderen Anweisungen geben zu können. Oder jene, denen alles egal ist, die nur das Geld sehen. Und dann noch die "Verpisser"“, die sich dauernd krankschreiben lassen.
Lieber eine geräumige Vier-Mann-Stube
An Freizeitmöglichkeiten fehlt es sowieso, es ist stinklangweilig. Kasernen haben etwas Blödes an sich: Sie liegen meistens weit außerhalb von Ortschaften, an Endhaltestellen, in der Pampa. Sich im Freizeitbüro ein Fahrrad oder ein Brettspiel ausleihen – nicht gerade das, wovon junge Leute träumen. Das Mannschaftsheim ist auch keine Alternative, auf Dauer einfach zu teuer. An kostenloses Internet will man gar nicht denken, ein Wunschtraum. Mit der "Stube 2000", dem neuen Wohnkonzept mit Zweibett-Zimmer, Dusche und Toilette, will man sich nicht anfreunden. Zu groß ist die Befürchtung, die Kameradschaft könne auf der Strecke bleiben. Dann doch lieber eine geräumige Vier-Mann-Stube. Toll wäre ein eigener Aufenthaltsraum im Kompaniegebäude. Hier gab es den auch mal, doch mittlerweile haben die Unteroffiziere ihn in Beschlag genommen, sich mit Bar, Beamer und Kühlschrank eingerichtet. Immerhin, im Sommer gibt es einen Grillplatz.
"Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps"
Und wie ist sonst das Verhältnis zu den Dienstgraden? Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, lautet die Devise. Zu vielen Dienstgraden haben sie ein gutes Verhältnis, auch wenn nach Dienstschluss die meisten unter ihresgleichen bleiben. "Das ist okay so", sagt Denny. "Wahrscheinlich würde die Hierarchie darunter leiden." Als Stabsgefreiter hat es Erik leichter. Berührungsängste hat er keine, geht auf die Feldwebel und Offiziere offen zu, spricht mit ihnen auch über private Dinge. Ihm bringen sie Respekt entgegen, nach zwei Auslandseinsätzen. Im Kosovo und in Afghanistan ist das Verhältnis ohnehin ein ganz anderes. "Wenn du weißt, dass es um dein Leben gehen kann, schweißt dich das zusammen", sagt Erik. "Das Verhältnis im Einsatz war super. Die Dienstgrade hatten uns sogar das ‚Du‘ angeboten." Auch seine Meinung war draußen, im Einsatz, mehr gefragt. "Wenn ich hier den Mund aufmache und meine Meinung sage, kommt nicht jeder damit klar." Nicht nur ihre Dienstzeit abreißen, sondern sich einbringen, das wollen auch die anderen und stoßen dabei nicht immer auf Gegenliebe. Selbstverständlich ist diese Haltung nicht. "Es gibt einige Kameraden, die empfinden es als ganz angenehm, am Ende der Befehlskette zu stehen, zu machen, was andere einem sagen", sagt Steffi.
Klare Ansprache, die sich an jeden einzelnen richtet
Ob es Lob dafür gibt, wenn sie den Mund aufmachen? Manche Dienstgrade halten es so: "Nicht angeschissen ist gelobt genug." Für die fünf halten sich Lob und Tadel die Waage. Sauer macht sie eher, wenn das Lob unglaubwürdig rüberkommt. "Manchmal hat man wirklich nichts zu tun während einer Übung", erzählt Sven. "Da fühlst du dich verarscht, wenn es am Ende heißt: ‚Hervorragend, was sie heute geleistet haben‘." Viel wichtiger wäre den Mannschaftssoldaten eine klare Ansprache, die sich an jeden einzelnen richtet: Offenbar machen sich nicht alle Dienstgrade die Mühe, in jedem von ihnen auch einen Kameraden zu sehen. Mannschafter scheinen eher als Masse gesehen zu werden, mit "man power", wie es beim Bund oft heißt.
Wie wird es nach der Reform mit der Bundeswehr weitergehen? Achselzucken. "Bei uns kommen keine Infos an", sagt Denny. Damit bestätigt er die Zahlen der SOWI-Umfrage, in der auch Fragen zur Transformation gestellt wurden: 65 Prozent der Mannschaftsdienstgrade hatten noch nie davon gehört, nur jeder vierte konnte etwas mit dem Begriff Transformation anfangen, ohne aber etwas Konkretes zu wissen.
"Fordert uns", sagen die Mannschaftsdienstgrade. Hier im Gefechtsübungszentrum haben wir keine "dummen Landser" getroffen, die draußen keinen Job gefunden haben. Die meisten von ihnen wollen mehr als das Ende der Befehlskette sein, in der "Scheiße von oben nach unten fällt", und mehr als "ihr Gehirn an der Wache abgeben". Sie wollen sich einbringen. "Wir sind ein Zahnrad, ohne das die Bundeswehr nicht funktioniert", sagen sie. Die Bundeswehr braucht künftig mehr Mannschaftssoldaten, insgesamt 47.250, davon 32.000 Zeitsoldaten und 15.000 durch den neuen Freiwilligendienst. Viele von ihnen schnuppern in die Bundeswehr. Nur wem es gefällt, der bleibt. Genau hier muss Attraktivität beginnen.
Hauptgefreiter Sven Siedow,
Stabsgefreiter Erik Schikora,
Hauptgefreiter Denny Werder,
Hauptgefreite Steffi Garbe und
Hauptgefreiter René Müller
Bild zwei:
Hauptgefreite Steffi Garbe ist
die einzige Frau in ihrer Kompanie.
Sie steht auf Sport und Action.
Bild drei:
Wehrpflichtige üben auf dem
Truppenübungsplatz in Frankenberg
(Foto: Bundeswehr / Bienert via flickr.com)
Bild unten:
Hauptgefreiter Sven Siedow wünscht
sich eine klare Ansprache, die sich
an jeden einzelnen richtet.
(Fotos (3): Julia Baier / JS-Magazin)