Die Augen der Soldatinnen und Soldaten sind auf den Ausbilder gerichtet. Er gibt kurze Befehle. Die Männer und Frauen legen die linke Hand auf ihre Brust, greifen mit der rechten Hand zur Pistole P8 und ziehen sie aus dem Holster. Die Soldaten spannen ihre Oberkörper an und halten die Pistole im Anschlag. Sie wiederholen die Abläufe. Auf den ersten Blick sieht die Schulung an der P8 wie bei einer gewöhnlichen Grundausbildungseinheit aus. Doch was dort auf dem Truppenübungsplatz Putlos geschieht, ist einzigartig. Die Männer und Frauen trainieren nur am Wochenende. Sie sind Teil eines Pilotprojekts der Marine.
Es handelt sich bei ihnen um Reservistinnen und Reservisten, die als Marineobjektschutzkräfte für die neu aufzustellenden Reserveeinsatzkompanien ausgebildet werden. Das Marinekommando plant, mindestens vier von diesen Einheiten neu aufzustellen. Ihre Aufgabe wird der Schutz von Marinestützpunkten sein. Als beispielgebend bezeichnet Korvettenkapitän Patrick Voß die Aufstellung neuer Reservekompanien für die Marine. Er ist im Auftrag der Einsatzflottille 1 für die Umsetzung des Pilotprojekts zuständig.
Nach seinen Angaben setzt die Marine damit einen Aspekt der Strategie der Reserve um. Das Stichwort lautet Landes- und Bündnisverteidigung. Vor diesem Hintergrund standen die Strategen und Planer im Marinekommando vor einfachen aber nicht ganz trivialen Fragen: Was passiert im Spannungs- oder Verteidigungsfall und wer schützt dann die Marinestützpunkte? Liegenschaften der Bundeswehr im Spannungs- oder Verteidigungsfall bewachen, sichern und schützen, ist eigentlich die Aufgabe der Heimatschutzkompanien der Landeskommandos. Aber diese verfügen nicht über die spezifischen Fähigkeiten, die in den neu aufzustellenden Reserveeinsatzkompanien der Marine ausgebildet werden sollen: Insbesondere der seeseitige Schutz von Bundeswehr-Liegenschaften.
Auch Patrouille und Escort mit dem Boot lernen
Diese neuen Einheiten übernehmen einerseits klassische Wach- und Sicherungsaufgaben. Sie können bei Bedarf, das heißt, bei einer Verschärfung der Gefährdungsstufe, herangezogen werden, um kritisch Infrastruktur wie Marinestützpunkte, Marinefunksendestellen oder Einrichtungen wie die Marineunterwasserortungsstelle auf der Insel Fehmarn von Land und von der Seeseite zu sichern und zu schützen. „Die Reservisten sollen klassische Aufgaben des Wachdienstes, aber auch Patrouille und Escort mit dem Boot lernen, erläutert Korvettenkapitän Voß. Dazu gehört, sowohl den verirrten Segler der seeseitigen Schutzzone zu verweisen, als auch potentielle Störer abzuwehren.“ Ziel des Pilotprojektes ist es, die notwendige Dienstposten-Struktur zu schaffen, Personal zu finden und es entsprechend auszubilden.
Küstenschutz ist Aufgabe der Polizei. Allerdings ist die Bundeswehr für den Schutz ihrer Liegenschaften selbst zuständig. Das gilt auch für die militärischen Schutzzonen in der Nähe des Truppenübungsplatzes Putlos und der Marinestützpunkte. Die Übergänge auf dem Wasser sind fließend. Daher spielt Zivil-Militärische Zusammenarbeit mit der Küstenwache, Bundes- und Länderpolizei eine wichtige Rolle beim Projekt, beispielsweise während der Übung Resolute Guard im Marinestützpunkt Kiel, auf die die Reservistinnen und Reservisten der neu aufzustellenden Marine-Reservekompanien nun hinarbeiten. Bei dieser Übung vom 31. August bis zum 2. September sollen die Reservisten einen Teil der Scheermole bewachen und sichern. Dabei können sie ihre Fähigkeiten in den Bereichen maritimer Objektschutz, auch unter Einsatz von Patrouillenbooten, Checkpoint-Betrieb, Personen- und Kfz-Kontrolle wie auch Schutz vor improvisierten Sprengfallen (IED-Awareness) anwenden. Zur landseitigen und seeseitigen Sicherung kommt noch die Komponente Sicherung gegen Bedrohungen aus der Luft hinzu. Das bedeutet, das Erkennen von kleinen Drohnen in verschiedenen Anflugszenarien und vor unterschiedlichen Hintergründen. Dazu arbeitet die Marine mit der Landespolizei Nordrhein-Westfalen zusammen, die den Reservisten eine Einweisung in Drohnenabwehr gibt.
Damit die Männer und Frauen für die neu aufzustellenden Reserveeinsatzkompanien auf den gewünschten Stand der Fähigkeiten kommen, trainieren sie nun an mehreren aufeinanderfolgenden Wochenenden die Grundlagen, wie den Umgang mit dem Gewehr G36 oder der Pistole P8. „Die Reservistinnen und Reservisten sind sehr motiviert, lernwillig und konzentriert“, bescheinigt ein Ausbilder aus dem Seebataillon. Von dort erfährt das Pilotprojekt große Unterstützung, ohne die die Aufstellung neuer Reserveeinheiten nicht möglich wäre. Eine Reservekompanie bräuchte eigene Boote, Ausrüstung, Infrastruktur, Lagerplätze für die Boote, Waffen und eine Waffenkammer. „Dafür ist das Pilotprojekt da, hier den Bedarf zu identifizieren“, sagt Patrick Voß. Die Dienstposten der Reserveeinsatzkompanie sollen bei den Stützpunktkommandos der Marine ausgebracht werden. Ziel ist es, dass diese Einheiten autark agieren und sich selber organisieren kann, um die aktive Truppe zu entlasten. Um das zu erreichen, sollen die Reservistinnen und Reservisten mit jeder Heranziehung stärker eingebunden werden, ob beim Planen von Übungen, bei Aufgaben im Geschäftszimmer oder in der Waffenkammer.
Auf der Wiese auf dem Truppenübungsplatz unterbricht der Ausbilder die Schulung an der Pistole P8. Kurze Pause, bevor es mit dem Gewehr G36 weitergeht. Die Männer und Frauen suchen Schatten unter einem Baum, nehmen einen Schluck aus der Trinkflasche. Kai Planz, gerade zum Stabsgefreiten d.R. befördert worden, schätzt die Kameradschaft untereinander. Er berichtet von seinem Einsatz während der Coronavirus-Pandemie. „In Dornstadt sind Soldaten aus verschiedenen Bereichen zusammengeschmissen worden und haben sofort eine Einheit gebildet“, berichtet Planz. Das sei nun bei der Reserveeinsatzkompanie der Marine ähnlich.
Vom Schiffchen bis zum Barett fast alles mit dabei
In der Tat, ein Blick auf die Kopfbedeckungen der Männer und Frauen zeigt: Vom Luftwaffen-Schiffchen bis zum grünen Barett der Panzergrenadiere ist fast alles vertreten. Einige ehemalige Marinesoldaten sind natürlich auch mit dabei. Einer von ihnen ist Oberbootsmann Rainer Marbach. Der ehemalige Schnellbootfahrer ist über den Reservistenverband wieder zur Bundeswehr gekommen. In der Reserveeinsatzkompanie lernt er nun die infanteristische Seite der Bundeswehr wieder mehr kennen. „Es macht Spaß. Jeder bringt seine Storys aus dem Heer, der Marine oder der Luftwaffe mit“, sagt Marbach. Das sieht Gerwin Schmidt ähnlich, der seine Grundausbildung beim Panzerbataillon 411 absolviert hat. Nach seinen 23 Monaten als Freiwillig Wehrdienstleistender habe er sich nicht mehr aktiv um das Thema Bundeswehr gekümmert. „Als ich das Schreiben bekommen habe, war es keine schwere Entscheidung. Ich habe es sofort ausgefüllt“, berichtet er.
Marine ging auf die Reservisten zu
Mit dem Schreiben meint er eine Aktion, die Korvettenkapitän Patrick Voß und seine Mitstreiter in der Einsatzflottille 1 umgesetzt haben. Im vergangenen Jahr baten sie die Karrierecenter der Bundeswehr, Daten über wehrrechtlich verfügbare Reservistinnen und Reservisten zukommen zu lassen. Das ideale Profil lautete: Geeignet für Wach- und Sicherungsaufgaben und im besten Fall mit einen Bootsführerschein ausgestattet. Anschließend schreiben Voß und sein Team mehr als 8.000 Reservisten an. Ungefähr die Hälfte der Briefe kam aufgrund veralteter Adressen zurück. 400 Leute meldeten Interesse an. 210 von ihnen kamen im September 2020 zu einer Informationsveranstaltung in den Marinestützpunkt Kiel – wir berichteten am 7. September. „Es war eine großartige Veranstaltung. Die Reservistinnen und Reservisten waren dankbar, dass wir auf sie zugekommen sind“, sagt Korvettenkapitän Voß. Von diesen Reservisten werden nun in einem ersten Durchgang 90 bis 100 Männer und Frauen für die neu aufzustellenden Reserveeinsatzkompanien ausgebildet.
Weitere Ausbildungsdurchgänge und die Indienststellung von weiteren Reserveeinsatzkompanien sind angedacht. Dafür benötigt die Marine auch in Zukunft weitere Reservistinnen und Reservisten für den maritimen Heimatschutz.