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Reserve in Spanien: Ein Anker in der Gesellschaft

Der spanische Militärattaché Oberst i.G. Ramón Farré Rebull spricht über die Bedeutung der Reserve für die spanischen Streitkräften und ihre Organisation.

Verteidigungs-, Heeres- und Marineattaché der Botschaft Königreich Spanien in Berlin, Oberst i.G. Ramón Farré Rebull.

(Foto: Dr. Victoria Eicker)

reservespanien

Im Jahr 2002 wurde im Königreich Spanien die Wehrpflicht komplett abgeschafft. Seither besteht die spanische Armee ausschließlich aus Berufssoldaten – und Reservisten. Die Bedeutung der Reserve ist gestiegen, denn sie ist ein wichtiger Anker der Streitkräfte in der Gesellschaft. „loyal“ sprach mit Verteidigungs-, Heeres- und Marineattaché der Botschaft Königreich Spanien in Berlin, Oberst i.G. Ramón Farré Rebull.

Herr Oberst Farré Rebull, wie ist die Reserve in Spanien strukturiert?

Zunächst einmal besagt unser Gesetz zur nationalen Verteidigung aus dem Jahr 2005 Folgendes: Wenn sich die Sicherheitslage derart verändert, dass es notwendig wird, mehr Militärpersonal einzustellen, dann muss dies an das Bedrohungsszenario sukzessive anpasst werden. Wir haben ja eine Berufsarmee mit rund 120.000 Soldatinnen und Soldaten. Nichtsdestotrotz müssen wir in einem Bedrohungsfall aufwuchsfähig sein. Wir haben ein weiteres Gesetz aus dem Jahr 2007, das die Laufbahnen von Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften regelt – hier wird auch die Reserve berücksichtigt. Die Reserve gab es in Spanien zwar irgendwie immer, aber es gab dazu keine Vorgaben. Jeder, der die Wehrpflicht durchlaufen hatte, gehörte dann einer Art allgemeinen Reserve an. Das ist seit es in Spanien eine reine Berufsarmee gibt anders; nun unterscheiden wir per Erlass aus dem Jahr 2011 drei verschiedene Arten von Reservisten: die „freiwillig dienenden Reservisten“, die „Reservisten der besonderen Einsatzbereitschaft“ und die „Pflichtreservisten“ – letzteres käme in Ihrem Vokabular einer Allgemeinen Reserve gleich.

Wie unterscheidet man diese?

Zunächst: Die Berührungspunkte zwischen Militär und Gesellschaft wurden nach Abschaffung der Wehrpflicht deutlich weniger. Und mit dem Wegfall der Wehrpflicht nahm auch die Zahl der Reservisten deutlich ab, denn es gab niemanden mehr, der eine gewisse Zeit dienen musste und eben entsprechende militärische Kenntnisse erlangt hatte. Die Regierung erkannte: Wir brauchen Reservisten – aber eben auf freiwilliger Basis! Die erste Kategorie, der freiwillig dienende Reservist, ist jemand, der einem normalen zivilen Beruf nachgeht, sich aber trotzdem in unseren Streitkräften engagieren möchte. Er steht den Streitkräften für einen Zeitraum von drei Jahren zur Verfügung und wird bei Bedarf herangezogen. Die zweite Kategorie, die Reservisten mit besonderer Einsatzbereitschaft, sind in der Regel ehemalige Mannschaftssoldaten, die nach dem Ausscheiden aus den Streitkräften dem Militär noch für eine gewisse Zeit für den Krisenfall zur Verfügung stehen. Bis zu fünf Jahre nach dem Ausscheiden aus den Streitkräften können sie vom Staat im Fall einer schweren Krise mobilisiert werden. Die letzte Kategorie, der „Pflichtreservist“, ist eine Art Allgemeine Reserve. Jede spanische Staatsbürgerin und jeder spanische Staatsbürger, der die Voraussetzungen für einen Dienst in den Streitkräften erfüllt, gehört zur Pflichtreserve. Um das kurz zu erklären: Wenn das Sicherheitsumfeld sich dramatisch verändert, werden zunächst alle freiwillig dienenden Reservisten eingezogen, dann die Reservisten mit spezieller Einsatzbereitschaft und ganz zuletzt – da sprechen wir aber schon davon, dass der Verteidigungsfall ausgerufen wurde – die Bürgerinnen und Bürger Spaniens. Die Entscheidungen trifft der Ministerrat. Den Verteidigungsfall ruft das Abgeordnetenhaus, also das Parlament, aus. Aber um das nochmal zu verdeutlichen: Der einzige, der in die Strukturen der Streitkräfte aktiv eingegliedert ist – im Sinne einer deutschen Beorderung -, ist der freiwillig dienende Reservist. Wird er herangezogen, dann stehen ihm alle Rechte zu wie aktiven Soldaten, sie werden gleich bezahlt, unterliegen aber auch denselben Pflichten.

Wie ist die Haltung der Gesellschaft zu den Streitkräften?

Wir haben wie in Deutschland auch das Problem, dass mit der Aussetzung der Wehrpflicht die Berührungspunkte zwischen Militär und Gesellschaft abnehmen. Deshalb ist die Reserve für uns heute natürlich von großer Bedeutung, denn sie ist schließlich ein wichtiger Multiplikator in der Gesellschaft. Die freiwillig dienenden Reservisten und die Reservisten besonderer Einsatzbereitschaft sind schließlich diejenige, die ihre Erfahrungen aus den Streitkräften in die Gesellschaft tragen.

Wie viele Reservisten gibt es?

Das Verteidigungsministerium ruft jährlich die Reservistenstellen im Amtsblatt aus, die der Ministerrat zuvor identifiziert hat. Dann wird entschieden, wie viele Kräfte jeder Teilstreitkraft zugeteilt werden. Das Heer ist die größte Teilstreitkraft, also bekommt es die meisten Reservistenstellen, gefolgt von Luftwaffe und Marine. Zudem gibt es in Spanien einen Organisationsbereich „cuerpos comunes de las Fuerzas Armadas Españolas“, den man „Korps für allgemeine Aufgaben“ nennen könnte. Dieses umfasst den Sanitätsdienst, Militärjustiz sowie die Vermittlungsdienste, die Rechnungsprüfung und Vertragswesen. Auch hier werden Reservisten eingesetzt. Im März werden die Stellen für Reservisten veröffentlicht, auf die man sich bewerben kann. 2017 sind das für das Heer 2.156 Stellen, für die Marine 795, für die Luftwaffe 595 und für das das Amt für allgemeine Dienste 469 – also insgesamt fast 4.000 Reservisten. Bei zirka 120.000 Berufssoldatinnen und -soldaten ist das eine ganze Menge. Die Zahl variiert jedes Jahr. Die Stellen für Reservisten sind mit einem zeitlichen Umfang von ein bis drei Monaten angesetzt. Von den beorderten Reservisten auf eine Stelle wird einer herangezogen, der dann in der Liste wieder nach hinten rutscht, damit alle eine Chance haben, zu einem Dienst herangezogen zu werden. Zwei bis drei Monaten sind ein idealer Zeitraum, damit beide Seiten von der Zusammenarbeit profitieren können. Ich selber habe die Zusammenarbeit mit Reservisten immer als sehr bereichernd empfunden.

Welche Aufgaben haben Reservisten?

Wir haben wie in Deutschland Reservisten auf Spiegeldienstposten – allerdings in einem geringeren Umfang. Reservisten dienen bei uns auch klassisch in der UME – das ist eine militärische Einheit „Unidad Militar de Emergencias“, die für Katastrophen- und Heimatschutz zuständig ist. Reservisten werden dort gern den Jahreszeiten entsprechend aufgestockt, beispielsweise im Sommer; denn sie werden zur Brandbekämpfung und Seerettung eingesetzt. Aber in der Regel gibt es bestimmte Dienstposten in den Einheiten, Bataillonen oder Regimentern, die mit Reservisten besetzt werden. Die meisten Reservisten sind Offiziere und Unteroffiziere.

Gibt es eine zentrale Stelle, die für Reservisten verantwortlich sind?

Die Reservisten werden in Spanien von den Personalämtern der Teilstreitkräfte betreut. Auf Ministerialebene gibt es eine Zentralstelle für Rekrutierung und militärische Ausbildung, welche die allgemeine Personalstruktur der Reserve bestimmt. Die Teilstreitkräfte verwalten dann aber eigenständig ihre Personallisten mit freiwillig dienenden Reservisten und ziehen diese bei Bedarf heran.

Haben Sie auch einen Reservistenverband wie in Deutschland?

Wir haben zwei größere Verbände für Reservisten: Die FORE – „Federación de Organización de Reservistas Españoles“ und die ARES – „Asociación de Reservistas Españoles“. Die Regierung ist sehr daran interessiert, Reservisten und ihre Verbände zu unterstützen. Denn sie sind zum einen ein Anker in der Gesellschaft, bleiben in Kontakt mit den Streitkräften und helfen dabei, sicherheitspolitisches Bewusstsein in der Bevölkerung zu stärken. Zum anderen vertreten sie die Interessen der Reservisten und helfen dabei immer, die Strukturen für Reservisten und ihre Anliegen zu verbessern. Ein wichtiges Ereignis für jeden Reservisten ist das öffentliche Gelöbnis vor der spanischen Fahne. Auch da sind die Verbände aktiv involviert.

Wie sieht es mit der Freistellung von Reservisten aus?

Für Freiberufler ist das relativ einfach. Viele von ihnen spielen mit ihrem Urlaub, um in dieser Zeit zu dienen. Für Angestellte ist das schwieriger. In der Regel sprechen sie sich mit ihren Arbeitgebern ab und kommen zu Kompromissen. Das Verteidigungsministerium sucht aber das Gespräch mit Arbeitgebern, auch mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, um diese Prozesse noch zu optimieren.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um Reservist zu werden?

Zunächst einmal muss man ein paar allgemeine Voraussetzungen erfüllen – etwa spanischer Staatsbürger sein, mindestens 18 Jahre und nicht älter als 58 Jahre alt sein, wenn man sich für einen Dienstposten als Offizier oder Unteroffizier interessiert, und 55 Jahre alt sein, wenn man sich für einen Dienstposten bei den Mannschaften interessiert. Man muss die körperlich und psychisch fit sein und ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Eine Überprüfung durch den militärischen Nachrichtendienstt, wie in Deutschland durch den MAD; haben wir so nicht. Bei uns ermittelt der CNI – „Centro Nacional de Intelegencia“ – nur im Verdachtsfall. Der CNI ist unser nationaler Nachrichtendienst und dem Verteidigungsministerium unterstellt. Zurück zu den Voraussetzungen: Wenn man Offizier werden möchte, braucht man einen Universitätsabschluss – mindestens einen Bachelor. Unteroffiziere brauchen das Abitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung. Für die Mannschaftssoldaten reicht die Hauptschule.

Und was passiert, wenn man die Voraussetzung erfüllt?

Dann bewerben sie sich und wenn sie ausgewählt wurden, beginnt die Ausbildung. Die Grundausbildung dauert einen Monat. Die darauf folgende militärische Ausbildung ist auf ihren Dienstposten abgestimmt und kann bis zu einem weiteren Monat dauern. Bereits nach der Grundausbildung wird man offiziell Reservist und gelobt vor der spanischen Fahne. Man verpflichtet sich in der Regel für drei Jahre. Diese drei Jahre kann man immer wieder erweitern – Offiziere und Unteroffiziere bis 58 und Mannschaftssoldaten bis 55 Jahre. Das liegt daran, dass Offiziere und Unteroffiziere mit 61 Jahren, Mannschaftssoldaten mit 58 Jahren in den Ruhestand gehen. Die Reservisten müssen innerhalb dieser drei Jahre ihre Kenntnisse unter Umständen auffrischen. Dazu haben wir einen virtuellen Hörsaal entwickelt und bitten die Reservisten sich dort selbstständig fort- und weiterzubilden. Soldatinnen und Soldaten auf Zeit, können nach ihrer aktiven Zeit, auch freiwillig dienender Reservist werden. Für sie entfallen die Ausbildungsmodule, sollte ihre Dienstzeit nicht mehr als fünf Jahre her sein. Bei jeder Verlängerung der Einsatzbereitschaft von drei Jahren muss man ein Gesundheitszeugnis vorlegen. Außerdem braucht man eine Empfehlung des Kommandeurs seiner Einheit. Ich habe das in meinen Einheiten oft gemacht. Die Reservisten waren für uns immer ein großer Gewinn. Besonders weil die Reservisten ein wichtiger Mittler aus und in die Gesellschaft sind.

Wird das Militär auch im Inneren eingesetzt – beispielsweise bei einer terroristischen Bedrohungslage?

Zunächst: Die Terrorismusbekämpfung liegt komplett in den Händen von der Polizei und der Polizeieinheit „Guardia Civil“. Als in Spanien die baskische Terrororganisation ETA noch aktiv war, gab es lediglich eine militärische Einheit – und zwar in den 70er und 80er Jahren -, die in den Pyrenäen gemeinsam mit der Guardia Civil die Grenze nach Frankreich bewacht hat. Nach dem verheerenden terroristischen Anschlag auf den Bahnhof Atocha in Madrid 2004 wurden auch militärische Einheiten zur Überwachung – insbesondere kritischer Infrastruktur – für einige Monate eingesetzt. In der Regel kümmern sich aber Polizei und Guardia Civil um die Innere Sicherheit. Wenn militärische Einheiten eingesetzt werden, dann immer unter deren Kommando. Die spanische Regierung hat derzeit fünf Terrorwarnstufen. Bei der höchsten Terrorwarnstufe kann sie das Militär für Sicherungsaufgaben sowie auch in bestimmten Bereichen zur Luftüberwachung einsetzen.

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