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Die Reserve

Mit dem Telefon am Ohr statt mit der Waffe in der Hand

Das Panzergrenadierbataillon 908 (na) ist seit mehr als einem halben Jahr in der Amtshilfe im mecklenburg-vorpommerschen Pasewalk gebunden. Wie läuft der Einsatz ab? Welche gravierenden Veränderungen bringt dieser für ein aus Reservisten bestehendes Bataillon mit sich? Ein Fazit.

Die Arbeit der Schichtleiter ist besonders verantwortungsvoll – sie koordinieren zwischen Gesundheitsamt und dem Amtshilfe-Team, legen Quarantänedauer und Abstrich-Termine fest.

Foto: Marco Linke

amtshilfecoronaviruscovid-19

Die ehemalige Kürassier-Kaserne in Pasewalk, Landkreis Vorpommern-Greifswald. Einst Heimat des preußischen Kavallerieverbands „Kürassier Regiment Königin (Pommersches) Nr. 2“ – ein Haupthaus, Wache, Stabsgebäude, das „Historische U“. Heute befindet sich hier unter anderem das Gesundheitsamt Pasewalk. Neben Greifswald selbst ist dort der logistische Schwerpunkt zur Bekämpfung der Corona-Pandemie des Landkreises stationiert – ein Abstrich-Zentrum, die Kontaktnachverfolgung, fußläufig das Impfzentrum. Keine zehn Kilometer entfernt, liegt die heutige Kürassier-Kaserne. Heimat des Panzergrenadierbataillons 411 der Bundeswehr, das in enger Traditionsfolge zu den Kavalleristen von einst steht. Zu seinem Patenverband zählt das Panzergrenadierbataillon 908 – ein nicht-aktiver Ergänzungstruppenteil.

Normalerweise besteht dessen Aufgabe aus der Ausbildung und der Kampfkrafterhaltung von Reservistinnen und Reservisten. Hierzu plant die Bataillonsführung mehrere Reservedienstleistungen pro Jahr. Die Ausbildungsvorhaben beschränken sich im Allgemeinen auf verschiedene Wochenenden und eine zweiwöchige Übung in der zweiten Jahreshälfte. Doch auf Grund der weltweit grassierenden Covid-19-Pandemie erlebt das Bataillon derzeit eine völlig neue Situation: Seit mehr als sechs Monaten befindet sich 908 im Einsatz. Dies bringt im Großen und Ganzen einen Dienstalltag, wie in aktiven Truppenteilen mit sich, unterscheidet sich von diesem in einigen Punkten jedoch gravierend.

Überwältigende Hilfsbereitschaft

Begonnen hat alles im März 2020, als das Coronavirus in Europa in Erscheinung tritt. Umgehend stellt die Bataillonsführung der 908er ernsthafte Überlegungen an, wie man sich als „helfende Hände“, beruhend auf dem Kern des Soldatentums – Menschen zu helfen – in die zunächst unübersichtliche Situation einbringen kann. Auf eine Anfrage der übergeordneten Panzergrenadierbrigade 41 ist es dem Bataillonsführer Oberstleutnant Torsten Held möglich, drei Züge, knapp 100 Reservisten, für einen sofortigen Einsatz bei etwaigen Hilfeleistungen zu melden. Eine enorme Zahl, führt man sich vor Augen, dass diese Männer und Frauen eigentlich ein ziviles Leben führen und durch Familie und Beruf oft gebunden sind. Die Hilfsbereitschaft seiner Soldaten ist für Held überwältigend. Der endgültige Befehl zur Heranziehung bleibt jedoch aus.

Mit dem Abebben der ersten Corona-Welle über die Sommermonate 2020 und der somit fehlenden Notwendigkeit geht das Panzergrenadierbataillon 908 schließlich wieder zum Tagesgeschäft über, führt im Juli und September seine geplanten Übungen durch. Die Stärkemeldung, wie auch der sehr enge Kontakt zur Brigade bleiben jedoch bestehen. 908 wird bei der aktiven Truppe sichtbar. Der Planungsstab 908 in der Kürassier-Kaserne/Viereck ist ab jetzt dauerhaft besetzt.

Leutnant Ermold aus Hannover hilft, weil “Wir.Dienen.Deutschland.” nicht nur ein Slogan für ihn ist. (Foto: Marco Linke)

Mit der im Herbst anbrandenden zweiten Welle der Pandemie ändert sich die Situation grundlegend. Wieder fragt die Brigade 41 beim Bataillon an: Besteht die Möglichkeit der Unterstützung zur Entlastung der aktiven Truppe? Hier geht es vor allem um die Grenadiere von 411, die in der Amtshilfe gebunden sind, gleichzeitig aber in „Vorbereitung eFP“ stehen. 908 ist zur Stelle, schafft Fakten: Es geht los! Die die Reservisten auszeichnende Erfahrung schnell, spontan und ideenreich auf neue Situationen reagieren zu können, sowie die bereits im März getroffenen Vorbereitungen für den Ernstfall, zahlen sich nun aus. Das Kaderpersonal leistet viel, macht Unmögliches möglich. Die Heranziehungsbescheide gehen raus. Ein Prozedere, das normalerweise zwei Wochen dauert, wird innerhalb weniger Tage geleistet. Die guten Verbindungen des Bataillons werden deutlich. Am 16. November 2020 stehen schließlich 20 Soldaten vor einem Block in der Greifenkaserne in Torgelow/Drögeheide.

Weite Wege, um Solidarität zu leben

Sie kommen aus der ganzen Republik: Aus dem Allgäu, aus Nord- und Westdeutschland, aus Sachsen, Thüringen und dem Landkreis Vorpommern-Greifswald selbst. Einige sind über 800 Kilometer weit angereist. Ihre Beweggründe ähneln sich: Sie sehen sich verpflichtet, in der Krise zu helfen. Sie wollen ihren Beitrag leisten, Solidarität vorleben. „Auch als Reservist fühle ich mich immer noch an meinen Eid gebunden! Und der schließt Hilfe für andere mit ein“, stellt Oberfeldwebel Sven Heuel aus dem Sauerland klar. Für manchen der Soldaten, der aufgrund der Pandemie seinen Job verloren hat oder diesen gerade nicht ausüben kann, bietet auch die ansprechende Vergütung einen großen Anreiz. Die Männer werden finanziell aufgefangen, wollen dieses Privileg zurückzahlen. Die Motivation stimmt, der Einsatz beginnt.

Hauptgefreiter Manuel Klemin aus Gelsenkirchen möchte mit seinem Einsatz helfen die Krise zu bewältigen. (Foto: Marco Linke)

An fünf Tagen in der Woche geht es von nun an zur Amtshilfe in die ehemalige Kürassier-Kaserne nach Pasewalk. Genauer gesagt: Zur telefonischen Kontaktnachverfolgung des hiesigen Gesundheitsamtes. Hier übernehmen die 908er eine von zwei täglichen Schichten, lösen damit ein Amtshilfe-Team von 411 ab, die sich so wieder ihrem Kernauftrag widmen können.

Doch aller Anfang ist schwer. Die Kontaktnachverfolgung ist ein komplexer Vorgang. Das Arbeiten mit der E-Health-Software „Sormas“, die zum Management für Maßnahmen zur Epidemiebekämpfung entwickelt worden ist, muss erst erlernt werden. Weitere Abläufe und vor allem der Umgang mit den Menschen, die die Männer anrufen ebenso. „Die Art des Einsatzes ist eine andere, als die für die wir üben. Jetzt geht es weniger um soldatische, als um menschliche Fähigkeiten, die unsere Männer erbringen müssen. Nicht mit der Waffe in der Hand, sondern mit dem Telefon am Ohr“, weiß Oberstleutnant Held.

Infektionsketten können unterbrochen werden

Die Soldaten sitzen im sogenannten „Kreissaal“, der vor der Pandemie für Pressekonferenzen genutzt wurde. Jeder hat einen Computer und ein Telefon an seinem Platz. Auch hier läuft alles nach den AHA-L-Regeln: Alle tragen medizinische OP- oder FFP2-Masken. Zu Beginn einer jeden Schicht wird dem Schichtleiter von Amtsseite ein positiver Fall vorgelegt: Ein mit dem Corona-Virus infizierter Mensch und dessen persönliche Kontakte der letzten Tage. Je nach Enge des Kontakts werden diese Personen in Kategorien eingeteilt. Die Soldaten erhalten deren Telefonnummern, fragen im anschließenden Gespräch Symptome und Vorerkrankungen ab, sprechen Quarantänen aus oder ordnen einen Corona-Test an. „Hier sieht man deutlich, dass die Infektionsketten unterbrochen werden können“, sagt Stabsfeldwebel Höpgens. Und Oberstabsgefreiter Rene Hoffmann fügt hinzu: „Wer einmal für einen Tag hier am Telefon gesessen hat, dessen Meinung und Bewertung der Lage ändern sich nachhaltig!“

Die Reaktionen der Betroffenen sind überwiegend positiv. Die Männer können ihnen manchmal die Angst und oft die Ungewissheit nehmen. Empathie ist dabei stets gefordert. Das Team der 908er erhält meistens die großen Fälle mit vielen Kontaktpersonen: Schulen, Kindergärten, Pflegeeinrichtungen. In Spitzenzeiten führen die Soldaten bis zu 150 Telefonate pro Tag. Die Reservisten leisten hier einen großen Beitrag. Ihre Lebenserfahrung, die eigene familiäre Situation, der damit verbundene Sinn für den Auftrag – all das fließt in ihren Dienst mit ein.

Gemeinsam zeigen sie Verantwortung

Manche bringen das nötige Know-How in computer-, andere das in verwaltungstechnischen Angelegenheiten aus ihrem zivilen Berufen mit. Zwei von ihnen entwerfen sogar einen Leitfaden, der die allgemeine Schulungsunterlage des gesamten Aufgabenbereichs wird. Als die Versorgung einmal nicht sichergestellt ist, springt kurzerhand der unter ihnen befindliche Koch ein. Jeder leistet seinen Beitrag. Gemeinsam zeigen sie Verantwortung! All das ist Garant dafür, dass die Abläufe professionalisiert und die Qualitätsmarke der 908er immer höher gelegt werden kann. Der Amtshilfe-Antrag von Seiten des Gesundheitsamtes wird stetig verlängert.

Die Reservisten bringen verschiedene Qualifikationen aus ihren zivilen Berufen mit – vom ITler bis zum Koch, vom Verwaltungsangestellten bis zum Manager. Davon profitiert der gesamte Auftrag. (Foto: Marco Linke)

Aus Herbst wird Winter, aus Winter Frühling. Ein so langer Einsatz bringt zwangsläufig einen gewöhnlichen Dienstalltag mit sich, wie er in aktiven Truppenteilen zwar normal, für 908 in dieser Form aber ganz neu ist: Ein stets besetztes Geschäftszimmer und permanente Stabsarbeit, persönliche Befindlichkeiten, Krankmeldungen, Fehlverhalten einzelner, Urlaubsplanung, Stundenabbau, Lob, Tadel, Beförderungen. Doch die Strukturen der 908er werden auch hier professioneller, der Kontakt von oben nach unten nun deutlich enger. Der rege Austausch mit dem Panzergrenadierbataillon 411 und der Brigade bleibt fester Bestandteil. Man hilft und unterstützt sich gegenseitig. „Wir sind ein Teil der großen Maschine geworden. Und wenn mal ein Zahnrad ausgetauscht werden muss, wirft uns das nicht mehr aus der Bahn“, sagt Hauptmann Paul Günther, Kompanie-Chef der 3./908, der für das Bataillon schon etliche Monate in der Greifenkaserne im Dienst ist.

Belastung zeigt Grenzen des Systems auf

Anfangs führt der Bataillonsführer das Amtshilfe-Team selbst vor Ort. Dann übernimmt Hauptmann Günther. Doch Torsten Held stellt klar: „Natürlich fühlt man sich verantwortlich für seine Soldaten! Auch wenn man aufgrund der zivilen Verpflichtungen nicht immer physisch anwesend sein kann. Doch man arbeitet unermüdlich für diese Männer, ist im Hintergrund sehr präsent. In Gedanken ist man immer bei seinen Soldaten.“ Die zeitliche Belastung für den Oberstleutnant ist groß und zeigt die Grenzen des Systems auf. Zusätzlich zu seinem Beruf ist Held jetzt mindestens einmal pro Woche in Sachen Bundeswehr unterwegs, führt zudem zahllose Gespräche in seiner Freizeit.

Zu Beginn des Einsatzes war es für Führung und Kaderpersonal eine große Herausforderung möglichst viele Reservisten in kurzer Zeit heranzuziehen. Nun besteht die Herausforderung darin diese im Dienst zu halten, um die personelle Soll-Stärke zu gewährleisten. Zwar gibt es einen festen Stamm, doch um diesen herum viel Fluktuation. Manch einer kehrt in seinen zivilen Beruf zurück. Ein anderer muss aufgrund privater Umstände die Reservedienstleistung abbrechen. Motivierten und kompetenten Ersatz für diesen besonderen Auftrag zu finden, ist mitunter schwierig. „Und auch die permanenten Verlängerungen, die Heranziehungen zu unterschiedlichen Paragraphen des Soldatengesetzes, Ein- und Ausschleusung, die wehrmedizinischen Untersuchungen – all das bereitet uns viel Arbeit“, sagt Hauptfeldwebel Eric Seegert vom Kaderpersonal des Panzergrenadierbataillons 908. Doch er und sein Team sind die spontan auftretenden Arbeitsspitzen aus jahrelanger Erfahrung gewohnt.

Einsatz zehrt RDL-Tage auf

Schließlich tritt ein grundlegendes Problem auf: Der andauernde Einsatz braucht die Wehrübungstage des Bataillons auf, also die Anzahl der zur Verfügung stehenden Tage, an denen 908 in einem Jahr üben darf. Wobei ein Tag einem Übungstag eines einzelnen Reservisten entspricht. 15 bis 20 Soldatinnen und Soldaten in der Amtshilfe verbrauchen in einem Monat so viele Tage, wie 70 während einer gesamten Reservedienstleistung. Zwar gibt es die Zusage, dass die Einsatztage nicht von den Übungstagen abgezogen werden sollen, doch bleibt diese lange undefiniert. Es herrscht Ungewissheit. Schließlich weist Torsten Held ausdrücklich darauf hin, dass eine weitere Dezimierung die Ausbildungsvorhaben dieses Jahres, und somit einen Teil des Kernauftrags des Panzergrenadierbataillons 908, stark gefährdet. Folglich auch irgendwann der Corona-Einsatz selbst gefährdet ist. Dann werden endlich langersehnte Entscheidungen getroffen. Der Amtshilfe-Auftrag bleibt bestehen. Die geplanten Reservedienstleistungen des Bataillons sind gesichert. Große Erleichterung.

Oberstabsgefreiter Martin Schneider aus Plauen ist vor Ort, weil es für ihn richtig und wichtig ist zu helfen. (Foto: Marco Linke)

Bald ist Sommer. Die Soldaten des Panzergrenadierbataillon 908 (na) stehen immer noch im Kampf gegen Corona. Immer noch ist ihr Einsatz in der Amtshilfe unumgänglich. Immer noch ist Covid-19 nicht besiegt. Ihr über die vergangenen Monate erworbenes Fachwissen bleibt im Gesundheitsamt in der ehemaligen Kürassierkaserne in Pasewalk unverzichtbar. „Es gibt meines Wissens deutschlandweit keinen anderen Ergänzungstruppenteil, der so engagiert, mit so viel Personal und über so lange Zeit in der Hilfeleistung eingesetzt ist, wie 908“, sagt Oberstleutnant Held.

Welche Schlüsse zieht die Bataillonsführung?

„Wir leisten tagtäglich tatkräftig unseren Beitrag, um der Pandemie Herr zu werden. Wir helfen und unterstützen die Bevölkerung dabei seit Monaten in direktem Kontakt“, sagt Hauptmann Günther und ergänzt selbstbewusst: „Und wir haben den Wert der Reserve unter Beweis gestellt! Wir haben gezeigt, dass das Panzergrenadierbataillon 908 die fachliche Kompetenz hat, auch das „scharfe Ende“ zu meistern. Als wir gebraucht wurden, konnten wir liefern!“ Sein Bataillonsführer resümiert: „Aktive Verbände haben ihr Bewusstsein für die Reserve geschärft: Reserve fordert nicht nur, Reserve gibt auch zurück!“ Außerdem stellt Torsten Held klar: „Egal welche zivile Qualifikation man hat: Wenn militärische Strukturen eingehalten werden, bleibt eine Gruppe reaktionsfähig. Soldatische Tugenden, soldatische Pflichten erleichtern es, eine Krise zu bewältigen“, und fügt mit einem zufriedenen Lächeln hinzu: „Auf diese Leistung meiner Soldatinnen und Soldaten bin ich mehr als stolz!“

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