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MSC-Talk: „China ist ein direkter Sicherheitsfaktor“

Welche Herausforderungen halten China und der Indopazifik-Raum für Deutschland und seine Verbündeten bereit? Das war die zentrale Frage beim „Side-Event“ des Reservistenverbandes unter dem Dach der Münchner Sicherheitskonferenz. Denn im Schatten der Taiwan-Spannungen vergrößert China seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss - nicht nur in der Region.

Vizepräsident Joachim Sanden, Tobias Ellwood, May-Britt Stumbaum, Patrick Sensburg, Mikko Huotari und Reinhard Bütikofer (v.l.n.r.).

Foto: MSC

chinamsc2024

Moderator Prof. Dr. Patrick Sensburg sprach dazu mit der Dozentin für Security Studies, Prof. Dr. May-Britt Stumbaum, mit dem Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer, mit dem britischen Parlamentsabgeordneten und Reserveoffizier Tobias Ellwood und mit dem Direktor des Mercator-Instituts für China-Studien, Dr. Mikko Huotari.

Während ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan die Schlagzeilen dominiert, treibt das Land seine „One Belt, One Road“-Initiative weiter voran – oft unter dem Radar des Westens. Als Beispiel nannte der britische Parlamentsabgeordnete und Oberstleutnant d.R. Tobias Ellwood das chinesische Vorgehen in Kenia. China habe das ostafrikanische Land mit einem Eisenbahnprojekt in die Schuldenfalle getrieben. Chinesische Arbeiter wären mit einem One-Way-Ticket nach Kenia gekommen und bleiben nach getaner Arbeit dort, so verändere sich auch das demografische Bild des Landes – das alles weitgehend unbemerkt vom Westen. „Das Thema Taiwan zieht so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass wir für die anderen Themen blind sind“, mahnte Ellwood.

„Handel ist Achillesferse“

Er sieht die Welt am Beginn eines „chinesischen Jahrhunderts“ – wirtschaftlich, technologisch, aber auch militärisch. „Zu einem gewissen Grad treten wir in einen neuen Kalten Krieg ein aufgrund des Wettbewerbs mit den USA“, meint er. Als Chinas Achillesferse in diesem systemischen Wettbewerb macht Ellwood den Handel aus. Dieser sei vonnöten, um die immer weiter wachsende Mittelschicht im Land zu erhalten. „Meine Lösung wäre, dass wir sie einladen, unserem Club von Wohlstand und Prosperität beizutreten – aber unter Achtung unserer Werte und Standards!“

Die Sorge, die ihn umtreibt, ist, „dass wir China einfach nicht verstehen – auch in den Parlamenten nicht. Viele wissen vielleicht, dass Hongkong mal britisch war. Aber kaum jemand weiß, wie es dazu gekommen ist. China hat ein Jahrhundert der Demütigung hinter sich“, sagte er mit Verweis auf den Ersten Opiumkrieg 1839-1842. „Bei uns mag das nicht mehr präsent sein, aber die Chinesen haben das nicht vergessen.“ Nun spiele die Zeit für China. „Wir denken in Wahlzyklen, von Legislatur zu Legislatur. Doch China hat Zeit…“

„Kein neues China, aber…“

Die Ignoranz des Westens thematisierte auch Prof. Dr. May-Britt Stumbaum, Dozentin am George C. Marshall Center für europäische Sicherheitsstudien in Garmisch-Patenkirchen und an der Bundeswehr-Uni in München. „Wir waren in den vergangenen Jahren so sehr mit den Krisen und Konflikten – inzwischen sogar mit Kriegen – in unserer Nachbarschaft beschäftigt, dass wir China aus den Augen verloren haben.“ Nach einer Zeit des rasanten Wachstums sei China nun in eine neue Phase eingetreten: Zentralisierung und Vertiefung der Macht durch die Kommunistische Partei. „Wir sehen kein neues China, aber eine andere Form in der Kontrolle.“

Sie griff eine von Ellwood erzählte Anekdote auf, dass US-amerikanische Kongressabgeordnete Karten von Taiwan in ihren Büros hängen hätten: „Zwischen Taiwan und Festland-China liegen 130 Kilometer, das Wasser ist gerade einmal 70 Meter tief. Nach Taiwan liegt der offene Pazifik“, schilderte sie die strategische Bedeutung der Insel. „Wenn sie Taiwan haben, können sie mit dem U-Boot unbemerkt bis San Francisco fahren und erst dort wieder auftauchen, das wäre ein zweites Pearl Harbor.“ Dass sich China militärisch in einer anderen Weltregion engagiert als im Indopazifik, fürchtet sie derzeit nicht, die chinesische Armee sei nicht kampferprobt.

„Waren selbstgefällig und arrogant“

Am Aufstieg Chinas sei der Westen teilweise auch selbst schuld, „weil wir selbstgefällig und arrogant waren“, sagte Reinhard Bütikofer MdEP. Aber: „Wir sollten China nicht größer machen, als es ist. Mit ihrer Propaganda wollen sie den Westen überzeugen, dass ihr Aufstieg unaufhaltsam ist, dass äußert sich dann in Sprichwörtern wie ‚Der Ostwind ist stärker als der Westwind‘. Aber wir sollten auch nicht ehrfurchtsvoll dasitzen wie das Kaninchen vor der Schlange.“ Das EU-Parlament habe über alle großen fünf demokratischen Fraktionen hinweg eine gemeinsame Sprache gefunden im Umgang mit China.

Eine große Herausforderung sieht Bütikofer im wirtschaftlichen Bereich. China verfolge hier keine Strategie der langfristigen Partnerschaft, sondern setze die Wirtschaft als Werkzeug für politische Ziele ein. Hier gelte es, gegenzusteuern in der Form, dass man sich unabhängiger macht. Ein Beispiel: Seltene Erden, die zur Produktion von Katalysatoren oder Batterien benötigt werden – ohne sie gäbe es keine Smartphones, keine Touchscreens. „Fast jeder verkauft an China, die es dann weiterverarbeiten. Warum treten wir nicht beispielsweise an Namibia heran und helfen ihnen eine verarbeitende Industrie aufzubauen? So würde Namibia einen technologischen Vorsprung erhalten und wir hätten Zugang zu einer Quelle, die nicht von China kontrolliert wird.“ Ein weiteres Beispiel kommt aus dem pharmazeutischen Bereich. In Europa werde keinerlei Penicillin hergestellt. „Das ist vielleicht nicht die klügste Idee.“

„Region ist unsere Zukunft“

„Es sollte allen in Europa klar sein, dass diese Region in vielerlei Hinsicht unsere Zukunft ist“, sagte Dr. Mikko Huotari, Direktor des Mercator-Instituts für China-Studien. Zwei Milliarden Euro tägliches Handelsvolumen zwischen der EU und China, ein Schwerpunkt des weltweiten Handels und Wachstums mit zahlreichen internationalen Handelsrouten, eine der bevölkerungsreichsten Regionen der Welt, dazu noch der Einfluss auf die internationale Ordnung mit Blick auf einen drohenden Taiwan-Konflikt: „Als Europäer sollten wir genau hinschauen, was dort passiert. Es wurde lange Zeit unterschätzt, dass China ein direkter Sicherheitsfaktor ist.“

Innenpolitisch sei China gerade dabei, sich neu aufzustellen. „Das Land wächst nicht mehr so schnell, die Immobilienkrise habe Unsicherheit geschürt. Junge Menschen wollen wieder mehr in staatlichen Institutionen arbeiten als in der Wirtschaft, das ist kein gutes Zeichen“, sagte Huotari. International gehe es dem Land aktuell darum, seine Beziehungen zu den USA und zu Europa zu konsolidieren.

Fazit

Während sich die (westliche) Welt auf Putin und den Ukraine-Krieg fokussiert, treibt China seine „One Belt, One Road“-Initiative nahezu geräuschlos voran. Im Schatten eines möglichen Taiwan-Konflikts nutzt China seine Wirtschaft als politisches Werkzeug, zugleich ist es um eine Stabilisierung der inneren Lage bemüht.

Die komplette Aufzeichnung der Veranstaltung steht auf Youtube zur Verfügung.

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