„Nach meiner Kenntnis…ist das sofort, unverzüglich“
Noch am 7. Oktober 1989 hatten wir unser fünfundzwanzigjähriges Bestehen in der Lent-Kaserne in Rotenburg an der Wümme gefeiert – auf Einladung des Kommandeurs des damaligen Fernmeldeaufklärungsbataillon 120 in Uniform, denn in Berlin galt striktes Uniformverbot. Als wir das Glas zu einem Toast mit dem Wunsch nach Wiedervereinigung erhoben, ahnte keiner, dass dieser schon so bald in Erfüllung gehen sollte.
Berliner Reservisten: ignoriert und lästig
Wir, das war die damalige Reservistenkameradschaft Berlin, deren Vorsitzender ich seit 1987 war. Die RK führte zwar ein reges Vereinsleben und hielt viele Kontakte zu Kameradschaften "im Westen", aber bewegte sich dennoch in einem rechtlich ungesicherten Bereich. Von den Westalliierten wurde sie durch offizielles Ignorieren geduldet, im Verband war sie zunehmend lästig. Erst Anfang 1989 war es uns gelungen, die Anerkennung von Wehrübungen als "Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten" vom Innensenator zu erreichen und damit die Zuerkennung von Sonderurlaub bei Wehrübungen. Bis dahin mussten Berliner zu Wehrübungen unbezahlten Urlaub nehmen.
Autoströme in Richtung Westen
Am 11. November 1989 sollte die Landesdelegiertenversammlung Niedersachsen in Hannover in der damaligen Offizierschule des Heeres (OSH) tagen. Als einziger (West-)Berliner Delegierter fuhr ich, voll der Eindrücke des Tages, am Abend des 10. November über Dreilinden Richtung Helmstedt los. Hinter mir ließ ich den mit Menschen und Trabis überfüllten Kurfürstendamm mit einer durchdringenden „Zweitakter-Dunstglocke“ (ich wohnte damals dort), die Menschenmassen im 17.Obergeschoss mit Panoramablick über meiner Arbeitsstelle im "Ku'-Damm-Karree", die ölsardinenbüchsengleichen Busse und U-Bahnen
Triumphaler Empfang am westlichen Kontrollpunkt bei Helmstedt
Zunächst beobachtete ich auf der Transit-Autobahn einen starken Gegenverkehr in Richtung Berlin, aber bei Magdeburg kehrten sich die Ströme um und unzählige Autos fuhren auf die Autobahn in Richtung Westen. Bei Börde war dann die Fahrt vorläufig im Rückstau zu Ende. Siebeneinhalb Stunden dauerte danach das schubweise Vorrücken bis zur Grenzkontrollstelle Marienborn. Ich erlebte das Tohuwabohu dort, das mühselige Ausfädeln zurück auf die Autobahn und den triumphalen Empfang am westlichen Kontrollpunkt bei Helmstedt.
Keine Resolution zur Reisefreiheit
Voller Euphorie überlegte ich mir auf der Weiterfahrt einen Resolutionsantrag für die Landesdelegierten, bis ich früh am Morgen in der OSH Hannover eintraf und noch Schwierigkeiten hatte, zu dieser Uhrzeit mein reserviertes Bett übergeben zu bekommen. Zu Beginn der Tagung notierte ich: "Die Landesdelegiertenversammlung des Reservistenverbandes Niedersachsen begrüßt die neue unbeschränkte Reisefreiheit und gibt ihrer Hoffnung Ausdruck, dass dies der erste Schritt auf dem Wege zu freien Wahlen und zur Deutschen Einheit sein wird." Dieser spontane Antrag wurde zunächst von der Sitzungsleitung ignoriert und nach der Vorstandswahl auf mein – viel zu sanftes – Anmahnen von ihr und dem neugewählten Landesvorsitzenden als "unrealistisch" und "verfrüht" beiseite gewischt. Mit der Begründung "man müsse erst die weitere Entwicklung abwarten" kam er nicht zur Abstimmung.
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Bild oben:
Die historische Pressekonferenz des Politbüros
der SED am Abend des 9. November 1989.
(Foto: Bundesarchiv, Bild_183-1989-1109-030)