In einem Meinungsbeitrag hat sich Julius Braun mit der Frage auseinandergesetzt, wie die Bundeswehr effizienter werden kann – hier nachlesen (PDF). Unter anderem schreibt er: „Die Bundeswehr in ihrer aktuellen Situation braucht Reformer vom Schlag eines Scharnhorsts oder Gneisenaus, welche die festgefahrenen Strukturen aufbrechen und den realpolitischen Anforderungen der Gegenwart anpassen.“ Im Gespräch mit der Redaktion erläutert der Autor seine Gedanken.
1. Der Artikel beginnt mit der Rückblende auf die Reformschritte der preußischen Armee nach der Niederlage 1806 bei Jena und Auerstedt. Welche Beispiele der Reformen dieser Zeit wären heute wieder aktuell?
Eine Orientierung an der Geschichte muss immer mit Vorsicht gesehen werden, sie verleitet oft zu voreiligen Schlüssen. Meistens sind die Rahmenbedingungen zu verschieden, als dass man konkrete Handlungsempfehlungen für unsere Zeit ableiten könnte. Jedem ist auch klar, dass die Bundeswehr als Armee nicht mit den altpreußischen Streitkräften vergleichbar ist. Was beide jedoch gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass ihre Führung es nicht schaffte, einen sich abzeichnenden, auf dem Trend der Zeit beruhenden Paradigmenwechsel rechtzeitig in die militärischen Strukturen zu implementieren. Erst seit 2014 wurde die Notwendigkeit einer stärkeren Fokussierung auf die Bündnis- und Landesverteidigung zunehmend erkannt. Beherzte Schritte zur tatsächlichen Umsetzung auf politischer und militärischer Ebene ließen größtenteils auf sich warten. Den offiziellen Befehl, dass das Heer ab nun bitte wieder die Landesgrenzen zu verteidigen habe anstatt sich primär Out-of-area Einsätzen zu widmen, erhielt dessen Inspekteur erst nach Beginn des Krieges in der Ukraine.
Somit wäre zunächst einmal, neben der formellen Anerkennung der Zeitenwende, auch eine praktische, zeitnahe und langfristig gedachte Implementierung der daraus resultierenden notwendigen Schritte, als Grundvoraussetzung erforderlich. Erste Vorstöße in diese Richtung sind geschehen, die Frage wie lange das politische Interesse an diesem Thema bestehen bleibt, bleibt jedoch offen. Von denjenigen Reformen aus den Jahren 1807-1814, die uns in der heutigen Zeit eine Orientierungshilfe bieten könnten, wären mit Sicherheit die Abschaffung des Anciennitätsprinzips und die Aufstellung der Landwehren am interessantesten. Zweitere wurde in dem Artikel ausführlich behandelt und bezieht sich nicht etwa auf die willkürliche Bewaffnung von Zivilisten, sondern eben auf die Neuaufstellung eines, auf einer starken Reserve aufbauenden Territorialheeres der Bundeswehr, welche den regulären Streitkräften im Ernstfall den Rücken freihält, koordiniert und Amtshilfe leistet. Meine Erwähnung des Anciennitätsprinzips spielt beispielhaft auf das aktuelle Beförderungs- und Beurteilungssystem der Bundeswehr an, welches sich negativ auf die Moral in der Truppe auswirkt und dazu tendiert den Gedanken zu vermitteln: „Egal ob ich gut oder schlecht arbeite, auf den Fortgang meiner Laufbahn hat dies keine größeren Auswirkungen.“ Vergleichbar mit dem preußischen Anciennitätsprinzip ist es zwar nicht, jedoch ist auch in der Bundeswehr Beförderung nach Dienstzeit anstelle individueller Leistung inzwischen durchaus üblich.
2. Können Sie ein aktuelles Beispiel nennen, was passieren müsste, um die Probleme der Bundeswehr anzugehen, was würden die preußischen Reformer heute machen, um den Personalmangel, Mangel an Material und Ausrüstung zu begegnen und um den Apparat effizienter zu machen?
Auch ein Scharnhorst könnte heute mit Sicherheit keine 3 schweren Divisionen aus dem Boden stampfen. Was die materiellen und personellen Mängel angeht, muss in erster Linie die Politik in die Verantwortung genommen werden. Wo die preußischen Reformer meiner Meinung nach heute ansetzen würden, wären all diejenigen Strukturen, welche eine effiziente Weitergabe und die Transformation der bereits vorhandenen pekuniären Mittel in Kampfkraft erschweren und Entscheidungsprozesse hinauszögern. Ich hatte in dem Artikel u.a. das Beschaffungsamt angesprochen. Hier wäre eine generelle Optimierung und teilweise Neugestaltung von internen Prozessen gut. Insbesondere die Überbürokratisierung lähmt eine zeitlich angemessene sowie vom Soldaten als Adressaten her gedachte Entscheidungsfindung. Die Bundeswehr tendiert – ihrer Natur als Friedensarmee geschuldet – zu einer stetigen Neuschaffung von Versorgungsposten für Stabsoffiziere, zulasten der Kampftruppe. Es existieren ganze Stäbe, die keine unterstellte Truppe zu führen haben und nichts bereitstellen außer Führungsfähigkeit. Posten wie diese sind zum Selbstzweck geworden, wie er jeder militärischen Effektivität schadet. Auch die geringe Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung spielt hier mit hinein.
3. Was müsste sich am Beurteilungs- und Beförderungssystem ändern?
Zunächst einmal müssen die Beurteilungskriterien an den tatsächlichen Tätigkeitsbereich des Soldaten angepasst werden. Momentan befinden sich – nur um einmal ein Beispiel zu nennen – Bürosachbearbeiter im NATO Hauptquartier in der gleichen Beurteilungsgruppe wie Parkplatzwächter des Streitkräfteamtes, weil beide in ähnlichen Besoldungsgruppen eingruppiert sind. Dass diese Tätigkeitsbereiche zu verschieden sind, als dass eine vergleichende Beurteilung auf Grundlage der Besoldungsgruppe dem gerecht werden könnte, ist offensichtlich.
Auf die Gefahr hin mich beim Reservistenverband unbeliebt zu machen, möchte ich an zweiter Stelle auch die aktuelle Beförderungspraxis von Reservisten als Moralhemmer in der Truppe ansprechen. Reservisten werden in einem Bruchteil der aktiven Dienstzeit von Berufs- oder Zeitsoldaten befördert, bei teilweise besserer Besoldung. Dass dies Unverständnis bei den Soldaten auslöst, ist nachvollziehbar, auch da Reservisten inzwischen noch nicht einmal mehr als solche erkennbar sind.
Generell sollte die Bundeswehr, wie bereits angesprochen, über eine Überarbeitung ihres Beförderungssystems zugunsten eines stärker meritokratischen Ansatzes nachdenken. Dies würde nicht nur den Leistungsgedanken und die Motivation stärken, sondern zugleich auch das Problem der leider oft nur zögerlichen Übernahme von Verantwortung angehen.
4. Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit aus „Melden macht frei“, ein „Kommunikation und Verantwortung übernehmen“ löst Probleme sofort, wird?
Der Leitsatz hierbei lautet: Leistung und Risiko müssen sich wieder lohnen. Die Gegenfrage ist doch: Was hat man momentan mit „Kommunikation und Verantwortung übernehmen“ zu gewinnen? Die Nachteile überwiegen ganz klar. Da sich das Beförderungssystem sowieso stärker an der Dienstzeit als an der individuellen Leistung orientiert, gibt es wenige Anreize, sich unnötigem Risiko auszusetzen. Melden und die Verantwortung auf Vorgesetzte oder eine ebenso umfassende wie undurchdringbare Regelungslandschaft abwälzen ist somit deutlich sicherer und karrierefreundlicher.
6. Wie bewerten Sie die Einrichtung des neuen Territorialen Führungskommandos?
Um hierzu eine seriöse Bewertung abzugeben ist es sicherlich noch zu früh. Generell ist die Aufstellung des Kommandos ein positiver Schritt in die richtige Richtung. Damit das Projekt aber auch gelingen kann, ist es wichtig, dass neben dem Kommando nun auch zügig die Truppe folgt. Die Heimatschutzkompanien müssen personell und materiell gestärkt und angemessen ausgebildet werden damit das Kommando nicht zur reinen Postenschaffung für Stabsoffiziere wird. Bislang handelt es sich bei der Aufstellung des Territorialen Führungskommandos mehr um eine Umbenennung des früheren Kommandos Territoriale Aufgaben. Aus einer Kommandobehörde mit 350 Dienstposten wurde eine Kommandobehörde mit 800 Dienstposten, die inhaltlich einen nahezu deckungsgleichen Verantwortungsbereich hat, ohne dabei groß an Truppe zu gewinnen. In ihrer aktuellen Form kann der Heimatschutz zwar seine subsidiären Aufgaben erfüllen, ist jedoch mitnichten zur Unterstützung militärischer Operationen bereit.
7. Welchen Mehrwert hat aus Ihrer Sicht ein allgemeiner Gesellschaftsdienst für die staatliche Gesamtverteidigung und für die demokratische Gesellschaft?
Meiner Meinung nach gibt es zwei gute Gründe für das allgemeine Gesellschaftsjahr. Zum einen ist dies die personelle Entlastung von essentiellen Institutionen, die von Personalmangel betroffen sind. Dies trifft nicht nur auf die Bundeswehr, sondern z.B. auch auf das Gesundheitswesen zu. Für ein potentielles Territorialheer der Bundeswehr, wäre dieses Gesellschaftsjahr unerlässlich, da sich anders die personellen Kapazitäten für eine territoriale Reserve nicht aufbringen lassen.
Der zweite Grund ist, dass ein Gesellschaftsjahr wieder zu einer stärkeren Bindung von Militär und Zivilgesellschaft führt, die seit Aussetzung der Wehrpflicht abgenommen hat und erst durch den Ukraine-Krieg wieder etwas gestärkt wurde. Eine Armee ist immer auch ein Schmelztiegel, sowohl in sozialer als auch kultureller Hinsicht und somit im Allgemeinen förderlich für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Der Dienst in der Armee verbindet und sorgt zusätzlich dafür, dass unsere Bundeswehr wieder mehr ein Querschnitt der deutschen Gesellschaft wird. Zusätzlich wird die gesamtgesellschaftliche Resilienz gestärkt, da der Dienst in der Bundeswehr zugleich die Sensibilität für sicherheitspolitische Themen stärkt.
8. Muss/Kann das Thema Verteidigung bzw. Außen- und Sicherheitspolitik ein separates Schulfach werden?
Ich denke dies wäre sicherlich zu viel des Guten. Unser Bildungssystem hat momentan seine ganz eigenen Krisen zu meistern. Ich würde behaupten, dass wenn nach dem Abschluss des Abiturs bei den Schülern rudimentäre Kenntnisse zum Begriff der Demokratie hängen bleiben, dies heutzutage bereits als Erfolg für den Politikunterricht an deutschen Schulen gewertet werden kann. Auch wenn ich persönlich ein größeres Interesse an sicherheits- und verteidigungspolitischen Themen oder auch generell an unserer Bundeswehr begrüßen würde, ist die Nische wohl doch zu speziell, um unserem Nachwuchs ein weiteres Fach in ihrem bereits überladenen Stundenplan aufzuhalsen.