Zwei Quereinsteiger werden Reservisten
Christian Krieg und Cornelia Walter haben sich einen Traum erfüllt - in Uniform ihrem Land zu dienen. Über den Werdegang zweier engagierter Reservisten, die über einen Umweg zur Bundeswehr gekommen sind.
Christian Krieg hält ihn in den Händen, den Brief, den vermutlich einige seiner Altersgenossen am liebsten in den Mülleimer geworfen hätten. Es ist der Einberufungsbescheid zum Wehrdienst. Im Frühjahr 2011 landet die Post aus dem Kreiswehrersatzamt wohl bei vielen jungen Männern sofort im Altpapier. Das liegt daran, dass sich der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg durchgesetzt hat. Der Bundestag stimmt für sein Gesetz zur Aussetzung der Wehrpflicht. Die de facto Abschaffung der Wehrpflicht löst bei einigen jungen Männern Erleichterung aus, nicht aber bei Christian Krieg. Er hat sich auf den Dienst in Uniform gefreut. Seine Zugfahrkarte zu den Gebirgsjägern im bayerischen Mittenwald bleibt ungestempelt in der Tasche. Doch mit der Aussetzung der Wehrpflicht ist die Tür zur Bundeswehr für den Bankkaufmann aus Schwäbisch Gmünd nicht verschlossen.
„Ich bin Staatsbürger mit und in Uniform und trage meine Uniform mit großer Leidenschaft und Stolz“, sagt Christian Krieg, der als Quereinsteiger eine Dienstliche Veranstaltung zur Information (Info-DVag) beim Ausbildungszentrum Infanterie in Hammelburg absolviert hat. Seine Vorgesetzten in der Bank haben ihn dazu motiviert, die deutschen Streitkräfte auf diesem Weg näher kennen zu lernen. Krieg bewirbt sich und ist erfolgreich. Für die Dauer der Veranstaltung im Juli 2011 wird er zum Oberleutnant ernannt und schlüpft zum ersten Mal in eine Bundeswehr-Uniform, genauso wie Cornelia Walter.
Die Mitarbeiterin im Sachgebiet Kultur- und Heimatpflege der Bezirksverwaltung Oberfranken setzt sich zum Ende der Info-DVag neben Christian Krieg ans Lagerfeuer. „Ich würde am liebsten weitermachen“, sagt die Bayreutherin. Ihr Kamerad aus Schwäbisch Gmünd nickt. „Die Kameradschaft, Leistung und Motivation der Soldaten während dieser Informationsveranstaltung haben uns beide überzeugt. Wir wollten dabei bleiben und unseren Anteil zur Sicherheit des Landes und der Bürger beitragen“, fügt die 51-jährige Mutter zweier erwachsener Töchter hinzu.
Überstunden für die Kameraden
Seit ihrer Kindheit nimmt sie häufig an Feiern zum Gedenken der gefallenen Soldaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg teil. Damals stand sie vor den Namen der gefallenen Soldaten und fragte sich, wer diese Männer waren, wo sie gekämpft haben, was sie erleiden mussten und warum sie gestorben sind. Cornelia Walter beschloss, das Leid und Schicksal nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Sie schreibt ein Buch, hält die mahnende Vergangenheit für die Gegenwart wach. Sie erinnert an die Gefallenen ihrer Heimat. „Ich habe mich schon immer für Geschichte und die Menschen interessiert und was die Leute neben den Schrecken des Krieges damals durchmachen mussten, Eiseskälte, Hunger und Durst. Heutzutage dreißig Minuten vor einem Denkmal stehen ist dagegen nichts.“ Cornelia Walter ist zur Reservistin geworden, damit sie mit ihren Kameraden vor den Folgen des Krieges warnen kann. Sie engagiert sich in den Soldatenkameradschaften Ramlesreuth, Speichersdorf und Nemmersdorf, in der Reservistenkameradschaft (RK) Bayreuth, der RK Rodachtal, der RK Immenreuth und in der Freiwilligen Feuerwehr. „Ich investiere meine Überstunden für die Kameraden“, sagt Cornelia Walter. Ob Soldatenwallfahrt, Marsch oder Schießveranstaltung, überall ist sie dabei und muntert Reservisten zum Mitmachen auf. Kameraden nennen sie augenzwinkernd Mutter der Kompanie, wenn sie beim Marsch Pflaster für Blasen am Fuß verteilt oder ihre Trinkflasche herumreicht. Die couragierte Reservistin ermutigt und motiviert ihre Kameraden. Einer von ihnen ist Christian Krieg.
Der 33-Jährige tritt nach der Info-DVag der RK Schwäbisch Gmünd bei. Deren Mitglieder wählen ihn zum Schriftführer und darüber hinaus zum Beauftragten Sicherheitspolitische Bildung der Kreisgruppe Ostwürttemberg/Alb-Donau. Christian Krieg erkundigt sich, auf welchem Weg er als Reservist zur Bundeswehr zurückkehren könnte. Damals habe die Bundeswehr nicht viel mit Quereinsteigern anfangen können, sagt Krieg.
Die Reserveoffizierkameradschaft „ZiFkras“ Freundeskreis der Bundeswehr hilft ihm weiter. Er wird Mitglied des Zusammenschlusses ziviler Führungskräfte, die bei der Bundeswehr gedient haben. Die Kameraden dort zeigen ihm einen Weg auf. Er beginnt im November 2012 mit der Allgemeinen soldatischen Ausbildung für ungedientes Zivilpersonal der Bundeswehr in Hammelburg. Zu Beginn der Ausbildung steht die Bundeswehr vor einer kniffeligen Frage: Welchen Dienstgrad soll Christian Krieg bekommen? Einem Quereinsteiger kann gemäß Soldatenlaufbahnverordnung ein höherer, vorläufiger Dienstgrad verliehen werden, wenn die Fähigkeiten, Kenntnisse und Lebenserfahrung für eine militärfachliche Verwendung durch eine entsprechende zivilberufliche Tätigkeit erworben wurden.
Den Dienstgrad durch Einsatz verdienen
Christian Krieg wäre mit seinem zivilen Job und seiner beruflichen Erfahrung auf einer vergleichbaren Stufe wie ein Stabsoffizier. Ihm sei dieser vorläufige Dienstgrad angeboten worden, er habe aber abgelehnt, schildert Christian Krieg. „Ich möchte meinen Dienstgrad nicht durch bloßes Handauflegen geschenkt bekommen, sondern mit ganzer Kraft und vollem Einsatz verdienen“, sagt Christian Krieg. Deshalb steigt er als Stabsunteroffizier in die Allgemeine soldatische Ausbildung ein.
In der Infanterieschule Hammelburg trifft Christian Krieg Kameradin Cornelia Walter wieder. Sie lobt den Ehrgeiz und Einsatz ihres Kameraden: „Christian ist sehr tüchtig und kann sehr gut mit Menschen umgehen.“ Nach der Allgemeinen soldatischen Ausbildung bekommt Christian Krieg einen Beorderungsplatz als Personalstabsunteroffizier im Luftwaffengeschwader 74 in Neuburg an der Donau. Dort angekommen erhält er vom Personaloffizier des Luftwaffengeschwaders den Tipp, der seine Karriere als Reservist den entscheidenden Schritt nachvorn bringt. Er schlägt Christian Krieg vor, sich für eine Laufbahn als Feldwebel der Reserve und gleichzeitig am Assessment-Center für Führungskräfte für eine Laufbahn als Reserveoffizier zu bewerben. Der Bankkaufmann reicht seine Bewerbungsmappen ein. Mit Erfolg.
Christian Krieg absolviert an der Marineunteroffizierschule in Plön eine Ausbildung zum Unteroffizier der Reserve. Im Norden Deutschlands kreuzt sich sein Weg wieder mit Cornelia Walter. Sie schuftet wie Christian Krieg hart für ihren Dienstgrad. Beide schließen die Laufbahnausbildung als Stabsunteroffizier d.R. ab. „Diesen Dienstgrad habe ich mehr als verdient“, sagt Cornelia Walter stolz. Sie drückt ihrem Kameraden Christian Krieg die Daumen, als daran angeschlossen seine Lehrgänge zum Reserveoffizier in Fürstenfeldbruck beginnen. „Wir haben öfter miteinander telefoniert und ich habe ihm gesagt: ‚Du schaffst auch das'“, berichtet Walter.
Die Ausbildung ist flexibler als früher
An der Offizierschule der Luftwaffe gehört Christian Krieg zu den Ersten, die vom neuen streitkräftegemeinsamen Konzept für die Ausbildung der Reserve profitieren. Drei flexible Module lösen die bisherige, starre Wehrdienstleistung ab. Jedes dieser Module besteht dabei aus drei Präsenz- und zwei Fernausbildungsphasen. Laufbahnrelevante Inhalte werden in den Präsenzphasen an der Offizierschule unterrichtet. Für die dazwischenliegenden Fernausbildungsphasen nutzt Christian Krieg das webbasierte Lernmanagementsystem der Bundeswehr. Er loggt sich über eine Plattform ein und betritt, wenn nötig, gleichzeitig mit seinen Kameraden ein virtuelles Klassenzimmer, wie in einer Videokonferenz.
Sicherheitspolitik, Disziplinarrecht, das Soldatengesetz, Wehrrecht und Luftwaffenlehre stehen auf dem Lehrplan. Im Fach Luftwaffenlehre lernt Christian Krieg zum Beispiel wie der Luftraum über Deutschland überwacht wird. Im Dezember 2016 verlässt Krieg die Offizierschule nach der erfolgreich abgeschlossenen Prüfung. Er erhält einen Beorderungsposten als Presse- und Personaloffizier im Taktischen Luftwaffengeschwader 74 in Neuburg an der Donau. Während seiner Reservistendienstleistung wird der Bankkaufmann zum Leutnant befördert. Seine Kameradin Cornelia Walter ist stolz auf ihn. „Ich kann mir keinen besseren Reservisten vorstellen. Durch seine Arbeit blüht die RK Schwäbisch Gmünd richtig auf. Mit seiner neuen RK-Homepage und der Pressearbeit konnten knapp 20 neue Kameraden gewonnen werden“, sagt sie.
Bindeglied zwischen interessierter Bevölkerung, Medien und Bundeswehr
Als beorderter Presseoffizier sieht sich Christian Krieg künftig als Bindeglied zwischen interessierter Bevölkerung, Medien und Bundeswehr. Zu seinen Aufgaben gehört es, den Kommodore und das Geschwader in Medienfragen und in der Kommunikation rund um den Eurofighter Flugbetrieb zu beraten. Dabei freut sich der frischgebackene Reserveoffizier besonders auf Anfragen zum Eurofighter. Das Geschwader bietet zahlreiche Besuchertage, Flugplatzführungen, Vorträge, Schülerpraktika und Medientage an.
Christian Krieg bleibt als Leutnant d.R. zielstrebig. „Ein Ziel ist eine Übung im Presse- und Informationszentrum der Luftwaffe oder im Presse- und Informationsstab des Verteidigungsministeriums“, verrät er. Vielleicht kreuzen sich noch einmal die Wege mit Cornelia Walter. Sie ist als Personalstabsunteroffizier im Landeskommando Bayern beordert.
Der Reservistenverband bemüht sich ebenfalls um interessierte Quereinsteiger, die sich als Reservist engagieren möchten. Dazu soll ein Pilotprojekt zur Ausbildung Ungedienter an den Start gehen, das von der Landesgruppe Berlin angeboten werden soll.