Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Dr. Eva Högl, hat gestern in Berlin ihren Jahresbericht für 2024 vorgestellt. Darin geht es auch wieder explizit um die Reserve. „Eine einsatzbereite Reserve ist ein Grundpfeiler verteidigungsbereiter Streitkräfte. Die Landes- und Bündnisverteidigung Deutschlands erfordert eine motivierte, fortlaufend ausgebildete und in die Truppe integrierte Reserve, um im Ernstfall einen schnellen und bedarfsgerechten Aufwuchs der Streitkräfte zu ermöglichen“, stellt die Wehrbeauftragte fest.
Im vergangenen Jahr standen 49.244 Reservistinnen und Reservisten in einem Beorderungsverhältnis, das sind mehr als in den Jahren zuvor (2023 waren es 43.065; 2022 waren es 37.041). Mehr als 20.000 Frauen und Männer leisteten dann auch tatsächlich Reservistendienst. „Dennoch ist die Zahl der beorderten Reservistinnen und Reservisten derzeit noch zu niedrig“, attestiert Högl.
Nach dem aktuellen Fähigkeitsprofil der Bundeswehr sind rund 90.000 Reservistinnen und Reservisten notwendig, um auch künftig die Einsatzbereitschaft zu sichern. Das umfasst zum einen 60.000 Kräfte in der Verstärkungsreserve, also ergänzende Dienstposten in der aktiven Truppe, die für den Aufwuchs im Spannungs- und Verteidigungsfall benötigt werden. Zum anderen sind dies 30.000 Kräfte in der Personalreserve, wo Reservistinnen und Reservisten auf sogenannten Spiegeldienstposten aktive Soldatinnen und Soldaten in Abwesenheits- und Einsatzzeiten vertreten.
Grundbeorderung entwickelt sich positiv
Mit der Strategie der Reserve gehe die Bundeswehr zielgerichtet vor, um diesen Bedarf zu decken. Bis zum Jahr 2027 sollen unter anderem durch die Grundbeorderung – einem wesentlichen Kernelement der Strategie – die 60.000 Dienstposten in der Verstärkungsreserve besetzt werden, wie die Wehrbeauftragte in ihrem Bericht festhält. Daher werden seit Oktober 2021 alle wehrdienstfähig aus dem aktiven Dienst ausscheidenden Soldatinnen und Soldaten, soweit sie das 57. Lebensjahr noch nicht überschritten haben, für sechs Jahre entsprechend ihren Qualifikationen und Fähigkeiten in der Reserve eingeplant.
Nach einem schleppenden Beginn entwickelt sich die Grundbeorderung mittlerweile in die richtige Richtung. Zum Jahresende waren von den seit Oktober 2021 insgesamt 63.866 ausgeschiedenen Soldatinnen und Soldaten knapp 50.000 Frauen und Männer für eine Grundbeorderung grundsätzlich geeignet. Umgesetzt wurden fast 20.000 Grundbeorderungen, was einem Anteil von rund 39 Prozent entspricht. Bei weiteren rund 16.000 Personen war der Prozess der Grundbeorderung eingeleitet, jedoch noch nicht vollständig umgesetzt.
Nach wie vor prüft das Verteidigungsministerium, ob nach Ablauf des sechsjährigen Beorderungszeitraumes die Grundbeorderung der Reservistinnen und Reservisten automatisch endet oder bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres weiterlaufen soll. Högl: „Drei Jahre nach Einführung der Grundbeorderung können die Reservistinnen und Reservisten eine zeitnahe Antwort erwarten.“
Nur regelmäßiges Üben schafft Einsatzbereitschaft
„Doch die Grundbeorderung allein schafft noch keine einsatzbereite Reserve. Dies erfordert regelmäßiges Üben“, schreibt die Wehrbeauftragte. Reserveübungen unterliegen seit dem Jahr 2012 – korrespondierend zur Aussetzung der Wehrpflicht – dem Prinzip der Freiwilligkeit. Das Verteidigungsministerium hat in dem Zusammenhang festgestellt, dass bei den grundbeorderten Reservistinnen und Reservisten nach Ausscheiden aus dem aktiven Dienst das Interesse an einem weiteren Engagement in den Streitkräften zunächst gering ist. Ein Beleg dafür ist laut Högl der Rückgang der verbrauchten sogenannten Stellen-Reserve von 96 Prozent im Jahr 2021 auf 84 Prozent im Jahr 2023.
Hintergrund: Als Stellen-Reserve bezeichnet die Bundeswehr durch den Haushalt gedeckte Stellen für Reservistendienst Leistende. Eine solche Stelle entspricht 365 Dienstleistungstagen, die auf mehrere Personen und Dienstleistungen verteilt werden können.
Die Masse macht‘s
Daher hat die Bundeswehr im Berichtsjahr statt der ursprünglich vorgesehenen 6.000 dieser Stellen auch nur 5.500 angefordert. Davon wurden rund 4.828 Stellen im Grundbetrieb, für die Grundbeorderung und den Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz genutzt, was rund 88 Prozent entspricht. „Mit dem Freiwilligkeitsprinzip wird die geplante Erhöhung der Anzahl an Stellen auf 7.500 in den Jahren 2027 und 2028 wohl kaum sinnvoll sein. Außerdem ist für viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber eine Freistellung ihrer Beschäftigten für eine Wehrübung leider nach wie vor keine Selbstverständlichkeit“, stellt die Wehrbeauftragte fest. Verständlich sei daher die Debatte über mehr Verantwortung bis hin zur Verpflichtung.
„Fest steht, dass die Bundeswehr derzeit große Anstrengungen unternehmen muss, um den in ihrem bisherigen Fähigkeitsprofil festgestellten Bedarf an 90.000 Reservistinnen und Reservisten zu decken. Dabei wurde angesichts der sicherheitspolitischen Lage bereits das Erfordernis von zusätzlichen 200.000 Reservistinnen und Reservisten diskutiert“, so Högl. „Der sich hieraus ergebende Handlungsbedarf wird im Rahmen der Anpassung der Strategie der Reserve zu formulieren sein.“
Reservistenverband unverzichtbar
Einen unverzichtbaren Beitrag zur Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit Deutschlands leistet laut Högl der Reservistenverband der Bundeswehr. Er stärkt die Einsatzbereitschaft der Reservistinnen und Reservisten, fördert ihre Integration in die Gesellschaft und Bundeswehr und unterstützt aktiv die Streitkräfte, schreibt die Wehrbeauftragte. „Ausgelöst durch eine Prüfung des Bundesrechnungshofes wird eine weitere Förderung des Reservistenverbandes derzeit kritisch beleuchtet. Eine künftige finanzielle Unterstützung des Verbandes sollte dem Bedarf der Bundeswehr zur Stärkung der Reserve entsprechen, der sich insbesondere aus der ‚Zeitenwende‘ ergibt.“ Hierzu arbeitet der Verband bereits gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum für Reservistenangelegenheiten und dem BMVg an einer Zielvereinbarung, die die Vorgaben an den Verband klar definiert.
Ausbildung Ungedienter ein Erfolgsmodell
Ein weiteres Thema im Jahresbericht ist – mit Blick auf die Reserve – unter anderem die Ausbildung Ungedienter in Zusammenarbeit mit dem Reservistenverband, die sich laut Högl immer größerer Beliebtheit erfreut: Seit ihrer Einführung haben insgesamt 1.247 Frauen und Männer diese Ausbildung abgeschlossen. „Dennoch wäre im Hinblick auf das deutlich gestiegene Interesse die Schaffung weiterer Ausbildungskapazitäten wünschenswert. Dass sich der damit für die Bundeswehr verbundene Aufwand lohnt, zeigt sich unter anderem an der nahezu nullprozentigen Abbruchquote. Ausschlaggebend scheint hierfür neben der Regionalität insbesondere die hohe Motivation der Reservistinnen und Reservisten zu sein. Das Projekt verdeutlicht auch, dass die Bundeswehr mit niedrigschwelligen Angeboten die Menschen besser erreichen kann. Diese Erfahrung sollte bei der Weiterentwicklung der Strategie der Reserve Berücksichtigung finden.“
Darüber hinaus geht Högl auf die Beorderung von Zivilpersonal der Bundeswehr ein und bringt eine Flexibilisierung der Altersgrenze ins Spiel.
Der komplette Jahresbericht steht hier zum Download bereit. Um die Reserve geht es ab Seite 114.
Sensburg: Ohne Wehrpflicht kein Aufwuchs
„Der Reservistenverband begrüßt den Bericht der Wehrbeauftragten, der wieder den Finger in die Wunde legt. Auch im Bereich der Reserve muss der Wehrbeauftragten zufolge nachgearbeitet werden“, sagt der Präsident des Reservistenverbandes, Oberst d.R. Prof. Dr. Patrick Sensburg. „Um wirklich verteidigungsfähig zu sein, braucht es dreimal so viel Reservistinnen und Reservisten wie aktive Soldatinnen und Soldaten. Die Reserve hat viel mehr Möglichkeiten Nachwuchs zu gewinnen, als es derzeit genutzt wird. Dies muss sich schnell ändern. Ohne Wehrpflicht wird der personelle Aufwuchs der Truppe aber auch nicht gelingen. Darum muss die Wehrpflicht schon dieses Jahr wieder aktiviert werden. Der Reservistenverband kann hier tatkräftig mithelfen. Daher begrüßen wir die Forderung der Wehrbeauftragten auch unseren Verband mit mehr Haushaltsmitteln als bisher auszustatten. Gerne übernehmen wir als Reservistenverband dafür auch mehr Aufgaben von der Bundeswehr.“