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Reserve schafft Resilienz

Warum Reserve-Strukturen auch für den zivilen Katastrophenschutz sinnvoll sind

Bundeswehr-Soldaten unterstützen im Rahmen der Corona-Amtshilfe zivile Helfer an einem Drive-In-Testzentrum.

Foto: René Amende

gesellschaftsdienst

Die Strukturen im Bevölkerungs- und Katastrophenschutz wurden in den vergangenen Jahrzehnten kaputtgespart. Bei Ereignissen wie der Coronavirus-Pandemie stößt die Durchhaltefähigkeit der öffentlichen Daseinsfürsorge an ihre Grenzen. Die Amtshilfe der Bundeswehr, die bundesweit geleistet wird, weil zivile Ressourcen erschöpft oder überlastet sind (z.B. in den Gesundheitsämtern bei der Kontaktnachverfolgung), kann kein dauerhafter Zustand sein. Abhilfe kann ein gut ausgeplanter und den Erfordernissen entsprechender allgemeiner Gesellschaftsdienst leisten. Es ist an der Zeit darüber nachzudenken, ob auch die zivilen Blaulichtorganisationen und der Katastrophenschutz Reservestrukturen aufbauen müssen, um künftig besser auf etwaige Krisenlagen reagieren und die Bundeswehr in der Amtshilfe wirksamer entlasten zu können.

Die Reserve steht bereit

Gegenwärtig sehen wir, dass die Coronavirus-Pandemie unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen stellt und es an vielen Stellen im öffentlichen Gesundheitswesen und im Katastrophenmanagement hakt. Über viele Jahre hinweg wurden Infrastruktur und insbesondere auch Personal abgebaut. Das rächt sich in der Pandemie umso härter. Gleichzeitig lehren uns die letzten Monate, dass die Bundeswehr und ihre Reserve als verlässliche helfende Hände bereitstehen, um maßgeblich mitzuhelfen, die Krise zu bewältigen. Allerdings gehört es nicht zu den Aufgaben der Streitkräfte, dauerhaft Amtshilfe zu leisten. Stimmen werden laut, so unter anderem vom Vorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes, André Wüstner, dass der Coronavirus-Einsatz der Bundeswehr die Durchführung von Aus- und Weiterbildungen zur Erfüllung der Aufträge in der Landes- und Bündnisverteidigung sowie im Internationalen Krisenmanagement gefährdet. Das sagte unter anderem auch Generalleutnant Martin Schelleis, Kommandeur der Streitkräftebasis und Territorialer Befehlshaber, der den Coronavirus-Einsatz der Bundeswehr koordiniert: „Amtshilfe ist kein Dauerzustand“. Schelleis forderte, dass die Hilfe der Bundeswehr möglichst schnell durch ziviles Personal abzulösen sei.

Ein Soldat unterstützt im Gesundheitsamt bei der Kontaktnachverfolgung. (Foto: Bundeswehr/Lara Drießen)

Die Bundesministerin der Verteidigung Annegret Kramp-Karrenbauer beschrieb die Aufgaben der Reserve bei der Veröffentlichung der Strategie der Reserve im Herbst 2019 folgendermaßen: „Die Reserve gewährleistet den Aufwuchs unserer Bundeswehr, die Reserve verstärkt die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und die Reserve erhöht die Durchhaltefähigkeit unserer Bundeswehr – das gilt insbesondere mit Blick auf die Landes- und Bündnisverteidigung.“ Die Pandemie ist nun die Stunde der Reserve. „Die Reserve steht im Kampf gegen das Coronavirus Gewehr bei Fuß“, sagte der Präsident des Reservistenverbandes, Oberstleutnant d.R. Professor Dr. Patrick Sensburg vor einem Jahr und betont erneut die Bereitschaft der Reserve: „Wir haben eine starke Reserve, die bereit ist, Verantwortung für unser Land zu übernehmen.“

Der Reservistenverband, seine Mitglieder und die Reserve im Allgemeinen stehen bereit, um in noch stärkerem Maß zu unterstützen. In diesem Zusammenhang ist auch die Forderung des Reservistenverbandes zu verstehen, die Reservistenstellen von 4.500 auf 6.000 zu erhöhen, um einem verstärkten Engagement der Reserve in der Corona-Hilfe Rechnung zu tragen. Seit Beginn der Pandemie meldeten sich 25.000 Reservistinnen und Reservisten, um das Land während der Krise zu unterstützen. Davon wurden circa 17.000 zum Dienst in der Bundeswehr herangezogen. Die Reservistinnen und Reservisten der Bundeswehr könnten folglich eingesetzt werden, um die Bundeswehr bei der Amtshilfe zu entlasten, damit sich die Truppe auf ihren Kernauftrag konzentrieren kann. Bereits jetzt unterstützen die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien, die ausschließlich aus Reservistinnen und Reservisten bestehen, in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Berlin.

Gesellschaftsdienst weiterdenken

Weiterhin befeuert die Pandemie die Debatte über eine Sinnhaftigkeit eines allgemeinen Gesellschaftsdienstes. Der Reservistenverband setzt sich schon seit Jahren für die Einführung eines solchen Dienstes ein. Ein allgemeiner Gesellschaftsdienst bietet die Möglichkeit für Rettungsdienste und Wohlfahrtsverbände, einen eigenen zivilen Personalpool aufzubauen. Daneben ist mit einem Gesellschaftsdienst auch ein Engagement in der Reserve möglich und wünschenswert. Die Organisationen des zivilen Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes könnten dem Modell des Freiwilligendienstes im Heimatschutz folgen und auch eine Art Grundbeorderung – das heißt, grundsätzliche Bereitschaft, aber der konkrete Einsatz beruhtr auf Freiwilligkeit – für ihr ziviles Personal einführen. Das Reserve-Prinzip würde dadurch auf zivile Akteure ausgeweitet. Das würde nicht nur die Katastrophenschutz-Strukturen im Land stärken, sondern auch den Fokus stärker auf die Notwendigkeit freiwilliger Dienste im Sinne des demokratischen Gemeinwesens lenken. Freiwilligendienste  könnten somit noch flexibler gestaltet werden. Was nützt es den Kommunen, wenn Steuergelder für ein neues Feuerwehrfahrzeug im Sinne der Daseinsfürsorge ausgegeben werden, aber zu wenig Personal vor Ort ist, das auf den neuen Wagen aufsitzen kann?

Reserve-Strukturen im zivilen Katastrophenschutzmanagement würden nicht nur gesellschaftliche Resilienz fördern, sondern auch die Legitimation für freiwilliges Engagement für das Land, für die Gesellschaft und für die Heimat festigen. So könnte die Bindung zur Bundeswehr und der Gesellschaft zusätzlich gestärkt und freiwilliges Engagement insgesamt aufgewertet werden. Charmanter Nebeneffekt dabei: ein auf den zivilen Bereich übertragenes Reserve-Prinzip zur Stärkung der Daseinsfürsorge. stärkt auch das Verständnis für die Reservistenarbeit und die Arbeit des Reservistenverbandes.

Bei einer neuerlichen Krisenlage wäre es dann idealerweise so, dass ehrenamtliche Rettungsorganisationen genügend Personen an der Hand haben, um beispielsweise im erneuten Fall einer Pandemie bei der Kontaktnachverfolgung, in Altenheimen, beim Betrieb von Impfzentren und in der Logistik von sanitätsdienstlichem Material eingesetzt werden könnten. Aktuell fehlt es genau an diesem Personal. Zudem nützt es der nationalen Krisenvorsorge keinesfalls, wenn die Wohlfahrtsverbände, die Bundeswehr und die Rettungsdienste in Zukunft in einen Wettbewerb um fähige Leute treten.

Fähiges Personal für zivile Organisationen

Für den Aufbau einer zivilen Personalreserve könnte ein allgemeiner Gesellschaftsdienst hier Abhilfe leisten. Rettungsorganisationen und Katastrophenschutz könnten die Dienstpflicht nutzen, fähiges Personal im Bereich des Krisenschutzes und -managements zu rekrutieren und auszubilden. Vorbild hierfür könnte der Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz sein, der im April dieses Jahres anlaufen wird. Wie bei diesem Modell könnte ein Teil des allgemeinen Gesellschaftsdienstes innerhalb eines bestimmten Zeitraums bei einem bestimmten Träger oder Einrichtung (DRK, Pflege, THW, Feuerwehr etc.) abgeleistet werden. In einer zweiten Phase würden sich die Teilnehmer dazu bereiterklären, für eine bestimmte Anzahl von Jahren für den zivilen Katastrophenschutz zur Verfügung zu stehen.

Unter dem weißen Schutzanzug kaum zu unterscheiden: einer in Flecktarn, einer in DRK-Kluft. (Foto: René Amende)

So hätte jede Organisation die Möglichkeit, eine Personalreserve zu schaffen, die im Katastrophenfall herangezogen werden kann. Das Modell der Grundbeorderung könnte hier beispielgebend sein und eventuell in abgewandelter Form auf den zivilen Bereich übertragen werden. Zwar würden sich die Teilnehmer für eine Verfügbarkeit verpflichten, das Prinzip der Freiwilligkeit bliebe aber bestehen. Denkbar wären weiterhin regelmäßige Fortbildungen, die an Wochenenden stattfinden könnten und verpflichtend sind. Als Ausgleich zum erbrachten Dienst wären Vergünstigungen denkbar, wie steuerliche Entlastungen, kostenlose Bahnfahrten oder ähnliches.

Zu bedenken ist jedoch, dass Einführung eines allgemeinen Gesellschaftsdienstes auf rechtliche, praktische und politische Vorbehalte stößt. Allerdings sollte dies kein Hindernis sein, zunächst generell über den Ausbau bestehender Freiwilligendienste nachzudenken. Bei Überlegungen, wie man bestehende Freiwilligendienste attraktiver gestalten kann, könnte es neben Ideen wie zum Beispiel einer besseren Vergütung oder einer Arbeitsplatz-Garantie ebenso vorteilhaft sein, über das Grundbeorderungs-Modell nachzudenken.

Zwei-Phasen-Modell wie im Heimatschutz

Ein solches Zwei-Phasen-Modell würde die Lebensumstände und -planungen der Jugendlichen stärker berücksichtigen. Es wäre zum Beispiel denkbar, sich für einen Freiwilligendienst im zivilen Bereich zu verpflichten, ohne sich damit gleichzeitig hinsichtlich beruflicher Pläne (Studium, Ausbildung etc.) einschränken zu müssen. Denn einen Teil des Dienstes könnte beispielsweise in den Semesterferien abgeleistet werden. Das Thema Flexibilität ist darüber hinaus auch für das Zusammenspiel zwischen freiwilligen Diensten, ob als Reservist der Bundeswehr oder im zivilen Bereich, ein wichtiges Thema im Hinblick auf das Verständnis in der Wirtschaft und unter Arbeitgebern. Freistellungen für Freiwilligendienste sind hier nicht als lästig zu begreifen, sondern bieten eine Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Nach der Krise ist im sprichwörtlichen Sinne also vor der Krise. Es ist nun die Aufgabe der Gesellschaft aus der jetzigen Pandemie zu lernen und für eine eventuell nächste Krisenlage gewappnet zu sein.

OTL Wolfgang Wehrend

Über den Autor

Oberstleutnant d.R. Wolfgang Wehrend ist Vizepräsident für Kommunikation und Vorsitzender der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V.

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