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Die Reserve

LVBV und Zeitenwende: Die 19. Reunion am Puls der Zeit

Zur 19. Reunion des Deutsch-Amerikanischen Reserveoffizieraustauschs sind 48 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Hauptquartier der U.S. Army in Europa in Wiesbaden getroffen. Die Veranstaltung zielt darauf ab, relevante Themen internationaler Sicherheits- und Verteidigungspolitik und angrenzender Bereiche wie der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Konferenzformat zu diskutieren.

Die Teilnehmer an der 19. Reunion des deutsch-amerikanischen Reserveoffiziersaustauschs.

Foto: privat

Reunion

Die Organisatoren brachten zehn Top-Referenten in die amerikanische Liegenschaft. Inhaltlicher Fokus dieses Jahr: Landes- und Bündnisverteidigung sowie die Zeitenwende. Begeistert waren Teilnehmer von den tiefen Einblicken in die Themen, der Diskussionen und der Vertiefung transatlantischer Freundschaft. Eric A. Boyar (COL), Director Army Reserve Engagement Cell Europe and Africa, begrüßte die Gäste und gab einen Kurzüberblick über die Rolle, Aufgaben und Fähigkeiten der Army Reserve. Er hob das Engagement in internationalen Übungen sowohl in Europa als auch in Afrika hervor und fasste mit Ausblick auf 2024 die wichtigsten Aufgaben zusammen: Unterstützung in Sachen internationaler Sicherheit und Übungen sowie das Ausloten und Verbessern der Zusammenarbeit mit weiteren Organisationen.

Synergie stiftete der Überblick von Tobias Vogel, CEO UBS Europa. Die seit 1862 existierende UBS mit insgesamt 120.000 Mitarbeitern engagiert sich seit 2016 mit dem „Global Wealth Management Veterans Program“ für ausgeschiedene Soldatinnen und Soldaten. Im Rahmen dieses HR-Programms werden ausschließlich ehemalige Militärangehörige rekrutiert. Das Programm wird insbesondere in den USA, Großbritannien und Indien – hier in der IT – mit Leben gefüllt. Daneben gibt es ein Military Spouse Programm. Partner von Soldaten erhalten die Möglichkeit, flexibel im Ausland zu arbeiten, um den Anforderungen eines Militärlebens gerecht zu werden. Das Unternehmen unterstützt weitere Förderprogramme und Netzwerke im Bereich der Veteranenarbeit.

Gemeinsam sind wir stark

Generalmajor Andreas Hannemann, Stellvertretender Kommandeur des I. Deutsch-Niederländischen Corps, beschrieb die Auswirkungen der Zeitenwende am Beispiel seines Corps. Der Formationswahlspruch „Communitate Valemus“ (Gemeinsam sind wir stark) weise bereits auf enge Kooperation hin. Gleichheit herrsche in Doktrin, Ausrüstung und Ausbildung, was eine hohe Interoperabilität gewährleiste. Im Corps und den dazu gehörenden Verbänden dienen – mit vorhandener Personalstärke von 92% –  rund 1.100 Soldaten aus zwölf Nationen. Es sei per Zeitenwende „combat ready“ und innerhalb Deutschlands in 24 Stunden sowie bis zur polnischen Grenze in 96 Stunden verlegefähig.

Der General ging auf einige Beispiele genutzter Waffen- und Transportsysteme ein und gab einen Einblick in Planung, Ausbildung und den Einsatz von Reservisten sowie einen Überblick über die Zusammenarbeit mit Polizei und Katastrophenschutz. Die fordernde Trainingsmission zur Unterstützung der Ukraine mit 24 Partnernationen pointierte er mit Blick auf Zeitenwende und die Aggression Russlands: „Im Westen eröffnet sich die Chance auf Erfolg, wenn Putins Ambitionen gezügelt und gestoppt werden.“ Um dies zu erreichen, sei ein nachhaltiger Wille für weitere Investments nötig. Die Zeitenwende müsse dauerhaft mit Leben gefüllt werden, so das Fazit.

Generalmajor Andreas Hannemann, Stellvertretender Kommandeur des I. Deutsch-Niederländischen Corps. (Foto: privat)

Um Künstliche Intelligenz ging es am Folgetag. Michael Frings, Senior Regional Manager Federal & Defense NVIDIA und Oberstleutnant der Reserve, brachte einen reichen Fundus an allgemeinen und firmenspezifischen Insights aus dem hochdynamischen Feld mit. Er lieferte einen AI- und Machine-Learning-Überblick und präsentierte Anwendungsmöglichkeiten wie konzeptionelle und technologische Herausforderungen ziviler und militärischer Nutzung.

New Force Model der NATO

In einem zweiten Highlight ging Brigadegeneral Jens Arlt, Unterabteilungsleiter FüSK I im BMVg, mit großer Umsicht auf viele Details der militärischen Evakuierungsoperation aus Kabul ein. Im August 2021 war Arlt Kommandeur der Fallschirmjägerbrigade 1 in Saarlouis und führte die bis dato größte und riskanteste Rettungsmission in der Bundeswehr-Geschichte. Mehr als 5.300 Schutzbedürftige wurden damals nach Deutschland ausgeflogen. Der Einsatz erfolgte per Parlamentsbeschluss aufgrund der Eskalation der Gewalt. Die Evakuierung konzentrierte sich darauf, Deutsche, EU-Bürger und Schutzbefohlene wie Ortskräfte zu retten. Jedoch gilt er als gescheitert, da viele afghanische Kräfte, die als Partner deutscher Kräfte vor Ort eng zusammenarbeiteten, nicht herausgebracht werden konnten. Ein noch laufender Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Evakuierungseinsatz soll klären, was beteiligte Ministerien und Behörden über die Sicherheitslage in Afghanistan wussten und ob Abzugsszenarien und Notfallpläne vorlagen.

Arlt lieferte einen Einblick vom Ort des Geschehens. „Die diffizile Lage in Kabul ist überraschend und sehr zügig entstanden, die Sicherheitsarchitektur kollabierte schnell und Panik brach aus. Das Bankensystem brach zusammen, es fehlten grundlegende Güter wie Wasser und Benzin, die aus der Luft eingeflogen werden mussten“, fasste er zusammen. Es gab nur eine einzige Start- und Landebahn. Deutschland wurde von anderen Nationen um Unterstützung gebeten und organisierte Unterkunft, Verpflegung und Schutz für andere Evakuierte. Die Versorgungslage verschlechterte sich zusehends. „Trotz der extremen Umstände gab es operative Freiräume und eine gute Zusammenarbeit mit Helfern vor Ort“, berichtete Arlt. Die komplexe Lage und Durchführung dieses Einsatzes wird vermutlich auch weiterhin Gesprächsthemen liefern.

Doppelter Dank der Organisatoren an Brigadegeneral Jens Arlt (l.), Unterabteilungsleiter FüSK I im BMVg. (Foto: privat)

In seinem zweiten Beitrag widmete sich General Arlt der Zeitenwende. Er benannte Anforderungen an und Herausforderungen für die Bundeswehr in der NATO-Struktur. Auslöser für die Überarbeitung der NATO-Strategie sei die russische Annexion der Krim 2014, die einen Weckruf für das Bündnis darstellte. Das avisierte New Force Model (NFM) der NATO, also die künftige Kräftestruktur des Bündnisses, sei keine bloße Theorie, sondern eine real umsetzbare Strategie mit klaren Rollen und Verantwortlichkeiten. Wesentlicher Bestandteil des NFM sei ein System, dass die Bereitschaft der NATO-Streitkräfte in verschiedene Kategorien nach Einsatzbereitschaft, Stärke und Zeit einteile.

Vorgesehen ist, dass zukünftig homogene Verbände statt zusammengewürfelter Einheiten in den drei Großräumen (Nordwestatlantik, Zentral-/Osteuropa/Arktis und Südost/Mittelmeer) eingesetzt würden. Der General verdeutlichte dies an der dauerhaften Präsenz einer Brigade in Litauen. Hier würden nicht nur Soldatinnen und Soldaten hinsichtlich ihrer Funktionen eingesetzt, auch die Familien nebst Kitas, Kindergärten und Schulen seien vor Ort eingerichtet. Angesichts aktueller Entwicklungen seien die Herausforderungen für die NATO auch zukünftig sehr bedeutungsvoll.

„Sanktionen wenig wirksam“

Oberst Thorsten Ludwig, Director Military Engineering Centre of Excellence (MILENG COE) in Ingolstadt, lieferte ein profundes Beispiel dafür, wie die NATO arrondierend unterstützt wird. Das MILENG COE präsentiert sich NATO und Partnern als ein Zentrum für militärtechnisches Wissen mit den Bereichen Aus- und Weiterbildung, Fachwissen und der Entwicklung von Strategien, Konzepten und Doktrinen. Ziel ist es, die Interoperabilität militärtechnischer Fähigkeiten bei Operationen und Übungen der NATO zu verbessern. Als multinationales Gremium, das nicht direkt zur NATO gehört, habe es die Aufgabe, Lehrgänge zu organisieren und mehrwertbildenden Einfluss auf Streitkräfte auszuüben. Ludwig hob hervor, dass Erfahrungen aus der Ukraine die Überarbeitung von Taktiken und Fähigkeiten bedeuteten. „Die NATO steht vor einer komplexen und sich wandelnden Sicherheitslage, die eine kontinuierliche Anpassung, Modernisierung und enge Zusammenarbeit von Mitgliedsstaaten erfordert.“

Dr. Joachim Weber, Senior Fellow für strategische Vorausschau und Risikoanalyse am CASSIS, dem Institut für Außen- und Sicherheitsthemen an der Universität Bonn, befasste sich mit strategischen Aspekten des russischen Krieges gegen die Ukraine. Der Wissenschaftler blickte auf die Entstehung des Konflikts und deutete Ziele, Hintergründe und Absichten Putins. Er stellte mögliche Szenarien des Kriegsendes in den Raum. Keinerlei Anzeichen eines baldigen Endes, eher eine Abnutzung beider Seiten sei wahrnehmbar. Bereits seit der Annexion der Krim habe die internationale Staatengemeinschaft Russland Sanktionen auferlegt, deren Verstärkung nach dem Angriff im Februar 2022 darauf abzielten, Kampfhandlungen einzuschränken. Nüchtern stellte Weber fest, dass die Maßnahmen bis dato wenig wirksam seien. Die russische Wirtschaft wachse. Weber benannte tektonische Machtverschiebungen, die die Situation komplizierter machen. Russland baue einerseits Abhängigkeiten und Kooperationen auf – gelieferte Raketentechnologie an Nordkorea, Annäherung der beiden Staaten an China, verstärkte Ölexporte nach Indien – und arbeite andererseits an der Unterminierung des internationalen Supports wichtiger Partner. Vor allem die US-Wahl im kommenden Jahr sei für Russland mehr als nur mit der Hoffnung verbunden, westliche Unterstützung zu behindern. Misslich sei die noch undeutliche Strategie des Westens. Die Situation bleibt komplex und ungewiss.

Im letzten Beitrag des Tages gewährte Oberstleutnant Jens Westemeier, PhD, vom Besucherzentrum des Kommandos Spezialkräfte, einen Überblick über seine Dienststelle. Er ging auf die Kernaufträge des Kommandos ein und berichtete, dass Kommandokräfte jederzeit, weltweit und unter allen klimatischen Bedingungen tätig seien. Dabei handele es sich im Wesentlichen um offensive und verdeckte Operationen in vorderster Front in einem gefährlichen Umfeld, die der Geheimhaltung unterliegen. Westemeier legte die Geschichte des Kommandos und Entwicklung im Zeitverlauf dar und skizzierte wichtige Aspekte der Personalauswahl und Ausbildung.

Wirtschaftliche Dynamik nachhaltig antreiben

Der letzte Veranstaltungstag startete mit einem Vortrag über aktuelle Fragen der Steuer- und Finanzpolitik. Rolf Baron Vielhauer von Hohenhau, Präsident des Bundes der Steuerzahler in Bayern e.V., beleuchtete den aktuellen Sachstand der Steuersituation und sprach sich für die sparsame Verwendung von Steuermitteln aus. Der Verbandspräsident verglich die Staatsverschuldung und Steuerbelastung in Deutschland mit der in der Europäischen Union. Deutschland verzeichne sowohl eine kontinuierliche Zunahme der jährlichen Neuverschuldung als auch der Steuereinnahmen, wobei die Verschuldung aktuell 67 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmache. Dieser Wert berücksichtige noch nicht die verschiedenen Sondervermögen. Er kritisierte die aktuelle Regierung für die hohe Steuerlast der Bevölkerung. „Energiepreise in Deutschland sind doppelt so hoch wie in den USA. Dies führt dazu, dass große Unternehmen Standortwechsel in Erwägung ziehen.“ Auch verglich der Referent das deutsche Steuermodell mit jenem solcher Länder, die eine Einheitssteuer (Flat Tax) – wie beispielsweise Estland – erheben. Resümee: Eine Senkung der Steuern führe in der Regel zu höheren Einnahmen und wirtschaftlichem Wachstum.

Klaus Peter Willsch, Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Rheingau-Taunus/Limburg, Mitglied des Wirtschaftsausschusses und stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss, beleuchtete abschließend Missstände bei der Vergabe der Mittel aus dem Sondervermögen. „Die Regierung versucht, die Kriterien für den Einsatz des Sondervermögens einseitig, ohne die Opposition zu bestimmen. Man nutze die Mittel nicht effektiv, Lücken würden nicht gedeckt.“ Hingegen entstünden bis spätestens 2027 neue Finanzierungslücken, die jedoch bisher nicht berücksichtigt seien.

Klaus Peter Willsch (M.) sprach zu den Teilnehmern. (Foto: privat)

Willsch setzte die Thematik in einen wirtschaftlichen Kontext. Nach der „Zeitenwende“-Rede des Bundeskanzlers habe die Industrie hervorragend geplant und Angebote eingereicht, darauf sei aber sehr zögerlich und zurückhaltend reagiert worden. Dies zeige sich besonders im Bereich Munition. Insgesamt seien nur wenige Aufträge vergeben worden – trotz des bereits im Juli 2022 beschlossenen Beschaffungsbeschleunigungsgesetzes. „Von einer Beschleunigung kann keine Rede sein. Erkennbare Ergebnisse oder Veränderungen in diesem Zusammenhang sind Mangelware“, sagte Willsch. Veränderungsprozesse würden nicht entschlossen angegangen. Obwohl Fähigkeitslücken erkannt seien, blieben sie weiterhin ungeschlossen. Es sei dringend notwendig, Probleme anzugehen, um die Verteidigungsindustrie in Deutschland wettbewerbsfähig zu halten.

Teilnehmer wie Referenten waren über die guten, offenen Aussprachen hocherfreut. Das Organisationsteam blickt zuversichtlich und engagiert in die Zukunft: „Im kommenden Jahr steht die 20. Reunion an. Wir steigen schon jetzt in die Planungen ein: Nach der Reunion ist vor der Reunion“, betonten die Teamleader und Obersten der Reserve Thilo H. Krökel und Mirko Appel. Die Organisation hat einen langen Vorlauf und ist eine mitunter diffizile Aufgabe, was das gesamte Projektmanagement (Oberstleutnant Carsten Deil), Standortplanung (Oberstleutnant Alexander Kuhnigk), Konferenzorganisation (Major Florian Walz) und Anmelde- und Hotelmanagement (Oberstleutnant Sascha Niessner) anbelangen. Zum Orga-Team gehören insgesamt elf Stabsoffiziere der Reserve, die Arbeit ist in zwölf Themengebiete aufgeteilt und durch intensives Teamwork über das Jahr strukturiert.

Hintergrund

Die Reunion des Deutsch-Amerikanischen Reserveoffizieraustausches verfolgt die Maßgabe, die deutsch-amerikanische Freundschaft mit Leben zu füllen und die Nachhaltigkeit des Austauschprogramms zu ​fördern. Die Veranstaltung dient der Pflege kameradschaftlicher Bande ehemaliger Austauschteilnehmer über Jahrgänge hinweg. Zweck dahinter: Erfahrungsaustausch und Netzwerkbildung. Last but not least bietet das Reunion-Netzwerk gelebte Unterstützung für die Streitkräfte und den transatlantischen Diskurs. Die Reunion ist ehrenamtlich organisiert und findet jährlich statt. Sie wird seit 2004 organisiert und seit 2013 durch die Reserve-Obersten Krökel und Appel geleitet.

Der deutsch-amerikanische Reserveoffiziersaustausch wurde am 8. Februar 1985 von den Verteidigungsministern Manfred Wörner und Caspar Weinberger ins Leben gerufen. Seit Begründung des Reserveoffizieraustausches haben mehr als 1.000 Soldatinnen und Soldaten am Hochwertprogramm der Bundeswehr teilgenommen. Im kommenden Jahr wird die 40. Crew über den Atlantik reisen.

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