Rezension zu „Digitaler Faschismus – Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus“
Immer noch Lockdown. Netflix ist schon komplett durchgeschaut und die Muckibude ist auch noch dicht…mal schauen, was sich so auf Facebook getan hat? Oder doch mal ein bisschen lesen? Beide Themen vereint das Buch „Digitaler Faschismus – Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus“. Social-Media-Redakteur Julian Hückelheim hat sich das Buch mal angeschaut.
Heute schon einen Beitrag gepostet, einen Kommentar abgesetzt, ein Foto geliked oder nur faul durch den Feed gescrollt? Ja? Ich auch – und ich kann ihnen versichern, es gibt noch mehr von uns da draußen. Kaum jemand kann sich heute noch der Anziehungskraft der Sozialen Medien entziehen. Bedauerliche Tatsache: auch Rechtsextremisten wissen diese Möglichkeiten zu nutzen. Und sie sind damit ziemlich erfolgreich. Konfliktforscher Maik Fielitz und Sozialwissenschaftler Holger Marcks decken in ihrem Buch „Digitaler Faschismus. Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus“ die Mechanismen auf, die dafür eine Rolle spielen.
Im Netz der Rechtsextremisten
Die Frage nach einer Begriffsklärung ist dem Buch in den Titel geschrieben. „Faschismus“ ist ein Reizwort, welches in engem Zusammenhang mit Krieg und Gewalt im 20. Jahrhundert steht und daher besondere Assoziationen und Reaktionen hervorruft, dessen Definition in der Fachwelt aber umstritten ist. Fielitz und Marcks lösen sich in ihrem Verständnis von einer festgeschriebenen Bedeutung und plädieren für ein dynamisches Begriffsverständnis, welches sich dem Wandel der Zeit anpasst. Dabei verweisen sie auf die Entwicklung anderer politischer Strömungen, denen auch ein Bedeutungswandel zugestanden würde. In ihrer Arbeitsdefinition nach Robert Paxton begreifen sie den Faschismus zudem weniger als Ideologie, sondern als soziales Phänomen.
Für die faschistische Logik sei es zentral, „einen Ausnahmezustand zu konstruieren, der dann außerordentliche Kraftanstrengungen verlangt, damit sich die Nation von feindlichen und schädlichen Elementen befreit.“ Um den Faschismus als „digital“ zu begreifen, verweisen die Autoren auf die erfolgreiche Agitation rechter Gruppierungen in den Sozialen Medien. In ihrem Buch stellen sie daher die These auf, dass Mechanismen und Funktionsweise der Sozialen Medien die Verbreitung rechtsextremen Gedankengutes auf besondere Art und Weise begünstigen: „Das Zusammenspiel aus Beschleunigung, Personalisierung und Emotionalisierung der öffentlichen Kommunikation hilft offenbar jenen Kräften, die einfach und schnelle Antworten auf komplexe Probleme liefern, während die neuen Möglichkeiten der Desinformation es zugleich einfacher machen, der Öffentlichkeit Sündenböcke zu präsentieren.“ Wie das?
Es zählt, wie mitreißend die Geschichte ist
Ein Beispiel: Fielitz und Marcks schreiben, die Mobilisierung gelänge über Narrative, welche Betroffenheit auslösen, wobei Angst eine zentrale Rolle spiele. Genau für diese Art des „digital Storytellings“ sei das faschistische Narrativ von der Bedrohung der Nation besonders geeignet. Beim Stricken dieser Angstgeschichten kommt es nicht auf ihre Stichhaltigkeit an. Eine mangelhafte Faktenlage werde mit moralischer Überlegenheit überspielt. Es zählt, wie mitreißend die Geschichte ist, auch wenn es sich um ein Märchen handelt. „Im digitalen Zeitalter ist ein erfolgreicher Rechtsextremist folglich ein guter Geschichtenerzähler“, folgern Fielitz und Marcks. Viele Krisen bieten Anknüpfungs- bzw. Angriffspunkte für das Spinnen derartiger Narrative.
Fielitz und Marcks arbeiten sich systematisch durch das Ökosystem der Sozialen Medien und legen offen, wie es rechtsextreme Propaganda begünstigt und Rechtsextreme seine Mechanismen geschickt für sich nutzen. Die systematische Hetze hat Folgen. Der polarisierende Kampf um die Köpfe gefährde letztlich die Demokratie, wenn andere Meinungen pauschal als „Bullshit“ abgetan würden. Das Buch öffnet die Augen – für die Bedeutung der Sozialen Medien als Leitmedien und die Bedeutung der Art der öffentlichen Kommunikationsmittel und -wege für unser politisches System. Das macht es zu einem Must-Read, nicht nur für Social-Media-Addicts. Dafür gibt es ein Like.
Maik Fielitz, Holger Marcks: „Digitaler Faschismus. Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus“, Dudenverlag, 18 Euro, ISBN: 978-3-411-74726-9
Dieser Text stammt aus dem Sicherheitspolitischen Newsletter des Sachgebietes Sicherheitspolitische Arbeit. Diesen können Sie hier abonnieren.