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Showdown in Ankara: Die äthiopische Absichtserklärung und ihre Folgen

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan legt sich ins Zeug. Seit nun fast drei Monaten geht er, von der westlichen Öffentlichkeit wenig beachtet, voll in seiner neuen Rolle auf. Er will in einem der schwierigsten und gefährlichsten Konflikte der jüngeren afrikanischen Geschichte vermitteln. Dass Ankara in den vergangenen Jahren immer wieder als Genf des 21. Jahrhunderts aufgetreten ist und etwa Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland veranstalten wollte, überrascht weniger. Viel verwunderlicher ist, worum es inhaltlich geht – um ein Memorandum of Understanding (MOU), eine nicht-bindende Absichtserklärung also. Im diplomatischen Geschäft gehört das zu den stumpfesten Schwertern im Arsenal. Doch diese einfache Absichtserklärung hat einen Skandal ausgelöst. Dabei ist über den Inhalt nichts gesichert bekannt, das Schreiben ist geheim. Viel wichtiger sind die beiden Verfasser, nämlich die Bundesrepublik Äthiopien und das international nicht anerkannte Somaliland, eine separatistische Region von Somalia.

(Foto: Vladimir Lysenko via Wikimedia Commons)

Berichten zufolge geht es in dem Schreiben darum, dass Somaliland einen Teil seiner Küstenlinie für Äthiopien zugänglich machen soll, um somit den seit Jahrzehnten von Äthiopien herbeigesehnten Meerzugang zu erschließen. Die Regierung in Mogadischu sah sich vom großen Nachbarn verraten und wähnte territoriale Ansprüche. Nun sollen also die Gespräche zwischen Somalia und Äthiopien in der Türkei die Wogen glätten. Dass jene überhaupt stattfinden, ist zwar prinzipiell als diplomatischer Fortschritt zu bewerten. Trotzdem ist aufgrund der de facto nicht vorhandenen Staatlichkeit Somalias nicht von großen Fortschritten auszugehen. Vielmehr werden hier gerade Interessen verschiedenster Akteure abgesteckt.

Ein riskantes Joint Venture

Somaliland lässt mit Geld aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) den Hafen von Berbera zum „DP World Berbera New Port“ ausbauen. Damit hat es zwar theoretisch einen wesentlichen Teil der seewirtschaftlichen Unabhängigkeit eingebüßt, doch einen solchen Hafen im Zeitalter der Globalisierung zu betreiben ist kein triviales Geschäft. Neben der Fähigkeit zum ausreichenden Güterumschlag, bemessen in TEU (Twenty-foot Equivalent Unit, deutsch: Zwanzigfuß-Standardcontainer-Äquivalent) und der ausreichenden Wassertiefe (Deep-Water-Quays, Ultra-Deep-Water-Quays) wird heute auch der Einklang des Hafens mit den ISPS-Regeln verlangt. Der von der UN aufgestellte International Ship and Port Facility Security Code (ISPS) stellt sicher, dass Schiffe an Häfen nicht „mit Unsicherheit kontaminiert werden“, wie es im Fachjargon heißt. Das bedeutet insbesondere für Entwicklungs- und Schwellenländer, dass sichere Häfen im Wortsinne vital sind für die Teilnahme am Welthandel.

Somalia – das bedeutet inklusive Somaliland – führt den Index fragiler Staaten des Fund for Peace an. Anders ausgedrückt: Es gibt weltweit kein Land, in dem die Durchsetzung staatlicher Gewalt so wenig garantiert werden kann wie dort. In diesem Sinne lässt sich die Existenz von Somaliland deuten wie die einer Kommune, die sich aus mangelndem Schutz durch die Behörden eine Bürgerwehr zugelegt hat. Doch die Sicherheitslage in Somaliland ist, wenn überhaupt, nur unwesentlich besser als jene in Somalia. Die allermeisten Staaten raten ihren Bürgern von jeglichen Reisen nach Somalia ab, insbesondere aufgrund der ungemindert hohen Terrorgefahr durch verschiedenste Gruppierungen, hierzulande am bekanntesten die al-Shabaab-Miliz. Sichere Handelswege sehen anders aus, wie ein anderes Nachbarland zeigt. Das größte Containerterminal der Region, bislang das Tor zur Welt für Äthiopien, befindet sich in Dschibuti. Der Hafen schlägt derzeit etwa 650.000 TEU im Jahr um, womit er in ganz Afrika etwa auf Platz 7 landet. Ganz frisch hat auch Saudi-Arabien einen 92 Jahre währenden Vertrag zur Einrichtung einer Logistikzone im Hafen von Dschibuti unterzeichnet. Auch das findet nicht im luftleeren Raum statt: 2008 überfiel Eritrea Dschibuti im Zusammenhang mit einem andauernden Grenzkonflikt, der seitdem eingefroren ist.

Die arabischen Golfstaaten betreiben hier, neben klassischer Wirtschafts- und Handelspolitik, auch Diplomatie. So scheint es Bestrebungen der VAE zu geben, in Zusammenarbeit mit Israel in Somaliland eine Militärbasis als strategischen Außenposten in Afrika zu errichten. Auch wenn die Quellenlage dazu nebulös ist, so haben sowohl die Golfstaaten als auch Israel großes Interesse an stabilen Verhältnissen am Horn von Afrika. Die wiederholten Angriffe aus dem Jemen von Huthi-Rebellen auf Tanker und Cargo-Schiffe im Roten Meer hindern nicht nur den Handel in der Region, sie lähmen den Welthandel insgesamt. Die Kooperation einzelner Golfstaaten mit Israel gegen Terrorismus in der Region ist daher nicht allzu verwunderlich.

Infrastruktur, Infrastruktur, Infrastruktur

Die mit dem Projekt in Somaliland beauftragte Firma DP World befindet sich im Besitz der Monarchen der Emirate. Dieser Effekt wirkt in beide Richtungen: Einerseits wickelt DP World weltweit etwa 10 Prozent des maritimen Containerhandels ab. Dass der Konzern über das notwendige Knowhow verfügt, diese Anlage dauerhaft zu betreiben, steht außer Frage. Andererseits nehmen die diplomatischen Verwicklungen über die De-facto-Anerkennung Somalilands, das ausschließlich vom seinerseits kaum anerkannten Taiwan anerkannt wird, damit zu. Äthiopien steuerte zu dem Projekt immerhin 19 Prozent der Investitionskosten bei, hat also auch abseits des MOU schon einen Fuß in der Tür.

Wichtige Häfen am Horn von Afrika, in Rot eingezeichnet: Somaliland. (Karte: Roland von Kintzel via mapcreator.io)

Ob Somalia oder Somaliland überhaupt in der Lage wären, sichere und dauerhaft nutzbare Infrastruktur bereitzustellen, um Güter von Äthiopien an einen Hafen und zurückzuliefern, ist fraglich. Denn die Infrastruktur in Somalia und Somaliland, unabhängig vom Hafen, ist ohnehin unzureichend. Die Road Number One stellt die einzige Verbindungsstraße von Somalia nach Somaliland dar. Sie endet am Hafen von Berbera. 2022 kündigte Äthiopien noch Investitionen in diese Straße an, von denen allerdings bislang wenig umgesetzt wurden. Hier soll die Vision Wahrheit werden, dass Somaliland als „Drehkreuz für ganz Ostafrika“ dienen soll. „Wir bieten Dienstleistungen für ganz Ostafrika an, für alle Länder, die keinen Zugang zum Meer haben“, so Muse Bihi Abdi, Präsident von Somaliland, im Gespräch mit arte. Die Konzession an die Emirate soll 30 Jahre währen.

Eigentlich sollte der gemeinsame Nachbar Eritrea mit seiner endlosen Küstenlinie und seinem stramm organisierten Staatsapparat in der Lage sein, die benötigte Infrastruktur vorzuhalten. Das Problem: Seit dem äthiopisch-eritreischen Krieg (1998 bis 2000) liegt der Hafen von Assab aus sowjetischer Zeit, über den Äthiopien bis dahin seinen maritimen Außenhandel abwickelte, völlig brach. Mit einem Jahresumsatz von 32.000 TEU und einem maximalen Tiefgang von zehn Metern ist der Hafen als Drehkreuz uninteressant. Noch übler ist die Lage in Massawa, wo trotz aufwendiger Sanierungsarbeiten seit den 1990er Jahren von den früheren Spitzenumsätzen von etwa 25.000 TEU nichts mehr übriggeblieben ist. Heute bedient der Hafen ausschließlich das wirtschaftlich schwache Eritrea, der aktuelle Jahresumsatz wird mit ca. 4.200 TEU angegeben. Zum Vergleich: Deutschlands größter Hafen, Hamburg, setzt rund acht Millionen TEU im Jahr um und bietet eine Fahrrinne von circa 16 Metern Tiefe.

Pulverfass Horn von Afrika?

Nicht nur die Regierung in Addis Abeba träumt von einer neuen Exportmöglichkeit. Vor allem der Konsumgütergigant Unilever hat seit Beginn des Jahrzehnts Produktionsstätten für Dinge wie Seife, Waschpulver, Brühwürfel, Zahnpasta oder Shampoo hochgezogen und möchte gern skalieren. Doch die äthiopische Bundesregierung hat derzeit weder die finanziellen Ressourcen, um noch mehr in derartige Projekte zu investieren, noch kann sich die Volkswirtschaft des Landes den Import von Konsumgütern leisten. Äthiopien ist der bevölkerungsreichste Binnenstaat der Welt. Einen Großkonzern im eigenen Land zu haben, der die dringend benötigten Waren einfach überproduziert und mangels Exportmöglichkeit am Binnenmarkt verschleudern muss, kann seine Vorzüge haben. Das stellt keinerlei nachhaltige Strategie dar, könnte aber in der angespannten Lage in Äthiopien Teil des Kalküls sein.

Im August 2024 wurde die Lage zusätzlich dadurch verschärft, dass Ägypten, mit dem Äthiopien wegen eines großen Staudammprojektes am Nil seit Jahren im Streit liegt, 10.000 Soldaten sowie Waffen und Munition im Rahmen einer „Friedensmission“ nach Somalia verlegt hat. Wie ernst diese Drohung ist, sei dahingestellt. Beide Seiten überziehen sich seit der Eröffnung des Great Ethiopian Renaissance Dam (GERD) mit wüsten Drohungen, passiert ist bislang allerdings wenig. Der GERD, der den Nil durch das größte Wasserkraftwerk und eine der größten Talsperren Afrikas stark in seinem Durchfluss beschränkt, ist seit Baubeginn 2011 umstritten. 2022 fertiggestellt, begann Äthiopien mit der Befüllung des Stausees unter erheblichem Protest Ägyptens. Seitdem reißen die gegenseitigen Beschuldigungen und unfreundlichen Gesten nicht ab. Ägypten hat bereits damit gedroht, den Damm zu zerstören und angeblich bunkerbrechende Bomben zu diesem Zweck beschafft. Äthiopien seinerseits ist vom Bürgerkrieg insbesondere in der Grenzregion Tigray nach Hungerblockaden und genozidalen Zuständen im Inneren schwer geschwächt. Die Regierung in Addis Abeba braucht dringend Erfolgsmeldungen, sei es beim GERD oder beim Seezugang. Das äthiopische Militär ist organisatorisch fragmentiert, viele wichtige Funktionsträger sind in Tigray aufgrund ihrer Abstammung aus dem Dienst entfernt worden. Ob die Kohäsion des Staates und des Militärs einem Angriff von außen standhalten würde, ist unklar. Auch dieser Umstand destabilisiert die Region.

Der Great Ethiopian Renaissance Dam hat die Spannungen in der Region weiter erhöht. (Foto: Prime Minister Office Ethiopia via Wikimedia Commons)

Unterm Strich lässt sich in der Angelegenheit wenig Kaffeesatz lesen. Der gesamte Vorgang zeigt, wie Nationalstaaten, nicht-staatliche Akteure und multinationale Großkonzerne einen gordischen Knoten geschaffen haben, dessen Zerschlagung nicht mit einer Problemlösung einhergehen muss. Die Kriegsgefahr am Horn von Afrika ist unvermindert hoch. Die Anrainerstaaten streiten um überlebenswichtige Ressourcen wie Wasser, Lebensmittel und Medikamente. Die Ernährungssicherheit der gesamten Region ist seit Jahren gefährdet, was durch den russischen Überfall auf die Ukraine, Dürreperioden und Schädlingsbefall verstärkt wurde. Beobachter mutmaßen, dass Äthiopien den Hafen von Berbera als Marine-Stützpunkt nutzen möchte, um dem durch den somalischen Staatszerfall andauernden Piratenproblem etwas entgegenzusetzen. Das wäre neu, da die Sicherung der Schifffahrts- und Handelswege bislang meist durch Industrieländer übernommen wurde, um den Gefahren für die eigenen Exportrouten entgegenzutreten.

Interesse der Türkei

Stellt sich also immer noch die Frage, warum ausgerechnet die Türkei hier als Mittler auftritt – und natürlich tut sie das nicht uneigennützig. Hintergrund ist der India-Middle East-Europe Economic Corridor (IMEEC). IMEEC ist die europäisch-zentralasiatisch-indische Antwort auf die „Neue Seidenstraße“ Chinas. Die Europäische Union steuert 300 Milliarden Euro für das gigantische Vorhaben bei, das Lieferketten von Indien bis nach Europa unter Umgehung des Suez-Kanals und der Türkei auf zukunftssichere Beine stellen will. Die türkische Regierung, die ihrerseits in der Gestalt des Istanbul-Kanals vorbei am Bosporus mit Infrastruktur-Gigantomanie aufwartet, fühlt sich übergangen. Auch andere Länder wie Ägypten, die ihre strategische Lage in den Lieferketten in den vergangenen Jahren extraktiv ausgenutzt haben, sehen ihre Felle davonschwimmen. In einem weltweit immer angespannteren Umfeld ist es also gut zu wissen, dass noch miteinander gesprochen wird. Hoffentlich erfolgreich.

 

Autor:

Roland von Kintzel studierte in Düsseldorf und Jena Soziologie, Medienwissenschaft und Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Ideengeschichte. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Europa- sowie der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Derzeit arbeitet er in Berlin.

 

Literaturtipps:

 


Dieser Beitrag stammt aus den SiPol-News des Sachgebietes Sicherheitspolitische Arbeit. Die SiPol-News können Sie hier abonnieren.
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