Finnland und Schweden als Vorbild für die Reserve
Unter dem Motto „Schweden und Finnland in der NATO. Vorbild für die deutsche Reserve?“ fand das Sicherheitspolitische Forum Berlin 2023 des Reservistenverbandes in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin statt.
Das hochkarätig besetzte Podium setzte sich vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine mit der strategischen Bedeutung der Ostsee auseinander. Die Einführung in den Diskussionsabend gab Oberst a.D. Joachim Sanden, Vizepräsident für Sicherheitspolitik des Reservistenverbandes. „Mit dieser Veranstaltung wollen wir unser Thema vom Side-Event auf der Münchner Sicherheitskonferenz wieder aufgreifen. Der Antrag von Finnland und Schweden, der NATO beizutreten ist eine Folge des völkerrechtswidrigen Einmarsches Russlands in die Ukraine.“
Die Frage nach dem Feldersatz
Die Diskussion moderierte Verbandspräsident Oberst d.R. Prof. Dr. Patrick Sensburg. Dabei ging es unter anderem um die Frage, welche Lehren aus dem Krieg in der Ukraine für die Reserve der Bundeswehr gezogen werden können. Aus Sensburgs Sicht sei es eine wichtige Erkenntnis, dass es keiner kleinen aber feinen Streitkräfte bedürfe, sondern vor allem Masse zähle. „Was ist mit Feldersatz? Finden Überlegungen dazu aktuell in der Politik statt?“ Sensburg erläuterte: Wenn es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung an der Ostflanke der NATO kommen sollte, müssen die Streitkräfte auch durchhaltefähig sein. Das beinhaltet die Frage, wer die Reihen auffüllt. „Wir müssen auch über Reservisten nachdenken, die bei einer zweiten und dritten Welle bereitstehen würden.“
Verteidigung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Kapitän zur See Jonas Hård af Segerstad, Schwedens Verteidigungsattaché in Deutschland sagte: „Wir waren naiv, aber wir haben 2014 verstanden, dass wir eine neue Richtung in der Sicherheitspolitik einschlagen müssen. Die militärische Kontrolle und militärische Überlegenheit in der Ostsee ist überlebenswichtig, damit die vitalen Handelswege frei bleiben.“ Auch für Finnland hat sich die Bedrohungslage verändert. Kapitän zur See Misa Kangaste, Finnlands Verteidigungsattaché in Deutschland betonte: „Wenn unser direkter Nachbar einen anderen Nachbarn überfällt, dann denken wir, dass es gefährlich ist. Wir wissen, dass wir alles tun müssen, um uns im Fall der Fälle verteidigen zu können. Dabei geht es um die gesamte Gesellschaft. Wir kämpfen bis zum letzten Finnen.“
Die ersten Erfolge der Zeitenwende
Dr. Hans-Peter Bartels, ehemaliger Wehrbeauftragter und Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik stellte heraus, dass bei aller berechtigter Kritik am Tempo der Zeitenwende, die Regierung durchaus auch Erfolge vorzuweisen habe. Deutschland halte zum Beispiel an der nuklearen Teilhabe fest und die Anschaffung des Flugabwehrsystems Arrow 3 sei im Rekordtempo durchgesetzt worden. „Man nimmt diese Erfolge in der Öffentlichkeit kaum wahr“, sagte Bartels. Dr. habil. Markus Kaim, Experte für Sicherheitspolitik der Stiftung für Wissenschaft und Politik, brachte einen weiteren Aspekt zur Sprache, der seiner Meinung nach zu wenig thematisiert wird: „An der deutschen Debatte stört mich, dass es oft heiß ‚man konnte das nicht vorher sehen, dass die Ukraine angegriffen wird‘.“ Wenn dem wirklich so sei, müsse danach gefragt werden, ob es Fehler im Informationsgewinnungsprozess gab. „Wenn wir das übersehen haben, was übersehen wir vielleicht jetzt?“.
Sichere Handelswege sind überlebenswichtig
Dr. Moritz Brake, Korvettenkapitän d.R., Experte zu maritimer Sicherheit und Strategieentwicklung warnte vor einer einseitigen Fokussierung auf Russland als Gegner. „Es ist nicht das wahrscheinlichste Szenario, dass wir dort angegriffen werden, wo wir stark sind, sondern eher da, wo wir schwächer sind.“ Dies gelte für Deutschland als eine der größten Handelsnationen für die weltumspannenden Seewege. Es müsse mehr darüber nachgedacht werden, die Marine stärker als bisher zu befähigen, nicht nur in Nord- und Ostsee, sondern auch weltweit wichtige Handelsrouten zu schützen. „Europa darf den Rest der Welt nicht aus den Augen verlieren“, sagte Dr. Brake.