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Wie kann man die sperrigen Begriffe beorderungsunabhängige Reservistenarbeit und Verbandsveranstaltung mit maximal zwei bis drei Worten zusammenfassen? Antwort: Kreisgruppe Oberbayern-Südost. Besser als mit der Drohnen-Beobachter-Challenge und mit der gleichzeitig laufenden Grundlagen-Taktikausbildung Verteidigung und Objektschutz geht es nicht. Das klingt etwas zu dick aufgetragen? Urteilen Sie selbst. Es ist eines von vielen Beispielen für attraktive Reservistenarbeit mit Mehrwert für die Bundeswehr. Die Redakteure Sören Peters und Benjamin Vorhölter waren von Anfang bis zum Ende mit dabei.

Für den Spähtrupp geht es spät am Abend noch nach draußen.

Foto: Sören Peters

Taktiklehrer Thomas Greim weist die Teilnehmer in die Rahmenlage ein.

Foto: Sören Peters

Organisationsleiter Leonhard Edelhäuser spricht beim Antreten zu den Teilnehmern.

Foto: Sören Peters

Siebzig Reservisten und eine Reservistin sitzen im Hörsaal der Akademie des Medizinischen Katastrophen-Hilfswerks (MHW). Sie hören, wie Taktiklehrer Oberstleutnant a.D. Thomas Greim das Szenario für die Ausbildungsveranstaltung vorstellt. Altraverdo, ein Land so ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland – wirtschaftlich gut dastehend, allerdings hat die Politik Themen wie Verteidigung und Sicherheit vernachlässigt – sieht sich durch Wislanien bedroht. Wislanien ist vergleichbar mit Russland. Es geht um ein Szenario mit Parallelen zur Entwicklung in der Ukraine und Georgien in den Jahren von 2008 bis heute. Demnach hat Wislanien vor sechs Wochen das Baltikum und Polen eingenommen. In den völkerrechtswidrig annektierten Gebieten ließ der wislanische Präsident Wahlen abhalten. Die zögerliche Haltung der NATO-Staaten ermutigt Wislanien. Dessen Streitkräfte sammeln sich an der Grenze zu Altraverdo. Zeitgleich nehmen die ethnischen Spannungen in der Grenzregion Grabfeld zu. Dort lebt ein großer Anteil an Wislaniern. Die Truppen-Manöver nehmen immer bedrohlichere Ausmaße an. Zeichen der Entspannung sind nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Mit Desinformationskampagnen und Propaganda versucht Wislanien, die Gesellschaft in Altraverdo zu spalten. Die Angst vor einer Invasion ist groß. Menschen fliehen. Große Fluchtbewegungen stellen Altraverdo vor Herausforderungen. Cyberattacken schwächen Wirtschaft, kritische Infrastruktur und Logistik zusätzlich. Treibstoffe und Nahrungsmittel werden knapp. Ganze Wirtschaftsregionen sind in Gefahr. Es ist jeden Moment damit zu rechnen, dass Kräfte, die Wislanien nahestehen, Unruhe stiften.

In der Realität gäbe es zahlreiche extremistische Gruppen, die feindlich gegen den Staat und gegen die NATO eingestellt sind. Aktionen gegen Behörden, kritische Infrastruktur und Sicherheitskräfte könnten von Störern wie den Nachtwölfen, bewaffneten Schläfern oder auch Reichsbürgern ausgehen, zählt Oberstleutnant a.D. Greim auf. Noch hat es keinen militärischen Angriff von wislanischen Truppen gegeben. Mit einem Einmarsch ist jedoch jeden Moment zu rechnen. Was bedeutet das für die Reservisten im Raum Tuntenhausen? Sie befinden sich auf dem Gelände der MHW-Akademie. Ihr Auftrag lautet zunächst, diese ehemalige Hawk-Stellung vor Störern zu sichern. Dazu beziehen einige Kameraden Alarmposten in den Bunkern der Anlage. Etwa zur gleichen Zeit begeben sich die Zwei-Mann-Beobachter-Teams auf ihre Positionen. Sie werden im späteren Verlauf der Übung eine große Rolle spielen. Während Oberstleutnant a.D. Thomas Greim den Reservisten im Hörsaal Filme über russische Waffensysteme zeigt und den Unterschied zwischen der russischen Artillerie (gezogene Haubitzen, selbstfahrende Panzerhaubitzen und Mehrfachraketenwerfer) und der Raketentruppe (Iskander, taktische nukleare Fähigkeiten) erläutert, bereitet sich eine Gruppe Reservisten auf eine Patrouille vor.

Rauchen gefährdet die Gesundheit

Ein Stabsunteroffizier d.R. lässt die Männer in Schützenreihe den Hügel in Richtung Tor laufen. Ein Blick nach oben und plötzlich ruft er laut: „Drohne!“ Die Reservisten springen sofort ins Gebüsch und begeben sich in Deckung. „Man muss auf die Aufklärung von oben aufpassen“, sagt der Reservist, der nicht mit Namen genannt werden möchte. Seine Mundwinkel verziehen sich leicht. Ist das ein Grinsen in dem von Tarnschminke verschmierten Gesicht? Die Männer folgen seinen Anweisungen. Die Schützenreihe stellt sich wieder auf. Durch ein Nachtsichtgerät können die Redakteure Fotos von den Soldaten schießen. Am Alarmposten am Eingangstor geht die Ausbildung weiter. Der Stabsunteroffizier d.R. führt seinen Kameraden vor, wie rotes, grünes, weißes und Zigarettenlicht bei Nacht wirkt, selbst wenn der Schlitz, durch den es im Bunker scheint, winzig ist. Auf seinen Befehl entzündet ein Kamerad im Bunker ein rotes und grünes Knicklicht. Ein weiterer leuchtet mit dem Handy oder mit einer Taschenlampe. Letztere Lichtstreifen sind hunderte Meter weit noch zu erkennen. Beim roten und grünen Licht wird es aus der Entfernung immer schwieriger. „Die Zigarette ist dein Tod“, stellt der Ausbilder knapp fest. Rauchen gefährdet die Gesundheit – vor allem nachts im Felde.

Blick durch das Nachtsichtgerät. (Foto: Sören Peters)

Kleine Ausbildungseinlagen wie diese beschäftigen die Reservisten am Rande immer wieder. Doch plötzlich zieht ein Hubschrauber die Aufmerksamkeit auf sich. Er kreist ohne Positionslichter über dem Gelände. Gehört das zur Übung? Klärt der Hubschrauber die Reservisten auf, die ihre Beobachter-Stellungen in der Nähe der ehemaligen Hawk-Stellung eingenommen haben? Von einer Anhöhe entdecken die Kameraden Blaulicht auf der angrenzenden Landstraße. Schnell stellt sich heraus, der Hubschrauber ist ein Polizeihelikopter. Er sucht Einbrecher auf der Flucht. Der Leitende der Übung, Hauptfeldwebel d.R. Leonard Edelhäuser, lässt die Bobachter in ihren Stellungen aufstehen. Sie geben sich der Polizei zu erkennen, damit diese nicht unnötige Zeit bei der Suche nach den Tatverdächtigen verschwendet. Offenbar hat dieses Beobachter-Team seinen Job so gut gemacht, dass der Polizeihubschrauber die Reservisten zunächst nicht entdeckt hat. Gute Tarnung wird noch wichtig werden für den nächsten Tag.

Drohnen-Teams legen Beobachtungsring

Schon am nächsten Morgen begeben sich sechs Reservisten-Teams mit Drohnen auf die Suche. Denn die Lage hat sich laut Szenario verschärft. Demnach sind feindliche Kräfte – die Beobachter-Teams – in den Raum um die MHW-Akademie eingesickert. Die Drohnenteams verteilen sich auf dem Gelände der ehemaligen Hawk-Stellung. Jedes Team steht mit Oberst d.R. Jürgen Kapella und einem weiteren Oberstleutnant d.R. in Kontakt. Sie plotten die Ergebnisse der Drohnen-Teams auf einer Karte mit. Jedes der sechs Teams hat einen Aufklärungssektor zugewiesen bekommen. Deren Geräte legen einen Beobachtungsring um die MHW-Akademie. Der Radius beträgt bis zu drei Kilometer. Ein Obergefreiter d.R. geht am Funkturm hinter einem mit Gras bewachsenen Erdwall in Stellung. Er und seine Kameraden bereiten den Flug ihrer Drohne vor. Dabei halten sie die Köpfe unten und bewegen sich geduckt. Sicher ist sicher. Die Reservisten wollen nicht zur Zielscheibe werden. Man weiß nie, über welche Waffen feindliche Kräfte verfügen. Das Gewehr G36 hat eine maximale Kampfentfernung bis 500 Meter.

Der Obergefreite d.R. tippt auf die Fernsteuerung seiner Drohne. „Ukrainische Soldaten benutzen dieses Modell zur Aufklärung“, verrät er. Die Mini-Rotoren beginnen, sich zu drehen. Mit einem Surren hebt das Gerät senkrecht ab. In Deutschland dürfen Drohnenpiloten ihre unbemannten Flugobjekte nur auf Sicht steuern. Man braucht eine Zertifizierung vom Luftfahrt-Bundesamt. Der Drohnen-Pilot kann eine solche vorweisen.

Ein Drohnenteam geht hinter einem Erdwall in Stellung. (Foto: Sören Peters)

Während draußen die Drohnen fliegen und die Alarmposten mit wachsamen Reservisten in den Bunkern sitzen, versammeln sich im Hörsaal Reservisten um eine etwa vier Quadratmeter große Kiste. Sie wird von mehreren zusammengeschobenen Tischen getragen. Die Kiste ist mit Sand gefüllt. Neben dem Sandkasten hängt eine große Lagekarte. Oberstleutnant a.D. Greim beobachtet, wie die Reservisten den Sandkasten mit Zweigen, taktischen Symbolen und Papierhäuschen bestücken. Sie bauen Merkmale und markante Punkte, die im Gelände zu finden sind, nach. Das Plastikband wird zur Landstraße. Ein Elektrokabel markiert die Hochspannungsleitung, die sich durch das Gelände zieht. Mit der Hand formen die Reservisten kleine Sandhügel. Mit ihnen werden Anhöhen wie die ehemalige Hawk-Stellung angedeutet. Tannenzweige symbolisieren Waldstücke. Über den Sandkasten legen die Reservisten ein Netz aus Schnüren. Vom Hügel, der die Hawk-Stellung markiert, gehen in alle Himmelsrichtungen jeweils drei Kästchen ab. Ein Kästchen bedeutet eine Entfernung von einem Kilometer. „An einer Karte im Maßstab 1:25.000 ist die Befehlsausgabe schwierig“, sagt Oberstleutnant a.D. Greim. Deshalb bauen die Gruppenführer im Sandkasten das Gelände nach.

Die Darstellung soll den Soldaten direkt ein Bild geben und einen Eindruck von Schwierigkeiten vermitteln, die sich für einen bestimmten Auftrag durch geografische Gegebenheiten ergeben können. „Überlegt euch, welchen Bereich der Geländesandkasten abdecken soll, mit welchen Materialien ihr ihn anlegt. Es geht um eine vereinfachte Darstellung, um die Lage durchspielen zu können“, erläutert Hauptfeldwebel d.R. Edelhäuser.

Überraschung während der Geländebegehung

Am Geländesandkasten trainieren die Reservisten, wie sie einen Lagevortrag zur Unterrichtung an den Kompaniechef halten, in dem die gegenwärtige Situation kurz zusammengefasst wird. Die Übungslage hat sich verschärft. Wislanische Truppen haben mit der Invasion begonnen. Altraverdo und die NATO befinden sich im Krieg. Oberstleutnant a.D. Greim nutzt die Gelegenheit für einen kleinen Exkurs. Er erinnert daran, dass der erste Schuss eines Feindes nicht automatisch den Kriegsfall bedeute. Nach dem Grundgesetz könne der Verteidigungsfall – das heißt, die Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland mit Waffengewalt von außen angegriffen wird und sich verteidigen muss – nur vom Bundestag mit einer Zweidrittel-Mehrheit festgestellt werden. Der Bundesrat muss ebenfalls zustimmen. Warum ist das für den einfachen Sicherungssoldaten von Bedeutung? Wenn dessen Auftrag lauten würde, ein Kraftwerk zu sichern, würde dieser Bereich zum militärischen Sicherheitsbereich erklärt. Das würde bedeuten, dass Unbefugte keinen Zutritt hätten. In diesen Personenkreis könnten dann auch Mitarbeiter des Kraftwerks fallen. Im Kriegsfall lässt man lieber keinen rein, um die Gefahr von Sabotage zu verringern.

Der Geländesandkasten verdeutlicht die Hierarchie bei der Befehlsausgabe. Dieser Prozess soll kurz, präzise und effektiv ablaufen. Damit das funktioniert, so lernen es nun die Reservisten, können viele Details vor dem Lagevortrag mit dem Kompaniechef vorbereitet werden. Dazu gehören Angaben zu den Himmelsrichtungen, der Nordpfeil, das Einnorden des Sandkastens, der Name von Bundes- und Landstraßen, die Geländetaufe, die Fließrichtung von Gewässern und auch die Reihenfolge der Zug- und Gruppenführer, die sich um den Sandkasten versammeln sollen. Bei einem gut vorbereiteten Geländesandkasten ist vorab festgelegt, an welcher Stelle der Kompaniechef oder Kommandeur stehen soll und wer sich jeweils daneben aufreiht. Beim Lagevortrag und bei der Befehlsausgabe heißt es für die Zug-und Gruppenführer: „Schreibbereitschaft herstellen!“ Und zwar mit Meldeblock und 6B-Bleistift. Wenn der Befehl „Spähtrupp mit Kampfauftrag“ lautet, dann überbringt der stellvertretende militärische Führer diesen als Vorbefehl an die Kameraden. „Ich lasse die Männer entweder noch ein paar Stunden ausruhen, oder sage ihnen, auf was sie sich einstellen sollen, was sie mitnehmen müssen, den befohlenen Anzug, entklappert, Ausrüstung etc. Das bedeutet, ich muss mitschreiben und Vorbefehle geben“, erläutert Hauptfeldwebel d.R. Edelhäuser. Ein wichtiger Punkt, den Zug- und Gruppenführer an ihre Soldaten weitergeben müssen, ist zum Beispiel die Information, wo sich der Feind (Art, Stärke, Verhalten) befindet.

Bei der Geländebegehung wurde ein Kamerad von einem fiktiven Scharfschützen getroffen. (Foto: Sören Peters)

Solche Erkenntnisse hätten vor der Geländebegehung geholfen. Dabei erkunden die Reservisten die Umgebung der MHW-Akademie. Sie sammeln dabei Ideen, wie das Gelände vor dem Feind gesichert werden kann. Dichte Hecken säumen den asphaltierten Weg. An einer Stelle legt eine breite Lücke den Blick zum benachbarten Ort frei, der etwa einen Kilometer entfernt liegt. Plötzlich fällt ein Soldat schreiend zu Boden. Er hält sich das Bein. Schusswunde, glatter Durchschuss. Die Reservisten ziehen den Kameraden in Deckung. Sie beginnen mit Erste-Hilfe-Maßnahmen. Das Feuer erwidern können die Reservisten in diesem Szenario nicht. Hinzu kommt, dass gar nicht klar erkennbar ist, woher der Schuss kam. Sicher scheint nur, dass die Reservisten in dieser fiktiven Situation im Fadenkreuz eines Schützen stehen. Nach einer Weile heißt es, Unterbrechung und Manöverkritik. Oberstleutnant a.D. Greim rekapituliert die eingespielte Lage: „Sie müssen erkennen, wo die gefährlichen Punkte sind und diese in die Lagebeurteilung mit einfließen lassen“, mahnt er. Wie können sich die Reservisten an dieser Stelle vor dem Feind schützen? Indem sie die wenigen Meter ohne Deckung im Sprung überwinden. Die Reservisten üben zwar ohne Waffen. Dennoch führt diese eingespielte Situation die Gefahr, die von feindlichen Schützen ausgehen können, vor Augen. Wie nah sie an der ehemaligen Hawk-Stellung herangekommen sind, zeigen zwei Beobachter in ihrer Stellung. Sie trägt den Namen India und befindet sich circa 1.000 Meter Luftlinie vom Eingangstor entfernt. Von dort wäre es möglich, mit einem Gewehr G22 einen Soldaten zu treffen, wie in der eingespielten Lage.

Wie man sich vor Wärmebildkameras schützen kann

Allerdings nur theoretisch. Denn die Beobachter tragen keine Kriegswaffen. Sie sind lediglich mit einem professionellen, nicht schussfähigen Trainingsgerät ausgestattet. Es handelt sich um eine Bluegun, auf der ein Fernrohr montiert ist. Des Weiteren haben sie ein Spektiv zur Hand, um ein reales Üben zu gewährleisten. Der Unterstand, den sich der Oberstabsgefreite d.R. und der Hauptgefreite d.R. gebaut haben, liegt nahe am Waldrand. Er ermöglicht freie Sicht auf die ehemalige Hawk-Stellung. Die beiden Reservisten liegen in einem Graben im Wald. Ein dichtes Gewebe aus Ästen, Blättern, Moos und Nadelzweigen türmt sich neben der Grabenkante auf. Der Unterstand unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von den zahlreichen zugewachsenen Baumstämmen, die es im Wald zu sehen gibt. Nur wer näher herankommt, erkennt einen kleinen Eingang. Isomatten schützen vor Nässe und Kälte auf dem feuchten mit Holzspänen und Moos bedeckten Boden. „Das hier ist unsere Hauptstellung. Wir haben noch eine Wechselstellung gebaut, um im Notfall dorthin ausweichen zu können“, sagt einer der beiden Beobachter.

Die Beobachterteam harrten zwei Nächte lang im Wald aus – am besten, ohne dabei aufgeklärt zu werden. (Foto: Sören Peters)

Sein Kamerad erhebt sich in diesem Moment aus seinem Versteck. Er trägt einen Überwurf aus oliv-grünem Tarnstreifen- und fetzen – einen selbst gebauten Ghillie Suit. „Unsere Aufgabe hier ist es, möglichst unentdeckt zu agieren, also Tarnen und Täuschen des Einzelschützen“, sagt der Oberstabsgefreite der Reserve. Bei der Challenge ist es die Aufgabe der Beobachter-Teams, sich mit der Vegetation im ihnen zugewiesenen Gebiet vertraut zu machen, einen guten Unterstand zu finden und diesen auszubauen. Während sie die Hawk-Stellung beobachten, müssen sie sich nicht nur vor den Drohnen verstecken. Sie bekommen Aufgaben, zum Beispiel den durch Klappscheiben dargestellten Feind aufzuklären und zu melden. Doch der größte Feind wird zeitweise nicht die Drohnentechnik, sondern das Wetter.

„Man muss sich fit halten“

Am zweiten Ausbildungstag zieht starker Wind auf. Es regnet immer wieder. Die Böen sind so stark, dass die Drohnen zeitweise nicht fliegen können. Der Niederschlag ist für die Beobachter Fluch und Segen zugleich. Bei zu viel Regen läuft einerseits der Graben, in dem sich die India-Stellung befindet, voll. Die Beobachter wären bei zu viel Nässe im schlimmsten Fall gezwungen, die Stellung zu wechseln. Andererseits können sie Kälte und Nässe zu ihrem Vorteil nutzen. Sie verdichten ihre Stellung so eng und dick wie möglich mit Ästen und Moos. Bei kalten und nassen Bedingungen ist es für Wärmebildkameras an den Drohnen schwieriger, anhand der Struktur etwas zu erkennen. Einer der beiden Beobachter kennt noch einen Trick aus seiner aktiven Zeit, als er 1997 als Scharfschütze in Sarajevo eingesetzt war: „Mit einem alten Bundeswehr-Poncho kann man die Wärmesignatur verändern. Alles, was auf der Haut liegt, wird erkannt“, sagt er. Dieses Wissen gibt er während der Challenge an seinen Kameraden weiter. Als erfahrener Soldat zeigt er ihm ebenfalls, wie man einen Tarnfächer baut, wie hoch ein optimaler Unterstand sein sollte und wie man Geländeskizzen anfertigt. Vieles von dem kennt der Reservist noch aus seiner aktiven Bundeswehrzeit. Einiges hat er sich selbst beigebracht. „Man muss sich fit halten“, sagt er.

Was gibt es dafür Besseres als diese Challenge? Einige der Teilnehmer an diesem Wochenende üben regelmäßig im Heimatschutzregiment 1. Mit Verbandsveranstaltungen wie dieser führt die Kreisgruppe Oberbayern-Südost potenzielle Reservisten heran. Die „Ausbildung light“ ist straff. So müssen die Beobachter sich circa 36 Stunden selbst versorgen. Am Fernrohr wechseln sich die beiden Kameraden in der India-Stellung gegenseitig ab. „Einer beobachtet jeweils eineinhalb bis zwei Stunden. Die Zeiten sind unterschiedlich. Der Feind soll schließlich keine Routinen erkennen können“, erläutert der Oberstabsgefreite der Reserve. Viel Zeit, um sich auszuruhen, bleibt nicht. Wer nicht beobachtet, optimiert die Stellung oder seine eigene Tarnung. Für den Fall, dass die Natur ruft, haben die Reservisten mit dem Klappspaten ein kleines Loch ausgehoben. Für das große Geschäft gibt es einen Beutel, auch Shitbag genannt, in dem gesammelt wird. Gerüche vermeiden gehört auch zur Tarnung. Woher kommt die Motivation, sich unter diesen Bedingungen in den Wald zu legen? Das sei eben der Unterschied zwischen manchem aktiven Soldaten und den Reservisten, meinen die beiden Beobachter: „Wir wollen eben alle, auch bei beschissenem Wetter. Es ist eine gesunde Abwechslung zum Schreibtisch.“

Vom Kaffee bis zur warmen Mahlzeit – die Feldküchencrew sorgte dafür, dass es den Teilnehmern an nichts fehlte. (Foto: Sören Peters)

Ähnlich großen Einsatz zeigen Hauptfeldwebel d.R. Michael Meiler-Endenburg und Stabsfeldwebel d.R. Wolfgang Walter hinter der Feldküche. Letzterer stand extra um fünf Uhr morgens auf, damit eine Stunde später frischer Kaffee für die Kameraden bereitsteht. Meiler-Enedenburg gehört die Feldküche. Er stellt sie in der MHW-Akademie unter. Dort arbeitet der Hauptfeldwebel d.R. zusammen mit der MHW daran, einen Verpflegungszug für Katastrophenfälle aufzubauen. Dabei bringt er seine Erfahrungen ein, die er in der Reservistenarbeit gesammelt hat. Mit der Feldküche sei es möglich, 250 Liter Eintopf zu kochen. Bei Portionen von 0,3 Litern pro Person ließen sich so 750 Männer und Frauen versorgen, rechnet Michael Meiler-Endenburg vor.

21 Kilogramm Schweinefleisch für 70 Personen

Für die Verbandsveranstaltung arbeitet er mit der Feldküche nach Bundeswehr-Vorschrift. Diese besage, pro Person seien 150 bis 200 Gramm vorgeschrieben. So komme man auf circa 21 Kilogramm Schweinefleisch für mehr als 70 Personen. „Es ist immer besser, mehr einzuplanen, falls mehrere Leute noch einen Nachschlag haben wollen“, weiß der Feldkoch aus Erfahrung. Seine Frau hilft fleißig mit. Sie hat Kuchen für die Reservisten gebacken und unterstützt beim Spülen des Geschirrs. Das Küchenteam rotiert ständig. Sind die Teller vom Frühstück gespült, geht es gleich weiter mit den Vorbereitungen fürs Mittagessen. Kaffee und Kuchen, Abendessen und immer wieder putzen und saubermachen. Der Tag ist lang. „Es macht aber Spaß“, sagt Wolfgang Walter.

Auswertung der Drohnenbilder am PC. Wo haben sich die Beobachter oder potenziellen Scharfschützen versteckt? (Foto: Sören Peters)

Das gilt auch für die Reservisten bei der Taktikausbildung. Sie versammeln sich wieder am Geländesandkasten, nachdem sie ein weiteres Mal das Gelände auf Schwächen hinsichtlich der Sicherung erkundet haben. Oberstleutnant a.D. Greim gibt einen neuen Befehl aus. Er lautet: „Die Heimatschutzkompanie hat den Auftrag, den Einsatzraum Tuntenhausen zu erreichen, die ehemalige Hawk-Stellung sowie kritische Infrastruktur zu sichern und das umliegende Gelände in einer Tiefe von vier Kilometern zu überwachen.“ Nun müssen die Reservisten aus diesem Befehl Aufträge für die jeweiligen Züge und Gruppen ableiten. Ein möglicher Plan sieht folgendes vor: Der A-Zug sichert die ehemalige Hawk-Stellung vor Ort. Der B-Zug hält sich als Reserve bereit, um auf Befehl die eigene Sicherung zu verstärken. Dies wäre für den Fall notwendig, wenn der Feind versucht, mit Fahrzeugen gewaltsam einzudringen. Ein weiterer Zug überwacht die Kraftwerke Eisenbartling, den Rotter Forst und den Schweizer Berg. Für die angenommene Lage bekommen die Reservisten vom Regiment einen Sanitätstrupp mit Krankenkraftwagen, drei Drohnen, ein Erdarbeitsgerät für den Stellungsbau und vier Scharfschützengewehre.

Veranstaltung ist Blaupause für die nächsten Jahre

Damit der Plan aufgeht, müssen Kompaniechef, Zug- und Gruppenführer sowie die eingesetzten Soldaten wissen, wo sich der Feind befindet. Diese wichtigen Erkenntnisse kann das Drohnen-Team liefern. „Die Teams bekommen Ziele vorgegeben und fliegen nach Raster“, sagt Oberst d.R. Kapella und markiert einen Punkt auf der Karte. Es ist ein kleines Waldstück, in dem er eines der letzten Teams vermutet, das es noch aufzuklären gilt. Die Drohnen-Teams gehen methodisch auf die Jagd. Sie konzentrieren sich vornehmlich auf Waldränder und markante Geländepunkte. „Wir haben ein Team in einer Kapelle am Straßenrand aufgeklärt“, sagt ein Oberstleutnant d.R. und grinst. Er blickt auf sein Handy und lacht. Ein Beobachter-Duo hat Fotos von der eigenen Stellung samt einer Geländeskizze über einen Messenger-Dienst in die Kommunikationsgruppe einer Reservistenkameradschaft gesendet. Dumm. Die Aktion lehrt eine Lektion, die im Krieg in der Ukraine an vielen Beispielen sichtbar wird: „Der Feind liest mit.“

Hinten die digitale Karte, vorne der Geländesandkasten. Mit den Infos der Drohnenteams können die militärischen Führer ihre Befehlsausgabe verfeinern. (Foto: Sören Peters)

Mit den Informationen, die das Drohnen-Team liefert, können die Reservisten am Geländesandkasten ihre Befehlsausgabe verfeinern. Die Reservisten auf Patrouille und an den Alarmposten wissen nun, auf was sie sich einzustellen haben. Sie können bei Bedarf reagieren, ihren Beobachtungsradius optimieren und an bestimmten Stellen bessere Deckung zum Schutz vor dem möglichen Feind suchen. Am Ende der Ausbildungsveranstaltung fügt sich alles zusammen. „Es macht Spaß zuzuschauen“, lobt Norbert Dobner, Vorsitzender der Kreisgruppe Oberbayern-Südost die gute Kameradschaft untereinander. Aus seiner Sicht ist diese Erlebnisausbildung straffer Art eine Blaupause für die nächsten Jahre. Diese Ausbildung in der Gesamtschau halte die Reservisten wehrfähig und mache andere wehrwillig. Besser kann beorderungsunabhängige Reservistenarbeit nicht sein. Nach dem Motto: „Die Stärkung der Verteidigungsbereitschaft und der Verteidigungsfähigkeit, um die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr zu steigern!“


Save the Date

Das nächste Ausbildungswochenende findet wieder mit Taktik, mit einer Beobachtungs-und mit einer Drohnen-Challenge vom 28. bis 30. März 2025 in der MHW-Akademie statt – hier gibt es weitere Informationen dazu.

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