Raus aus der zivilen Arbeitswoche, rein in die Uniform hieß es für 17 Männer und drei Frauen, die am Taktik-Aufbauseminar des Reservistenverbandes in Nienburg teilnahmen. Sie investierten ihr Wochenende für dieses Seminar und nahmen teilweise sogar Anfahrtswege von mehr als 500 Kilometern in Kauf. Im Zivilleben üben sie verschiedene Berufe aus, als Reservistinnen und Reservisten gehören sie unterschiedlichen Truppengattungen des Heeres, dem Sanitätsdienst und der Luftwaffe an. Vom Obergefreiten ROA (Reserveoffizieranwärter) bis zum Oberstleutnant und zur Oberfeldärztin waren fast alle Dienstgrade vertreten.
Fuat B. beispielsweise ist Sprachmittler beim Bundessprachenamt in Hürth. Einmal pro Jahr zieht er seine Uniform an und unterstützt die NATO-Sicherheitstruppe KFOR im Feldnachrichtenzug des jeweiligen Einsatzkontingentes. Er erklärt seine Motivation: „Als gebürtiger Nordmazedonier verstehe ich nicht nur die Sprache, sondern auch die Mentalität der Menschen im ehemaligen Jugoslawien.“
Eine Teilnehmerin fiel auf, weil sie als einzige keine Uniform trug, sondern sich „oranje-camouflage“ kleidete: Geertje V. ist Niederländerin. Zehn Jahre hat sie in den Niederländischen Streitkräften gedient und war zuletzt im niedersächsischen Seedorf stationiert. Dort ist sie nach ihrem Dienstzeitende geblieben. Als Reservistin gehört sie weiterhin den Niederländischen Streitkräften an, ist aber schon seit ihrer aktiven Dienstzeit Mitglied im deutschen Reservistenverband.
So unterschiedlich wie der Teilnehmerkreis waren auch die beiden Dozenten. Oberstleutnant Volker Hahn ist Berufssoldat und stellvertretender Leiter des SIRA-Stützpunkts Hammelburg (SIRA: Simulationssystem für Rahmenübungen). Sein Konterpart, Oberstleutnant a. D. Hendrik Guttau, war Taktiklehrer an der Artillerieschule in Idar-Oberstein. Als Ruheständler stellt er seinen reichen Erfahrungsschatz weiterhin dem Reservistenverband zur Verfügung.
Oberst Manfred Schreiber, Vizepräsident für militärische Ausbildung im Reservistenverband und dessen Landesvorsitzender für Niedersachsen, begrüßte die Teilnehmenden. Er stellte sich zugleich als Kommandeur des Heimatschutzregiments 3 vor und gab Einblicke in die Aufgaben dieses neuen Verbandes, der erst im Oktober 2023 aufgestellt worden war. Viele Soldatinnen und Soldaten des Regiments hielten sich am selben Wochenende in der Kaserne auf. Einige von ihnen bereiteten die Heimatschutz-Übung „National Guardian“ nach, andere absolvierten die Ausbildung zum Soldaten der Reserve. Oberst Schreiber lobte die guten Ausbildungsvoraussetzungen, die die Nienburger Clausewitz-Kaserne bietet.
Das Szenario des Taktik-Seminars entstammte der NATO-Übungslage „Pandora“: Der Aggressor Wislania trauert seiner imperialen Vergangenheit nach und überfällt den westlich-demokratisch orientierten Staat Altraverdo, um eine Region mit wichtiger Industrie und wertvollen Bodenschätzen zu annektieren. Die NATO entsendet Truppen zur Unterstützung von Altraverdo, an denen sich auch Deutschland beteiligt. Angriffstaktik und Ausrüstung des angreifenden Staates Wislania glichen nicht von ungefähr denen des Warschauer Paktes. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine werden innerhalb der NATO wieder Lagen durchgespielt, die an die Zeit vor 1990 erinnern.
In der Rolle des Kommandeurs eines Panzergrenadierbataillons mussten die Teilnehmenden einen Befehl für die Verteidigung erarbeiten. In Kleingruppen erarbeiteten sie die einzelnen, aufeinander aufbauenden Schritte von der Lagebeurteilung über die Entschlussfassung bis zur Erstellung des Befehls. Die beiden engagierten Ausbilder standen ihnen dabei zur Seite und ließen keinen auf ein „falsches Gleis“ geraten, sodass letztlich alle gemeinsam zum Ziel kamen. Oberstleutnant Hahn zeigte sich „absolut begeistert von dem Ergebnis“. „Wir sind noch nie so weit gekommen“, bestätigte auch Oberstleutnant Guttau.