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Theaterkritik: Verwirrung, Vielfalt und Niederlage




Am Anfang ist man nur verwirrt. Eine weibliche Computerstimme empfängt die Zuschauer, die allerdings, wie sich schnell herausstellt, bei diesem Theaterstück alles andere als zuschauen werden. "Soldaten – Ein Gesellschaftsspiel" von Tobias Gralke ist ein interaktives Stück, die Besucher spielen – wie es der Titel bereits andeutet – ein Spiel.
 
Die zwei Spielleiter, darunter Gralke selbst, teilen Zettel mit neun Eigenschaften aus, deren Ausprägung jeder für sich einschätzen soll. Die Kategorie Geradestehen bewerte ich als sehr schlecht, Menschenführung als gut und politische Bildung als sehr gut. Ich werde daraufhin Hierarchie Zwei zugeteilt. Das bedeutet, in meiner Einheit (gelbe Spielsteinfarbe) habe ich eine Vorgesetzte und eine Untergebene. Insgesamt sind es drei Einheiten à drei Mann – beziehungsweise Frau, denn es ist nur ein Mann in der Gruppe. An dem etwa drei Meter langen Tisch, in den ein Planspiel eingelassen ist, bekommt jeder einen Platz zugewiesen. Dort wartet ein Einsatztagebuch, das einen Charakter bereithält. Der Reihe nach stellen wir unsere neue Persönlichkeit vor, wobei es mit der Identifikation nicht bei allen klappt, die Hälfte redet in der dritten Person. Die Computerstimme erklärt, wie das Spiel funktioniert – es folgt ein Wirrwarr aus unterschiedlichen Würfeln, Spielsteinen, Feldern, Aktionskarten, Ereignissen und Aufgaben, die keiner so schnell aufnehmen kann.

Verwirrung
Dann geht es los: Alle Einheiten würfeln gleichzeitig mit jeweils zwei Würfeln. Ich muss mit dem Ergebnis zwei Spielsteine bewegen, meine Untergebene einen. Unser übergreifendes Ziel ist es, innerhalb von drei Spielphasen die Angst zu bekämpfen und gleichzeitig für die Freiheit zu kämpfen. Auf jeden Spielzug der Soldaten folgt einer der Spielleiter, die mit der grünen dreieckigen Bedrohung angreifen und so Punkte für die Angst sammeln. Wir hingegen müssen innerhalb der 15 Minuten, die im Hintergrund an der Wand ablaufen, bestimmte Felder erreichen, auf denen Aufgaben zu lösen sind. Erreicht man solch einen Brennpunkt, muss die ganze Einheit vor einem Computer mit Kopfhörer Platz nehmen. Der Spielleiter deutet auf eine Person, die den Kopfhörer aufsetzen und den Anweisungen der Stimme folgen muss. Es sind militärische Einsatzszenarien. Zum Beispiel ein U-Boot-Einsatz in der Nordsee. Hierarchie Drei gibt mir die Kopfhörer weiter, ich soll entscheiden, ob wir dem Objekt folgen, es abschießen oder ignorieren. Die Vorgeschichte kennt allerdings nur meine Untergebene, ich muss raten und entscheide mich für folgen. Dann muss ich den Kopfhörer an Hierarchie Eins weitergeben. Kurz darauf erhalte ich ihn wieder mit der Ansage, dass sich das Objekt langsam bewegt. Die Stimme fragt mich, ob ich mit 5, 10 oder 20 Knoten hinterher will. Ich habe keine Ahnung, wie schnell ein Knoten ist und entscheide mich für fünf. Die Auflösung der Situation wird in Form einer Nachrichtenmeldung im ganzen Raum verkündet: Wir wurden provoziert und beinahe abgeschossen, hätten wir das Feuer erwidert, wäre es zum internationalen Eklat gekommen. Allerdings ist das Objekt entkommen – es gibt also Punkte für die Freiheit, aber auch für die Angst.

Vielfalt
Etwas verwirrt kehren wir zum Spielfeld zurück, die erste Spielphase ist beendet, nun werden reihum Texte aus den Einsatztagebüchern vorgelesen. Es sind Aussagen von aktiven und ehemaligen Bundeswehrsoldaten, die Gralke während seiner fast einjährigen Recherche gesammelt hat. Es kommen unterschiedliche Stimmen und Meinungen zu Wort: Manche haben sich offensichtlich mehr Gedanken zu ihrer Tätigkeit in der Bundeswehr gemacht, andere weniger, manche finden ihre Arbeit gut, andere haben Zweifel. Das Vorlesen fällt einigen Teilnehmern schwer, es ist mühsam sich auf die Texte zu konzentrieren und oft unmöglich, den Inhalt aufzunehmen – zu sehr ist man mit dem Spielverlauf beschäftigt. Erschwerend kommt hinzu, dass die unterschiedlichen Statements nicht eindeutig einem Thema zugeordnet werden können.

Niederlage
Es folgt die zweite Spielphase, die sich von der ersten nur dadurch unterscheidet, dass die Brennpunkt-Szenarien noch undurchsichtiger sind und immer öfter schief gehen. Meine Einheit muss noch einen Mineneinsatz und einen Hinterhalt überleben, beide Male sterben mehrere Menschen – mal Soldaten, mal Zivilisten. Am Ende der dritten Spielphase haben die drei Einheiten gemeinsam trotzdem mehr Freiheitspunkte gesammelt, als die Bedrohung Angst anhäufen konnte. Der "Zuschauer" bleibt leicht überfordert und unbefriedigt zurück. Erst jetzt hat man das Spiel richtig begriffen, kann aber nichts mehr tun. Das scheint allerdings genau die Absicht des Stücks zu sein. Im Kopf bleibt: Soldaten sind unterschiedlich, jeder ist anders; Krieg ist verwirrend, keiner versteht ihn wirklich; manchmal ist es reines Glück, ob man überlebt und selbst wer das schafft, hat am Ende nicht das Gefühl, gewonnen zu haben.

 

(lima)
 
Bild oben: Ausschnitt der Bühne des Theaterstücks
„Soldaten – Ein Gesellschaftsspiel“ von Tobias Gralke im Theater Freiburg.
(Foto: Livianne Smukalla)
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