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Die Diskussion um die Zukunft der Wehrpflicht und die Reform der Bundeswehr ist im vollen Gange. Für den Reservistenverband geht es um wichtige Weichenstellungen und völlig neue Aufgaben. Ein Beitrag zu einer überfälligen Debatte von Roderich Kiesewetter.

"Das Ende der Wehrpflicht naht!", "Alles bleibt wie bisher!", "Der Wehrdienst wird verkürzt!", so turbulent wie diese Schlagzeilen der Medien, so waren die vergangenen Wochen in Berlin. Es geht um unsere Finanzlage, um die Zukunft unseres Landes – und um die Zukunft von Bundeswehr und Wehrpflicht. Klar ist, Einsatzorientierung und Sparauflagen der Streitkräfte erfordern straffere und schlankere Strukturen, nicht zuletzt auch im Verteidigungsministerium und in den zahlreichen Kommandobehörden. Insbesondere aber in der Wehrverwaltung kann und muss gespart werden. Hier ist, sozialverträglich, aber zügig und zielführend, weiterer Personalabbau notwendig – und möglich. Denn die im Grundgesetz vorgesehene Trennung von Streitkräften und Wehrverwaltung (Artikel 87) hatte ein Jahrzehnt nach Ende des Dritten Reichs ihre Berechtigung. Heute ist sie beim Aufbau moderner Streitkräfte hinderlich. Doch es geht in diesen Wochen nicht nur ums Sparen. Es geht um mehr.

Politik und Gesellschaft haben zu lange versäumt, die sicherheitspolitischen Interessen und die Gefährdungslage unseres Landes zu diskutieren. Genauso haben sie es versäumt, der jungen Generation den Wert gesellschaftlichen Engagements zu vermitteln. Stimmen, die diese Defizite anmahnten, wurden lange nicht gehört – und manchmal sogar belächelt. Dieser Haltung liegt eine Scheuklappenperspektive zugrunde, die das prosperierende und sichere Deutschland für naturgegeben hält.

Wir leben jedoch in einer Welt mit zahlreichen gleichzeitig ablaufenden Ereignissen, die sich im Handumdrehen zu globalen Krisen entwickeln können. Die Finanzkrise ist dafür ein Beispiel. Dass sich diese Prozesse auf Deutschland und die sicherheitspolitische Entwicklung in unserem Land auswirken könnten, haben nur wenige geahnt. Unsere Soldaten haben gelernt, wechselhafte Lagen stets als Herausforderung anzunehmen. Das gilt aber nicht für die gesamte Gesellschaft unseres Landes. Dieser Artikel soll helfen, in der derzeit etwas verfahrenen Diskussion zu vermitteln. Ich gehe dabei von insgesamt vier Punkten aus, über die in unserer Gesellschaft Konsens herrschen sollte:

1. Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik ist werteorientiert und interessengeleitet. Deshalb ist unser Land ein anerkannter und wichtiger Partner, etwa in den Vereinten Nationen (UN), der Europäischen Union (EU) oder des westlichen Verteidigungsbündnisses (Nato). Entscheidend ist, dass die deutschen außenpolitischen Interessen und die Sicherheit unserer Staatsbürger die maßgebliche Leitlinie bleiben für die Entscheidung pro oder kontra eines deutschen Militärengagements. Dabei gilt unverändert der Parlamentsvorbehalt. Zudem ist bei friedenssichernden oder -schaffenden Einsätzen, aber auch in der Konfliktnachsorge ein Mandat der UN anzustreben.

2. Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik muss ganzheitlich und vernetzt vorgehen. Das bedeutet, es muss das gesamte verfügbare Spektrum ziviler (diplomatisch, entwicklungspolitisch etc.), militärischer und nachrichtendienstlicher Mittel und Fähigkeiten bewertet werden.

3. Die Wehrpflicht hat sich bewährt. Sie trägt seit 1957 dazu bei, unsere Streitkräfte in der Gesellschaft zu verankern. Mehr als acht Millionen Bürger haben als Grundwehrdienstleistende in den Streitkräften gedient. Viele haben eine Laufbahn bei der Bundeswehr als ihren Berufsweg gewählt, mehr als eine Millionen Menschen in Deutschland unterliegen der Wehrüberwachung. Hunderttausende Reservisten haben die Bundeswehr im Alltagsdienst wie auch im Einsatz unterstützt und tragen erheblich zur Wehrfähigkeit Deutschlands bei.

4. Über die Wehrpflicht, das Konzept des Staatsbürgers in Uniform und das Prinzip der Inneren Führung sind Bundeswehr und Gesellschaft eng verbunden. Diese Verbindung wird täglich gelebt: durch das ehrenamtliche Engagement zehntausender Soldaten in ihren Gemeinden, im Sportverein, im Gemeinderat und anderswo. Eine andere Wehrform würde dieses gewachsene Band wechselseitigen Vertrauens in unserer gefestigten Demokratie heute nicht mehr gefährden. Wichtig bliebe jedoch, dass die Gesellschaft die Bundeswehr weiterhin als einen festen Teil von sich und als wohlwollend wahrnimmt.

Was folgt daraus für die Wehrpflicht? Eine wesentliche Voraussetzung für ihren Fortbestand ist Wehrgerechtigkeit. Seit der Streitkräfteumfang auf 250.000 Soldaten verringert und der Grundwehrdienst auf neun Monate verkürzt wurden, war sie nur noch dadurch zu gewährleisten, dass strengere Tauglichkeitskriterien angelegt wurden. Inzwischen steht die Hälfte eines männlichen Jahrgangs aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zum Wehr- oder Ersatzdienst bereit. Nur noch 17 Prozent eines Jahrgangs leisten Wehrdienst. Allerdings werden 80 Prozent der Männer, die tauglich und zum Wehrdienst bereit sind, auch eingezogen. Dennoch: Aus ihrer Sicht betrachtet, ist an die Stelle des Wehrdienstes ein Wahldienst getreten. Soldat, Zivildienstleistender oder Ausgemusterter – junge Männer können heute zwischen einer dieser Statusgruppen nahezu frei wählen und damit den Dienst an der Gesellschaft sogar vollständig umgehen.

Wichtig für unser Gemeinwesen ist aber, dass sich möglichst viele junge Männer und Frauen für eine begrenzte Zeit zum Dienst für die Gesellschaft bereiterklären. Unsere alternde Gesellschaft ist auf ihr Engagement und Pflichtbewusstsein angewiesen. Hier gilt es Anreize zu schaffen, die einen freiwilligen Gemeinschaftsdienst fördern.

Folgender Schluss lässt sich ziehen: Über die Wehrpflicht darf nicht nach Kassenlage entschieden werden. Sie bedarf der sorgfältigen gesellschafts- und sicherheitspolitischen Diskussion und sollte deshalb nicht im Hauruckverfahren ausgesetzt oder gar abgeschafft werden. Und bei aller Dankbarkeit über die goldenen – weil friedvollen – Jahrzehnte des wiedervereinigten Deutschlands sollte nicht vergessen werden: Nur die Wehrpflicht garantiert im Notfall einen raschen Aufwuchs der Bundeswehr.

Was folgt daraus für die Bundeswehr? Entscheidend für unser Land und sein internationales Gewicht ist nicht nur die Wirtschaftskraft, sondern es sind dies auch bündnis-, einsatz- und innovationsfähige Streitkräfte. Der Schwerpunkt der Bundeswehr liegt künftig auf internationalen Einsätzen. Gleichwohl muss ein Mindestmaß an nationaler Sicherheits- und Krisenvorsorge zur Landesverteidigung und zum Katastrophenschutz vorgehalten werden. Das ist ein Verfassungsauftrag! Dazu ist der Mindestbedarf an Fähigkeiten zu definieren und bereitzustellen. Die Wehrform muss in dieses Gefüge passen. Wer die Wehrpflicht aussetzen will, muss eine Antwort darauf geben können, wie sich unsere Streitkräfte langfristig mit qualifiziertem Personal regenerieren sollen. Hier kommt unseren Reservisten eine besondere Aufgabe und Verantwortung zu.

Die Ergebnisse der Strukturkommission der Bundeswehr werden mit Spannung erwartet. Eine schlagkräftige und schlanke Bundeswehr, die zugleich Wehrpflichtarmee unter den Grundsätzen der Wehrgerechtigkeit sein soll, ist nicht realisierbar und auch nicht mehr finanzierbar. Der sechsmonatige Wehrdienst ist ein Koalitionskompromiss, der für die FDP den Ausstieg aus der Wehrpflicht und für die Union die Rettung eines Dienstes bedeutet, der bisher zum Grundverständnis unseres Landes gehört. Dieses Dilemma lässt sich nur politisch lösen. Was wir also brauchen, ist:

– eine Debatte über unsere sicherheitspolitischen Interessen, internationale und nationale Verpflichtungen, eine Debatte über den Dienst für die Gemeinschaft und wie er organisiert werden kann. Ihre Ergebnisse müssen in eine tragfähige politische Entscheidung münden. Ich schlage einen Bund-Länder-Gipfel mit den Sozialverbänden zum Thema (freiwilliger) Dienst für die Gemeinschaft vor;

– eine Initiative "Tu‘ was für Dein Land!". Es müssen Anreize für den Dienst an der Gemeinschaft, etwa Wehrdienst oder freiwilliges soziales Jahr, geschaffen werden. Dazu sollten wir auch auf die Erfahrungen unserer Verbündeten in Europa und auf dem nordamerikanischen Kontinent mit ihren Modellen zurückgreifen;

– keine "Sicherheitspolitik nach Kassenlage"! Die Frage Wehrpflicht- oder Freiwilligenarmee muss sicherheits- und gesellschaftspolitisch begründet sein. Unsere Armee muss schlagkräftig, flexibel, modern und attraktiv sein. Eine Freiwilligenarmee ist vermutlich aufwendiger und teurer, weil der Staat keinen privilegierten Zugang auf den Arbeitsmarkt mehr hat. Angesichts des Bevölkerungsrückgangs und unzureichender Wehrgerechtigkeit brauchen wir ein schlüssiges Wehrdienstkonzept, das zügig umgesetzt werden kann. Aktuell verpflichten sich 40 Prozent der Grundwehrdienstleistenden für einen längeren Dienst in den Streitkräften. Wohlüberlegt. Aus eigener Anschauung. Fällt die Wehrpflicht, müssen neue Anreize geschaffen werden, junge Leute für die Bundeswehr zu verpflichten;

– eine überarbeitete Reservistenkonzeption, wonach Reservisten Aufgaben übertragen werden, die bislang den Streitkräften oblagen und diese entlasten. Dies kann gegebenenfalls auch in Zusammenarbeit mit den Wehrersatzbehörden erfolgen, etwa bei der Werbung von Ungedienten oder von im Berufsleben weiterqualifizierten Reservisten mit besonderen Fähigkeiten für die Streitkräfte oder bei der Aus- und Weiterbildung von aktiven Soldaten und Reservisten. Reservisten können die Truppe im aktiven Dienst entlasten, zum Beispiel als Juristen im Rechtsunterricht, aber auch ausgeschiedene Soldaten, die sich für den weiteren Dienst in der Reserve qualifizieren. Die Bundeswehr müsste dazu eine geeignete Infrastruktur zur Verfügung stellen;

– attraktive und flexible Verpflichtungs- und Arbeitszeitmodelle, durchlässige Laufbahnen, abhängig von weiteren Bildungsabschlüssen und Qualifizierungen. Gerade Reservisten, die nach ihrer Dienstzeit berufliche Expertise und Erfahrung in Führungs- und Fachaufgaben – zum Beispiel als Handwerker oder Ingenieur – gesammelt haben und mitten im Berufsleben stehen, sollten bei flexibler militärischer Qualifizierung ihre Fähigkeiten stärker als bisher in die Streitkräfte einbringen können. Hierbei sollten auch flexible und attraktive Wiedereinstellungsmöglichkeiten angeboten werden, um die für die Streitkräfte notwendigen Qualifikationen bei der im "demografischen Tsunami" zu erwartenden Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und im Wettbewerb um die besten Köpfe zu gewinnen;

– eine aktive Begleitung der Berufsanfänger in der Bundeswehr durch den Reservistenverband (VdRBw) sowie das Angebot einer einjährigen Schnuppermitgliedschaft im VdRBw nach Ausscheiden für alle Grundwehrdienstleistenden und Zeitsoldaten;

– eine Kommunikationsstrategie, die in die Streitkräfte und in die Reservistenvereinigungen wirkt und die neuen Herausforderungen erklärt. Die Politik sollte für den Neuansatz des Dienens in der Gesellschaft werben und die Neuausrichtung der Bundeswehr sicherheitspolitisch sowie für die Menschen nachvollziehbar begründen.

 

Dieser Namensbeitrag ist in der aktuellen
Ausgabe (7/8 2010) unseres sicherheitspolitischen
Magazins "Loyal" erschienen

Der Autor ist Stellvertreter des
Präsidenten des Reservistenverbandes

Bild oben: Grundwehrdienstleistende im
Hochwassereinsatz (Foto: Bundeswehr,
Landeskommando Brandenburg)

Bild Mitte: Roderich Kiesewetter (MdB),
Stellvertreter des Präsidenten des
Reservistenverbandes (Foto: dest)

Bild 2. von unten: Grundwehrdienstleistende an
ihrem ersten Tag als Soldat
(Foto: Eckhard Schwabe)

Bild unten: Image-Logo "Tu‘ was für Dein Land!"
des Reservistenverbandes (Foto: VdRBw)

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