Vabanquespiel auf der koreanischen Halbinsel?
Wenn Nordkorea genannt wird, richtet sich der Blick der Öffentlichkeit derzeit auf die russische Grenzregion. Dort sind rund 10.000 nordkoreanische Soldaten an den Kriegshandlungen Russlands gegen die Ukraine beteiligt. Derzeit scheinen sie im Kampf gegen die ukrainischen Truppen eingesetzt zu werden, die einen kleinen Teil der russischen Region Kursk eingenommen haben und nun verteidigen. Nordkorea beteiligt sich, neben der Bereitstellung mit Kriegsgerät, nun auch mit eigenen Soldaten am Krieg. Damit wird es zum aktiven Teilnehmer. Im Verhältnis zur Zahl der gesamten, am Krieg in der Ukraine beteiligten Soldaten, sind die nordkoreanischen Truppen militärisch zu vernachlässigen. Ihr Einsatz hat somit einen symbolischen Charakter. In jedem Fall zeigt er eine Internationalisierung des Krieges in der Ukraine. Die Zusammenarbeit zwischen Nordkorea und Russland hat sich in nur wenigen Monaten intensiviert.
Im September 2023 und im Juni 2024 hielten Russlands Präsident Wladimir Putin und Nordkoreas Oberster Führer Kim Jong-un zwei Treffen ab. Bei dem Treffen im Juni 2024 in Pjöngjang wurde eine umfassende strategische Partnerschaft vertraglich festgehalten. Darin wird unter anderem die gegenseitige militärische Unterstützung versichert, im Falle einer Invasion durch einen oder mehrere andere Staaten. Bereits seit 2023 liefert Nordkorea Munition und Artillerie an Russland, für dessen Krieg gegen die Ukraine. Ende März 2024 erteilte Russland der Erneuerung des Mandats des „Panel of Experts“, das dem Komitee zur Überwachung der Sanktionen gegen Nordkorea unterstellt war, ein Veto. Es sollte Sanktionsverletzungen melden und Vorschläge erarbeiten, wie diese verhindert werden können. Nun schickte Nordkorea 10.000 Soldaten nach Russland – zunächst zur Ausbildung. Mittlerweile zeigen Berichte, dass sie gezielt gegen die ukrainischen Truppen in der Kursk-Region zum Einsatz kommen.
Im November 2024 hat Moskau seine Nukleardoktrin angepasst. Wenngleich es nicht explizit so gewollt war, ist dort eine Formulierung zu finden, die vor dem Hintergrund der engeren Zusammenarbeit Nordkoreas und Russland einer Erwähnung bedarf: „Aggression against Russia and/or its allies by any nonnuclear state with participation or support from a nuclear state will now be considered a joint attack“. In der Doktrin werden explizit Aggressionen gegen Russlands Alliierte durch nicht-nuklear bewaffnete Staaten, die durch nuklear bewaffnete Staaten unterstützt werden, als gemeinsamer Angriff angesehen. Gemäß der Doktrin würde das den Einsatz von Nuklearwaffen rechtfertigen.
Zweckbündnis oder neue Allianz?
Zum jetzigen Stand wäre es falsch, zwischen Pjöngjang und Moskau von einer Allianz zu sprechen. Eher muss man es als Zweckbündnis charakterisieren. Eine Weiterentwicklung hin zu einer Allianz kann aber mittelfristig nicht ausgeschlossen werden. Besonders wenn Russlands Kampf in der Ukraine weiter erfolglos bleibt. Die Beziehungen zu Nordkorea zu intensivieren, bringt Russland zusätzliches Kriegsmaterial und – zum jetzigen Zeitpunkt in noch geringem Maße – Mannstärke, die es im Krieg gegen die Ukraine einsetzen kann. Diese Partnerschaft ist damit für den Kreml ein weiteres Mittel, um den Krieg fortzuführen. Nordkorea erwartet dafür Gegenleistungen von Russland. Die unterzeichnete strategische Partnerschaft verpflichtet auch Russland, Nordkorea militärisch Beistand zu leisten, sollte es angegriffen werden. Während sich der Fokus der Berichterstattung stark auf diese militärische Beistandsklausel konzentriert, sind weitere Punkte in dem Vertrag mindestens so relevant. So sollen Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, die die Verteidigungsfähigkeit stärken. In dem Partnerschaftsvertrag ist eine engere Zusammenarbeit in verschiedenen militär-relevanten Bereichen, wie Weltraum, Biologie, friedliche Nutzung von Kernenergie, Künstlicher Intelligenz und Informationstechnologie vereinbart. Die Zusammenarbeit soll dabei durch Austausch und gemeinsame Forschung vorangebracht werden. Sie könnte mittelfristig zu einer Stärkung der militärischen Fähigkeiten Nordkoreas, durch Technologietransfer aus Russland, führen.
Der Fokus des Kremls und seine Ressourcen sind auf Europa und die Ukraine gerichtet. Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel werden dem untergeordnet. Instabilität durch ein Nordkorea mit modernen Waffensystemen wird dabei genauso akzeptiert, wie ineffektive Sanktionsmechanismen aufgrund Russlands Veto und Chinas Unwillen, diese durchzusetzen.
Solange Russlands Krieg in der Ukraine andauert und die Partnerschaft zwischen beiden Ländern auf dem jetzigen Niveau fortbesteht, wird Nordkorea versuchen vom russischen Technologietransfer zu profitieren und sich damit militärisch in eine bessere Position zu bringen. Wie sich Moskaus Unterstützung für Pjöngjang materialisiert, bleibt abzuwarten. Militärtechnologie scheint wahrscheinlicher als Material, das Russland in der Ukraine benötigt. Inwieweit die vereinbarte Beistandsverpflichtung greift, wird sich ebenfalls zeigen. Bisher bestehen also abstrakte Unsicherheiten für die Stabilität auf der koreanischen Halbinsel, die sich jedoch absehbar und schnell in konkrete Bedrohungen wandeln können. Südkorea könnte sich durch diese Aufrüstung unmittelbar bedroht sehen. Die Deklarierung Südkoreas als „feindlicher Staat“ in der nordkoreanischen Verfassung und die Kappung von Straßen- und Bahnverbindungen in den Süden tragen ihren Teil zur Unsicherheit bei.
Chinas sieht Sicherheitsinteressen berührt
Trotz dieser noch abstrakten Unsicherheit sieht China seine Sicherheitsinteressen hier berührt. Das wurde auf dem APEC-Treffen in Lima, Peru deutlich. Gegenüber US-Präsident Joe Biden soll der chinesische Präsident Xi Jinping gesagt haben: „China cannot tolerate conflict and chaos on the Korean Peninsula, and will not sit idly by while China’s strategic security and core interests are threatened.“
Ein Nordkorea, das konventionell und nuklear aufgerüstet ist, führt zu Reaktionen aus Südkorea und den USA in Form einer Stärkung der Abschreckung. Diese Entwicklung kann sich weiter hochschaukeln, bis zur Eskalation. Auch wenn er dabei nicht explizit Nordkorea oder Russland nannte, zeigt die Aussage des chinesischen Präsidenten, wie die Zusammenarbeit der beiden Staaten gesehen wird. Peking muss sich aber genau überlegen, welche Reaktionen auf diese Kooperation folgen.
Nordkorea hat unter der Covid-19 Pandemie wirtschaftlich massiv gelitten und sich weiter abgeschottet. China ist Nordkoreas wichtigster Handelspartner und das Handelsvolumen kehrt langsam auf das Niveau vor der Pandemie zurück. Peking seinerseits will Stabilität auf der koreanischen Halbinsel und eine gewisse Kontrolle über das nordkoreanische Regime. Kontrolle über Pjöngjang hilft, das Gleichgewicht auf der koreanischen Halbinsel zu Chinas Gunsten zu beeinflussen und die USA militärisch zu binden. Mit der strategischen Partnerschaft zwischen Russland und Nordkorea sieht China Kontrolle, Stabilität und auch den eigenen Einfluss in Gefahr. Die Unsicherheit lässt den Druck auf China steigen.
Balanceakt auf der koreanischen Halbinsel
China bleiben nicht unendlich viele Möglichkeiten dieser Entwicklung zu begegnen. Als Reaktion könnte es versuchen, den wirtschaftlichen Druck langsam auf Nordkorea zu erhöhen, in der Hoffnung, dass sich die versprochene Unterstützung aus Russland nicht schnell genug materialisiert und Pjöngjang die Kooperation unter diesem Druck aufgibt. Die Drohung tausende Nordkoreaner aus China zurückzuschicken, könnte als ein erster Versuch in diese Richtung gedeutet werden. Es besteht allerdings die Gefahr, dass zu harte Maßnahmen der nordkoreanischen Wirtschaft einen heftigen Schlag versetzen. Zu schnell einen zu hohen Druck zu erzeugen, könnte zudem zu einer weiteren Abkehr Pjöngjangs von Peking führen.
Eine engere Zusammenarbeit zwischen Südkorea und China wäre ein weiteres mögliches Szenario, das sich ergibt. Die beiden Staaten könnten versuchen, Fragen, die ihre Beziehungen belasten, auszuklammern und sich auf eine Stabilisierung der Lage auf der koreanischen Halbinsel fokussieren. Abzuwarten bleibt, wie weit China bereit ist, dabei zu gehen und Gefahr zu laufen, auch damit weiter von Nordkorea abzurücken. Zudem wird Südkorea nicht ohne die USA und Japan handeln, mit denen es sich in einer trilateralen Allianz befindet. Die trilaterale Kooperation von China, Südkorea und Japan ist dagegen noch nicht so weit, dass sich China hierauf verlassen könnte. Es bleibt abzuwarten, wie genau China auf Nordkoreas Annäherung an Russland reagieren wird. Eine deutliche Reaktion, beispielsweise durch unmittelbare Durchsetzung von bestehenden UN-Sanktionen, zumindest auf dem Niveau, wie sie China mitbeschlossen hat, wäre ein deutliches Signal, wenn auch unwahrscheinlich, angesichts des bisherigen Umgangs mit den Sanktionen gegen Nordkorea. In der gesamten Betrachtung ist zudem offen, wie sich die neue US-Administration verhalten wird, welche Ziele sie ausgibt und welche Mittel sie anwenden will, um diese zu erreichen.
In dieser ungewissen Situation ist die Durchsetzung von Sanktionen gegen Nordkorea zentral, um die Fortentwicklung des nordkoreanischen Nuklearprogramms und moderner Waffensysteme zu bremsen und Eskalationen zu verhindern. Die USA, gemeinsam mit anderen Staaten, müssen deshalb die bestehenden Sanktionen gegen Nordkorea aufrechterhalten und durchsetzen. Womöglich besteht in der jetzigen Situation die Chance über Gespräche zwischen China und Südkorea, das Sanktionsregime mit Chinas Hilfe stärker durchzusetzen. Darauf kann man sich jedoch nicht verlassen. Bestehende Maßnahmen zur Abschreckung auf Seiten Südkoreas und durch die USA könnten intensiviert und erweitert werden. Der potenzielle Technologietransfer aus Russland und damit verbundene Bedrohungen müssen dabei mitgedacht werden.
Deutschlands Beitrag zu mehr Stabilität und Sicherheit
Gerade weil sich Nordkorea am Krieg in der Ukraine aktiv beteiligt, sollte Deutschland im Rahmen seiner Möglichkeiten auf der anderen Seite des eurasischen Kontinents einen Beitrag für mehr Stabilität und Sicherheit leisten. Es beteiligte sich bereits zweimal an dem minilateralen Format Pacific Security Maritime Exchange (PSMX), zur Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea. Die deutsche Marine war 2021 mit der Fregatte „Bayern“ und 2024 mit der Fregatte „Baden-Württemberg“ vor Ort. Weitere Beteiligungen wären zielführend. An der Grenze zwischen Nord- und Südkorea engagiert sich Deutschland ebenfalls bei einer Überwachungsmission des UN-Kommandos seit 2024. Eine dauerhafte Beteiligung stellt einen weiteren Beitrag dar, den Deutschland in diesem Konflikt für mehr Stabilität auf der koreanischen Halbinsel leistet.
Die rund 10.000 nordkoreanischen Soldaten bergen mit Blick auf den Ukrainekrieg eine neue Eskalation in sich, die militärisch überschaubar zu sein scheint. Die vereinbarte umfassende Partnerschaft zwischen Russland und Nordkorea birgt für die koreanische Halbinsel ein Bedrohungspotential, das sich schnell materialisieren kann. Für China sind damit eigene Interessen bedroht. Unklar ist jedoch, wie es darauf reagiert. Ob es dabei auf Nachbarstaaten zugeht, oder andere Maßnahmen ergreift, um die eigenen Interessen von Stabilität und Kontrolle durchzusetzen, bleibt offen. Die Sanktionen gegen Nordkorea müssen durchgesetzt werden, um eine gefährliche Destabilisierung auf der koreanischen Halbinsel zu verhindern. Hieran kann sich auch Deutschland beteiligen und sollte es im Rahmen seiner Möglichkeiten weiter tun.
Autoreninfo:
Josef Hebeda studierte im Bachelor Soziologie und Wirtschaftswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. An der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg studiert er derzeit den Master Peace and Conflict Studies. Daneben ist er im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Sein Interesse liegt in der Sicherheitspolitik im Indopazifik und auf der koreanischen Halbinsel.
Literaturtipps:
- Ministry of Foreign Affairs of Japan (2024): The Ninth Japan-China-ROK Trilateral Summit.
- Mohr, Marcus (2024) Die Marine und die Nordkorea-Sanktionen der UN, Bundeswehr.
- Shin, Hyonhee (2024): Key points of North Korea, Russia landmark strategic partnership treaty, Reuters.
- Vates, Daniela (2024): Wie gefährlich ist Nordkorea, Herr Ballbach?, RedaktionsNetzwerk Deutschland.