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Verbrannte Wälder und florierende Korruption – Brasilien unter Bolsonaro

Jair Bolsonaro – ein Name, der Brasilien und die Welt jahrelang polarisierte. Es ist der Name des 38. Präsidenten der größten Nation des südamerikanischen Kontinentes. International bekannt wurde er durch seine militaristische Politik, rechtsextreme Rhetorik und letztendlich Verstrickung in illegale Brandrodungen. Als er Ende 2018 die Wahlen in Brasilien gewann, versprach er seinen Wählern viele Dinge. Allem voran nahm er sich vor, die vorherrschende Macht der Kriminalität einzudämmen. Aber ist es ihm wirklich gelungen das Land zu einem sicheren Ort zu machen?

(Foto: Erick Caldas Xavier via Wikimedia Commons)

Um beurteilen zu können, wie sich Brasilien unter Bolsonaro entwickelt hat, muss vorher ein Bild gezeichnet werden, wie es vor seiner Amtszeit aussah und was sich seitdem getan hat. Während der Wahlperiode Ende 2018 ließ sich Bolsonaro als Spitzenkandidat der wirtschaftsliberalen und konservativen Partei Partido Liberal aufstellen. Nachdem der ehemalige Fallschirmjäger Jahrzehnte vorher als Abgeordneter im Senat tätig war und mehrere Parteiwechsel vollzogen hatte, war ihm in der letzten Wahlperiode der Sieg zur Präsidentschaft gelungen. Bolsonaro gestaltete Wahlprogramme und eine Weltanschauung ähnlich jenen des ein Jahr zuvor gewählten US-Präsidenten Donald Trump, in dem die Probleme des Landes auf soziale Randgruppen und die politische Opposition abgewälzt wurden. Dabei kannte der Populist sein Wählerklientel sehr gut und stimmte viele Punkte auf die Bedürfnisse dieser gesellschaftlichen Gruppen ab: Erz-katholisch, auf dem Land ansässig, konservativ und mit verhältnismäßig wenig finanziellen Mitteln ausgestattet.

Illegale Waldrodungen und Ungleichverteilung

Ähnlich anderen populistischen Politikern hat es Bolsonaro auf eine begrenzte, aber dafür sehr aktive Wählerschaft abgesehen. Seine Gesetze und Kampagne beschränkten sich auf sehr einseitige Ziele, welche nicht das Allgemeinwohl steigern, sondern anhand der „Brecheisenmethode“ Werte einer konservativen Splittergruppe erfüllen sollten. Dies hat sich zuletzt durch schwere Waldbrände geäußert, die im Amazonas-Gebiet gelegt wurden, um Grasland für Nutztiere, allen voran Kühe, zu schaffen. Die in Brasilien ansässige Fleischindustrie, welche für den internationalen Markt produziert, ist ein wichtiger Bestandteil des Bruttoinlandsproduktes (BIP) sowie ein Hauptindustriezweig außerhalb urbaner Gewerbegebiete. Doch die Zerstörung des wichtigsten Biotopes der Erde konnte Brasilien nicht zu neuem Glanz verhelfen. Das BIP des Landes befindet sich seit 2014 in einem Negativ-Trend und erholt sich nur langsam. Gleichzeitig wächst die örtliche Bevölkerung zusammen mit der Arbeitslosenquote. Letztere hat 2021 mit 14,2 Prozent den seit 20 Jahren höchsten Stand erreicht.

Dieser ökonomisch angeschlagene Zustand des Tropenlandes schlägt sich dementsprechend auf das gesellschaftliche Klima nieder. Die Armut hat, basierend auf ökonomischen und sozialen Faktoren, in Brasilien in den letzten Jahren wieder zugenommen. Verdeutlicht wird dies durch den sogenannten Gini-Koeffizienten (GK), welcher in einem Bereich zwischen 0 (keine soziale Ungleichheit) und 1 (absolute soziale Ungleichheit) angegeben wird. Obwohl Brasilien mit vielen Entwicklungsprogrammen und Investitionen die soziale Gleichheit im Land wesentlich verbessern konnte, beläuft sich der GK aus dem Jahr 2020 auf 0,489. Damit hat Brasilien noch heute eine der größten sozio-ökonomischen Klüfte weltweit. Das bedeutet, dass ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung die Mehrheit der Finanzgüter besitzt. Diese Ungleichverteilung erzeugt wiederum einen finanziellen Druck auf Mitglieder der unteren Einkommensschichten. Mit instabiler wirtschaftlicher Situation und wenig Aussichten auf wirtschaftlichen oder sozialen Aufstieg steigen allerdings auch Anzahl und Intensität von Straftaten, sodass die organisierte Kriminalität (OK) über signifikante Macht im Land verfügt.

Armut als Treiber von Kriminalität: Entgegen der Ankündigungen konnte die Regierung Bolsonaro die sozialen Zustände in Brasiliens Favelas nicht verbessern. (Foto: Wilfredo Rafael Rodriguez Hernandez via Wikimedia Commons)

Städte als Territorien der Kriminalität

Diese Situation von Unsicherheit und Druck, mit der die Bürger Brasiliens immer noch allein gelassen werden, erzeugt eine angespannte soziale Situation, in welcher Perspektivlosigkeit ein großes Problem darstellt. Im Angesicht dieser schier ausweglosen Situation bleibt vielen Menschen oft nur ein Weg, um aus der Armut zu entfliehen: Kriminalität. Diese wird mittlerweile in etablierten Strukturen organisiert und ist durch Handel mit illegalen Gütern neben dem Staat zu einem weiteren Macht-Pol herangewachsen. Diese strukturierten Gangs, in Brasilien auch Comandos genannt, unterscheiden sich dabei in ihrer Identität hauptsächlich durch die Herkunft ihrer Gründungsstädte. So residiert das in Rio de Janeiro gegründete Comando vermelho (CV), auf Deutsch rotes Kommando, ebendort und stärkt seinen Einfluss auf die Bevölkerung. Bis heute ist das CV eine der größten Gangs in ganz Brasilien. Wichtig zu beachten ist jedoch, dass diese Strukturen der OK keine einheitliche Form bilden. Sie sehen sich untereinander oft der Rivalitäten mit anderen Banden konfrontiert und versuchen sich auf dem von Gewalt geprägten Schwarzmarkt zu behaupten. So sind einige bekannte Feinde des CV andere einflussreiche Gangs, wie die ebenfalls in Rio de Janeiro anzutreffenden Amigos dos Amigos („Freunde der Freunde“) oder Terceiro Comando Puro („Drittes „reines“ Kommando“) sowie die aus São Paulo stammende Primeiro Comando do Capital („Erstes Kommando der Hauptstadt“).

Historisch gesehen sind die Gangs in den Diktaturperioden Brasiliens entstanden. In Zeiten der Unterdrückung wurden Mitglieder der politischen Opposition zusammen mit normalen Kriminellen inhaftiert. Die Folge dessen war, dass verbrecherisches Wissen mit zivilem Widerstand verschmolz und so die Grundlage für die heutigen Comandos geschaffen wurde. Während diese Banden anfänglich lokal aktiv waren und sich auf Raubüberfälle und ähnliche Straftaten fokussiert haben, sollte der Kokain-Rausch der 1980er Jahre schnell Wandel in die kriminelle Dynamik des Tropenlandes bringen. Damals wie heute sind die Armutsviertel in Brasilien, auch als Favela bekannt, zentraler Punkt sämtlicher illegaler Aktivitäten und Rückzugsort für die Comandos. Auch sie sind aus Unterdrückung entstanden. Ehemals stellten sie Unterkünfte für Menschen dar, die aus der Sklaverei entlassen, aber in der folgenden Periode nur wenig unterstützt wurden. Diese Siedlungen werden bis heute nicht offiziell als Stadtteil anerkannt, obwohl ein Großteil der in den Städten lebenden Arbeiter dort wohnt. Dadurch, dass der Staat seine Souveränität in diesen Gebieten aufgibt, entsteht ein Machtvakuum, das von anderen Akteuren gefüllt wird. Dies hat sich unter anderem bereits während der Corona-Pandemie gezeigt, in welcher örtliche Gangs internationale Empfehlungen zur Maskennutzung und sozialen Isolierung durchgesetzt haben. Das ist bemerkenswert, da vor allem Bolsonaro Corona für nicht existent erklärte und keine Regulierungen durchsetzen wollte.

Was im ersten Moment wohlwollend zum Schutz der Bürger klingt, ist in Wahrheit nur eine von vielen Machtdemonstrationen gegenüber den Bewohnern der Favela und dem Staat. Das tägliche Geschäft in vielen dieser Viertel sieht anders aus. Da der Staat mitsamt der Exekutiven keinen gefestigten Einfluss hat und somit Gesetze nur schwer umsetzbar sind, haben die Gangs ihr eigenes Gesetz, das sogenannte Lei do tráfico, geformt. Was auf Deutsch Gesetz des Handels bedeutet, ist im Grunde ein loses Regelwerk, an welches sich Bandenmitglieder orientieren, um in den Favelas ein Klima von Ordnung aufrecht zu erhalten. Dabei geht es jedoch nicht um Gerechtigkeit oder Rechtstaatlichkeit für die Menschen, sondern um Ruhe, welche den reibungslosen Ablauf der illegalen Geschäfte gewährleisten soll. Nicht nur sind diese Gesetze sehr vage formuliert, auch die Methoden diese umzusetzen sind von dem Urteilsvermögen des jeweils ausführenden Bandenmitglieds abhängig.

Hohe Mordraten und Produktion an Rauschmitteln

Betrachtet man Statistiken über Mordraten kann in jüngsten Entwicklungen Stagnation mit einem leicht sinkenden Trend beobachtet werden. Dies ist jedoch mehr auf die oben angesprochenen Maßnahmen gegen Corona zurückzuführen, sodass durch weniger Menschen auf den Straßen auch die Morde verringert wurden. Betrachtet man die Zahlen über einen längeren Zeitraum ist ein starkes Wachstum an Gewaltverbrechen gegenüber dem letzten Jahrzehnt zu verzeichnen. Dies ist besonders regional bedingt, wie das Beispiel von Rio de Janeiro zeigt. Daher ist zu resümieren, dass Bolsonaro es nicht aufgrund seiner Agenda geschafft hat, die Mordrate oder die Macht der OK zu verringern, sondern die sinkenden Zahlen ein Produkt ihrer Umstände sind. Gemessen daran, dass Brasilien immer noch wirtschaftlich geschwächt ist und auch die geduldeten Brandrodungen im Amazonasgebiet nur vorübergehendes und regionales Wachstum erzeugen konnten, ist zu erwarten, dass Bolsonaro weiteren Nährboden für die OK geschaffen hat. Demnach ist außerdem nicht davon auszugehen, dass sich der Handel mit verbotenen Gütern unter Bolsonaro verringert hat.

Die Comandos in Brasilien produzieren Rauschmittel aller Art, sowohl für den Binnenmarkt als auch den Export. Insbesondere der Handel mit Kokain wird so eher florieren. Während die Herstellung und der Vertrieb früher aus Kolumbien erfolgte, hat sich die Produktionskette seit Anfang der 2000er über den gesamten südamerikanischen Kontinent verteilt. So ist mittlerweile Mexiko für den Norden Amerikas verantwortlich, während Schmuggler aus Brasilien mit Hilfe einer sprachlichen Brücke eine Handelsroute nach Mozambique errichtet haben. Das afrikanische Land, welches genau wie Brasilien eine portugiesische Kolonie war, wird durch die geteilte Sprache und Infrastruktur ein Anlaufpunkt für Lieferungen der OK. Auch ist Mozambique sehr zentral gelegen, was die Weiterfuhr von Rauschmitteln nach Südafrika, den Nahen Osten und Europa erleichtert.

Das in Südamerika produzierte Kokain wird von anderen Banden vor Ort transportiert und verkauft. Sollte die Produktion also nicht reguliert werden, wird der Einfluss der afrikanischen und europäischen OK nicht eingedämpft werden, was maßgeblich die lokale Sicherheitssituation im europäischen Raum beeinflussen wird. Auch Länder des afrikanischen Kontinents werden mit den gleichen, wenn nicht sogar mit größeren Problemen zu kämpfen haben. Bereits in der Vergangenheit konnte Material aus Krisengebieten gesichtet werden, welches bewies, dass kriminelle Gruppen und terroristische Vereinigungen eine Art Zusammenarbeit eingingen. Die Terrorgruppen in Afrika und im Nahen Osten finanzierten ihren Glaubenskrieg unter anderem mit dem Verkauf von Rauschmitteln aus Ländern des südamerikanischen Kontinents. Auch wenn dieser Vertrieb nicht die Haupteinnahmequelle sein mag, so wirken sich Kriminelle und Terroristen, die Europa zum Ziel haben, dennoch aufeinander aus und formen unsere Sicherheitssituation mit.

Jair Bolsonaro war bis zum 31. Dezember 2022 Präsident Brasiliens. (Foto: Gustavo Lima / Câmara dos Deputados via Wikimedia Commons)

Brasilien: Stabilisierung in Sicht?

Zusammenfassend kann man schlussfolgern, dass unsere Sicherheit von globalen Faktoren abhängig ist, auf die wir nur wenig Einfluss nehmen können. Dies ist insbesondere dann kritisch, wenn sich die rechtsstaatliche Staatengemeinschaft Europas auf antidemokratische Akteure wie Bolsonaro verlassen muss. Denn sein Wahlversprechen, Brasilien aus der ökonomischen Krise zu verhelfen, konnte er als Präsident nicht durchsetzen. Auch die Kriminalitätsbekämpfung, welche er durch Ermächtigungen der Polizei und Lockerungen der Waffenkontrollgesetze fördern wollte, konnte er nicht umsetzen. Wobei es fraglich ist, ob das erhoffte Sinken der Zahl der Straftaten dadurch tatsächlich eingetreten wäre. Der Einfluss der OK ist mittlerweile weit mehr als ein politisches links-gegen-rechts-Problem und wird sich nur mit der Stabilisierung von Brasilien lösen lassen. Ob dies Luiz Inácio Lula da Silva, Bolsonaros linksgerichtetem Nachfolger, gelingt, werden die kommenden Jahre zeigen.

 

Autor:

Leon Voigt studiert Soziologie und portugiesische Philologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

 

Literaturtipps:

 


Dieser Text stammt aus dem Sicherheitspolitischen Newsletter des Sachgebietes Sicherheitspolitische Arbeit. Diesen können Sie hier abonnieren.

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