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Vietnam: Neuer Partner des Westens im Indopazifik?

Seit der Jahrtausendwende zählt Vietnam zu den ökonomisch am stärksten wachsenden Staaten in der Welt. Aufgrund seiner Wirtschaftskraft und geografischen Lage hat sich das südostasiatische Land zu einem wichtigen ökonomischen und politischen Akteur im Indopazifik entwickelt. Das haben auch westliche Staaten erkannt. Dass sich Vietnam wegen Grenzstreitigkeiten mehr und mehr vom „großen Bruder“ China distanziert, macht das Land auch aus sicherheitspolitischer Perspektive für den Westen hochattraktiv. Bereits jetzt existieren Kooperationen im militärischen Bereich. Entsteht hier eine neue Partnerschaft?

(Foto: Vuong Tri Binh via Wikimedia Commons)

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Doi Moi ist vietnamesisch und bedeutet „Erneuerung“. Unter diesem Begriff leitete die Kommunistische Partei Vietnams 1986 die bedeutendsten Wirtschaftsreformen des Landes ein. Die Entwicklungen ähnelten denen Chinas. Eine ineffektive Planwirtschaft, das westliche Handelsembargo und Kriege mit Nachbarstaaten machten den Wandel zu einer sozialistisch-orientierten Marktwirtschaft notwendig. Die Regierung integrierte das zuvor von Hungersnöten bedrohte und vom Westen isolierte Land in die Weltwirtschaft. Dank der Reformen erreichte Vietnam nicht nur enorme Wachstumsraten, sondern auch eine stärkere wirtschaftliche Unabhängigkeit. Parallel verbesserten sich die Beziehungen zu den USA, Japan und Europa – sehr zum Missfallen Chinas.

Staat und Gesellschaft in Vietnam

Vietnam weist eine etwas geringere Fläche als Deutschland und eine Bevölkerung von rund 100 Millionen auf. Das Land ist ein Einparteienstaat, der von einer kommunistischen Partei autoritär regiert wird. Es existiert keine Opposition und keine Gewaltenteilung. Politik und Gesellschaft werden von der Kommunistischen Partei kontrolliert. Korruption und staatliche Zensur sind weit verbreitet. Die Menschenrechtslage gilt als katastrophal, da Meinungs- und Pressefreiheit unterdrückt und die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten diskriminiert werden.

Obwohl mit der wirtschaftlichen Öffnung des Landes keine politische Liberalisierung einherging, so hatten die Reformen einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft. Der Staat investierte viel in das Bildungs- und Gesundheitssystem – auch in den ländlichen Gebieten. Die breite Streuung der Investitionen verhinderte zudem eine zu starke Ungleichheit. Das Land weist eine geringere Einkommensungleichheit auf als China oder die Vereinigten Staaten. Dank des Wirtschaftswachstums verringerte sich die Armut signifikant. 2022 betrug die Arbeitslosigkeit lediglich 2,4 Prozent, was nahezu einer Vollbeschäftigung entspricht.

Das Land wandelte sich von einem reinen Agrarstaat zu einer modernen Wirtschaft, die sich auf Exporte fokussiert. Hierzu zählen insbesondere Lebensmittel sowie Produkte der Elektronik- und Informationstechnik-Branche. Des Weiteren stellt Vietnam auch den drittgrößten Ölproduzenten Südostasiens und den achtgrößten im Indopazifik dar. Wichtigster Exportpartner sind mittlerweile die USA. China steht bei Exporten an zweiter und bei Importen an erster Stelle. Die Beziehungen der „ideologischen“ Freunde gilt aber zunehmend als belastet.

Grenzstreitigkeiten mit China

Die vietnamesische Bevölkerung ist besorgt über eine mögliche militärische Eskalation durch China – trotz der ideologischen Nähe beider Regime. Von 1979 bis 1989 befanden sich beide Länder in einem Grenzkonflikt, der auch als „Bruderkrieg“ bezeichnet wurde. Hintergrund war die Unterstützung Vietnams durch die Sowjetunion, die wiederum in Rivalität zum Reich der Mitte stand. Die chinesischen Truppen zogen sich zwar später aus Nordvietnam zurück, zerstörten aber die lokalen Infrastrukturen. Der Grenzkrieg belastet die bilateralen Beziehungen bis heute.

Im Gegensatz zur Landesgrenze ist die maritime Grenze und folglich die Zugehörigkeit einiger Inseln nicht vertraglich geregelt. Mit dem immer aggressiveren Vorgehen Chinas im Indopazifik nahmen die Zwischenfälle zu. So führte die Verlegung der chinesischen Ölplattform „Hai Yang Shi You 981“ schließlich zu einer großen Krise im Jahr 2014. Beide Länder hielten Schiffsmanöver ab und China nahm 13 vietnamesische Fischer fest. Es folgte eine Welle an anti-chinesischen Protesten in Vietnam. Nach über zwei Monaten verkündete China das Ende der Bohrungen und zog die Plattform wieder ab.

Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer. (Karte: NordNordWest/Goran tek-en/Furfur via Wikimedia Commons)

Eine militärische Eskalation konnte abgewendet werden. Dennoch ging das Reich der Mitte nicht geschwächt aus der Krise hervor. So stellte die Großmacht seine Ambitionen im Südchinesischen Meer unter Beweis. Die vietnamesische Regierung dagegen stand innenpolitisch stark unter Druck, da deren Legitimation vor allem auf wirtschaftlicher Entwicklung und dem Schutz der Bevölkerung beruht. Trotz der Mitgliedschaft Vietnams im Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) blieb deren Reaktion gegenüber China eher verhalten. Die USA hingegen verurteilten das Vorgehen Chinas als Provokation und stellten sich damit demonstrativ auf Seite Vietnams.

Indopazifik im Wandel: Eine Chance für den Westen?

Chinas aggressive Wirtschafts- und Sicherheitspolitik wird vor allem im Indopazifik deutlich. Dabei stellt der Streit um Inseln im Südchinesischen Meer neben der Taiwan-Frage eine der Hauptschauplätze dar. Davon betroffen sind neben Vietnam auch Brunei, Malaysia und die Philippinen. Im Gegensatz zu den drei anderen Ländern zählt Vietnam nicht zu den traditionellen Partnern des Westens. Die Expansion Chinas, die auch von den USA und ihren Verbündeten als reale Gefahr angesehen wird, trägt allerdings zum diplomatischen Wandel bei.

Die vietnamesische Regierung sucht neue Verbündete und möchte unter anderem ihre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten ausbauen. Die US-Regierung ist aus geopolitischen Gesichtspunkten ebenfalls an einer Annäherung interessiert. Die Rivalität zu China eint somit die jahrzehntelangen ideologischen Feinde. Seit der Normalisierung der Beziehungen in den 1990er Jahren haben beide Staaten ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit intensiviert. So wurde im Jahr 2000 ein Freihandelsabkommen unterzeichnet. Auch die Europäische Union (EU) unterhält immer stärkere Wirtschaftsbeziehungen zum südostasiatischen Land. Das 2019 beschlossene Handelsabkommen wurde bisher von 12 EU-Mitgliedstaaten ratifiziert.

Die Zusammenarbeit mit den USA nimmt im sicherheitspolitischen Bereich ebenfalls zu. So befürwortet die vietnamesische Regierung eine stärkere Rolle der Vereinigten Staaten bei Spannungen im indopazifischen Raum sowie eine engere bilaterale Sicherheitskooperation. US-Kriegsschiffe dürfen vietnamesische Häfen anfahren und es finden Gespräche zwischen Militärexperten statt. 2013 unterzeichneten beide Staaten einen Vertrag, der nuklearen Treibstoff und Technologie nach Vietnam transferierte. Seit der Aufhebung des Waffenembargos 2016 erhält das südostasiatische Land auch amerikanische Rüstungsgüter. Im September 2023 verkündeten beide Staaten offiziell ihre strategische Partnerschaft. Diese Entwicklungen werden von China sehr kritisch beäugt.

Sinnbildlich für die Annäherung: Der Besuch des damaligen US-Präsidenten Donald Trump in Vietnam 2019. (Foto: The White House via Wikimedia Commons)

Kooperationen in der Raumfahrt

Im Bereich der Raumfahrttechnologie wird Vietnam bereits seit einigen Jahren von westlichen Staaten als Partner wahrgenommen. Der Nutzen und die Bedeutung des Weltraums gehen weit über den Bereich der Forschung hinaus. Vor allem Satellitenprogramme nehmen im Hinblick auf Kriege und Sicherheitsstrategien eine immer wichtigere Rolle ein. Vor dem Hintergrund der chinesischen Provokationen im Indopazifik kooperiert Japan seit 2006 mit dem südostasiatischen Land in der Weltraumforschung. Im Jahr 2018 wurde das Raumfahrtzentrum „Hoa Lac Hi-Tech Park“ in Hanoi eröffnet. Japan investierte 688 Millionen Dollar in das Zentrum, das vietnamesische Ingenieure ausbildet.

Der Erdbeobachtungssatellit „VNREDSAT-1“ hingegen ist auf eine Kooperation mit der EU zurückzuführen. Federführend bei der Entwicklung des Programms war der Konzern Airbus und die französische Regierung. Der Start des Satelliten vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana 2013 gilt als Meilenstein der vietnamesischen Raumfahrt. „VNREDSAT-1“ ist mittlerweile über die geplanten fünf Jahre hinaus im Weltall unterwegs und sammelt Daten über die Folgen des Klimawandels.

Vietnam hat in den letzten Jahren sowohl eigene Satelliten entwickelt als auch die Kooperation mit dem Westen ausgebaut. Beispiele für Konzerne, mit denen das Land zusammenarbeitet, sind Nippon Electronic Corportation (Japan) oder Spacebel (Belgien). Der erste eigens von Vietnam entwickelte Satellit „PicoDragon“ hob 2013 erfolgreich ab und sammelte Umweltdaten. Im Satelliten „NanoDragon“ war ein automatisches Identifikationssystem eingebaut, um Daten für die Sicherung des Schiffsverkehrs im Südchinesischen Meer bereitzustellen. „NanoDragon“ startete 2021 vom Weltraumbahnhof Uchinoura Space Center in Japan, verlor jedoch den Funkkontakt. Dennoch zeigen die Projekte, warum Vietnam in der Raumfahrttechnologie ein attraktiver Partner für den Westen geworden ist.

Entstehung einer neuen Partnerschaft?

Dank seiner ökonomischen und geostrategischen Bedeutung hat sich Vietnam zu einem relevanten Player im Indopazifik entwickelt. Durch das aggressive Vorgehen Chinas fühlt sich das Land von ehemals „großen Bruder“ direkt bedroht und sucht neue Verbündete. Da die USA, Europa und Japan wichtige Partner sowie wirtschaftliche Interessen in der Region haben, ist Vietnam verstärkt in den Fokus gerückt. Dabei haben sich nicht nur die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen deutlich verbessert, sondern auch die im Sicherheitsbereich. Beispielhaft hierfür ist Aufhebung des jahrzehntelangen Waffenembargos der USA im Jahr 2016.

Ein weiteres Beispiel der sicherheitspolitischen Annäherung sind die Kooperationen in der Raumfahrttechnologie. Diese sind insbesondere vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung des Weltalls in der Geopolitik zu sehen. So können mit Satelliten aufgenommen Daten für die Sicherheit im maritimen Raum genutzt werden. Wie bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit profitieren auch hier beide Seiten davon – sehr zum Ärger Chinas. Während die USA im „klassischen“ militärischen Bereich die dominante Rolle innehaben, sind Europa und Japan in der Raumfahrt beliebte Partner Vietnams. Gemein ist allen Entwicklungen, dass sich das südostasiatische Land auf dem Weg zu einem wichtigen Partner des Westens befindet.

 

Literaturtipps:

 


Dieser Beitrag stammt aus den SiPol-News des Sachgebietes Sicherheitspolitische Arbeit. Die SiPol-News können Sie hier abonnieren.
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