Von dieser Kooperation profitieren Bundeswehr, Wirtschaft und Arbeitnehmer
Die Wirtschaft benötigt gut ausgebildetes Personal, die Bundeswehr auch. Unternehmen und Streitkräfte befinden sich daher grundsätzlich in einem Wettbewerbsverhältnis, wenn es um die klügsten Köpfe im Land geht. Aus Sicht des Logistikkommando der Bundeswehr muss das aber nicht so sein und hat daher zusammen mit Vertretern aus der Wirtschaft ein zivil-militärisches Personalmodell entwickelt. Das Vorhaben klingt revolutionär. Es enthält Chancen für die Bundeswehr, aber auch Soldaten, Arbeitnehmer und Arbeitgeber können profitieren.
Auf dem Arbeitsmarkt ist das Spannungsverhältnis zwischen der verstärkten Nachfrage nach gut qualifizierten Fachkräften und den konjunkturbedingten Abbau von Stellen monatlich zu beobachten. So ist die Arbeitslosenquote nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im Januar 2020 zwar leicht um 0,4 Prozentpunkte auf 5,3 Prozent gestiegen. Der Bedarf an Fachkräften bleibt ungebremst groß. Der größte Mangel an gut ausgebildetem Personal herrscht deutschlandweit in den Berufsgruppen Mechatronik und Automatisierung, Energietechnik, Tiefbau, Klempnerei, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Fahrzeug-, Luft-, Raum- und Schiffbautechnik, im Güterverkehr (Berufskraftfahrer) sowie in der Gesundheits- und Altenpflege. Das geht aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit hervor.
Hinzu kommt, dass die geburtenstarken Jahrgänge sich allmählich in die Rente oder Pension verabschieden. Gut ausgebildeter Nachwuchs wird zunehmend zu einer immer begehrteren Ressource auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig wachsen nicht nur die Aufgaben in der Wirtschaft, sondern auch bei der Bundeswehr. Neben den Einsätzen im Ausland nimmt die Aufgabe Landes- und Bündnisverteidigung eine immer wichtigere Rolle für die Bundeswehr ein. Zur Zeit des Kalten Krieges verteidigte die Bundeswehr die Grenze zu den Warschauer-Pakt-Staaten. Landesverteidigung heißt heute kollektive Bündnisverteidigung, zum Beispiel an den Außengrenzen der NATO. Das bedeutet, Deutschland nimmt aufgrund seiner geografischen Lage eine wichtige Rolle als Drehscheibe für die Verlegung von eigenen und verbündeten Streitkräften ein. Damit die Bundeswehr die dafür benötigten Fähigkeiten aufbauen und üben kann, braucht es Material, Ausrüstung und vor allem Personal. Die Bundeswehr sucht ebenfalls nach Spezialisten, zum Beispiel Mechatroniker, Handwerker und Kraftfahrer.
„Wir möchten der Wirtschaft keine Fachkräfte abwerben“, betont Oberstleutnant i.G. Enrico Quandt. Der Sachgebietsleiter Change Management in der Abteilung Planung I 1 Konzeption des Logistikkommandos der Bundeswehr fügt hinzu: „Wir sind an einer partnerschaftlichen Kooperation mit der Wirtschaft interessiert, um Synergieeffekte nutzen zu können.“ Das zivil-militärische Personalmodell beinhaltet Lösungen für das Problem des Fachkräftemangels und enthält sicherheitspolitisch relevante Aspekte. Unternehmen, die mit dem zivil-militärischen Personalmodell mit der Bundeswehr zusammenarbeiten, leisten auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zur Sicherheitsvorsorge der Bundesrepublik und können Vorteile nutzen.
Zivil-militärisches Lebensarbeitszeitmodell
Die Grundidee ist ein zivil-militärisches Lebensarbeitszeitmodell. Es beinhaltet die Möglichkeit, dass sich ein Arbeitnehmer im Zusammenspiel mit der Bundeswehr und dem eigenen Unternehmen weiterbilden kann. Im Modell sieht das so aus. Die Bundeswehr kooperiert zusammen mit einer Firma. Dieses Unternehmen hat zum Beispiel gerade einen Lehrling eingestellt. Er befindet sich im ersten Lehrjahr. Die Personalabteilung führt ein Gespräch mit dem Angestellten und zeigt ihm Möglichkeiten der Entwicklung und Perspektiven auf. Eine davon ist das zivil-militärische Lebensarbeitszeitmodell. Der Lehrling nimmt am Assessment der Bundeswehr teil. Bei erfolgreichem Abschluss stellt ihn die Bundeswehr nach Beendigung seiner Lehre ein und er beginnt beispielsweise eine Ausbildung zum Feldwebel welche auch die Möglichkeit bietet, einen Meisterabschluss zu erwerben. Während der Dienstzeit als Soldat leistet die Person Betriebspraktika im eigenen Unternehmen, welche eng zwischen Arbeitnehmer/-in, Bundeswehr und Unternehmen abgestimmt werden. Nach Ende der Dienstzeit bei der Bundeswehr und der damit einhergehenden Teilnahme an Berufsförderungsmaßnahmen soll eine Rückkehr ins angestammte Unternehmen erfolgen. Hier ist der Arbeitnehmer dann u.a. auf Grund seiner höheren Qualifikation und seiner Führungserfahrung besonders wertvoll für sein Unternehmen. Dieses hat sich durch die Kooperation mit der Bundeswehr dazu bereit erklärt, den bei der Bundeswehr ausgebildeten Angestellten regelmäßig für Reservistendienstleistungen freizustellen, welche freiwillig sind und ebenfalls in enger Abstimmung zwischen Arbeitnehmer/-in Bundeswehr und Unternehmen erfolgen. „Die Personalgewinnung über ein Unternehmen erfolgt immer im Einklang mit dem Unternehmen“, erläutert Oberstleutnant i.G. Quandt.
Das Logistikkommando der Bundeswehr hat die ersten Ideen für eine engere Kooperation mit der Wirtschaft im Juli 2018 in einem Positionspapier zusammengefasst. Die damalige Bundesministerin der Verteidigung zeigte großes Interesse an dem Modell und leitete einen Untersuchungsauftrag ein. Das Logistikkommando sollte herausfinden, welche Unternehmen bereit wären bei der Kooperation mitzumachen. Das Logistikkommando fand bis jetzt neun Partner aus der Logistik- und Rüstungsbranche, die an dem Projekt Personalmodell teilnehmen wollen. Mit dabei sind Automotive Safety, DHL, Kraus-Maffei Wegmann, Lindig, MBDA Missile Systems, National Air Cargo, Thielmann The Container Company, Zalando, Zufall Logistics Group. Als Arbeitsforum werden gemeinsame Workshops durchgeführt. Mittlerweile liegt eine offizielle Erklärung zur Zusammenarbeit mit den neun Unternehmen vor. Gern können sich auch weitere Unternehmen dem Projekt noch anschließen. Kurzfristiges Ziel ist es nun einen Pilotdurchgang zu starten.
Die Lösung lautet Paarbildung
Während der ersten Workshops unter dem Titel „Zukunftsorientierung Kooperationen in der Logistik – Personalmodelle“ gab es viele Fragen zu klären, unter anderem diese: Was passiert, wenn ein Mitarbeiter zur Feldwebellaufbahn bei der Bundeswehr antritt? Wird dann eine Lücke im Unternehmen gerissen? „Nein“, antwortet Oberstleutnant i.G. Quandt. Die Lösung lautet Paarbildung. Diese zielt darauf ab, bei Bedarf genau diese Lücke zu schließen. Wenn das Unternehmen zu Beginn des zivil-militärischen Lebensarbeitszeitmodells einen Mitarbeiter identifiziert, der in die Feldwebellaufbahn wechselt, befragt die Bundeswehr zielgerichtet ausgebildete ausscheidende Zeitsoldaten, ob sie Interesse haben, bei einem dieser Unternehmen zu arbeiten, was die Lücke schließen würde.
„Das zivil-militärische Personalmodell ermöglicht einen kreativen Umgang bzgl. der Personalentwicklung und Personalsteuerung“, sagt Enrico Quandt. Wenn ein Betrieb zum Beispiel einen Lehrling nicht sofort übernehmen kann, ggf. auf Grund temporär schwieriger konjunktureller Lage Mitarbeiter abbauen muss oder einem Mitarbeiter momentan einfach im Unternehmen keine Möglichkeit der Weiterentwicklung ermöglichen kann, bietet das Personalmodell für das Unternehmen die Chance, die Verbindung dennoch langfristig zu halten und später gegebenenfalls im gegenseitigen Einvernehmen wieder einzustellen.. Über die Bundeswehr kann in der Zwischenzeit im Rahmen der Feldwebellaufbahn eine Weiterbildung erfolgen. So kommt man als Führungskraft und gegebenenfalls mit einem bei der Bundeswehr erworbenen Meistertitel wieder zurück ins Unternehmen und steht der Bundeswehr als ausgebildeter Spezialist und als Reservist weiterhin für Übungen zur Verfügung. Möglich sind Berufs- und Weiterbildungsmöglichkeiten in der gesamten Bandbreite der Logistik, vom Kfz-Mechatroniker bis zur Lagerbewirtschaftung. Während einer Reservistendienstleistung entfällt das Gehalt des entsprechenden Arbeitnehmers.
„Wir möchten eine enge Bindung zu den Unternehmen aufbauen und das gegenseitige Verständnis fördern. Wenn die Unternehmen wissen, was eine Reservistendienstleistung ist und wie positiv diese für die weitere Personalentwicklung sein kann erhöht es vielleicht die Bereitschaft, Mitarbeiter abzustellen. Dies ist wiederum ein Mehrwert für die Bundeswehr, da auf Grund der derzeitigen Anpassung der Ausrichtung der Bundeswehr die Bedeutung von qualifizierten Reservisten wieder stark zunimmt“, sagt Enrico Quandt. Er ist sich sicher, dass das zivil-militärische Lebensarbeitszeitmodell Vorteile für große aber auch für kleinere Betriebe hat. Auch das Logistik Netzwerk Thüringen unterstützt das Projekt. „Maßnahmen zur Reduzierung des Fachkräftemangels in der Thüringer Logistik zählen zu den Kernaufgaben unserer Netzwerkarbeit. Deshalb stimmt uns das Projekt besonders zuversichtlich, mit dem Logistikkommando der Bundeswehr in Erfurt einen Partner gefunden zu haben, mit dem wir gemeinsam und zum gegenseitigen Nutzen diese Aufgabe angehen können“, sagt Joachim Werner, Vorstandsvorsitzender im Logistik Netzwerk Thüringen.
Bei Interesse an einer Teilnahme am zivil-militärischen Lebensarbeitszeitmodell sowie für Fragen und Details steht das Logistikkommando der Bundeswehr zur Verfügung. E-Mail: logkdobw@bundeswehr.org