Welche Rolle spielt die Reserve im Abwehrkrieg der Ukraine gegen die russischen Angreifer? Um sich dieser Frage zu nähern, hatte die Reservistenarbeitsgemeinschaft (RAG) Bundestag Oberstleutnant d.R. Oliver Palkowitsch nach Berlin eingeladen, der als OSZE-Beobachter in der Ukraine war, als der Krieg kam. Er schilderte den Parlamentariern seine Eindrücke und erklärte, warum die Reserve ganz entscheidenden Anteil daran hat, dass die Ukraine dem Angriff allen Erwartungen zum Trotz standhalten konnte. Palkowitsch war bereits sechseinhalb Jahre in der Ukraine, als Russland seinen Nachbarn in den Morgenstunden des 24. Februars angriff. So gab er den Abgeordneten auch einen emotionalen Einblick in die Tage der Evakuierung und was der Krieg mit ihm gemacht hat.
Rund 100.000 Reservisten sind in der Ukraine derzeit im Krieg – freiwillig. „Die Zahl der Freiwilligen liegt noch weit höher. Bisher wurde niemand gegen seinen Willen gezogen“, berichtete Palkowitsch. Vom Handwerker bis zum Universitätsprofessor seien Männer und Frauen quer durch alle Teile der Gesellschaft im Einsatz, um ihr Land zu verteidigen. „Diese Diversität und der absolute Wille, die eigene Heimat zu verteidigen sind der Grund, warum die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Solange sie unterstützt wird“, ergänzte er überzeugt. Dass der übermächtige Aggressor Russland die Ukraine nicht innerhalb weniger Tage eingenommen hat, ist laut Palkowitsch aber auch auf die guten Strukturen und die eingeschliffenen Routinen der Reserveverbände zurückzuführen: Sie waren nach dem Angriff verzugslos einsatzbereit – eine Folge der guten Organisation. In den vergangenen Jahren sei sehr viel Ausbildung betrieben worden, zudem hätten die aktiven Großverbände stets mit ihrem Großgerät zusammen an die Kontaktlinie verlegt, sodass jeder An- und Abzug auch einer Verlegübung gleichkam. Das habe die Mobilität der Verbände entscheidend verbessert.
Die Parlamentarier nahmen den Erfahrungsbericht des Referenten dankbar an und diskutierten angeregt über die Reserve in Deutschland und darüber, welche Ableitungen aus der Situation für die deutsche Landes- und Bündnisverteidigung getroffen werden müssen. Erst in dieser Woche hatte der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Generalleutnant Markus Laubenthal gegenüber table media betont, Ziel der Bundeswehr sei es, die Verstärkungsreserve und die Territoriale Reserve in den kommenden Jahren auf 100.000 Dienstposten aufwachsen zu lassen. Doch die reine Größe der Reserve ist aus Palkowitschs Sicht nicht entscheidend: „Wir in Deutschland brauchen ein gesellschaftliches Umdenken, einen Konsens, sich für das Land einzusetzen. Und da kommt der Reserve und ihren Mitgliedern in all ihrer Diversität eine unverzichtbare Rolle als Mittler zu.“
RAG Bundestag wählt neuen Vorstand
Alle vier Jahre wählt die Reservistenarbeitsgemeinschaft Bundestag einen neuen Vorstand. Zum neuen Vorsitzenden wurde im Rahmen der aktuellen Sitzung Dr. Kristian Klinck gewählt. Der Hauptmann d.R. aus dem Wahlkreis Plön-Neumünster gehört seit 2021 der SPD-Fraktion im Bundestag an und ist ordentliches Mitglied im Verteidigungsausschuss. Als Stellvertreter stehen ihm Pascal Kober (FDP) und Thomas Erndl (CSU) zur Seite. Seit ihrer Gründung im Jahr 2010 stand der heutige Präsident des Reservistenverbandes Oberst d.R. Prof. Dr. Patrick Sensburg der Arbeitsgemeinschaft vor, er prägte die Arbeit der RAG mehr als ein Jahrzehnt. Nachdem er 2021 aus dem Bundestag ausgeschieden war, stellte er sich nun nicht mehr zur Wahl.