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Warum das Grundgesetz Schutzlücken hat

Am 19. Dezember 2016 steuerte ein islamistischer Terrorist einen Lkw in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt des Berliner Breitscheidplatzes. Bei dem Anschlag kamen 13 Menschen ums Leben. Was wäre, wenn solche Terrorlagen nicht vereinzelnd, sondern gezielt an mehreren Punkten gleichzeitig aufträten?

Die Operation Sentinelle ist ein Teil des französischen Anti-Terrorplans. Dabei bewachen Soldaten neuralgische Punkte in Großstädten und laufen Streife. Ein Vorbild für Deutschland?

Bildquelle: Gouverneur Militaire de Paris

amtshilfebundeswehreinsatz im innern

Was, wenn es zusätzlich zu Sabotageaktionen käme, die dann das Netz der Bahn lahmlegten, wie dies etwa am 8. Oktober 2022 der Fall gewesen ist? Dürfte die Bundeswehr eingreifen und die Sicherheitsbehörden bei der Bewältigung unterstützen? In seinem Buch nimmt Dr. Christian Frick die Rechtslage in den Blick. Der Jurist erläutert im Interview warum innere und äußere Sicherheit nicht mehr strikt voneinander getrennt werden können.

Herr Frick, innere und äußere Sicherheit gehen fließend ineinander über, was bedeutet das?
Für innere Sicherheit sind im Schwerpunkt die Polizei und die Sicherheitsbehörden zuständig. Äußere Sicherheit heißt Verteidigung. Das ist Aufgabe der Bundeswehr. Diese strikte Trennung, wie sie die deutsche Rechtsordnung vorsieht, ist heute nicht mehr zeitgemäß. Im Cyber- und Informationsraum sind zum Beispiel die Gefahren, die von Cyberattacken ausgehen, so fließend, dass keine Zuordnung möglich ist („Non-Attribution“), ob davon nur die innere oder auch schon die äußere Sicherheit bedroht ist. Bei Cyberangriffen ist es in aller Regel nicht (schnell) festzustellen, wer dahintersteht, Einzelpersonen oder staatliche Akteure, von wo sie losgehen und mit welchem Ziel die Attacken geführt werden. Ein anderes Beispiel sind die Angriffe der Hamas vom 7. Oktober 2023 auf Israel. Für die äußere Sicherheit war zunächst keine Gefahr durch die Hamas gegeben. Durch die Kettenreaktionen, die der Angriff der Hamas ausgelöst hat, ist nun die Gefahr eines großen Kriegs in der Region gegeben.

Was folgern Sie als Jurist daraus, dass innere und äußere Sicherheit immer schwerer voneinander zu trennen sind?
Seit 1968 ist das Grundgesetz für den Inlandseinsatz der Streitkräfte unverändert geblieben. Aber seitdem hat sich die Bedrohungslage maßgeblich verschoben. Das heißt, der Rechtsrahmen trifft zwar weiterhin auf die Kategorien äußere und innere Sicherheit zu – die Bundeswehr soll nicht zur Kriminalbekämpfung eingesetzt werden. Dafür gibt es die Polizei. Die Gefahren haben sich aber so verschoben, dass nicht nur ein militärischer Angriff von außen, sondern auch von innen drohen kann, etwa durch hybride Kriegsführung mit Desinformationskampagnen und Cyberattacken oder Terroranschläge. Für die innere Sicherheit ist aber einzig und allein die Polizei zuständig. So können Schutzlücken in Bereichen, wo die Polizei eingreifen darf, aber dazu nicht (vollständig) in der Lage ist, entstehen. Andersherum wäre die Bundeswehr fähig, bestimmte Lagen zu bewältigen, darf aber aufgrund einer fehlenden Rechtsgrundlage nicht eingreifen.

Während der Coronakrise wurde die Bundeswehr in der Kontaktnachverfolgung eingesetzt. In Baden-Württemberg wurde die Bundeswehr zur Bewachung einer Flüchtlingsunterkunft angefordert, weil der Personalausfall bei der Polizei zu hoch war. War das rechtens?
Das Grundgesetz sagt ganz klar, außer zur Verteidigung darf die Bundeswehr nur eingesetzt werden, soweit es das Grundgesetz ausdrücklich vorsieht. Für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren muss es sich demnach entweder um einen Spannungs- oder Verteidigungsfall, um einen inneren Notstand, einen besonders schweren Unglücksfall oder eine Naturkatastrophe handeln. Während der Coronakrise in Baden-Württemberg war das lediglich Amtshilfe im Sinne von Art. 35 Abs.1 GG. Die Soldaten haben bei der Verpackung und Anlieferung von Verpflegung geholfen. Aber wenn eine Flüchtlingsunterkunft bewacht werden soll, müssen auch Regelungen durchgesetzt werden können. Nur Bestimmte Personen haben z.B. Zutritt oder einige Personen dürfen heraus, Andere müssen bleiben. Das muss man zur Not zwangsweise durchsetzen. Überall dort, wo die Bundeswehr unmittelbaren Zwang im Inneren anwenden müsste, gibt es keine ausreichenden Einsatzgrundlagen. Die bestehenden vier Einsatzmöglichkeiten in Art. 35 Abs. 2, Abs. 3, Art. 87a Abs. 3, Abs. 4 GG decken eben nicht alle Fallkonstellationen ab.

In welchen Fällen, wäre es denkbar, dass die Bundeswehr mehr Kompetenzen zum Einsatz im Innern bekommen könnte?
Stellen Sie sich vor, Drohnen fliegen über ein Umspannwerk. Wenn diese Drohnen das Umspannwerk angreifen, kann es zu Stromausfällen für einen wesentlichen Bereich im Umland kommen. Anderes Beispiel: Eine Cyberattacke legt ein Krankenhaus lahm. Das sind für sich genommen schlimme Ereignisse, die viel Schaden anrichten und auch Menschenleben kosten können. Bei Cyberattacken könnte die Bundeswehr zurückhacken. Drohnen kann die Bundeswehr abschießen. Aber all diese Fälle stellen noch keine Naturkatastrophe oder noch keinen besonders schwereren Unglücksfall dar und damit gibt es keine Grundlage für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren.

Sie haben in ihrem Buch die Rechtsnormen in Deutschland und Frankreich unter die Lupe genommen. Was läuft in Frankreich anders beim Thema innere und äußere Sicherheit?
In Frankreich wurde erneut nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo der Anti-Terrorplan Vigipirate weiterentwickelt. Die Operation Sentinelle ist ein Teil dieses Anti-Terrorplans. Dabei bewachen Soldaten neuralgische Punkte in Großstädten und laufen Streife. Ohne eine schlagkräftige Reserve wäre dieser Einsatz mit bis zu 10.000 Mann nicht langfristig durchzuhalten. Die Operation Sentinelle hat während der Olympischen Spiele in Paris eine wichtige Rolle gespielt. In Frankreich wird versucht, ein Kontinuum aus Sichherheit und Verteidigung zu implementieren. Die Franzosen haben erkannt, dass sich Gefahren gegenseitig bedingen können und Gefahren für die innere zu Problemen äußerer Sicherheit werden können. Am Beispiel der Olympischen Spiele wurde dieses Kontinuum auf der strategischen, operativen und taktischen Ebene durchgespielt und es gilt zu konstatieren, das umfassende Sicherheitskonzept war erfolgreich.

Ist der französische Ansatz ein Vorbild für Deutschland?
Dieses Kontinuum aus innerer und äußerer Sicherheit ist sicherlich etwas, was wir auch in Deutschland spiegelbildlich aufbauen sollten. Der überparteiliche politische Wille, ein Kontinuum an innerer und äußerer Sicherheit möglichst erreichen zu wollen, ist maßgeblich. Allerdings gibt es auch Nachteile für die Streitkräfte. In Frankreich ist der Einsatz der Streitkräfte im Inneren von einer temporären Lage zu einem Dauereinsatz geworden. Die Streitkräfte und Reservisten sind dort zu einer Art Lückenbüßer geworden, denn Gendarmerie und Polizei werden nicht aufgestockt. Das können wir so nicht übernehmen, denn der Bundeswehreinsatz im Innern muss die Ausnahme bleiben und darf eben nicht die Regel werden.

Wie könnte eine Lösung für uns in Deutschland aussehen, um Schutzlücken zu schließen?
Mein Vorschlag ist es, den Artikel 35 Absatz 2 Satz 1 GG zu ergänzen. Nach der jetzigen Lage können die Länder im Fall einer besonderen Lage, wenn ihre Polizei nicht ausreicht, den Bundesgrenzschutz (Bundespolizei) heranziehen. Da würde ich ansetzen und hinzufügen: Wenn die Kräfte der Bundespolizei nicht ausreichen, können in Fällen von besonderer Bedeutung die Streitkräfte durch ein Land angefordert werden. Damit verhindern Sie, dass es Inlandseinsätze eine Daueraufgabe der Streitkräfte werden. Fälle von besonderer Bedeutung wären gerichtlich überprüfbar, letztlich sogar vor dem Bundesverfassungsgericht. Mit der vorgeschlagenen Änderung erhalte ich auch den Föderalismus. Zudem sollte der Bundesrat Kontrollrechte bekommen und es sollte ein Ausführungsgesetz geben, das Einzelheiten regelt. Wann ist Landesrecht und Bundesrecht anwendbar? Wie viel kostet der Einsatz der Bundeswehr die Länder dann? Wenn das „Preisschild“ festgelegt ist, wie teuer ein Streitkräfteeinsatz im Innern werden kann, dann schreckt dies vor einer extensiven Nutzung ab. Das unterstreicht den Ausnahmecharakter der vorgeschlagenen Regelung.

Dr. Christian Frick ist Jurist und als Beamter im höheren nicht technischen Verwaltungsdienst der Bundeswehr, derzeit als Referent im Bundesministerium der Verteidigung, tätig. Er ist Oberstleutnant d.R. und in der Heimatschutzkompanie Oberrhein beordert. Dieses Interview gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder.

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