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Warum der Ostkongo nicht zur Ruhe kommt

Der Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) gilt als eine der gefährlichsten Regionen der Welt. Seit Jahrzehnten sind in unregelmäßigen Abständen Bilder von Rebellengruppen, Konflikten mit Regierungstruppen und Angriffen auf die Zivilbevölkerung in unseren Nachrichten. Allein die sich zum Islamischen Staat bekennenden Allied Democratic Forces (ADF) wird seit Mitte der 1990er für tausende Todesopfer verantwortlich gemacht. Doch das sind nicht die einzigen Milizen. Es gibt derzeit etwa 100 verschiedene bewaffnete Gruppierungen und im Laufe der Jahre Millionen von Toten und Vertriebenen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sprach im Februar 2024 von einer der größten und komplexesten humanitären Krisen der Welt.

(Foto: MONUSCO via Wikimedia Commons)

Die Gründe für die Instabilität der DRK sind diffus: Zum einen ist der Staat nicht in der Lage seine Bevölkerung und sein Territorium zu sichern und zu schützen. Darüber hinaus kommt es immer wieder zur Einflussnahme von Nachbarstaaten und nicht zuletzt finanzieren sich die Konflikte durch die vielen Bodenschätze von selbst. Nachdem der Konflikt schon seit gut 25 Jahren schwillt, ist er 2021 in eine neue Phase getreten: Die Rebellengruppe der Bewegung des 23. März, auch M23 genannt, die in den höheren Dienstgraden aus Tutsi besteht, hat nach ihrer Vertreibung 2013 die Kämpfe wiederaufgenommen. Damit kommt auch die Frage nach der Einflussnahme Ruandas wieder auf, das die M23 aktiv unterstützt. Neben Nachbarstaaten sind auch mehr und mehr private Sicherheitsdienste in die Konflikte involviert. So ist beispielsweise eine rumänische Söldnertruppe von der kongolesischen Regierung zur Ausbildung von Soldaten und zur Bewachung des Flughafens in Goma eingesetzt. Die Lage ist insgesamt unübersichtlich, aber die diversen Konfliktparteien lassen sich grob in zwei Lager einteilen: Die kongolesische Armee auf der einen und die M23, mit Unterstützung Ruandas, auf der anderen Seite. Daneben gibt es einige weitere Akteure, wie beispielsweise der Islamische Staat in Form der bereits erwähnten ADF, die zwar in einer anderen Region weiter im Norden agieren, aber dennoch von der unsicheren Lage profitieren.

Kolonisation, Völkermord und Bürgerkriege

Grundsätzlich lassen sich die aktuellen Kriege der DRK nicht ohne die Kolonisation und die anschließende mehr als 30-jährige Diktatur von Mobuto Sese Seko (1965-1997) denken. Während der Kongo zuerst in Privatbesitz des belgischen Königs Leopold II. (1888-1908) war, ging die Kolonie später in die Hände des Staates Belgien (1910-1960) über. Die koloniale Ausbeutung dieser Zeit gilt als eine der brutalsten der Welt. Auch nach der Unabhängigkeit gab es keinen funktionierenden Staat mit entsprechendem Vertrauen in Institutionen wie Militär, Justiz oder Politik. Stattdessen bereicherte sich Mobutu, der die Republik in Zaire umbenannte, wie auch seine Vorgänger durch Ausbeutung der Bevölkerung massiv an den natürlichen Ressourcen des Landes.

Erste Instabilität kam mit dem Ende des Kalten Krieges und den abkühlenden Verhältnissen der bisherigen Schutzmächte USA und Frankreich. Stattdessen wurde die Opposition im Land lauter und es kam zu Unruhen und Revolten. Als Schlüsselereignis ist schließlich der Völkermord im Nachbarland Ruanda 1994 zu nennen: Trotz internationaler Öffentlichkeit ermordete die ethnische Mehrheit der Hutu in weniger als 100 Tagen fast eine Millionen Tutsi. Als sich eine Tutsi-Miliz im Exil bildete und nach Ruanda zurückkehrte, um den Völkermord zu stoppen, flohen die Täter. Innerhalb kürzester Zeit sind so insgesamt mehr als eine Millionen Menschen – sowohl Opfer als auch Täter, also Tutsi und Hutu – im benachbarten Kongo (damals: Zaire). Als Mobutus Regierung ein Gesetz erließ, dass alle Tutsi unter Androhung der Todesstrafe aus dem Land verwies, gingen diese mit anderen verbündeten Oppositionsgruppen in eine offene Rebellion und eroberten im ersten Kongokrieg im Mai 1997 schließlich die Hauptstadt Kinshasa. Rebellenführer Laurent Kabila kam mit Unterstützung von Uganda und Ruanda an die Macht, Mobutu war gezwungen zu fliehen und Zaire wurde in Demokratische Republik Kongo umbenannt. Doch ein Frieden ist nicht in Sicht.

Es kommt zum zweiten Kongokrieg: Wieder wollen Rebellen die Regierung stürzen, wieder werden beide Seiten massiv von anderen afrikanischen Staaten unterstützt. Der Konflikt regionalisiert sich und geht als „Erster Afrikanischer Weltkrieg“ in die Geschichte ein. Auch dieser Krieg ist wie der dritte Kongokrieg mittlerweile vorbei. Doch bis heute ist das Machtvakuum, das Mobutu hinterließ, nicht adäquat gefüllt – auch wenn seit 2006 offiziell Frieden und Demokratie herrscht.

Überblick über die Kriege und Konflikte in der Demokratischen Republik Kongo seit 1998. (Karte: Creative Commons by-nc-nd/3.0/de, Bundeszentrale für politische Bildung)

Lage im Ostkongo

Während sich die Lage im restlichen Land halbwegs beruhigt – von einem stabilen Staat kann immer noch nicht die Rede sein. So schwillt der Konflikt im Osten des Landes stetig weiter. Dabei spielen ethnische Spannungen genauso eine Rolle wie Rohstoffe oder die Frage nach Landbesitz.

Was den ethnischen Aspekt betrifft, so geht es nicht nur um die Tutsi, als deren Schutzmacht sich der ruandische Präsident Paul Kagame und die Rebellengruppe M23 sehen, und die noch immer „Jagd“ auf die Hutu, die Täter des Genozids, machen. Für Ruanda, denen vorgeworfen wird die M23 zu unterstützen, gilt dies als „Angelegenheit der nationalen Sicherheit“. Es geht auch um koloniale Grenzziehungen und die Ethnisierung von außen. Ursprünglich sind Hutu und Tutsi keine verschiedenen Ethnien, wurden in der Kolonialzeit aber als solche definiert. Daneben gibt es viele andere ethnischen Gruppierungen, zwischen denen es durch die willkürliche Grenzziehung immer wieder zu Konflikten kommt. Damit einher geht die Frage nach dem Landbesitz, denn der Osten der DRK ist eine der am dichtesten besiedelten Gegenden in der gesamten Region, und auch in Ruanda mangelt es an Platz für die wachsende Bevölkerung. Diese Landkonflikte, die schon immer in der Region vorherrschten, werden politisch missbraucht und feuern die Konflikte weiter an. Hinzu kommen die Rohstoffe der Region wie Diamanten, Gold, Kupfer, Coltan oder Uran, die zwar keine Hauptursache für die Kriege sind, durch illegalen Abbau und Handel – Ruanda ist als Transitland von elementarer Bedeutung – den Konflikt weiter finanzieren.

Welche Rolle spielt der Islamische Staat?

Wie bereits erwähnt, ist es nicht nur der ethnisch aufgeladene Konflikt zwischen den Hutu und den Tutsi, beziehungsweise indirekt zwischen DRK und Ruanda, der sich abspielt. Mit den Allied Democratic Forces (ADF), die in der jüngsten Vergangenheit vermehrt für Aufsehen sorgen, gibt es etwas weiter nördlich auch einen Ableger des Islamischen Staates in Zentralafrika. Wenngleich die Gruppierung islamisch geprägt ist, weicht sie inhaltlich stark von konventionellen IS-Gruppen wie beispielsweise der im Irak ab. Sie gründete sich bereits vor gut 30 Jahren, schloss sich aber erst vor gut zehn Jahren – vor allem aus finanziellen Gründen – dem IS an. Wie bei der Lord‘s Resistance Army (LRA), die zu den christlichen Extremisten gezählt werden, handelt es sich bei ihr um eine religiös-extremistische Miliz. Für solche Gruppierungen dient der instabile Ostkongo als Rückzugsort. Beide Rebellengruppen stammen ursprünglich aus Uganda und sehen dort in der Regierung von Yoweri Museveni auch ihre Gegner. Anders als die meisten Ableger des IS versucht die ADF aber nicht einen eigenen islamischen Staat zu errichten. Und wenngleich es Videoaufnahmen gibt, in denen islamische Rituale zu sehen sind und arabisch gesprochen wird, wird davon ausgegangen, dass die Religion primär aus Gründen des Gruppenzusammenhalts verwendet wird.

Und wie auch bei den meisten anderen Gruppierungen schließen sich viele lokale Kämpfer nicht aus ideologischen oder politischen Gründen der Miliz an, sondern vor allem aus Perspektivlosigkeit und wirtschaftlicher Alternativlosigkeit. Darüber hinaus ist es bei vielen Milizen üblich bei Angriffen auf die Zivilbevölkerung Kinder und Jugendliche zu entführen und diese in ihren Camps entsprechend zu indoktrinieren und auszubilden. Es gibt Videoaufnahmen, in denen sowohl Frauen als auch Kinder Waffen tragen und bei Angriffen aktiv beteiligt sind – ein Thema, bei dem sich die Gruppierung mit der IS-Zentrale zerstritten haben soll. Insgesamt spielt Gewalt sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gruppe eine elementare Rolle. Nicht umsonst gilt die ADF als eine der brutalsten Rebellengruppen der Welt und die tödlichste im Ostkongo. Häufig wird ihre Taktik mit „Do as much damage as possible“ beschrieben.

Die humanitäre Situation

Die Kolonisation im Kongo galt als die brutalste der Welt und auch die aktuellen Konflikte können als äußerst gewaltsam bezeichnet werden. Dabei hat der Vormarsch der Rebellengruppe M23 eine noch verheerendere humanitäre Situation geschaffen, wie die Vereinten Nationen (UN) in einer Presseerklärung im April 2024 mitteilten. Nicht nur die ADF zeichnet sich durch eine brutale Kriegsführung aus. Grundsätzlich werden viele ziellose Angriffe auf die Zivilbevölkerung mit Macheten durchgeführt, um Munition zu sparen. Es wird geplündert und anschließend werden Häuser, Läden, Fahrzeuge oder medizinische Versorgungszentren abgebrannt. Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden ebenso wie sexuelle Gewalt gegenüber Männern, Frauen und Kindern als Waffe missbraucht – auch zur Durchsetzung der Hierarchie innerhalb der Milizen. Kindersoldaten sind ebenso wie Zwangsehen keine Seltenheit. Humanitäre Organisationen sprechen von alarmierenden Verhältnisse hinsichtlich Hygiene und Ernährungssituation in Flüchtlingscamps.

Durch die anhaltende Gewalt brach die Landwirtschaft ein, die Arbeitslosigkeit insbesondere unter jungen Menschen ist hoch und die Milizen brauchen Kämpfer und Arbeiter für ihre Minen. Dank Massenvertreibungen ist die Anzahl der Arbeitskräfte im illegalen Bergbau stark angewachsen und durch den stetigen Zuwachs an verarmten Geflüchteten können die Rohstoffe dort auch unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen gewonnen werden. Während die Zivilbevölkerung ausgebeutet wird und verarmt – die UN zählten im Februar 2024 landesweit rund 6,29 Millionen Binnenvertriebene – bereichern sich so die Kleptokraten. Neben der illegalen Ausbeutung von natürlichen Ressourcen gilt auch der Schmuggel insbesondere im Bereich der natürlichen Ressourcen, Holz und Waffen als äußerst lukrative Einkommensquelle.

Einheiten der UN-Friedensmission MONUSCO beobachten Stellungen der M23-Rebellen. (Foto: MONUSCO/Sylvain Liechti via flickr.com)

Internationales Engagement

Für Christoph N. Vogel, Politikwissenschaftler und Mitbegründer der Kongo-Forschungsgruppe der New York University, sind die Kriege im Osten der DRK mittlerweile wohl im gefährlichsten ihrer bisherigen vier Jahrzehnte. Dennoch richtet sich die Aufmerksamkeit der Welt eher gen Gaza oder Ukraine, obwohl seit 1999 mit der „Mission de l’Organisation des Nations Unies en République Démocratique du Congo“ (MONUSCO) eine der größten UN-Friedensmissionen in der Region läuft. Doch diese wurde nach und nach zum politischen Verbündeten der Regierung in Kinshasa beziehungsweise der westlichen Interessen degradiert und immer weiter zurückgedrängt. UN-Generalsekretär Antonio Guterres räumte im März 2024 ein, dass diese Truppen sowohl personell als auch materiell nicht gut genug ausgestattet sind, um die Region adäquat zu überwachen. Auf Wunsch der kongolesischen Regierung und wegen Ineffizienz soll MONUSCO nun sukzessive verringert und offiziell bis Ende 2024 sogar beendet werden.

Anderen Akteure wie den Friedenstruppen der Ostafrikanischen Gemeinschaft, die 2023 einen prekären Waffenstillstand überwachen sollten, erging es kaum besser. Sie sind bereits von der Regierung in Kinshasa entlassen. Nun soll es eine neue regionale Truppe der Entwicklungsgemeinschaft südliches Afrika (SADC) mit rund 2.900 Soldaten richten. Ob ihnen das nach dem Abzug der Blauhelme gelingt, ist fraglich, nicht zuletzt da erst im April mehrere SADC-Soldaten in ihrer Mission gegen die M23 ums Leben kamen. Und so erscheint der Abzug der Blauhelme immer unrealistischer, je weiter sich das Jahr dem Ende zuneigt.

Dennoch: In der Demokratischen Republik Kongo macht sich das Bewusstsein breit, dass internationale Friedensmissionen keine Lösungen bringen. Auch große, afrikanische Friedensinitiativen sind bisher zu keinen Ergebnissen gekommen. Für die internationalen Großmächte bleibt es ein Randproblem. Auch wenn die EU im August 2023 Sanktionen sowohl gegen ruandische als auch kongolesische Akteure aufgrund von Menschenrechtsverletzungen ausgesprochen hat, sieht vor allem die kongolesische Seite darin einen Widerspruch zu den guten, westlichen Beziehungen zu Ruanda.

 

Autorin:

Emma Nentwig ist Masterstudentin der Islamwissenschaft am Asien-Afrika Institut der Universität Hamburg. Zuvor studierte sie Politikwissenschaft und Arabistik unter anderem in Jena, Lille und Amman. Zu Beginn des Jahres war sie für drei Monate im Sicherheitspolitischen Dialog Ostafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kampala (Uganda). Ihre Forschungsinteressen liegen in der islamischen Ideengeschichte, sowie der Außen- und Sicherheitspolitik des Nahen und Mittleren Ostens sowie Ostafrikas. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH).

 

Literaturtipps:

 


Dieser Text stammt aus den SiPol-News des Sachgebietes Sicherheitspolitische Arbeit. Die SiPol-News können Sie hier abonnieren.
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