Was zwei Schulabgänger zum neuen Freiwilligendienst sagen
Dein Jahr für Deutschland – unter diesem Motto steht der neue Freiwilligendienst im Heimatschutz. Am 1. April 2021 treten die ersten 1.000 Rekrutinnen und Rekruten zum neuen Dienst an, für den sich bisher mehr als 4.000 Interessenten gemeldet haben. Vor ihnen steht eine siebenmonatige Grundausbildung und danach eine Phase, in der sie insgesamt fünf Monate Reservistendienst ableisten sollen.
Die loyal-Redaktion hat mit den Schulabgängern Alexander Hübner und Jonah Hardt über den neuen Freiwilligendienst gesprochen. Während Alexander sich seit der Schulzeit für die Bundeswehr interessiert, ist Jonah hingegen etwas skeptisch. Die beiden wägen die die Vor- und Nachteile des neuen Freiwilligendienstes ab.
Spricht euch der neue Freiwilligendienst der Bundeswehr an?
Alexander Hübner: Mich spricht der neue Freiwilligendienst an. Wäre er etwas früher vorgestellt worden, hätte ich mich dafür gemeldet. Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es darum, dass man bei größeren Katastrophenlagen wie der Coronavirus-Pandemie oder bei Überschwemmungen mithelfen kann. Darauf wird man auch beim neuen Freiwilligendienst vorbereitet. Ich finde die Idee gut. Die Heimat zu verteidigen, ist das, wofür die Bundeswehr früher hauptsächlich zuständig war. Das ist ein Punkt, den viele Leute heute nicht mehr so im Blick haben. Da kommt jetzt der Aspekt des Heimatschutzes hinzu. Man kann aktiv in seiner Heimat helfen. Der normale Freiwilligendienst schreckt im Vergleich dazu vielleicht ein bisschen ab, wenn man weiß, man wird ausgebildet und muss vielleicht in einen Auslandseinsatz. Beim neuen Freiwilligendienst kann man aktiv etwas vor Ort in seiner Heimat tun.
Jonah Hardt: Ich verstehe die Punkte schon. Was mich aber ein wenig stört und warum ich es nicht machen würde, ist der Aspekt mit der Grundausbildung. Aber auch was danach passiert, ist aus meiner Sicht nicht ganz klar. Wenn ich insgesamt fünf Monate wieder aktiv werden muss und ich aber jetzt studiere, finde ich das nicht so praktisch. Ich möchte mich aufs Studium konzentrieren. Wenn man zum Beispiel ein Freiwilliges Soziales Jahr im Krankenhaus macht, dauert das ein Jahr und ist danach abgeschlossen. Danach kann man sich auf etwas Neues konzentrieren. Das finde ich besser. Wenn ich eine neue Ausbildung oder ein Studium anfange, nimmt das sehr viel Zeit in Anspruch.
Wenn man während des Studiums ein Auslandssemester machen möchte, würde eine Verpflichtung, Reservistendienst abzuleisten eher stören, verstehe ich das richtig?
Jonah: Ja genau, das würde mich dann eher stören.
Aber ist es nicht eigentlich während des Studiums der genau richtige Zeitpunkt, den Freiwilligendienst zu machen, weil man in den Semesterferien zur Bundeswehr gehen könnte?
Alexander: Das trifft es genau auf den Punkt. Tatsächlich finde ich, dass das in den Semesterferien ganz gut machbar wäre. Man kann neue Erfahrungen sammeln und man würde auch noch gut etwas dazuverdienen. Andere Studenten würden unter der Woche zehn bis zwölf Stunden arbeiten. Dagegen kann man während der Semesterferien Reservistendienst ableisten und sich dann finanziell und zeitlich während der Semester besser orientieren.
Etwa 1.550 Euro im Monat sollen die Rekrutinnen und Rekruten im neuen Freiwilligendienst bekommen. Jonah, überzeugt dich das Argument, dass man mit dem neuen Dienst gut verdienen kann?
Jonah: Ja, das ist schon ganz reizend. Bei anderen Angeboten ist es eigentlich so, dass diese eher mit 300 bis 500 Euro entlohnt werden. Für dich, Alex, macht es Sinn. Du willst ja später in diese Richtung gehen. In meinem Fall, ich will Lehrer werden, macht es nicht so viel Sinn. Ich denke, für mich ist es sinnvoller, ein Praktikum in der Schule zu beginnen. Ich glaube, die Zeit ist für mich sinnvoller investiert, mich in meinem direkten Berufsfeld umzuschauen, als zur Bundeswehr zu gehen. Ich denke, das ist insgesamt eine persönliche Sache. Wenn man sowieso in den Bereich Freiwillige Feuerwehr oder Bundeswehr gehen möchte, ist der neue Freiwilligendienst vielleicht eine schöne Sache.
Ist für die Leute, die unentschlossen sind, ein Freiwilligendienst bei der Bundeswehr hilfreich?
Jonah: Ja, würde ich sagen, dass das eine Alternative sein könnte. Ich finde die Idee eigentlich ganz gut, eine Alternative zu bieten, anstatt eine komplette Ausbildung zu machen. Wenn man sich darauf verlassen kann, dass der zweite Teil nur ein halbes Jahr dauert, hat man wirklich die Chance, ein Jahr etwas Neues kennenzulernen. Diejenigen, denen es Spaß macht, können bei der Bundeswehr bleiben. Aber wenn man merkt, es ist doch nicht das Richtige, hat man nicht eine ganze Ausbildung verschenkt. Man ist da relativ unabhängig. Es ist wichtig, eine Alternative zu haben.
Alexander: Das sehe ich ähnlich. Aber vielleicht gibt es auch einige, die unentschlossen sind, welchen Freiwilligendienst sie bei der Bundeswehr machen sollen. Ich finde den neuen Heimatschutz-Dienst besser. Man kommt mit Hilfsorganisationen aus seiner Region in Kontakt. Allerdings, wenn man weiß, man will später eine Ausbildung oder ein Duales Studium machen, ist das eher unpraktisch. Dann ist die Zeit im Reservedienst schwer abzuarbeiten. Man soll pro Jahr Reserveübungen ableisten und man hat Urlaubsansprüche, für die die Zeit meist nicht für einen mehrwöchigen Reservistendienst reichen würde. Man kann sich jedoch während der Ausbildung oder während des Studiums schlecht freistellen lassen. Insgesamt halte ich den neuen Freiwilligendienst aber als Orientierungsphase für sehr sinnvoll.
Die Wehrpflicht wurde 2011 ausgesetzt. Wenn Ihr in dem Alter gewesen wärt, wofür hättet Ihr euch entschieden, für Wehrdienst oder Zivildienst?
Alexander: Bei mir wäre es auf jeden Fall der Wehrdienst gewesen, durch mein Interesse an der Bundeswehr. Ich hätte auch Interesse am Zivildienst gehabt, weil ich mich beim Deutschen Roten Kreuz engagiere. Aber ich denke, wenn ich die Wahl zwischen Wehr- oder Zivildient gehabt hätte, wäre ich lieber zur Bundeswehr gegangen.
Jonah: Bei mir ist es zwiegespalten. Ich würde wahrscheinlich den Zivildienst eher vorziehen. Das ist so eine Typsache. Mir ist der Kontakt mit Menschen, die soziale Ebene wichtiger.
Ist die Bundeswehr oder der neue Freiwilligendienst ein Thema bei Gesprächen untereinander?
Alexander: Ja, in der Schulzeit durchaus. Wir hatten da einen Mitschüler in unserer Stufe, der komplett gegen die Bundeswehr war. Er war der Meinung, dass Deutschland keine Armee bräuchte, weil es ja keinen Krieg geben würde. Es wäre unnötig, weil sich die Staaten schon an die Friedensregeln halten würden, wenn ein Land keine Armee hätte. Deshalb gab es während der Schulzeit rege Debatten, auch als es um das Thema Heimatschutz ging.
Bei den Themen Engagement von Jugendlichen und gesellschaftlicher Zusammenhalt fällt schnell das Konzept eines Allgemeinen Gesellschaftsdienstes. Haltet ihr eine Einführung eines solchen Dienstes für sinnvoll?
Jonah: Meiner Meinung nach nein, weil ich glaube, dass jeder selbst entscheiden sollte, was er oder sie machen möchte. Bei einem Allgemeinen Gesellschaftsdienst würde mich daher der Zwang stören. Ein Zwang würde viele Leute demotivieren. Wenn man sich aber bewusst für eine Sache entscheidet, hat man auch Lust darauf. Auf der anderen Seite würde ein Allgemeiner Gesellschaftsdienst die Strukturen sehr belasten. Ich glaube, speziell die Bundeswehr könnte so viele Menschen gar nicht aufnehmen.
Alexander: Ich denke tatsächlich, es würde Sinn machen. Wenn ich von der Schule gegangen wäre und es wäre zu einem Allgemeinen Gesellschaftsdienst gekommen, hätte ich da sofort hintergestanden. Es klagen viele soziale Bereiche über den Mangel an Fachpersonal. Auch die Bundeswehr braucht Nachwuchs. Es werden händeringend Pflegekräfte gesucht. Wenn man den Schulabgängern sagt, sich zumindest ein Jahr für Deutschland zu engagieren, könnte man zumindest dahingehend etwas erreichen, dass das Fachpersonal entlastet würde. Zudem würden die Personen, die einen Gesellschaftsdienst ableisten, wertvolle Erfahrungen sammeln, die sie später im Berufsleben eventuell gebrauchen können.
Gerade in diesen Zeiten ist der gesellschaftliche Zusammenhalt durch Populismus und Extremismus gefährdet. Eines der schlagenden Argumente für einen Allgemeinen Gesellschaftsdienst ist vor diesem Hintergrund, einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten zu können. Was meint Ihr?
Jonah: Ich kann den Gedankengang nachvollziehen. Ich glaube aber nicht, dass es so aussehen wird. Viele werden demotiviert in der Ecke stehen, weil sie keine Lust darauf haben. Wenn man Pech hat, könnte sich dann sogar Hass gegen Einrichtungen, die einen Gesellschaftsdienst anbieten, entwickeln. Eine erzwungene Maßnahme hat immer einen bitteren Beigeschmack. Das halte ich nicht für zielführend. Jeder hat aber natürlich das Recht, einen Gesellschaftsdienst zu leisten, um wichtige Soft Skills zu erwerben.
Alexander: Wobei viele, die damals einen Wehrdienst oder einen Zivildienst gemacht haben, sind da rausgegangen und haben gesagt: Es war vielleicht nicht mein Interessengebiet, aber die Erfahrungen waren ganz gut. Manche fanden es dann doch nicht so schlecht. Ich denke, es hat der Gesellschaft nicht geschadet. Das könnte bei einem Allgemeinen Gesellschaftsdienst auch zutreffen.
Kann man den neuen Freiwilligendienst als eine Art Testballon für einen Allgemeinen Gesellschaftsdienst ansehen?
Jonah: Ich denke, dass der neue Freiwilligendienst eine Wiedereinführung der Wehrpflicht durch die Hintertür sein könnte. Einige Politiker haben das in ähnlicher Weise angemerkt. Die Wohlfahrtsverbände haben ebenfalls kritisiert, dass der neue Freiwilligendienst eine Art Konkurrenzsituation schafft. Das halte ich aber für Quatsch, weil sich die Leute, die sich mehr für ein soziales Engagement aussprechen nicht unbedingt zur Bundeswehr gehen.
Ich denke eher, dass der neue Freiwilligendienst ein zusätzliches Angebot ist, wenn man eher Lust hat, Sport und etwas Körperliches zu machen. Natürlich kann man das als Experiment ansehen, um zu schauen, wie gut das angenommen wird. Was das Thema Wiedereinführung der Wehrpflicht angeht, denke ich: Da wird sich die Jugend melden. In meinem Freundeskreis waren 90 Prozent dagegen.
Alexander: Es rundet einerseits das Angebot ab. Man hat jetzt soziale Angebote und den freiwilligen Wehrdienst, bei dem man zum Soldaten ausgebildet wird. Es könnte auch ein Experiment sein. Man möchte schauen, wie das Engagement der Jugendlichen ist, die das dann machen. Jemand, der sich für den neuen Freiwilligendienst bei der Bundeswehr entscheidet, sollte sich jedenfalls darüber im Klaren sein, dass das etwas mit Schusswaffen zu tun hat.
Ist das an der Stelle einem so bewusst, wenn man sich die Informationen zum neuen Freiwilligendienst anschaut, dass es um soldatische Fähigkeiten wie den Umgang mit Schusswaffen geht?
Jonah: Ich habe mir die Materialien, die Infos der Bundeswehr, Werbeclips auf YouTube etc. angeschaut, und den Eindruck bekommen: Es wird auf jeden Fall nicht so verkauft. Mein erster Eindruck war, das ist so etwas wie Technisches Hilfswerk. Es wird nicht genau auf die Ausbildung eingegangen. Die Grundausbildung wird, wenn überhaupt nur am Rande thematisiert. Es wird nur die Handlung, die man später macht, thematisiert. Das ist auch in Ordnung. Aber der Schritt dahin, ist ein bisschen zweifelhaft. Da könnte man mehr zeigen, was da genau passiert.
Alexander: Ich kann jetzt nicht genau sagen, ob man da hätte dran denken müssen, weil ich schon in dem Thema drin bin. Man sieht zwar in den Spots, dass die angehenden Soldatinnen und Soldaten mit Waffen herumlaufen, aber wenn man sich das anschaut, wird einem in dem Moment noch nicht klar, was das für eine Verantwortung ist. Das wird, glaube ich, erst später im Gespräch mit dem Psychologen klar.
Würdet Ihr euch da mehr Ehrlichkeit wünschen?
Jonah: Ich denke, man könnte noch mehr Bilder von der Grundausbildung zeigen. Es wurden hauptsächlich Motive aus dem Einsatz gegen das Coronavirus und Katastrophenhilfe verwendet. Das sah ziemlich friedlich aus. Man hätte auch noch zeigen können, was man sonst noch alles macht.
Würde Euch das abschrecken, wenn da Gefechtsszenen zu sehen wären?
Jonah: Ich glaube schon, weil das in eine andere Richtung geht. Für mich wirkt das so, als würde sich die Bundeswehr offen geben und das ein wenig anders verkaufen, als es in der Realität tatsächlich ist.
Alexander: Das ist eine gute Frage. Teilweise sollten solche Szenen gezeigt werden. Es gehört zum Beruf dazu und man sollte schauen, ob das etwas für einen wäre. Ich glaube aber auch, dass ein Großteil der Leute durch Bilder von Gefechtsübungen abgeschreckt wird. Andererseits würde das dafür sorgen, dass sich die Leute, die sich für die Bundeswehr interessieren, darüber im Klaren sind, was sie erwartet. Man muss natürlich dazusagen, dass es beim Heimatschutz nicht so wie in der kämpfenden Truppe zugeht. Dennoch gehört der Umgang mit der Waffe dazu. Die Bundeswehr könnte hier noch offener sein. Denn oft sind die Sachen, die für die Bundeswehr selbstverständlich sind, für Außenstehende nicht immer selbstverständlich.
Vielen Dank für das Gespräch!