Welche Bedrohung geht von Seeminen im Schwarzen Meer aus?
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine gab es Gerüchte um herumtreibende Seeminen im Schwarzen Meer. Was die Kriegshandlungen für die Schifffahrt bedeuten, erläutert Johannes Peters, Abteilungsleiter Maritime Strategie und Sicherheit am Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel.
In der Marineschifffahrtleitung dienen regelmäßig Reservistinnen und Reservisten. In dessen Lagezentrum beobachtet die Deutsche Marine die Entwicklungen und Lageveränderungen auf den Weltmeeren. Mit Beginn des Krieges in der Ukraine wurde die Marineschifffahrtleitung im Rahmen des Krisenreaktions- und Alarmplans der Bundeswehr alarmiert. Sie wäre somit in der Lage, ab sofort als verlegbares Element des NATO Shipping Centre aktiv zu gehen. Die Marineschifffahrtleitung wäre dann Teil der NATO Naval Co-operation and Guidance for Shipping (NCAGS), die militärische Führer und die Handelsschifffahrt in Frieden, Spannungsfällen, Krisen und Krieg durch Anleitung, Beratung, Hilfe und bei Bedarf durch Aufsicht unterstützt.
Die Marineschifffahrtleitung und das NATO Shipping Center beraten und informieren Reedereien über die Lage im Schwarzen Meer. Nach Angaben der Deutschen Marine ist mit Beginn der Kampfhandlungen eine Gefährdung von Schiffen unter deutscher Flagge im Schwarzen Meer nicht mehr auszuschließen. Dementsprechend wurde im Februar für das Seegebiet die Gefahrenstufe 3 gemäß der UN-Konvention zur Schiffssicherheit festgelegt. Wie es um die Sicherheitslage im Schwarzen Meer bestellt ist, erläutert Johannes Peters, Abteilungsleiter Maritime Strategie und Sicherheit am Institut für Sicherheitspolitik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, hier im Interview.
Wie gefährlich ist das Schwarze Meer seit Beginn des Krieges für die (Handels)schifffahrt?
Da muss man differenzieren, welcher Bereich des Schwarzen Meeres gemeint ist. Wenn man sich das nördliche Schwarze Meer bis hin zum Asowschen Meer anschaut, ist es sicherlich so, dass sich durch die Kriegshandlungen die Gefahr für die Handelsschifffahrt erhöht hat. Ein Krieg birgt die Gefahr von unbeabsichtigten Attacken und Vorkommnissen.
Diverse Medien haben über Seeminen berichtet, die in der Nähe von Istanbul im Schwarzen Meer aufgetaucht sein sollen. Wie groß die Gefahr durch herumtreibende Minen?
Zu herumtreibenden Minen gibt es eine russische und eine ukrainische Darstellung. Die russischen Streitkräfte behaupteten, dass die Ukraine große Minenfelder ausgebracht und diese nicht vernünftig gesichert hätten. Dann sollen während eines Sturmes eine große Anzahl von Minen losgerissen worden sein.
Wie lautet die Darstellung der ukrainischen Seite?
Im Gegenzug haben die Ukrainer gesagt, dass das nicht stimme. Die russische Marine habe bewusst diese herumtreibenden Minen ausgebracht, um vor allem die ukrainische Schifffahrt zum Erliegen zu bringen.
Welche dieser beiden Varianten halten Sie für plausibler?
Ich glaube, dass die Darstellung der Ukrainer stimmt, nicht weil man geneigt ist, den Ukrainern eher zu glauben oder sie zu unterstützen. Zeitgleich mit dem Auftauchen dieser Minen hat der russische Geheimdienst FSB ein Papier veröffentlicht, in dem das Narrativ von den losgerissenen ukrainischen Seeminen verbreitet wurde. Man sprach am Anfang von mehreren hundert Minen. Ein paar Tage später ruderte man schon zurück und es war nur noch die Rede von 50 bis 60 Seeminen.
Tatsächlich wurden bisher nur zwei Minen gefunden. Hinzu kommt, dass diese beiden Seeminen an einer Stelle – am Bosporus – gefunden wurden, wo der gesamte Schiffverkehr im Schwarzen Meer durchmuss. Das spricht nicht unbedingt für die russische Version.
Gibt es Belege dafür, dass die russische Seite hinter den beiden herumtreibenden Minen steckt?
Nein, Beweise hat man dafür nicht. Aber wenn man sich die Umstände anschaut, wann diese Minen aufgetaucht sind – quasi zeitlich mit dem Bericht des FSB, der sich bis dato nicht als permanente Quelle der Information präsentiert hat, kann man den Eindruck gewinnen, dass da sehr viele Zufälle auf einmal zusammenkommen. Hinzu kommt, dass diese Seeminen zwar ukrainische Seeminen aus Sowjetzeiten sind, das zeigen Markierungen auf den Minen. Aber Russland verfügt seit der Annexion der Krim natürlich über Bestände der ukrainischen Marine in Sewastopol und kann auf diese zurückgreifen.
Zu Beginn des Krieges ist das estnische Frachtschiff „Helt” vor Odessa gesunken. Es gibt Gerüchte, die besagen, dass die russische Marine das Schiff gezwungen haben soll, durch ein Gebiet mit Seeminen zu laufen. Was ist da dran?
Man weiß, dass es eine Explosion gegeben hat und dass es sehr wahrscheinlich eine Mine war. Wie es dazu gekommen ist, ist nicht rekonstruierbar. Es kann sein, dass es ein navigatorischer Fehler war. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist es ein Einzelfall. Man kann nicht von einer breit angelegten Taktik der Russen sprechen, Handelsschiffe zu zwingen, in verminte Gebiete einzulaufen.
Gibt es eine Bedrohung durch offensiv ausgelegte Minen im Schwarzen Meer?
Unabhängig davon, ob es stimmt, dass auch die russische Schwarzmeerflotte – so wie es die Ukrainer behaupten – offensiv Minensperren ausgelegt hat, muss man feststellen, dass es eine Bedrohung durch Minen gibt. Es kommen aber noch weitere Faktoren zusammen. Zum Beispiel haben die Ukrainer das Gebiet um Odessa mit Minensperren versehen, um einer amphibischen Landung russischer Streitkräfte zuvorzukommen. Davor hat die ukrainische Marine klar gewarnt und die internationale Schifffahrt über diese Minenbedrohung informiert. Es gab aber auch Agenturmeldungen, wonach den Russen vorgeworfen wird, die Häfen im Donaudelta gezielt zu verminen, um Exporte von diesen Häfen zu unterbinden.
Welche Bedeutung hat die Versenkung des Raketenkreuzers „Moskau“ durch die ukrainischen Streitkräfte?
Das ist sicherlich ein signifikanter Verlust für die russische Schwarzmeerflotte, neben seiner Bedeutung als Führungsplattform, kam ihm vor allem eine tragende Rolle in der Luftverteidigung zu.. Das ist schon eine wesentliche Schwächung, die dazu geführt hat, dass die Russen ihre Operationsmuster verändert haben. Sie halten jetzt ihre Schiffe deutlich weiter von der ukrainischen Küste fern.
Hinzu kommt, dass die Schiffe der Slava-Klasse prestigeträchtige Relikte des Kalten Krieges sind, die nicht ersetzt werden können. Und schließlich die psychologische Komponente: Die Schwarzmeerflotte ist die traditionsreiche russische Flotte – der historische Kern der russischen Seemacht. Der Ukraine ist es gelungen, ein Stück russisches Hoheitsgebiet, mit dem Namen Moskau, zu versenken und es ist eben das Schiff, welches den Beschuss der Schlangeninsel durchgeführt hat. Man hat Rache für diesen Angriff genommen. Das ist ein gigantischer Propagandaerfolg für die Ukraine.
Wie wirkt sich die Versenkung auf die russische Kriegspropaganda aus?
Vom Narrativ her ist es schwer für Russland, damit umzugehen. Man befindet sich nach russischer Darstellung in einer militärischen Sonderoperation. Wie kann es sein, dass bei einer Sonderoperation, bei der alles nach Plan läuft, auf einmal das Flaggschiff der Flotte untergeht? Da gibt es große Rechtfertigungsprobleme. Das Narrativ von umsetzender Munition im Sturm ist schon dahingehend nicht haltbar, weil es keinen Sturm gab. Es ist verwunderlich, weil Munition nicht einfach so umsetzt und nicht in dem Ausmaß. Es wird in russischen Medien nach Rache für die Moskwa gerufen. Das ist schwierig, wenn die offizielle Erzählung dahingeht, dass die Ukraine mit dem Untergang nichts zu tun gehabt haben soll. Wofür will man dann Rache nehmen? Russland hat auch ein Rechtfertigungsproblem gegenüber Soldatenmüttern. Entgegen offizieller Verlautbarungen waren offenbar sehr wohl Wehrpflichtige an Bord. Es ist völlig unklar, wie viele gestorben sind. Erst hat man gesagt, alle hätten gerettet werden können. Man musste dann relativ schnell zurückrudern und hat den Verlust von 30 Soldaten eingeräumt. All das setzt das Regime innenpolitisch unter Druck.
Vielen Dank für das Gespräch!