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Aus der Truppe

Zur Lage der militärischen KI in Deutschland

Nicht erst seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine durch Russland und dem zeitnah aufgestellten 100 Milliarden Euro Sondervermögen des Bundesverteidigungs-ministeriums ist die Einsatz- und Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr ein intensiv diskutiertes Thema geworden. Dabei wird häufig über die Beschaffung von klassischem Großgerät debattiert. Technologien, die dem Cyber- und Informationsraum zugeordnet werden, finden in Deutschland dabei weniger Beachtung.

NATO-Streitkräfte erproben immer intensiver Robotertechnik mit KI-Anwendungen, wie hier einen Schreitroboter zur Unterstützung einer Patrouille der britischen Streitkräfte auf dem Luftwaffenstützpunkt Leeming im August dieses Jahres.

Foto: Public Domain

künstliche intelligenz

Allerdings zeigt der Ukraine-Krieg, dass das Potenzial dieser Technologien, insbesondere der Künstlichen Intelligenz (KI), nicht zu unterschätzen ist. Wer KI beherrscht, beherrscht die Welt, erklärte schon 2017 der russische Präsident Wladimir Putin. Grund genug, eine aktuelle Bilanz zur Leistungsfähigkeit von KI und ihren Grenzen in militärischen Konflikten zu ziehen. Aktuell ist Russland nicht als Innovationstreiber in Sachen KI-getriebener Rüstung bekannt.

Klassenprimus bei KI in der Rüstung sind, wie bei vielen zivilen technischen Fortschritten, hingegen die USA, gefolgt von China und Israel. Nicht selten werden dort KI-Innovationen in Partnerschaften zwischen Militär und privatwirtschaftlichen Anbietern in die Praxis gebracht, um das „go-to-market“- beziehungsweise „go-to-battlefield“-Verfahren von der technischen Entwicklung bis zur praxiserprobten Einsatzbereitschaft deutlich zu beschleunigen und das technische Ausfallrisiko zu minimieren. Doch auch in Deutschland sind nach dem anfänglichen Hype um KI mittlerweile eine Reihe produktiver Anwendungen im militärischen Kontext entstanden.

KI-Projekte verzögern sich immer wieder

So kooperiert die bundeseigene BWI, Digitalisierungspartner der Bundeswehr, mit dem Münchener Unternehmen Helsing im Bereich der KI-gestützten Aufklärung. Der damalige Generalinspekteur Eberhard Zorn ließ sich dabei im Dezember 2022 auf einem Truppenübungsplatz demonstrieren, wie das feindliche Eindringen in ein durch moderne Sensorik überwachtes Gebiet in Echtzeit erkannt werden konnte. Die Sensoren wurden dabei teilweise von der BWI neu entwickelt, teilweise wurde auf bestehende Bundeswehr-Sensoren zurückgegriffen. Die integrierende Softwarelösung stammt von Helsing. Ihre Software fusioniert die riesigen, multimedialen Datenmengen der Sensoren ohne merklichen Zeitverzug automatisiert, analysiert sie und überführt sie in ein dreidimensionales, digitales Lagebild. Dadurch können Feindbewegungen innerhalb von Sekunden auf dem Gefechtsfeld erkannt und Entscheidungen der militärischen Führung zeitgerecht getroffen werden. Bevor er Helsing mit Hilfe des Kapitals von Spotify-Gründer Daniel Ek aufbaute, war Gundbert Scherf als Rüstungsbeauftragter im Verteidigungsministerium tätig und an der Einrichtung des Kommando CIR beteiligt. Ob ihm der Fortschritt im öffentlichen Sektor zu behäbig war und er daher lieber Startup-Unternehmer geworden ist? In der Wirtschaftswoche übte er im April 2022 Kritik an dem Umstand, dass im 100-Milliarden-Paket digitale Lösungen unterrepräsentiert seien: „Wenn wir glaubwürdig abschrecken wollen, sollte eine intelligente Vernetzung der Bundeswehr von der Cloud bis zum Kampffeld Priorität haben“.

Stattdessen verzögern sich wichtige KI-bezogene Projekte im Verteidigungsministerium. Dies zeigt sich an dem Vorhaben, im neu eingerichteten CIR-Lagezentrum Informationen zu verarbeiten, um die Bundeswehr bei ihren Einsätzen zu unterstützen. Nach über fünf Jahren und über 60 Millionen Euro, die bereits ausgegeben wurden, ist das Lagezentrum nicht einsatzbereit. Der unbefriedigende Fortschritt wurde bereits vom Bundesrechnungshof gerügt – und die Bundeswehr kann auf diese essenzielle Unterstützung nicht zurückgreifen, genauso wenig wie die NATO insgesamt. Die Verzögerung wird insbesondere auf einen Mangel an Fachkräften zurückgeführt.

Zwei bis drei Jahre von der Bewerbung bis zur RDL

Dabei kann die mittlerweile auch politisch oft zitierte Cyber-Reserve helfen, den Fachkräftemangel in der Truppe zu reduzieren. Allerdings werden die Durchlaufzeiten von der Bewerbung bis zum ersten Tag in Uniform in Jahren gemessen. Es schließt sich die auf mindestens zwei Module aufgeteilte, sehr lehrreiche militärische Grundausbildung an, die vor der eigentlichen Cyber-Verwendung absolviert werden soll. So kann es schnell zwei bis drei Jahre dauern, ehe ein interessierter Reservist seinen Dienst in der Cyber-Truppe beginnt. In der Privatwirtschaft gelten dagegen Bewerbungsprozesse von zwei Wochen bereits als ein Risiko, den Bewerber zu verlieren, da die Nachfrage nach Cyber- und IT-Experten so immens ist.

Dennoch ist die intrinsische Motivation derjenigen, die diesen Bewerbungs- und Ausbildungsprozess durchlaufen, hoch – vielleicht dient dieser auch als Filter für diejenigen, die wirklich motiviert sind. Die meisten Cyber-Kameraden bewegt es, mit ihren in der Zivilgesellschaft erlernten und erarbeiteten Qualifikationen die Bundeswehr und damit die Landes- und Bündnisverteidigung, die Freiheit und Sicherheit ihres Landes unterstützen zu können. Der Purpose, also der gute Zweck der Tätigkeit, überwiegt dann die Verdienstchancen, die oft unter den privatwirtschaftlichen Realitäten liegen. Um langfristig den Bedarf nach Fachkräften der Bundeswehr zu erfüllen und diese für den Reservistendienst begeistern zu können, müssen Bewerbungs- und Ausbildungsprozesse dramatisch verkürzt werden.

Eine der fehlenden Fachkräfte der Bundeswehr könnte der ehemalige Offizier Florian Seibel sein. Er hat nach seiner Bundeswehr-Laufbahn das Münchener Startup Quantum Systems gegründet, sozusagen das deutsche Pendant zum amerikanischen Unicorn Anduril Industries, welches autonome Aufklärungsdrohnen entwickelt und vertreibt. Mittlerweile wurden über 100 dieser Drohnen von der ukrainischen Armee geordert und sollen Truppenbewegungen der russischen Armee aufklären. Auch hier mischt, neben dem Berliner Venture Capital Fonds Project-A ein alter Bekannter mit: US-Investor Peter Thiel stieg 2022 ein, nachdem er bereits in Anduril investiert hatte. Mittlerweile orderte auch das Bundesverteidigungsministeriums bei Quantum acht Systeme „nach langem Akquiseprozess“.

Bürokratisches Projektmanagement

Das fünfzehnköpfige Team aus Entwicklern, Kaufleuten und Soldaten um Offizier Marc Wietfeld arbeitet in Form eines privaten Unternehmens, aber in enger Kooperation mit der Bundeswehr und unterstützt von der Bundeswehr-Universität in München, an der nächsten Generation autonomer Landsysteme. Die selbstfahrenden Roboter von ARX können modulartig mit einem Störsender gegen Drohnen, mit Nebelgranaten oder intelligenten Zielscheiben zu dynamischen Schießübungszwecken ausgestattet werden. Ähnlich wie bei Quantum Systems und Helsing hat das Gründerteam von ARX den Bedarf für eine technologische Innovation in der eigenen Praxis identifiziert – und dann einen unternehmerischen Weg außerhalb von Bundeswehr oder Ministerium eingeschlagen, um eine Lösung in die Praxis zu bringen.

Denn auch ein 100 Milliarden-Euro-Topf bedeutet nicht, dass reserviertes Kapital zeit- und zielgerecht eingesetzt werden kann. Bürokratisches Budget- und Projektmanagement öffentlicher Projekte beißen sich mit der Dringlichkeit des akuten militärischen Bedarfs in Zeiten sich rasant weiterentwickelnder, hybrider Bedrohungslagen. Einen Berater-Status für zivil qualifizierte Cyber-Experten, die ohne militärische Grundfertigkeiten innerhalb der Truppe dienen können, als Pendant zum klassischen Reservisten, gibt es anders als bei anderen Streitkräften in Deutschland aktuell noch nicht. Mit der BWI, dem eigenen IT-Systemhaus des Bundesministeriums der Verteidigung, hat die Bundeswehr zwar einen schlagkräftigen Digitalpartner zur Seite, der auch viele eigene KI-Projekte vorantreibt, wie zum Beispiel das Vorhaben „mit KI durch Wände sehen. Für ein zeitgerechtes go-to-battlefield“ von KI-Innovationen scheint der Einbezug privatwirtschaftlicher Unternehmen allerdings unerlässlich zu sein.

Quo vadis?

Zu den oben genannten Anwendungen auf dem Schlachtfeld und außerhalb werden mit steigender Geschwindigkeit weitere hinzukommen. KI-Systeme können bereits laufen, sehen, hören, fühlen, greifen. Der Schritt zur autonomen Roboter-Armee, die stets gehorsam ist, nicht verschießt oder ermüdet, wäre naheliegend, auch wenn offiziell keine Streitkraft Robo-Soldaten unterhält. Dann kommt es am Ende tatsächlich auf die besseren Algorithmen sowie das bessere Training mit den passenderen Daten an. Hierbei ist essenziell, dass Operationsdaten nicht in Silos versauern, sondern unter Nutzung von Schnittstellen über Systemgrenzen hinaus nutzbar gemacht werden, um hilfreichen Input für KI-Systeme bilden zu können. Zudem kommt in der Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten der neue Aspekt hinzu, die Fähigkeiten der digitalen Teammitglieder verstehen zu lernen, um auf dem Gefechtsfeld kollaborativ zielgerichtet agieren zu können. Die Cyber-Reserve kann zudem mit aktuellen technischen Entwicklungen aus Privatwirtschaft und Wissenschaft im Gepäck dazu beitragen, als Ausbilder in nicht-militärischen Modulen Expertise zu transferieren und die Bundeswehr zu einem Innovationsführer im Cyber- und Informationsraum zu machen. Auch wird sich zukünftig die Frage nach der unabhängigen Verfügbarkeit von Computer-Chips und den dazugehörigen Rohstoffen stellen, ohne die keine KI-Systeme gebaut werden können. Ist Deutschland hier industriell zukunftsfähig aufgestellt? Am Beispiel künstlicher Intelligenz haben wir gesehen, dass Private-Public-Partnerships zur Erlangung der notwendigen Schnelligkeit und Innovationsfähigkeit elementar sind. Doch wie werden sich die privatwirtschaftlichen oder persönlichen Einflüsse von gewichtigen Investoren auf nationale Sicherheitsinteressen auswirken, wenn Privatpersonen Gesellschafter in mehreren Armeen sind?

Die Autoren

Daniel Kirch (l.) M.Sc. CPEA ist Geschäftsführer eines KI-Unternehmens, Startup-Investor und beorderter Reservist.

Dr.-Ing. Johannes Wagner ist als Führungskraft in einem Technologieunternehmen tätig und beorderter Reservist.

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