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Drill und Denken

Vor 50 Jahren nahmen die beiden Bundeswehruniversitäten in Hamburg und München ihren Lehrbetrieb auf. Sie sind heute fester Bestandteil der deutschen Hochschullandschaft. Experten bescheinigen ihnen gute Leistungen in Forschung und Lehre. Von Anfang an bestand aber ein Spannungsfeld zwischen akademischer Lehre und militärischer Ausbildung. Hier hat sich etwas getan – zumindest ein wenig.

Studierende auf dem Campus der Universität der Bundeswehr in München.

Foto: Bundeswehr/Stephan Ink

bundeswehrloyaluniversität

Leutnant Sarah Mehlmann hat ihren Wunsch, zur Bundeswehr zu gehen, nicht bereut. „Ich wollte unbedingt Psychologie studieren“, sagt die 24 Jahre alte Luftwaffen-Uniformträgerin. Inzwischen hat sie ihren ersten akademischen Abschluss, den Bachelor, an der Bundeswehruniversität Hamburg erworben. Es ging in ihrer Bachelorarbeit um ein Manual für Kinder, das Mehlmann sechs Wochen lang in einem Kindergarten erprobt hat. Nun strebt sie im kommenden Jahr dem Masterabschluss entgegen. Nach dem Studium wird sie, das steht schon fest, im Personalbereich der Bundeswehr eingesetzt.

Die wissenschaftlichen Grundlagen für eine Offizierslaufbahn – egal ob Zeit- oder Berufssoldat – werden im Studium gelegt. Vier Jahre lang ist das Studium der Hauptauftrag eines jeden jungen Offiziers. Dabei sind die Anforderungen hoch, denn im Gegensatz zu einer zivilen Universität wird an den beiden Bundeswehrunis nicht in Semestern, sondern in Trimestern studiert – es geht also alles ein Drittel schneller. Voraussetzung für ein erfolgreiches Studium unter diesen Bedingungen ist mehr noch als an einer zivilen Uni eine gute Ausstattung. Über die kann sich Sarah Mehlmann nicht beklagen. „Die Bibliothek ist megagut bestückt“, sagt sie im Gespräch mit loyal, „und die Dozenten stehen jederzeit zur Verfügung.“

Ihr Kamerad Leutnant z. S. Moritz Zacharias hat in diesem Sommer seinen Master in Bildungs- und Erziehungswissenschaften gemacht. Diese höhere akademische Phase habe ihm richtig Spaß gemacht, sagt er im Gespräch mit loyal. Den vorausgehenden Bachelor beschreibt er als eine „riesige Grundlage“. Seine Masterarbeit trägt den Titel „Politoffiziere in den Streitkräften der Sowjetunion. Eine erziehungs- und sozialisationshistorische Betrachtung.“ Als besonderen Gewinn des Studiums sieht Zacharias die persönlich-geistige Weiterentwicklung und die Ausprägung kritischen Denkens an. In diesem Herbst geht die Karriere für ihn weiter. Er wird im Einsatzführungskommando in Potsdam eingesetzt.

Studierende und Dozent in einem Hörsaal der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. (Foto: HSU/Reinhard Scheiblich)

Experten stellen den Bundeswehrunis bei der Ausbildung des akademischen Nachwuchses gute Noten aus. Doris Herrmann, Geschäftsführerin der Agentur Aqas, die Studiengänge akkreditiert, sagt auf Anfrage von loyal im Hinblick auf die Bundeswehruniversität München: „Gutachtergruppen, die die Studiengänge bewertet haben, waren mit der Qualität häufig zufrieden. Die Studiengänge sind nach Einschätzungen der Gutachtergruppen gut organisiert, egal um welche Fachdisziplin es sich handelt.“ Die Trimesterstruktur scheine trotz der höheren Studienbelastungen nicht als Problem empfunden zu werden. „Vermutlich liegt das daran, dass die Lehrangebote bestens organisiert sind“, so Herrmann. Außerdem sei in den vergangenen Jahren der „Frontalunterricht“ zugunsten von modernen didaktischen Methoden reduziert worden. Besonders hebt die Hochschulexpertin das exzellente Betreuungsverhältnis von Professoren zu Studenten hervor: 200 Professoren stehen in München 3.800 Studenten gegenüber. Und sie lobt den Frauenanteil in den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen. Der ist mit 32 Prozent hoch. In der Bundeswehr selbst liegt der Frauenanteil bei nur 12 Prozent.

Helmut Schmidt würde sich sicherlich über ein solches Urteil freuen. Auf ihn geht die Einrichtung der Bundeswehruniversitäten zurück. Schmidt war von 1969 bis 1972 in der sozialliberalen Koalition Verteidigungsminister. Schmidts Überlegung war es, den Offiziersberuf aufzuwerten. Die Hochschulreife als Auslesekriterium für Offiziere galt eigentlich schon im Deutschen Reich. Doch die Nazis hoben sie 1942 auf, weil andernfalls die hohen Verluste an Offizieren im Zweiten Weltkrieg nicht ausgeglichen werden konnten. Nach dem Krieg schrieb der Sicherheitsberater von Bundeskanzler Konrad Adenauer, Gerhard Graf von Schwerin: „Da das geistige Niveau des Offiziers mitbestimmend ist für das Ansehen, welches das Offizierkorps in der Öffentlichkeit und bei Untergebenen genießt, und da ferner die heutige Vielseitigkeit des militärischen Organismus an den Offizier erhöhte Anforderungen stellt, wird die Einstellung von Offizieranwärtern von dem Besitz des Reifezeugnisses abhängig zu machen sein.“

Büste von Helmut Schmidt (1918-2015), der als Verteidigungsminister die Bundeswehruniversitäten ins Leben rief. (Foto: HSU/Reinhard Scheiblich)

Wegen des raschen Aufbaus der Bundeswehr von 1955 an wurde eine weitergehende akademische Offiziersbildung zurückgestellt. Man hatte andere Sorgen. Anfang der 1960er-Jahre ging Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel (CDU) das Thema dann an. Er entwickelte einen Drei-Stufen-Plan, der einen jungen Offizier von der Offiziersschule über eine Wehrakademie bis zu einer Stabsakademie zu höheren akademischen Weihen bringen sollte. Die Wehrakademie wurde 1969 in Hilden aufgestellt, die Stabsakademie 1966 in Hamburg.

In der aufkommenden Bildungseuphorie nach 1968 setzte die neue sozialliberale Koalition noch eins drauf, indem sie ein reguläres Hochschulstudium für Offiziere verbindlich machte. Da dies an zivilen Universitäten nicht darstellbar war – es herrschte Studentenschwemme, das Semestersystem war der Bundeswehr nicht zügig genug – gründete Verteidigungsminister Schmidt in Hamburg und München bundeswehreigene Universitäten. Cornelia Grosse, die am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam zur Bildung in der Bundeswehr forscht, bezeichnet gegenüber loyal die Gründung der Bundeswehrunis als „bahnbrechend“. Nur Offiziere des Sanitäts-, Musik- und des militärgeografischen Dienstes wurden und werden an zivilen Hochschulen ausgebildet. Die Wehrakademie wurde 1973 aufgelöst, die Funktion der Stabsakademie ging 1974 auf die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg über.

Prof. Dr. Klaus Beckmann. (Foto: Führungsakademie der Bundeswehr)

Für Professor Dr. Klaus Bertram Beckmann (57), Präsident der Bundeswehruniversität Hamburg, die den Namen Helmut Schmidts trägt, ist ein Leitgedanke seiner Hochschule „Drill und Denken“. Offiziere an den Bundeswehrunis sind für ihn einerseits Studenten, andererseits aber auch Soldaten. Das Soldatsein spiegelt sich im „grünen Donnerstag“ wider: An den Donnerstagnachmittagen sollen sich die jungen Offiziere in militärischen Fertigkeiten üben. Außerdem gibt es Arbeits- und Interessengemeinschaften, häufig truppengattungsspezifisch, in denen sich die Studenten einbringen können. Der eine tut es mehr, der andere weniger. „Der militärische Anteil muss sein“, betont Volkswirt Beckmann, selbst Oberst d.R. der Panzertruppe. Nach seiner Meinung darf ein Student nach 47 Monaten Studium mit Masterabschluss militärisch nicht weniger können als zu Beginn des Studiums. Er nennt ein Beispiel, dass das auch so klappt: „Bei uns in der AG Fallschirmjäger hat niemand die Sprungberechtigung verloren“, so Beckmann im Gespräch mit loyal.

Manch jungem Offizier, vor allem aus dem Heer, und hier vor allem aus den Kampftruppen und der Artillerie, herrscht an den Bundeswehruniversitäten zu viel Denken und zu wenig Drill. Vor neun Jahren machte ein Buch Furore, in dem junge Offiziere der Kampftruppen ihre Gedankenwelt offenlegten: „Armee im Aufbruch“, herausgegeben von Marcel Bohnert und Lukas J. Reitstetter. Als roter Faden zog sich Kritik am Studium durch viele der 15 Beiträge. Besonders kritisch äußerte sich damals Leutnant Kai Stefan Skwara, 1990 in Wolfenbüttel geboren, und Student der Geschichte an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Heute ist Skwara 32 Jahre alt, Hauptmann und Kompaniechef im Panzerbataillon 203 in Augustdorf. loyal hat ihn gefragt, ob er rückschauend aus der Perspektive des militärischen Führers das Studium immer noch kritisch sieht.

Skwara sagt: „Für den Offizierberuf habe ich das Studium nicht benötigt. Fachspezifisch war in der regulären Laufbahn nichts davon gefordert. Auch was die Charakterbildung angeht, hat es mich nicht zu einem besseren Offizier gemacht.“ Skwara begrüßt, dass die Bundeswehr inzwischen im Vergleich zu seiner Studentenzeit die Identifikation mit der jeweiligen Truppengattung gestärkt habe. „Heute wird man vor dem Studium seiner Truppengattung fest zugeordnet und macht dort bereits erste Schritte. So wird man in der Panzertruppe vor dem Studium zum Richt- und Ladeschützen ausgebildet und geht als vollwertiger Panzersoldat an die Universität.“

Studierende der Bundeswehruniversität in Hamburg in einem Labor für Elektrotechnik. (Foto: HSU/Reinhard Scheiblich)

In der Reflexion über das Studiums ist Skwara zu der Überzeugung gelangt, dass man es splitten sollte: Für Berufssoldaten, die bis zur Pensionierung in der Bundeswehr bleiben, würde nach seiner Einschätzung ein Bachelor reichen. Zeitsoldaten sollten hingegen einen Master machen, um eine zivilberufliche Qualifikation zu haben. „Das Masterstudium sollte am Ende der Dienstzeit liegen, um mit einer aktuellen Qualifikation in einen Zivilberuf zu wechseln“, so Skwara.

Universitätspräsident Beckmann möchte nichts auf den Master für alle Offiziere kommen lassen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass es ohne den Master nicht geht“, sagt er. „Erstens, weil immer weniger Soldaten immer komplexere Systeme zum Einsatz bringen müssen. Zweitens, weil akademische Bildung mehr ist als Ausbildung. Es geht um Selbstreflexion und Haltung. Drittens akademisiert sich die Berufswelt zunehmend, und die Bedeutung des Bachelors nimmt von der gesellschaftlichen Stellung her ab.“

Heeresinspekteur Alfons Mais, der selbst in den 1980er- Jahren in Hamburg Pädagogik studiert hat, weist den Bundeswehrunis in der Zeitenwende eine wichtige Rolle zu. Er schreibt in der Festschrift zu 50 Jahre Bundeswehruni Hamburg, die Zeitenwende lebe auch „von einem offenen Diskurs, von umfassend gebildeten Offizieren, die im komplexen sicherheitspolitischen Umfeld unserer Zeit bestehen und ihrer Verantwortung sowohl in Führung, Erziehung und Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten als auch ihrer Funktion als Mittler zwischen Bundeswehr, Gesellschaft und Wissenschaft gerecht werden.“ Es sei nicht vorhersehbar, so Mais, wie sich hybride Bedrohungsszenarien entwickeln. Deshalb sei das freie, selbstständige, kritische, faktenbasierte und kriteriengeleitete Denken als Teil der eigenen Identität und Persönlichkeitsentwicklung zu erlernen. „Es gibt hierfür keinen besseren Ort als die Universitäten.“

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