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„Traditionskern der Bundeswehr“

Vor 80 Jahren hat eine Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg versucht, Adolf Hitler zu töten. Das Attentat scheiterte. Für die Bundeswehr wurde der 20. Juli 1944 identitätsstiftend. Manche Fragen rund um den Anschlag sind immer noch offen.

Ein Soldat des Wachbataillons präsentiert neben der Gedenktafel für Widerstandskämpfer im Dritten Reich sein Gewehr.

Foto: picture alliance / dpa

geschichteloyalstauffenberg

Nur 14 Minuten Zeit hatte Claus Schenk Graf von Stauffenberg zwischen Zündung und Explosion. An jenem 20. Juli 1944, einem Donnerstag, sollte der wenige Wochen zuvor zum Oberst beförderte 36-Jährige Geschichte schreiben. Bei einem Luftangriff am 7. April 1943 hatte er sich furchtbare Verletzungen zugezogen: Er verlor sein rechtes Auge, die rechte Hand und zwei Finger der linken Hand. Dieser schwer versehrte Mann sollte die letzte Hoffnung derjenigen sein, die Deutschland von Hitler befreien wollten, bevor die Nationalsozialisten es mit ihrem Fanatismus vollends zugrunde richteten.

Stauffenberg, der als Chef des Stabes des Ersatzheeres Zugang zu Hitler hatte, sollte am 20. Juli 1944 an einer Lagebesprechung im Führerhauptquartier Wolfsschanze bei Rastenburg in Ostpreußen teilnehmen, hundert Kilometer von der sowjetischen Front entfernt. Er kam zu spät zu der Unterredung. Generalleutnant Adolf Heusinger war gerade dabei, über die Lage im Osten zu referieren. Er wusste zwar von den Plänen der Verschwörer, ihm war aber nicht bekannt, dass der Anschlag unmittelbar bevorstand. Heusinger befand sich direkt neben Hitler, als Stauffenberg den Raum betrat und von Hitler wortlos mit Handschlag begrüßt wurde.

Stauffenbergs Adjutant und Mitverschwörer Oberleutnant Werner von Haeften war es nicht gelungen, zuvor beide in einer Aktentasche befindlichen Bomben scharfzuschalten. Er konnte nur einen der zwei Zeitzünder aktivieren. Stauffenberg gelang es zwar, die Aktentasche unter dem Tisch mit den Landkarten abzustellen, an dem Hitler und die Wehrmachtsoffiziere standen. Er verließ sogleich unter einem Vorwand den Raum. Doch die Detonation der Bombe um 12.42 Uhr war zu schwach.

Die Tasche war nicht nah genug an Hitler postiert, ein Sockel des schweren, sechs Meter langen Eichentischs und die wegen der Mittagshitze weit geöffneten Fenster minderten die Wucht der Explosion. Vier Teilnehmer der Besprechung kamen dennoch ums Leben, doch ausgerechnet der Diktator überlebte. Hitler erlitt Trommelfellrisse in beiden Ohren, Verbrennungen und Prellungen, mehr nicht. Auch Heusinger überlebte mit Verletzungen an Kopf, Arm und Bein. Eine Beteiligung an dem Putschversuch konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Er sollte später eine prägende Figur beim Aufbau der Bundeswehr werden und ihr erster Generalinspekteur.

Reichsmarschall Hermann Göring – in heller Uniform – und der Chef der Reichskanzlei Martin Bormann – linker Bildrand – besuchten kurz nach dem Anschlag den Ort des Geschehens in der „Wolfsschanze“. (Foto: picture alliance / dpa)

Kein Tag der deutschen Geschichte ist so minutiös rekonstruiert worden wie der 20. Juli 1944. Die Geschichtswissenschaft fand in den 80 Jahren, die seitdem vergangen sind, immer wieder neue Zugänge zu dem Geschehen. Doch viele Fragen sind bis heute ungeklärt. So hat beispielsweise Stauffenberg-Biograf Thomas Karlauf zuletzt die Frage aufgeworfen, warum Stauffenberg sich nicht als Selbstmordattentäter direkt neben Hitler gestellt habe, um ganz sicherzugehen. War er wirklich so wichtig für den nachfolgenden Plan, den Nationalsozialisten die Macht zu entreißen? Oder die Frage, warum eigentlich keine der Frauen, die in die Attentatspläne eingeweiht waren, hingerichtet wurden. Bisher ungeklärt.

Wie auch immer, dass Attentat scheiterte. Die NS-Propaganda verbreitete rasch die Nachricht vom Überleben Hitlers, was den Verschwörern die Legitimität ihres Handelns nahm. Noch am Abend des 20. Juli gewannen regimetreue Offiziere die Oberhand; Stauffenberg, Haeften und weitere Hitler-Gegner wurden im Bendlerblock exekutiert. Auch die meisten anderen Mitverschwörer wurden in den Tagen danach verhaftet, vor den berüchtigten Volksgerichtshof gestellt und hingerichtet; einige begingen Selbstmord.

Claus Schenk Graf von Stauffenberg in einer Aufnahme aus den frühen 1930er-Jahren. (Foto: picture alliance / dpa)

Stauffenberg und seine Mitstreiter hatten die Geschichte nicht wenden können. Der Zweite Weltkrieg ging unvermeidlich weiter. In dem verbleibenden Dreivierteljahr bis zur bedingungslosen Kapitulation wurden allein in Deutschland doppelt so viele Zivilisten getötet wie in den viereinhalb Kriegsjahren zuvor. Von den Opfern an den Fronten in den von der Wehrmacht besetzten Ländern und in den Vernichtungslagern gar nicht zu reden. Städte wie Braunschweig, Kiel, Hildesheim oder Dresden wären wahrscheinlich unzerstört geblieben, wenn die Attentäter Erfolg gehabt und im Namen Deutschlands im Juli 1944 den Krieg beendet hätten.

Das Attentat vom 20. Juli war das letzte in einer Reihe von 30 gescheiterten Versuchen, den Diktator zu töten. Es wirkt bis heute stärker nach als die vorhergehenden. Doch manches hat sich auch verklärt in einem inzwischen zur Routine gewordenen Gedenken, wie die Journalistin Ruth Hoffmann in ihrem soeben erschienenen Buch „Das deutsche Alibi“ über den „Mythos Stauffenberg“ schreibt (siehe Kasten). Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping sagte beispielsweise in seiner Gedenkrede am 20. Juli 1999, es führe vom Widerstand eine gerade Linie zur Verfassung der Bundesrepublik. Dem ist mitnichten so, wie Ruth Hoffmann darlegt. Die Vorstellungen des Widerstands haben bei der Ausarbeitung des soeben 75 Jahre alt gewordenen Grundgesetzes keine Rolle gespielt.

Der Militärhistoriker John Zimmermann, der am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam unter anderem zum Zweiten Weltkrieg forscht, sagt im Gespräch mit loyal, dass Ziele, Absichten und Motivationen der unterschiedlichen Gruppen, Zirkel und Einzelpersonen, die heute unter dem Widerstand des 20. Juli zusammengefasst werden, „absolut heterogen und teilweise auch gegensätzlich“ gewesen seien. „Es waren sowohl Demokraten als auch Antidemokraten, sogar radikale Antisemiten und Kriegsverbrecher darunter. Einig aber war man sich in der Beseitigung Hitlers, der Eroberung der staatlichen Macht, der Beendigung von Krieg und Shoah sowie der Wiederherstellung eines Rechtsstaates.“ Aber schon die Staatsform, in der dies geschehen sollte, sei nicht eindeutig geklärt gewesen.

„Stauffenberg war sicherlich kein Demokrat“, stellt Zimmermann fest. Die zentrale Figur des 20. Juli entstammte einem schwäbischen Adelsgeschlecht und begrüßte zunächst die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Erst im Verlauf des Krieges erkannte der praktizierende Katholik den verbrecherischen Charakter des Regimes.

Statue im Hof des Bendlerblocks an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Sie erinnert an die dortige standrechtliche Erschießung Stauffenbergs und drei seiner engsten Verbündeten. (Foto: picture alliance / imageBROKER)

Die hohe Zahl an Aristokraten, Konservativen und Wehrmachtsoffizieren an der Verschwörung des 20. Juli ist auch der Grund, warum die DDR den Attentatsversuch abtat. Für die SED zählte nur der kommunistische Widerstand. Zimmermann: „Für das Regime in der DDR handelte es sich kurz gefasst um ‚preußische Junker’, die versuchten zu retten, was noch zu retten war, nicht zuletzt die eigene Haut. Weitergehende Bedeutung wurde dem nicht beigemessen. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die letzte Vereidigung von NVA-Soldaten 1990 am Jahrestag des Attentates stattfand. Kurz vor ihrem Ende, aber bereits schon nach der Wende, besann sich der Staat also eines Besseren.“

Im Westen setzte sich die Sicht auf den 20. Juli als bedeutender Akt des Widerstands gegen die NS-Tyrannei erst nach und nach durch. Vielen Westdeutschen galten die Widerstandskämpfer lange Zeit als Verräter. 1951 äußerte sich nur ein Drittel der repräsentativ befragten Bundesbürger positiv über das Attentat. Ein Drittel hatte keine Meinung, ein weiteres Drittel lehnte es ab.

In der jungen Bundeswehr wurde die Haltung zum 20. Juli zur Gretchenfrage für ehemalige Wehrmachtsoffiziere. Von 1955 bis 1967 musste sich jeder einzustellende Freiwillige vom Dienstgrad Oberst aufwärts einem Personalgutachterausschuss stellen. Nach allem, was heute bekannt ist, wurde der Bewerber nicht nur auf seine demokratische Einstellung hin durchleuchtet, sondern auch, wie er zum Stauffenberg-Attentat stand. 553 Bewerbungen ehemaliger Wehrmachtsoffiziere wurden behandelt. 51 lehnte der Ausschuss ab, 32 Bewerber machten von sich aus einen Rückzieher. Keine andere Berufsgruppe wurde derart unter die Lupe genommen – weder Juristen, Lehrer noch Polizisten.

Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand erinnert an diejenigen, die sich Hitler in den Weg stellten – und dies oft genug mit dem Leben bezahlten. Sie befindet sich am authentischen Ort im Bendlerblock in Berlin – heute Teil des BMVg. (Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand / Georg Engels)

Inzwischen gibt es praktisch kaum noch Kontroversen um den 20. Juli. Die heutige überwiegende Bewertung fasst John Zimmermann so zusammen: „Das Attentat und der dazu notwendige persönliche Mut der Menschen, die sich zum aktiven Widerstand entschlossen, sind allgemein anerkannt. Es steht als Höhepunkt quasi stellvertretend für die Würdigung des Widerstandes gegen das NS-Regime insgesamt. Daher gehört es zum fixen Traditionskern der Bundeswehr.“

Eine Popularisierung erhielt das Attentat durch den Spielfilm „Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat“ von Bryan Singer aus dem Jahr 2009. Superstar Tom Cruise stellte Stauffenberg ebenfalls als Superstar dar. Der Plot des Films reduzierte den Anschlag als die heroische Tat quasi eines Einzelnen und blendete den breiten nicht militärischen Anteil am Widerstand gegen Hitler aus. „Tom Cruise soll die Finger von meinem Vater lassen“, gab Berthold Schenk Graf von Stauffenberg damals gallig zu Protokoll.

Rekruten der Bundeswehr legen seit 1999 jeweils am 20. Juli in Berlin das feierliche Gelöbnis ab und ehren damit die Verschwörer von 1944. Zunächst geschah dies am Bendlerblock, später auch vor dem Reichstagsgebäude. Seit dem Traditionserlass von 2018 bildet zwar die eigene Geschichte den Bezugsrahmen für die Tradition in den Streitkräften. Doch nach wie vor stellt die Truppe mit dieser öffentlichkeitswirksamen jährlichen Veranstaltung am 20. Juli und mit der Namensgebung von Kasernen und Räumlichkeiten nach Persönlichkeiten des damaligen Widerstands eine Verbindung zu den Ereignissen im Juli 1944 her. Im laufenden Jahr ist die Auseinandersetzung mit „Gehorsam und Widerstand“ angesichts des 80. Jahrestages des Attentats gar ein gesetztes Thema im Rahmen der Weisung zur Persönlichkeitsbildung der Soldaten.

Können die Deutschen stolz sein auf den Versuch von vor 80 Jahren, Hitler zu beseitigen und ein besseres Deutschland zu errichten? Historiker Zimmermann ist skeptisch. Er sieht in der Tat von damals vor allem eine Mahnung für heute: „Mit ‚stolz sein’ auf etwas, an dem man nicht beteiligt gewesen ist, sollte man grundsätzlich zurückhaltend sein. Der Widerstand gegen das NS-Regime insgesamt und auch das Attentat vom 20. Juli werden heute sicher allgemein anerkannt und geachtet.“ Wer sich mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus auseinandersetzt, müsse ihn „als Mahnung und Warnung vor dem begreifen, was nötig werden wird, wenn man unsere freiheitliche demokratische Werteordnung aushebelt“, so Zimmermann.


Alles gesagt?

Ist zum 20. Juli 1944 nach 80 Jahren alles gesagt? Nicht unbedingt. Dass rund 200 Personen, ein breites Bündnis von Menschen aller sozialer Schichten und unterschiedlichster politischer Couleur am Attentat beteiligt waren, ist heute nur wenigen bewusst. Das Attentat gilt vielen immer noch als „Aufstand des Gewissens“ einer kleinen Gruppe konservativer Militärs. Diese legendenhafte Überhöhung verstellt den Blick auf die Ereignisse und die gesellschaftliche Vielfalt der Verschwörung.

Die Journalistin Ruth Hoffmann hat eine Dekonstruktion des Mythos „Stauffenberg-Attentat“ vorgenommen und zeichnet nach, wie der 20. Juli immer wieder in der Bundesrepublik politisch instrumentalisiert wurde: mal, um sich gegen die DDR abzusetzen und kommunistische Widerständler zu diffamieren; mal, um Politikern, die mit dem NS-Regime kollaboriert hatten, eine Nähe zum Widerstand anzudichten. Ein überfälliges Buch, dem es gelingt, der Nachwirkung des 20. Juli 1944 erfrischend neue Aspekte abzugewinnen.


Ruth Hoffmann:
Das deutsche Alibi Mythos „Stauffenberg-Attentat“ –
wie der 20. Juli 1944 verklärt und politisch instrumentalisiert wird.
Goldmann-Verlag,
400 Seiten,
24 Euro

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