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Afghanistan: Was bleibt?




Die in Kundus stationierte 3. Task Force (ISAF) der Bundeswehr beginnt im Oktober 2011 die mehrtägige Operation Orpheus. Durch Patrouillen in und um die Kleinstadt Nawabad (Dirstrikt Chahar Dareh) versuchen die rund 100 Infanteristen, Rückzugsorte Aufständischer unmöglich zu machen.

Foto: picture alliance / JOKER

Afghanistanloyalveteranen

Es war der bisher intensivste und opferreichste Einsatz der Bundeswehr: Der Afghanistan-Einsatz. Seit zwei Jahren arbeitet eine Enquete-Kommission des Bundestags auf, warum er gescheitert ist. Sie hat vor Kurzem einen Zwischenbericht vorgelegt. Nur: Die Ergebnisse der Kommission sind das eine – die Gefühle und Erlebnisse der beteiligten Soldaten das andere. Wie denken Afghanistan-Veteranen heute über ihren Einsatz?

Maik Mutschke. (Foto: Christian Spreitz)

Maik Mutschke

„Wir haben es geschafft, dass wenigstens eine Generation junger Afghanen gesehen hat, wie schön das Leben sein kann“, sagt er. Doch er sagt auch: „Dass die Taliban so schnell wieder die Herrschaft übernommen haben, ist für jeden von uns, der sich in Afghanistan engagiert hat, ein Schlag ins Gesicht.“ Maik Mutschke ist hin- und hergerissen. Man merkt ihm die widerstreitenden Gefühle, das Ringen nach Sinn an. Der Bundeswehreinsatz, es war ja auch sein Einsatz.

Für ihn war Afghanistan die größte Bewährungsprobe, aber auch der größte Wendepunkt im Leben. Gemeinsam mit den anderen Fallschirmjägern aus Seedorf kommt Mutschke im Frühjahr 2010 nach Afghanistan, um Dörfer von den Taliban zu befreien. Sie entschärfen Sprengsätze, besuchen Dörfer rund um Kundus. Bis zu jenem verhängnisvollen Karfreitag, den 2. April. Er und die anderen Fallschirmjäger aus seinem Trupp sollen die Umgebung des Dorfes Isa Khel aufklären. Doch ihre Aufklärungsdrohne, mit deren Hilfe sie die Umgebung nach Verstecken der Taliban absuchen, stürzt ab. Beim Versuch, diese auf einem freien Feld zu bergen, werden Mutschke und seine Kameraden beschossen. Es entwickelt sich ein stundenlanges Feuergefecht mit den Taliban.

Am Ende sind drei Soldaten tot und acht Soldaten teils schwer verwundet – darunter Maik Mutschke. Ein Sprengsatz hat ihm die linke Gesichtshälfte weggerissen. Wo bisher seine linke Gesichtshälfte war, klafft nun ein blutiges Loch. Er ist so schwer verwundet, dass deutsche Sanitäter zur heranfliegenden Besatzung eines Black-Hawk-Hubschraubers sagen, sie sollen lieber andere Soldaten mitnehmen. Mutschke wäre nicht mehr zu retten. Doch die amerikanischen Soldaten nehmen ihn mit. Mutschke muss mehrere Male reanimiert werden. Daheim im deutschen Bundeswehrkrankenhaus liegt er mehrere Wochen im Koma, muss Dutzende Operationen über sich ergehen lassen. Seine linke Gesichtshälfte wird rekonstruiert. Aber sein linker Arm bleibt gelähmt.

Weil seine Familie fest hinter ihm steht und er neben der körperlichen Verwundung keine psychischen Verletzungen davongetragen hat, findet er wieder zurück ins Leben. Für ihn ein Lebenselixir: der Sport. Er ist der erste deutsche Bundeswehrsoldat, der an den Paralympischen Spielen teilnimmt. Seine Disziplin: Schießen.

Beruflich steht Mutschke heute wieder voll im Leben: Er ist Berufssoldat und gibt sein Wissen in einer Spezialkräfteeinheit der Bundeswehr an andere Soldaten weiter. Manchmal wird er aber traurig – vor allem an den Tagen rund um den Karfreitag oder zu Weihnachten. Dann denkt er an die Familien, die jetzt ohne ihre Liebsten feiern müssen. Das Bild des leeren Stuhls am Tisch trifft sein Gefühl der Leere und Trauer sehr gut, sagt er.

Dunja Neukam. (Foto: Christian Spreitz)

Dunja Neukam

An den Tag, an dem die internationalen Truppen überstürzt das Land verließen und Chaos am Flughafen in Kabul ausbrach, kann sich Dunja Neukam noch gut erinnern. „Ich war so wütend, dass ich Tränen in den Augen hatte“, sagt sie. Das Bild von verzweifelten Afghanen, die sich sogar an startende Flugzeuge hängen, um aus ihrem Land zu fliehen, brannte sich ihr ein. Wut erfasste sie. Vor allem auf die deutsche Politik, die so lange die Augen davor verschlossen hatte, was in Afghanistan passierte, und nun diejenigen im Stich ließ, die auf sie vertraut hatten.

Dunja Neukam hat das „Helfergen“, wie sie selbst sagt. Mehrmals war sie als Krankenschwester für die Bundeswehr in Afghanistan. Sie hat den Wandel der Stimmung im Land erlebt: Im Jahr 2002 wären sie und die anderen Soldaten noch mit Freude begrüßt worden. Die Afghanen hätten noch Hoffnung auf eine bessere Zukunft gehabt, sagt Neukam. Doch dann veränderte sich die Stimmung im Land. In den Folgejahren seien die Menschen immer verschlossener und unzugänglicher geworden, sagt sie. Dabei versuchten Neukam und ihr Sanitätsteam Leben zu retten und ein Mindestmaß an medizinischer Versorgung ins Land zu bringen.  Etwa als einmal zwei am ganzen Körper verbrannte Kinder zu ihnen gebracht wurden. Die Explosion eines Gasofens hatte ihre Haut aufgefressen. Dunja Neukam konnte ihnen nur noch Schmerzmittel geben, die Kinder waren zu schwer verletzt. Sie starben. Oder der kleine Omid, der so starken Salmonellenbefall hatte, dass sein Kleinkindkörper schon zu sehr ausgezehrt war, auch er starb. Doch es gab auch viele Hoffnungsschimmer. Einmal operierten Dunja Neukam und ihr Team einem Kind einen gutartigen Tumor am Auge heraus. Es wurde wieder gesund. Ein andermal behandelten sie ein Kind, das an massivem Wurmbefall litt. Entgegen allen Prognosen überlebte es.

„Wir haben wirklich einen Unterschied gemacht. Wir konnten Menschen helfen, die ohne uns gestorben wären“, sagt Neukam. Kinder konnten in die Schule gehen, die Kindersterblichkeit sank. Das sind ihre Lichtblicke, wenn sie auf ihre Jahre in Afghanistan zurücksieht. Doch Neukam versteht auch, dass viele Veteranen nur Dunkel sehen, wenn sie an ihre Erfahrungen in Afghanistan denken, viele an PTBS leiden. Sie kümmert sich beim Bund Deutscher Einsatzveteranen um diejenigen, die ihre Erlebnisse nur schwer verarbeiten können. Und deshalb kennt sie auch viele, denen ihr Leben nach ihrer Rückkehr nach Deutschland entglitt, die auf der Straße landeten, sich umbrachten. Wie viele andere Veteranen auch empfindet Neukam den überstürzten Abzug aus Afghanistan „als Schlag ins Gesicht“. Aber es ist nicht Neukams Art aufzugeben. Und deshalb setzt sie sich immer noch für Afghanistan ein. Als Mitarbeiterin im Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte e.V. engagiert sie sich für ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr.

Stefan Deuschl. (Foto: Christian Spreitz)

Stefan Deuschl

Auch Stefan Deuschl hat viel in Afghanistan verloren. Bei einem Selbstmordanschlag zerriss ihm eine Sprengstoffdetonation beide Beine. Seitdem sitzt er im Rollstuhl. Es war der 14. November 2005, der Deuschls Leben für immer veränderte. Deuschl war als Feldjäger in Afghanistan. Seine Aufgabe war es, als Personenschützer hochrangige Besucher zu afghanischen Schulen oder Polizeistationen zu begleiten und sie zu beschützen. Eineinhalb Monate war er bereits in Afghanistan stationiert, als es passierte.

Sie waren gerade von Camp Warehouse nach Kabul unterwegs, als ein Pick-up von der Gegenfahrbahn abfuhr und ihr Auto frontal rammte. Ein Selbstmordattentäter. Nach dem Frontalzusammenstoß ließ dieser eine Sprengladung hochgehen. Oberstleutnant Armin Franz war sofort tot, Stefan Deuschl zerris es beide Beine, seinem Feldjägerkameraden Tino Käßner den linken Unterschenkel. Noch in Camp Warehouse nahmen die Ärzte Deuschl beide Beine ab. Als er in einem Bundeswehrkrankenhaus in Deutschland aus dem Koma erwachte und bemerkte, dass er keine Beine mehr hatte, war er schockiert. In dem Moment will er nicht mehr leben. Doch seine Frau und seine Söhne überzeugten ihn, dass sie ihn brauchten. Als Vater. Als Ehemann. Deuschl entschied sich fürs Leben. Nach seiner Genesung war es auch der Sport, der Deuschl neuen Lebensmut gab. Er nahm als Parakanute an mehreren Welt- und Europameisterschaften teil, wird Skilehrer für Gehandicapte.

Deuschl wollte den Menschen in den Einsatzländern helfen. Das war seine Hauptmotivation in die Bundeswehreinsätze zu gehen – auf dem Balkan und später in Afghanistan. Deshalb informierte er sich auch vor dem Einsatz in Büchern über die afghanische Bevölkerung, interessierte sich für deren Kultur und Geschichte. Doch während seines Afghanistan-Einsatzes hatte er das Gefühl, nicht zu den Afghanen durchzudringen. Nur bei den Kindern habe er Lebensmut gefühlt, sagt er. Etwa als er am Vormittag des Anschlagstages eine Schule besuchte und mit den Kindern Tischtennis spielte: „Die Kinder waren so hoffnungsfroh, so fröhlich. Man merkte einfach, dass sie sich freuten, endlich in die Schule gehen und Kind sein zu dürfen.“

Wie steht er nach seiner Verwundung zu Afghanistan? Bis zum Tag des überstürzten Aufbruchs aus Kabul hofft er noch, dass sich mit der jungen Generation etwas zum Besseren wenden könnte. Doch die Bilder vom Abzug im August 2021 zerstören diese Hoffnung jäh. „Ich war total geschockt, in welcher Geschwindigkeit die Taliban wieder die Macht ergriffen haben“, sagt er. Er fragt sich: Wie konnte die afghanische Nationalarmee einfach wehrlos aufgeben? Das macht ihn wütend. Und er fragt sich: Wieso sind so viele Soldaten von uns dort gestorben? Für was sind sie verstümmelt und versehrt zurückgekehrt? Über Monate hinweg vermeidet Deuschl es, sich mit Afghanistan zu beschäftigen. Es ist für ihn zu schmerzhaft. Irgendwann kommt er zu der Erkenntnis: „Wir müssen akzeptieren, dass es Menschen gibt, die in ihrer jahrhundertealten Kultur gefangen sind. Wir können es nicht ändern.“ Auch seine Situation hat er schon lange akzeptiert. „Meine Beine kommen nicht wieder“, sagt er. „Es bringt nichts, mich darüber zu grämen“.


Enquetekommission

Zwischenbericht: Was lief schief?

Der „größte, teuerste und opferreichste Kriseneinsatz“ endete „mit einem strategischen Scheitern“, heißt es im 300-seitigen Zwischenbericht der Enquete-Kommission Afghanistan, den diese im Februar vorgestellt hat. Ein Manko: Während des gesamten zwanzigjährigen Afghanistan-Einsatzes habe es keine selbstkritische Bestandsaufnahme, kein Lernen aus Fehlern gegeben, so der Bericht.

Zudem hätten Ressortegoismen verhindert, dass die verschiedenen beteiligten Ministerien (Außen-, Innen-, Verteidigungs- und Entwicklungsministerium) sinnvoll miteinander kooperiert und sich abgestimmt hätten. Auch die von den Deutschen bereitgestellten Mittel – sowohl für zivile als auch militärische Zwecke – waren aus Sicht der Kommission unzureichend.

Deutschland hatte sich zum Beispiel für den Aufbau der afghanischen Polizei freiwillig gemeldet, wurde dann aber schon früh für die geringe Zahl der vom Innenministerium entsandten Beamten kritisiert.

Damit nicht genug: Bei der Verteilung von Geldern habe man die „Aufnahmefähigkeit und die Kapazitäten der afghanischen Partner“ überschätzt – den zunehmenden Einfluss der Taliban hingegen unterschätzt, so der Bericht.

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