In der Falle
Die deutsche Politik hat sich getäuscht: Der Niger ist nicht so stabil, wie man dachte. Der Putsch in dem bitterarmen Land hat gezeigt, dass in Deutschland und Europa der Wunsch Vater des Gedankens bei der Suche nach einen verlässlichen Partner in der Region war. Jetzt sitzt die Bundeswehr dort in der Falle. Mehr noch: ein möglicher Krieg im Sahel würde die deutschen und europäischen Soldaten im Niger direkt bedrohen.
Die Putschisten um General Abdourahman Tchiani haben nach Ablauf der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS den Luftraum über Niger geschlossen. Ob es zu dem angekündigten Militäreinsatz der ECOWAS gegen die Putschisten kommen wird, ist ungewiss. Die ECOWAS-Mitglieder Mali und Burkina Faso, selbst von Putschisten geführt, haben bereits angekündigt, dass sie einen Angriff auf den Niger auch als Angriff auf ihre Länder betrachten würden. Algerien, das nicht zur ECOWAS gehört, aber über großen Einfluss in der Region verfügt, hat vor einer Militäraktion gewarnt. Wenn es also dazu kommen sollte, dann würde dies einen größeren Krieg bedeuten – und das ist das Letzte, was die Region, das Armenhaus Afrikas, gebrauchen könnte.
So oder so sitzt die Bundeswehr im Niger in der Falle. Rund hundert Soldaten sind auf dem deutschen Lufttransportstützpunkt am Flughafen der Hauptstadt Niamey stationiert. Über diesen Stützpunkt sollte eigentlich der Abzug der rund 1.000 Bundeswehrsoldaten aus dem malischen Gao abgewickelt werden, die dort Teil der UN-Mission MINUSMA sind. Mali will MINUSMA nicht mehr, und die Deutschen hatten vor – mit Einverständnis der Putschistenregierung in Bamako – bis Jahresende abzuziehen. Der ohnehin straffe Zeitplan für diesen Abzug (geplant war eigentlich erst ein Ende der Mission im Mai kommenden Jahres) gerät durch die Vorgänge in Niamey nun ins Wanken – wenn er denn überhaupt noch umgesetzt werden kann. Das hängt ganz von der weiteren Entwicklung im Niger ab.
siehe auch: „In Europas Hinterland“
Bundesverteidigungsministerium und Auswärtiges Amt haben sich sicherheitshalber schon einmal nach Alternativen in der Region umgeschaut. Gegebenfalls wäre der Abzug der Deutschen aus Mali über das algerische Tamanrasset mitten in der Sahara möglich. Der Nachteil: Tamanrasset ist dreimal so weit entfernt von Gao wie Niamey. Da aus Gao rund 1300 Containeräquivalente abtransportiert werden müssen, die Start- und Landebahn dort aber zu kurz für vollbeladene Flugzeuge ist, wären deutlich mehr Flüge vonnöten als ins nahe gelegene Niamey. Die Frage ist auch, ob sich in Tamanrasset überhaupt auf die Schnelle ein leistungsfähiger deutscher Transportstützpunkt einrichten lässt. Und: Was wird aus den deutschen Soldaten in Niamey? Aus dem gesamten Stützpunkt dort? Sollte es nach dem Auslaufen des ECOWAS-Ultimatums tatsächlich zu Kampfhandlungen kommen, wäre der Flughafen von Niamey ein erstes Ziel der Interventionstruppen – und direkt neben der Start- und Landebahn befindet sich das deutsche Lager, neben dem unserer europäischen Partner.
Lage ist unkalkulierbar
Dem Vernehmen nach, fühlen sich die deutschen Soldaten aktuell nicht direkt bedroht. Ihnen schlägt auch nicht der aufgestachelte Hass der Nigrer entgegen wie den Franzosen, der früheren Kolonialmacht. Aber die Lage ist unkalkulierbar. Im Nachhinein wird deutlich: Deutschland hätte viel früher aus Mali abziehen müssen. Dass der BND den Putsch im Niger nicht hatte kommen sehen, ist ein weiteres Mal kein Ruhmesblatt für den deutschen Auslandsgeheimdienst. Das Verteidigungsministerium hatte einen frühen Abzug gewünscht, doch das Auswärtige Amt hatte die Befürchtung, dass Deutschlands Ansehen in der Welt als verlässliches Mitglied der UNO hätte Schaden nehmen können. Am Ende könnte es jetzt heißen: Wer zu lange abwartet, den bestrafen die Putschisten.
Wie auch immer die Sache ausgehen wird, Deutschland hat im Niger an einem Aufbau von Sicherheitskräften mitgewirkt, über die jetzt eine illegale Putschistentruppe verfügen kann. Vor einem Jahr erst hatte Verteidigungs-Staatssekretärin Siemtje Möller (SPD) feierlich eine Unteroffiziersschule in der Stadt Agadez übergeben, die aus deutschen Steuermitteln finanziert worden ist. Noch im Juni dieses Jahres unterschrieb Möller eine Zuwendungsvereinbarung, die den Bau eines Militärkrankenhauses im Niger vorsah.
Europäisches Engagement
Seit 2018 hat Deutschland im Rahmen der Joint Special Operation Task Force (JSOTF) Gazelle in Niger Spezialkräfte ausgebildet. Diese wurden von Deutschland mit Schutzausrüstung, Geländewagen, Funk- und Nachtsichtgeräten ausgestattet. Auch die erforderliche Infrastruktur in der Stadt Tillia hatte Berlin mitfinanziert. Die Europäische Union – und damit mittelbar auch Deutschland – gab zudem 4,7 Millionen Euro für die Anschaffung von Gerät für die nigrischen Streitkräfte frei. In der europäischen Polizeimission EUCAP im Niger war Deutschland ebenfalls stark engagiert, bis vor kurzem sogar durch die Missionschefin, der Berliner Polizistin Antje Pittelkau. Und erst in diesem Frühjahr begann die europäische Militärmission EUMPM, an der sich neben Deutschland auch Frankreich, Spanien, Griechenland, Rumänien und Italien beteiligen. Ziel der Mission sollte es sein, die militärischen Fähigkeiten Nigers zu stärken, um das Land in seinem Kampf gegen islamistische Terrorgruppen zu unterstützen.
Im schlimmsten Fall wird von all den Anstrengungen Deutschlands und des Westens und dem Invest in die nigrische Sicherheitsarchitektur nun Russland profitieren, das schon jetzt durch Wagner-Truppen in Mali vertreten ist. Die nigrischen Putschisten um General Tchiani zeigen sich jedenfalls offen russlandfreundlich, überall im Land werden russische Flaggen geschwenkt. Im Kreml dürfte man sein Glück kaum fassen. Ohne eigenes Zutun fällt Putin ein geopolitisch extrem wichtiges Land in den Schoß. Wenn Russland künftig im Niger Fuß fasst, hat es nicht nur Zugriff auf Bodenschätze, vor allem auf Uran. Es kann dann auch die wichtigsten Flüchtlingsrouten in Afrika in Richtung Europa kontrollieren – ein Druckmittel auf den Westen im Zusammenhang mit dem Krieg, mit dem Russland die Ukraine überzieht, das in seiner Bedeutung gar nicht überschätzt werden kann.