Ein schwieriger, aber unverzichtbarer NATO-Partner
Egal wie die Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei ausgeht: für die NATO bleibt Ankara ein unverzichtbarer Partner. In Brüssel hofft man allerdings auf weniger Eskapaden am Bosporus.
Seit 1952 gehört die Türkei der NATO an – und ist eines der umstrittensten Mitglieder des Nordatlantischen Bündnisses. Manchmal wird sie auch als „Stiefsohn der NATO“ bezeichnet. Das liegt daran, dass dort nicht immer die demokratischen Standards eingehalten wurden, für die die NATO nicht nur als Verteidigungs-, sondern auch als Wertegemeinschaft steht. Viermal putschte seit dem NATO-Beitritt das Militär in der Türkei. Nach dem Putschversuch von 2016 entwickelte sich die Präsidentschaft von Recep Tayyip Erdoğan mehr und mehr in Richtung Autokratie. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine pflegt Erdogan ein ambivalentes Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. In keinem Fall steht er fest in der westlichen Anti-Russland-Koalition. Erdogan sieht sich vielmehr in der Rolle des Vermittlers; die Türkei hat zum Beispiel maßgeblich am Zustandekommen des Getreideausfuhrabkommens zwischen Russland und der Ukraine mitgewirkt.
Die Türkei ist angesichts ihrer desolaten wirtschaftlichen Situation abhängig von russischen Erdgas- und Öllieferungen und vom Geld reicher Russen. Die sind in den vergangenen Jahren massenhaft ins Land geströmt. Allein 2022 eröffneten Russen mehr als 1.300 Unternehmen in der Türkei, 155.000 Russen bekamen eine Aufenthaltsgenehmigung. Dennoch fährt Erdogan alles andere als einen putinfreundlichen Kurs. So hat Ankara die Ukraine mit Drohnen beliefert, die den Russen empfindliche Verluste beibrachten. Ein aggressives Russland, das die Gegenküste des Schwarzen Meers in der Ukraine kontrolliert, ist nicht im Sinne Ankaras.
Das Land steckt in einer schwierigen geostrategischen Lage zwischen Iran, Syrien, Russland und dem Westen fest. Erdogan verfolgte bislang eine Politik der maximalen Bewegungsfreiheit gegenüber allen Nachbarn. Dabei trat er oft genug den westlichen Partnern vors Schienbein. Die nahmen es zähneknirschend hin, denn die Türkei kontrolliert die Zufahrt zum Schwarzen Meer, ein für den Westen ebenso wie für Russland eminent wichtiger strategischer Faktor. Hier wie dort hat die Türkei den Ruf eines schwierigen, ja unberechenbaren Partners. Bei der NATO in Brüssel schaut man denn auch mit einer gewissen Unruhe auf die Zeit nach der Präsidentschaftswahl.
Erdogan hat es zuletzt dem Bündnis mit seiner innenpolitisch begründeten Weigerung, einem NATO-Beitritt Schwedens zuzustimmen, schwer gemacht. Immerhin gab Ankara für den Beitritt Finnlands grünes Licht. Im NATO-Hauptquartier erwartet man, dass der künftige türkische Präsident, gleich ob er Erdogan oder Kemal Kiliçdaroğlu heißt, den Weg für Schweden zügig frei macht, denn der Wahlkampf ist dann vorbei und die Gemüter werden sich beruhigt haben.
Militärisch ist die Türkei ein Pfeiler für das Bündnis. Sie stellt die zweitgrößten Streitkräfte nach den USA und sichert die Südostflanke der NATO. Zudem gilt die türkische Armee als hochprofessionell und durch ihre Interventionen in Syrien und dem Nordirak – auch wenn diese völkerrechtlich mindestens zweifelhaft sind – als einsatzerfahren. Als das Land 2021 mit der 66. Mechanisierten Infanteriebrigade die NATO-Speerspitze VJTF stellte, scheute Ankara kein Geld und keine Mühe für die optimale Ausstattung des Leitverbands. Ungeachtet der Querelen in der Politik: NATO-Soldaten schätzen die gute Ausstattung, die Professionalität ihrer türkischen Kameraden und loben die Zusammenarbeit mit ihnen. Nach der Wahl steht die Türkei vor einer Neuausrichtung und wird sich entscheiden müssen, ob sie wieder in das Vertrauen des Westens investiert oder weiterhin eine exzentrische sicherheitspolitische Sonderrolle zum Verdruss ihrer NATO-Partner spielen möchte.