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Ausbau der deutsch-britischen Wehrkooperation

Das Vereinigte Königreich und Deutschland wollen ihre Militärkooperation strategischer gestalten – einige Potenziale sind dafür vorhanden. Die loyal-Analyse von Björn Müller.

Deutsche und britische Soldaten bei einer Gewässerüberquerung während der NATO-Übung Steadfast Defender 2024.

UK MOD © Crown copyright 2024

Vor Kurzem unterzeichneten die Verteidigungsminister Deutschlands und Großbritanniens eine gemeinsame Erklärung zur vertieften Wehrkooperation beider Länder. Nun soll zügig ein Programm dazu ausgearbeitet werden. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums zu loyal: „Zum Jahresende sind Regierungskonsultationen geplant, die auch einen Staatsvertrag zur Verteidigungszusammenarbeit umfassen sollen.“ Initiator des Vorhabens ist das Vereinigte Königreich.

Im Juli wechselte dort die Regierung zur Labour-Party – nach 15 Jahren unter den konservativen Torys. Der frisch ins Amt gekommene britische Verteidigungsminister John Healey machte bereits als Schattenminister deutlich, dass „Reparatur“ und Intensivierung der Wehrzusammenarbeit mit den Europäern und der EU nach dem Brexit seine Leitagenda für eine Amtszeit wären. So kündigte Healey den Beitritt zum Projekt ELSA (European Long-Range Strike Approach) an. Mit diesem Vorhaben wollen Deutschland, Frankreich, Italien und Polen weitreichende Präzisionslenkwaffen entwickeln.

Als zentrales Element einer neuen britischen Wehrpolitik beschrieb Healey ein Abkommen zur Verteidigungszusammenarbeit mit Deutschland. Die Labour-Party und die ihr nahestehende SPD ließen 2023 dazu Empfehlungen erarbeiten – über eine Analyse des Royal United Services Institute (RUSI) und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Kern von deren Vorschlägen ist eine Strukturierung der Verteidigungskooperation über einen Vertrag zur Rüstungs- und Militärkooperation. Einen solchen unterhält Großbritannien seit 2010 über die „Lancaster-House-Abkommen“ mit Frankreich. So soll die deutsch-britische Wehrzusammenarbeit strategischer werden.

Secretary of State for Defence John Healey (links) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (rechts) bei der Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung Ende Juli in Berlin. (Bildautor: picture alliance)

Fokus Nordostflanke

Ziel wäre ein deutsch-britischer Motor zur Ertüchtigung des europäischen NATO-Pfeilers, laut gemeinsamer Erklärung. An erster Stelle wird eine effizientere Rüstungskooperation genannt, gefolgt von mehr Interoperabilität beider Streitkräfte, was dem Aufbau europäischer Großverbände nach dem New Force Model der NATO dienen würde. Deren Nordostflanke wird als Fokusregion der angestrebten Militärkooperation genannt. In Nord- und Osteuropa haben Bundeswehr wie Großbritannien auch die meisten Partnerarmeen für ihre jeweiligen Rahmennationenkonzepte bei der NATO. Das Konzept Deutschlands soll über Rüstungskoopertaion NATO-Fähigkeitsziele erfüllen. Die Joint Expeditionary Force (JEF) Großbritanniens ist ein multinationaler Eingreifverband. Interessant für eine deutsch-britische Verteidigungskooperation wird nun sein, ob es beiden Seiten gelingt, den jeweils anderen in das eigene Framework Nations Concept zu integrieren.

Keine Auswirkung auf Tempest und FCAS

Im Zusammenführen und Teilen von deutschen und britischen Fähigkeiten liegen einige Potenziale für mehr Wehrkraft NATO-Europas – gerade im Bereich der Luftstreitkräfte. Hier nennt die RUSI-FES-Analyse das trilaterale Abkommen Großbritanniens mit den USA und Norwegen zur Kooperation bei P8 Poseidon-Flugzeugen. Mit diesem Seefernaufklärern rüstet sich nun auch Deutschland. Ein Pooling und Sharing der kleinen nationalen Flotten für Baltikum und Nordatlantik würde einen operativen Mehrwert schaffen. Militärisch sinnvoll wäre es auch, wenn Großbritannien wie Deutschland seine A400M in den europäischen Verbund für Lufttransportkapazitäten einbringen würden, das European Air Transport Command.

Für die Luftwaffe ist „Cross-Servicing“ das zentrale Thema mit Blick auf die Royal Air Force. Beide Luftstreitkräfte sind seit vergangenem Jahr in der Lage, im Baltikum zusammen Air-Policing-Missionen zu bestreiten. Die einheitliche Wartungsroutine dafür zu schaffen, dauerte allerdings fast vier Jahre. Dies lag an den unterschiedlichen IT-Systemen der jeweiligen Eurofighter-Flotten. Die Luftstreitkräfte beider Länder beschaffen den Multirollenkampfjet F-35 und dem Transporthubschrauber CH-47. Bei beiden wollen die Deutschen mit den Briten Kooperationen wie eine einheitliche Wartungsroutine angehen, so ein Luftwaffensprecher zu loyal.

Bei Europas Großvorhaben zur Luftrüstung, dem Global Combat Air Programme (meist geläufig unter dem Projektnamen seines Kampfjets „Tempest“) unter britischem Lead und dem deutsch-französischen Future Combat Air System, dürfte eine Wehrpartnerschaft Berlin-London erstmal keine Auswirkungen haben. Dazu sind die Programme zu weit fortgeschritten. Die Industrieanteile zwischen den Partner-Nationen sind verteilt. Erst über die Integration diverser Begleitdrohnen bahnen sich mittelfristig wieder Kooperationsmöglichkeiten an.

Der erste gemeinsame Flug ist geschafft: Der deutsche Kontingentführer hat einem Piloten der Royal Air Force bei einem ersten Flug den Luftraum im Norden Estlands gezeigt. (Bildautor: Bundeswehr/Marvin Hofmann)

Das Boxer-Potenzial

In Sachen deutsch-britischer Beschaffung ist der Radpanzer Boxer eine Rampe für Skaleneffekte in der Rüstung und operativen Mehrwert. Für das deutsche und britische Heer ist er die zentrale Plattform bei der Ertüchtigung ihrer Landstreitkräfte. Die British Army rüstet ihr kommendes Expeditionskorps für den Kontinent damit aus, auch über eine Produktion im eigenen Land. Die Bundeswehr plant ihre neuen Mittleren Kräfte auf Boxer-Basis. Unter anderem sollen diese die Radhaubitze RCH-155 auf diesem Radpanzer erhalten. Die Briten beschlossen im Frühjahr ihre gesamte Rohr-Artillerie mit der RCH-155 zu modernisieren. In ihrer Stellungnahme dazu jubilierte die British Army über einen „potenziellen Exportmarkt von drei Milliarden Pfund für die britische Wirtschaft“. Rüstungsexportfragen sind allerdings ein tradiertes Feld, auf dem sich die Europäer immer wieder zerstreiten. Ihre langjährige Blockade gegen den Verkauf britischer Eurofighter an Saudi-Arabien gab die Bundesregierung erst im Januar auf.

Aufgegebene Ambitionen

Doch auch beim Boxer ist das Kooperationspotenzial endlich. Als loyal das Heer 2020 nach Vorhaben mit der British Army fragte, wurde das Ziel genannt, die Briten für eine Logistik-Plattform zum GTK Boxer zu gewinnen, um Ersatzteile günstiger zu beschaffen. Diese Ambition wurde inzwischen aufgegeben, so ein Sprecher des Heeres auf Nachfrage. Ebenfalls weggefallen ist das damals geäußerte Interesse, die Briten in das deutsch-französische Landkampfsystem Main Ground Combat System einzubeziehen. Das bisher einzige deutsch-britische Heeresvorhaben für militärischen Mehrwert ist das gemeinsame Pionierbrückenbataillon 130 in Minden, das seit 2021 besteht. Brückenlegefähigkeiten sind eine Mangelressource der NATO. Nun soll die Ausstattung des Bataillons mit der Amphibie M3 verbessert werden. Dazu haben die Partner-Armeen jeweils Forderungen nach überbrückbaren Weiten, die zusammen bei etwas mehr als einem Kilometer liegen. Die Briten wollen davon circa 30 Prozent der dafür nötigen Systeme übernehmen. Bis jetzt gibt es eine Angebotsaufforderung des Beschaffungsamts an den M3-Hersteller GDELS. Das Heer hofft auf einen Zulauf bis 2028.

Über einer deutsch-britischen Heeresrüstung hängt zudem ein spezielles Damoklesschwert. In Großbritannien ist das Heer die traditionelle Teilstreitkraft, wenn es darum geht durch Einsparungen die gängigen Kostensteigerungen bei den strategischen Fähigkeiten Marine und nukleare Abschreckung aufzufangen. In seiner jüngsten Bewertung der Rüstungsagenda bis 2033 kommt der britische Rechnungshof zu dem Schluss, dass beide Rüstungsfelder die größte Kostensteigerung von fast 55 Milliarden Pfund aufweisen: Eine Summe, die die Beschaffung in Gänze aus den Angeln hebt, so das National Audit Office.

Deutsche Schwäche bei amphibischen Operationen

Blickt man auf den Marine-Bereich hatte die Deutsche Marine in den letzten Jahren das Interesse, über eine Zusammenarbeit mit den Royal Marines ihre amphibischen Fähigkeiten auszubauen. Die Briten sind eine Leadnation für die Amphibious-Task Group der NATO-Response Force, zusammen mit dem Korps Mariniers der Niederlande, in welches das deutsche Seebataillon integriert wird.  Zum Stand dieser amphibischen Ambition hält sich die Marine bedeckt. Ein Sprecher der Marine zu loyal: „Kooperationsmaßnahmen, die sich aus dieser gemeinsamen Erklärung ergeben, sind noch nicht abschließend entschieden. Sie befinden sich derzeit in der Abstimmung zwischen den jeweiligen Ministerien und den beteiligten Marinen.“

Hier ist die zentrale Schwäche der Deutschen, dass über das kleine „Multitool“ Seebataillon mit seinem weiten Fähigkeitsspektrum von Boarding, über Minensprengung bis zur Hafensicherung keine kampfstarken amphibischen Einsatzverbände generiert werden können, was die Attraktivität als Partner in diesem Bereich schmälert. Ob die Marine Personalaufwuchs und die nötige Rüstung für eine substanziellen Ausbau des Seebataillons angeht, ist zweifelhaft. Bei den von Personalproblemen geplagten deutschen Seestreitkräften liegt der Fokus auf den seegehenden Einheiten. Generell haben Bundeswehr wie die britischen Streitkräfte massive Rekrutierungsprobleme. Dies ist eine Schwäche für die geplante Wehrkooperation. Hier besteht die Gefahr, dass ein Ausbau von militärischen Strukturen verabredet wird, der dann nicht erfolgt.

Das bleibende Brexit-Problem

Auch wird eine vertiefte deutsch-britische Wehrkooperation kaum den Ballast des Brexits für Europas Sicherheitspolitik schmälern. Bei der A-la-Carte-Kooperation zwischen Europas Militärmächten steht üblicherweise die Verteilung der Produktion im Vordergrund und nicht deren Effizienz. Die Nachrüstung der Europäer seit Russlands Angriffskrieg in der Ukraine zeigt, dass sich leistungsstarke Streitkräfteprofile mit nationalen Etats nicht mehr bewältigen lassen. Standards und Masse über umfassende Kooperationsrüstung im EU-Rahmen werden immer drängender. Das Vereinigte Königreich verfügt mit BAE Systems über den nach Umsatz größten Wehrkonzern Europas. Doch die Potenziale der britischen Wehrindustrie lassen sich durch deren Abgang aus dem gemeinsamen Markt schwer einbinden. Bei der EU-Förderinitiative ASAP (Act in Support of Ammunition Production) zum Ausbau der Munitionsproduktion Europas blieb Großbritannien außen vor. Bis jetzt ist Großbritannien nur beim PESCO-Vorhaben Military Mobility dabei.

Die erste Hürde für die von britischer Seite angestoßene strategische Wehrkooperation mit Deutschland wird die Finanzplanung der neuen Labour-Regierung. Die sprach von einem „Milliardenloch“ im übernommenen Haushalt in Höhe von fast 24 Milliarden Euro. Schon den militäraffinen Konservativen gelang es in den letzten Jahren nie, die Mittel bereitzustellen, welche die Armee benötigt, um einer Mittelmacht mit globaler Ambition gerecht zu werden.

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