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Bruderzwist um Künstliche Intelligenz

Europa und die USA kommen an Künstlicher Intelligenz (KI) nicht vorbei, wenn sie die Systemkonkurrenz mit der Volksrepublik China bestehen wollen. Doch spricht man auf beiden Seiten des Atlantiks nicht dieselbe Sprache, wenn es um den letzten Stand dieser Computertechnologie geht. In Europa sieht man KI eher als wirtschaftliches und ethisches Problem – in den USA als Chance für die Sicherheitspolitik. Doch gerade das Militär könnte helfen, die EU und die USA bei der Künstlichen Intelligenz zusammenzuführen.

NATO-Streitkräfte erproben immer intensiver Robotertechnik mit KI-Anwendungen, wie hier einen Schreitroboter zur Unterstützung einer Patrouille der britischen Streitkräfte auf dem Luftwaffenstützpunkt Leeming im August dieses Jahres.

Foto: Public Domain

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Wir befinden uns in einem Wettbewerb mit China, und die Künstliche Intelligenz steht im absoluten Zentrum dieses Wettbewerbs.“ Diese Aussage eines Mitglieds der US-amerikanischen Sicherheitskommission zu KI fasst die aktuelle Denkweise in den USA gut zusammen. KI ist zu einem zentralen Element des geopolitischen Wettbewerbes zwischen den Vereinigten Staaten und China geworden, und beeinflusst zunehmend die globale Machtbalance. Europa muss sich nun positionieren. Trotz handfester Wirtschaftsinteressen gegenüber China ist den meisten Beteiligten klar, dass es für Europa keine Äquidistanz zwischen den USA und China geben kann. Der Westen ist mit seinen Werten und Interessen den Vereinigten Staaten schlicht ungleich näher als China.

Die USA sind zudem Europas wichtigster Sicherheitspartner. In der Tat gibt es – und das nicht erst wieder unter US-Präsident Joe Biden – in den USA den Wunsch, mit Europa zusammenzuarbeiten. Auch Europa ist nach einer Phase, in der der Fokus zunächst auf der Unterstützung der heimischen KI-Forschung, -Gesetzgebung und -Regulierung lag, daran interessiert, über den europäischen Tellerrand hinauszublicken. Auf dem US-EU-Gipfel im Juni beschlossen die Partner, einen gemeinsamen „Handels- und Technologierat“ zu gründen, der die Technologiezusammenarbeit fördern soll.

Beiderseits des Atlantiks ist man also motiviert, bei KI miteinander zu kooperieren. Doch spricht man auf beiden Seiten des Atlantiks bei diesem Thema nicht dieselbe Sprache. Drei Trends könnten der transatlantischen KI-Zusammenarbeit Probleme bereiten: auseinanderdriftende Motivationen für die Kooperation, transatlantische Entfremdung und europäische Bemühungen um digitale Autonomie.

Systemkonkurrenz mit China

Die USA und Europa haben aus unterschiedlichen Gründen Interesse an der Zusammenarbeit. Für die USA steht die Systemkonkurrenz mit China klar im Vordergrund. Sie befürchten, dass KI ihrem geopolitischen Konkurrenten einen erheblichen Vorteil verschaffen könnte – wirtschaftlich, aber auch militärisch. Die USA haben in den vergangenen Jahren ihre Technologiepolitik gegenüber China deutlich verschärft: Es gibt Exportverbote für Halbleiter, und auch europäische Partner wurden gedrängt, Technologiekooperationen mit China zu beenden.

In Europa jedoch wird KI, mit einigen Ausnahmen, weiterhin primär als ökonomisch und sozialpolitisches Thema denn als geopolitische Herausforderung gesehen. China wird in Europa nicht im selben Maße wie in den Vereinigten Staaten als geopolitische Bedrohung wahrgenommen. Nicht chinesische, sondern US-amerikanische Unternehmen sind derzeit die Firmen, mit denen sich Europa messen muss. Das Interesse, mit den USA zusammenzuarbeiten, fußt indes auf einer anderen Sorge: nämlich, dass KI auf eine Art und Weise entwickelt und eingesetzt werden könnte, die im Widerspruch zu europäischen demokratischen Werten und Ethikvorstellungen stehen könnten. Der Einsatz intransparenter, unkontrollierter KI kann durchaus katastrophale Folgen haben, etwa wenn sie eine totale Überwachung ermöglicht, Menschenrechte verletzt oder bestimmte Gruppen diskriminiert. Für die EU hat daher eine ethische und vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz Priorität.

An der Universität für Informationsingenieurwesen von Chinas Volksbefreiungsarmee
in Zhengzhou erforschen Wissenschaftler die mentale
Steuerung von Robotern. (Foto: Shen Xiang/China Daily)

Das transatlantische Bündnis hat eine schwierige Zeit hinter sich, die Trump-Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Zudem ist angesichts des Konflikts um eine Beteiligung chinesischer Firmen am 5G-Mobilfunknetz in den Augen vieler Europäer Technologie zu einem Bereich geworden, der in den transatlantischen Beziehungen für Ärger sorgt, eher als dass er die Zusammenarbeit fördert.

Selbst wenn sich das Verhältnis nun wieder verbessert – Europa verliert für die USA immer mehr an Bedeutung. So empfiehlt die amerikanische Sicherheitskommission KI-Kooperationsabkommen mit Australien, Indien, Japan, Neuseeland, Südkorea und Vietnam, und der Bericht fokussiert sich auf die Zusammenarbeit innerhalb der Geheimdienstallianz „Five Eyes“.

Europäische digitale Autonomie

Der wichtigste Aspekt der transatlantischen Entfremdung ist jedoch nicht der Vertrauensverlust zwischen den USA und Europa. Vielmehr haben die Europäer in den letzten Jahren – und teilweise als Reaktion auf isolationistische Tendenzen in den USA – begonnen, über europäische strategische Autonomie zu sprechen. Ziel der digitalen Souveränität ist es, technologische Fähigkeiten in Europa aufzubauen. Und es gibt Bestrebungen Technologieunternehmen zu regulieren, was insbesondere große amerikanische Firmen betrifft. Europäische Aktivisten argumentieren, dass US-Tech-Giganten wie Google, Apple, Facebook und Amazon Kräfte sind, vor denen man sich schützen müsse. Das europäische Denken über Technologie entwickelte sich also teilweise im Widerspruch zu den USA und zu US-Unternehmen.

Das Bestreben der EU, ethische KI zu stärken und vertrauenswürdige KI zu einer europäischen Marke zu machen, könnte die transatlantische Zusammenarbeit weiter erschweren. Denn die Hoffnung so mancher Entscheidungsträger in Europa ist, dass ethische KI ein europäisches Alleinstellungsmerkmal werden könnte – mithin ein Standortvorteil. Je mehr Menschen sich über unethische KI und Datensicherheit Sorgen machen, desto lieber werden sie „KI made in Europe“ kaufen, so die Hoffnung. In dieser Hinsicht stehen zwei europäische Ziele im Widerspruch zueinander: Einerseits wollen die Europäer sicherstellen, dass KI auf ethische Weise entwickelt und eingesetzt wird. Eine Partnerschaft mit einem mächtigen Akteur wie den USA in dieser Frage sollte ein naheliegender Weg sein, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn die EU ethische KI jedoch nicht nur als ein Ziel für die gesamte Menschheit betrachtet, sondern als eine Entwicklung, die auch kommerzielle Vorteile für Europa bringen kann, dann wäre eine transatlantische Zusammenarbeit in dieser Frage potenziell kontraproduktiv, da sie die Einzigartigkeit Europas untergraben würde.

Zudem sind manche Europäer skeptisch, inwieweit Europa und die USA tatsächlich in Bezug auf ethische KI-Prinzipien übereinstimmen. Die nationale KI-Strategie aus Dänemark zum Beispiel sieht ethische KI als einen spezifisch europäischen Ansatz und warnt Europa vor zu viel Kooperation mit den USA, da diese wenig Rücksicht auf ethische Grundsätze oder Datenschutz nähmen.

Handels- und Technologierat als Plattform

Es ist also wichtig für die transatlantischen Partner, sich diese Probleme bewusst zu machen – der neue Handels- und Technologierat könnte eine gute Plattform dafür sein. In der Zwischenzeit wäre es sinnvoll, sich auf unumstrittene Kooperationsbereiche zu konzentrieren, die für beide Seiten Vorteile haben. Der (nicht direkt kampfrelevante) militärische Bereich könnte angesichts der engen militärischen Beziehungen zwischen den USA und Europa durch die NATO genau das liefern.

Die Militärs auf beiden Seiten des Atlantiks investieren bereits in KI-unterstützte Fähigkeiten. Einige dieser militärischen Anwendungsformen wie autonome Waffensysteme gehören zu den umstrittensten Anwendungen von KI. Militärische KI schließt auch KI-unterstützte Logistik mit ein.

Künstliche Intelligenz hilft, Logistik effizienter und kostengünstiger zu gestalten. Sie unterstützt die vorausschauende Wartung bei der Überwachung beispielsweise eines Flugzeug, und kann anhand verschiedener sensorischer Eingaben und Datenanalysen vorhersagen, wann Teile eines Systems ersetzt werden müssen. Eine transatlantische Zusammenarbeit in diesem Bereich wäre sehr sinnvoll. Sie könnte im Rahmen der NATO stattfinden und dazu beitragen, die Verbündeten näher zusammenzubringen, gemeinsame Verfahren zu etablieren und so die für die Allianz so wichtige Interoperabilität zu sichern. Gleichzeitig würde eine solche Zusammenarbeit zeigen, dass die Verbündeten, trotz aller Unterschiede, in der Lage sind, beim Thema KI miteinander zu arbeiten.

Die Autorin

Ulrike Franke ist Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR) in London. Sie leitet die „Technology and European Power“-Initiative des ECFR.


Was ist Künstliche Intelligenz – kurz KI?

Eine allgemeingültige Definition für sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) gibt es nicht. Im Wesentlichen handelt es sich um Systeme, die menschliche Fähigkeiten wie Sprach- und Bilderkennung nachbilden und verstärken. Die zurzeit wirkmächtigste Variante sind künstliche neuronale Netzwerke, die mit zugewiesenen Algorithmen selbstlernend Daten auswerten. Sie können in mit diversen Vergleichsfällen gefütterten Computerprogrammen rasch Muster erkennen und einordnen. Im Unterschied zur menschlichen Intelligenz fehlt es KI jedoch an einem Verständnis des eigenen Handelns. Liefert ein KI-System brauchbare Übersetzungen durch zahllose Mustervergleiche großer Textmengen, versteht es dennoch nicht die entsprechende Grammatik. Eine geläufige KI-Anwendung sind Navigationssysteme, die umgehend die Frage lösen, wie ich am besten von A nach B komme. Künstliche Intelligenz optimiert also Prozesse, was sie insbesondere für das Militär interessant macht. So lassen sich über Sensoren erfasste Daten gegnerischer Einheiten mit KI-Programmen schneller, umfassender und ausdauernd zur Bekämpfung auswerten. Die ersten Ansätze zur Entwicklung Künstlicher Intelligenz gehen auf die 1940er-Jahre zurück. Der entscheidende Schub für die KI-Entwicklung kam durch die Digitalisierung Anfang der 2000er -Jahre. Die breite digitale Erfassung von Daten erleichtert es massiv, maschinelle Lernprozesse aufzusetzen. Immer mehr Staaten geben sich KI-Strategien, um deren Potenziale zu nutzen – Deutschland 2018. Steter Begleiter dieser Entwicklung ist die Furcht, dass künftig eine sogenannte „starke KI“ entwickelt wird, die menschliche Intelligenz abbildet und sogar übertrifft. Die deutsche KI-Strategie verweist darauf, dass sich die Bundesrepublik nur an „schwacher KI“ orientiert, die sich auf einzelne Anwendungen beschränkt. bm

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