Brutale Hitze im Treibhaus
Der Klimawandel heizt weltweit Konflikte an und verschärft vielerorts Krisen. Die neue US-Regierung sieht in der Erderwärmung ein zentrales sicherheitspolitisches Thema und erarbeitet gerade eine neue Risikoanalyse. Russland und China wollen hingegen von einem um das Thema Klima erweiterten Sicherheitsbegriff nichts wissen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist machtlos.
Der amerikanische Präsident Joe Biden war gerade einmal eine Woche im Amt, da machte er per Executive Order den Kampf gegen den Klimawandel zur Chefsache. Er verfügte die Rückkehr in das Pariser Abkommen und gab der Klimakrise einen zentralen außen- und sicherheitspolitischen Stellenwert. Das Pentagon wies er an, sie vorrangig in Analysen, Simulationen und bei der Manöverplanung zu berücksichtigen. Bis Ende Juni muss Verteidigungsminister Lloyd Austin nun eine Risikoanalyse vorlegen. Sie wird Eingang finden in die National Security Strategy.
Donald Trump interessierte das Thema politisch nicht. Dennoch besteht in den USA seit 15 Jahren ein breiter Konsens in der Führung des Militärs und der Geheimdienste, dass der Klimawandel Bedrohungen für die Sicherheit mit sich bringt und das Potenzial hat, Konflikte in vielfältiger Weise zu verschärfen. Auswirkungen auf US-Stützpunkte weltweit oder Einsätze zur Katastrophenhilfe sind seit langem Teil der Militärplanung. Nun aber rückt der Klimawandel ins Zentrum der US-Sicherheitspolitik.
Einfache Antworten auf die Frage, was die Erderwärmung für Frieden und Stabilität bedeutet, gibt es nicht. Ein direkter Zusammenhang, wonach der Klimawandel Konflikte auslöse, sei bislang empirisch nicht nachgewiesen, sagt Susanne Dröge, die bei der Stiftung Wissenschaft und Politik über die sicherheitspolitischen Folgen der Klimakrise forscht. Vielmehr gebe es „eine Reihe von Mechanismen“, wie die Erhitzung der Atmosphäre, die Konflikte befeuern können. In Konfliktlagen wirke Klimawandel oft als „Multiplikator“, sagt Dröge.
„Multiplikator“ für Bedrohungen
Ähnlich sieht das Barbora Sedova, Co-Leiterin des Future-Labs „Sicherheit, ethnische Konflikte und Migration“ beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Auch sie spricht von einem „Multiplikator“ für Bedrohungen, der Problemlagen beschleunige und verschärfe – aber in der Regel nicht die auslösende Ursache von Konflikten sei. Zugleich könne aber etwa die Konkurrenz um knappere Ressourcen sehr schnell und direkt Auswirkungen auf Frieden und Sicherheit haben. Als Beispiel nennt sie Konflikte zwischen den nomadisch lebenden Viehzüchtern und Ackerbauern in Afrika.
Schon heute werde ein Drittel der Opfer von Konflikten in Regionen des Kontinents erfasst, in denen nomadisch lebende Viehzüchter mit sesshaften landwirtschaftlichen Gemeinschaften in Auseinandersetzungen geraten, sagt Sedova. Dabei werden die Viehzüchter unter anderem durch ausbleibende Niederschläge und Landdegradierung gezwungen, ihre angestammten Weidegebiete zu verlassen. Sie dringen dann vermehrt in bisher landwirtschaftlich genutzte Regionen vor.
Hinzu kommt, dass konkurrierende Gruppen oft verschiedenen Ethnien angehören und die schwachen staatlichen Institutionen kaum präsent sind. Mancherorts füllen bewaffnete nichtstaatliche Gruppen das Vakuum. Manche von ihnen sind ethnische Milizen – andere dschihadistische Gruppen, etwa in der Sahel-Zone. Seit Frankreichs Intervention in Mali werden sie teils auch militärisch bekämpft – mit begrenztem Erfolg. Zugleich lassen sich längst nicht alle Konflikte im Sahel primär mit Folgen der Klimaerwärmung erklären.
Afrikas Probleme relevant für Europa
Auswirkungen des Klimawandels münden zudem nicht zwangsläufig in Instabilität oder Konflikte. Dröge verweist auf Australien, das unter extremer Hitze, Dürre, Buschfeuern und nun auch massiven Überschwemmungen zu leiden hatte. Es muss also weitere Faktoren geben: schlechte soziökonomische Voraussetzungen oder ein Versagen des Staates bei der Bewältigung von Katastrophen oder langfristigeren Klimafolgen. Für Europa wegen der geografischen Nähe besonders relevant sind die sich absehbar verschärfenden Probleme im Nahen Osten und Nordafrika: Ohnehin von Krisen gebeutelt, zählt die Region zu den Gebieten mit der größten Wasserknappheit. Acht der zehn größten Weizenimporteure liegen dort; Brotunruhen sind die größte Sorge der meist autoritären Regime.
Dem Bürgerkrieg in Syrien ging eine schwere jahrelange Dürre voraus, die Ernteausfälle verursachte und anderthalb bis zwei Millionen Syrer vom Land in die Vorstädte von Aleppo, Homs oder Damaskus trieb und soziale Spannungen verschärfte. Die Unzufriedenheit der konservativen sunnitischen Landbevölkerung befeuerte die Proteste gegen das alawitische Regime – Diktator Baschar al-Assad ließ bald auf sie schießen. Klimamodelle legen nahe, dass bereits in wenigen Jahrzehnten ganze Landstriche in Kuwait, Bahrain, Irak oder Iran wegen der brutalen Sommerhitze unbewohnbar sein könnten. Zusätzliches Konfliktpotenzial liegt darin, dass etliche Länder zur Wasserversorgung auf Flüsse angewiesen sind, die außerhalb ihrer Grenzen entspringen. Euphrat und Tigris etwa haben ihre Quellgebiete in der Türkei und durchfließen Syrien, bevor sie den Irak erreichen.
GERD eine „existenzielle Bedrohung“ für Ägypten
Ägypten, das zu 95 Prozent auf Nilwasser angewiesen ist, betrachtet den von Äthiopien errichteten Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) als „existenzielle Bedrohung“ für sich und hat eine Bombardierung in den Raum gestellt. Das Wasser sei Ägyptens rote Linie, bekräftigte jüngst Präsident Abdelfattah al-Sisi. Wasserkriege sind zwar oft vorhergesagt worden, Beispiele gibt es dafür aber keine – bislang zumindest. Denn viele Experten und auch Militärplaner sehen in Wasserknappheit das größte Konfliktpotenzial aller Folgen des Klimawandels.
Zugleich gibt es zwischen Ägypten und Äthiopien Bemühungen um eine kooperative Lösung, wie es historisch gesehen bei den meisten Wasserkonflikten der Fall war. Der Klimawandel ist hier zwar nicht direkt der Auslöser, verschärft aber zumindest die große Wasserknappheit in Ägypten – ebenso aber auch das rapide Bevölkerungswachstum und das schlechte Wassermanagement. Überdies ist das Nil-Delta, wichtigstes Anbaugebiet Ägyptens, durch den Anstieg des Meeressspiegels bedroht: Land geht verloren oder wird unfruchtbar, das Grundwasser versalzt. Migration ist eine absehbare Folge. Ähnliches gilt für die niedrig gelegenen Küstengebiete in der Golfregion und damit für Metropolen wie Dubai, Abu Dhabi, Kuwait, Dschiddah, Doha oder Manama.
Asiatische Megastädte in Gefahr
Länder wie die Malediven oder die Inselstaaten im Pazifik, beispieslweise Kiribati, müssen gar um ihre Existenz fürchten. Gefährdet sind aber auch viele Megastädte in Asien – Mumbai, Bangkok, Jakarta, Ho-Chi-Minh-Stadt, Hongkong oder Shanghai – und die Deltas der großen Flüsse, an denen viele dieser Städte liegen. Schon heute treten dort immer öfter verheerende Wirbelstürme auf. Auch ist die Fischerei, eine wichtige Nahrungs- und Erwerbsquelle in Asien, durch die Erwärmung der Meere bedroht. Zugleich hängt die Wasserversorgung von mehr als zwei Milliarden Menschen von den Gletschern im Hochland von Tibet ab, den größten Süßwasserreserven außerhalb der Polkappen. In den vergangenen 100 Jahren sind sie bereits um die Hälfte abgeschmolzen – eine Entwicklung, die der Klimawandel dramatisch beschleunigt: Nirgends steigen die Durchschnittstemperaturen schneller als dort. Gletscher im Himalaya und Karakorum speisen zehn der größten Flüsse Asiens.
China lenkt bereits Wasser aus dem Jangtse und dem Han, einem Nebenfluss, die beide ganz auf seinem Territorium verlaufen, zur Trinkwasserversorgung nach Peking um. Nicht umgesetzt sind bislang Pläne, Wasser aus den Oberläufen des Brahmaputra und des Mekong auszuleiten und damit die für die Landwirtschaft bedeutenden Provinzen im Norden zu versorgen, die unter Trockenheit leiden. Der Mekong durchfließt China, Myanmar, Laos, Thailand, Kambodscha und Vietnam. Nachdem Peking am Oberlauf eine Kaskade von Staudämmen errichtet hat, klagen die Anrainer des Unterlaufs über den Rückgang des Wassers. Ähnliche Probleme könnten auch in Lateinamerika entstehen, wo in den Anden fast die gesamten tropischen Gletscher der Welt liegen. Vor allem Bolivien, Peru und Ecuador wären betroffen. Sekundäre Effekte etwa auf die Artenvielfalt oder die Stromerzeugung durch Wasserkraft können ebenfalls dazu beitragen, dass sich die Lebensbedingungen verschlechtern.
Wettlauf um die Arktis
Ein völlig anderes Szenario ergibt sich durch das Abschmelzen der Polkappen: In der Arktis öffnen sich neue Schifffahrts- und damit Handelswege, reiche Bodenschätze werden zur Ausbeutung zugänglich, ebenso Fischgründe. Anrainerstaaten versuchen, ihre exklusiven Wirtschaftszonen auszuweiten. Alle Großmächte, also Russland, die USA und China, sehen in der Arktis eine für sie wichtige Region. Russland baut seine Stützpunkte aus und verstärkt seine Eisbrecher-Flotte.
Jüngst durchbrachen drei russische Atom-U-Boote gleichzeitig das Eis – eine Machtdemonstration, die das Verteidigungsministerium in einem Drohnen-Video dokumentierte. Damit könnte sich die geostrategische Rivalität weiter verschärfen. Anzeichen gibt es dafür auch in der Antarktis, die immerhin noch knapp 30 Jahre durch ein internationales Vertragsregime geschützt ist.
Bereits 2007 hat der UN-Sicherheitsrat auf Initiative Großbritanniens erstmals über die friedens- und sicherheitspolitische Auswirkungen des Klimawandels debattiert. Die Bundesregierung hat das Thema im vergangenen Jahr wieder auf die Agenda gesetzt. Die pazifischen Inselstaaten sowie andere vom Klimawandel stark betroffene Entwicklungsländer dringen darauf, dass die Staatengemeinschaft den Schäden, die sie erleiden, und der Bedrohung ihrer Existenz mehr Beachtung schenkt.
Russland aber lehnt es schon seit Jahren ab, das Gremium damit zu befassen und die Folgen des Klimawandels mit den Instrumenten der Sicherheitspolitik anzugehen. Auch China hält an einem engeren Sicherheitsbegriff fest und verweist auf die Zuständigkeit anderer UN-Organisationen. Die vergangenen vier Jahre fanden sich die beiden Vetomächte in dieser Frage ungeachtet aller sonstigen Konfrontation mit den USA im Einklang – das dürfte sich unter Joe Biden nun zwar ändern. Die wachsende Großmacht-Rivalität allerdings macht es unwahrscheinlich, dass der Sicherheitsrat gerade bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels eine konstruktive Rolle spielen kann.
Über den Autor
Paul-Anton Krüger arbeitet als Reporter mit den Schwerpunkten Naher Osten und internationale Sicherheit bei der Süddeutschen Zeitung.